Zieh an, was du willst! – Kommentar zum Slutwalk am 13. August
In: Publik Forum, 9. August 2011
Das hätte sich Michael Sanguinetti vermutlich nicht träumen lassen: Dass sein dummer Spruch zu einer weltweiten Welle feministischer Demonstrationen führen würde. Der kanadische Polizist hielt im Januar einen Vortrag vor Schülerinnen und riet ihnen, sie sollten es „vermeiden, sich wie Schlampen anzuziehen“, wenn sie sich vor sexuellem Missbrauch schützen wollen.
Die Reaktion: Ein spontaner „Slutwalk“, ein „Schlampenspaziergang“ in Toronto, bei dem Frauen öffentlich klar stellten, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Dass sie anziehen können, was sie wollen, und dass eine Vergewaltigung einzig und allein die Schuld des Vergewaltigers ist und niemals die des Opfers.
Offensichtlich traf das Ganze einen Nerv. Es folgten ähnliche Demonstrationen in vielen Ländern der Welt, von Amerika bis Brasilien, von Australien bis Korea. Am 13. August ist es in Deutschland soweit: In 14 Städten, darunter Berlin, Hamburg, Frankfurt, München und Leipzig, wird es „Slutwalks“ für sexuelle Selbstbestimmung geben. „Mein kurzer Rock hat nichts mit dir zu tun“, steht dann auf den Transparenten, oder auch „Welchen Teil von Nein hast du nicht verstanden?“
Vor allem jüngere Frauen engagieren sich in den Vorbereitungsgruppen. Sie kommen nicht aus etablierten Parteistrukturen, sondern haben sich über Internetzwerke wie Facebook zusammengefunden. Viele von ihnen hatten gedacht, das Thema sei längst erledigt. „Die Diskussion hat mir vor Augen geführt, wie ernsthaft von der absurden Annahme ausgegangen wird, freizügige Kleidung stehe in direktem kausalem Zusammenhang mit akuter Geilheit der Trägerin. Dieser Wahnwitz war mir nicht bewusst“, kommentiert es die 32 Jahre alte Verlagsredakteurin Britta Meyer.
Trotzdem sind die Slutwalks nicht nur spontane Einzelereignisse, oft konnte bereits auf politische Vernetzungen zurückgegriffen werden. „Es gibt viele solche politische Aktionen, zum Beispiel Ladyfeste, feministische Konzertreihen oder ähnliches“, sagt Magda Albrecht. Die 25-Jährige studiert in Berlin und bloggt bei dem feministischen Internetportal maedchenmannschaft.net, das ausführlich über die Slutwalks berichtet. „Bei solchen Aktionen wird der klassische Politikbegriff aufgebrochen.“
Bei den etablierten Medien hingegen war die überwiegende Reaktion auf die Slutwalks eine gute Portion Voyeurismus. Fast alle Zeitungen nutzen die Gelegenheit, um Busen und Pos von Demonstrationsteilnehmerinnen ins Bild zu rücken. So als ginge es hier bloß um eine große Party, bei der man halbnackte Frauen beschauen kann. „Sicher wollen wir dabei auch Spaß haben und uns zeigen“, sagt Nadine Lantzsch von der Berliner Orga-Gruppe, „aber wir haben einen politischen Anspruch, viele von uns kommen aus feministischen, Transgender- oder linken Zusammenhängen.“
Wer die Slutwalks als Appell für mehr „Sexyness“ versteht, hat den Fokus nicht verstanden. Denn dort laufen auch Frauen in Jeans und Pullover mit – und tragen vielleicht ein Schild, auf dem steht: »I was wearing this when I got raped«. Empirisch ist nämlich längst erwiesen, dass Sanguinetti die kanadischen Schülerinnen in die Irre geführt hat: Es gibt keinen statistischen Zusammenhang zwischen der Kleidung einer Frau und der Gefahr, vergewaltigt zu werden. „Tragt, was ihr tragen möchtet, und seid laut!« heißt es daher auf der Internetseite der Berliner Slutwalk-Initiative.
„Hijab, Hoody, Hotpants – your body, your choice“ lautet ein Slogan, der mir besonders gut gefällt. Der Dresscode heißt also nicht: Zieh dich möglichst sexy an!, sondern: Zieh an, was du willst – und verteidige die sexuelle Selbstbestimmung aller Frauen!
Eine sehr richtige Botschaft. Ich jedenfalls werde am 13. August dabei sein.
Mehr Informationen und Kontakt über http://slutwalkberlin.de/slutwalkunited