Werbekampagne der Zeugen Jehovas
In dem Hollywoodfilm »Perfect World« spielt Kevin Costner einen Gangster auf der Flucht. Als Geisel hat er einen zehnjährigen Jungen bei sich. Was als Entführungsdrama anfängt, endet in einer dicken Freundschaft. Der Gangster kauft dem Jungen ein Halloween-Kostüm, ißt mit ihm Eis, geht mit ihm auf den Jahrmarkt – all diese netten Dinge hat der Junge bisher noch nie gemacht, denn seine Mutter ist Zeugin Jehovas. Abgesehen von einem übertrieben puritanischen Lebenswandel ist sie jedoch – und damit spiegelt der Film die US-amerikanische Wirklichkeit wider – die nette Nachbarin von nebenan. Auch in Deutschland soll das bald so sein. »Jehovas Zeugen – Menschen aus der Nachbarschaft« ist der Titel einer Broschüre, die derzeit auf Straßen und in Haushalten verteilt wird. Das in Art eines Groschenromans aufgemachte Heftchen richtet sich vor allem an Hausfrauen, kleine Angestellte und ältere Menschen. Ganz deutlich ist das Bemühen, das schlechte Sektenimage loszuwerden: mehrfach wird betont, die Zeugen Jehovas seien Christen. Kurt-Helmuth Eimuth, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Frankfurt, sieht das anders:
Das sind sie mitnichten. Die Zeugen Jehovas glauben daran, daß Jesus schon im Wiederkommen sei, zur Zeit erwartet man ihn unmittelbar, es wird damit wieder auch Angst gemacht, beispielsweise heißt es, nur durch uns und wer an diese Wiederkunft glaubt, wird überleben, das heißt, alle anderen werden hingerichtet, werden hingemetzelt, werden im Endgericht, was Harmagedon heißt, regelrecht blutig gerichtet. Dies macht den Menschen Angst und läßt sie in ein System kommen, was doch zu starker Abhängigkeit führt.
Das Weltende und das himmlische Strafgericht haben die Zeugen Jehovas in ihrer gut 100jährigen Geschichte schon dreimal vorhergesagt. Das regelmäßige Scheitern dieser Prognosen tut ihrer Überzeugung dennoch keinen Abbruch. Dieser Glaube hat ganz konkrete Auswirkungen. Zeugen Jehovas dürfen nirgends mitarbeiten, wo man um das Funktionieren der heutigen, vergänglichen Welt bemüht ist. Vereine, Parteien, Bürgerinitiativen, Umweltschutz, all das ist verpönt. Entsprechend wenig Wert wird auf eine gute Ausbildung für die Kinder gelegt – wozu braucht man Abitur, wenn doch das Weltende bevorsteht? In ihrer Broschüre legen die Zeugen Jehovas eine Sozialstudie ihrer Mitglieder vor. Daraus geht hervor, daß weit über 60 Prozent nicht einmal die mittlere Reife haben. Ihre ganze Zeit und Energie stecken sie in die Missionierung. Kurt-Helmuth Eimuth:
Es ist sicher so, daß es bei den Zeugen Jehovas, weil es ja doch auch ne große Zahl ist, annähernd 170.000 Menschen in Deutschland alleine, daß es hier verschiedene Formen von Mitgliedschaft gibt, es gibt eben die, die ganz eng sind, die dort Vollzeitmissionare sind, die nichts anderes machen, als für die Zeugen Jehovas zu missionieren, dann gibt es aber auch die einfachen Mitglieder, aber auch diese müssen fast täglich im Einsatz sein, das heißt, also entweder Predigtdienst machen, das heißt auf der Straße den Wachturm verteilen oder von Tür zu Tür gehen, sagen Guten, Tag, glauben Sie an Gott, wir alle kennen das, das nennt sich Predigtdienst, und das wird in Karten eingetragen und das wird auch allwöchentlich vor der Versammlung sozusagen kontrolliert.
Interne Papiere versorgen die Mitglieder mit Bibelsprüchen und vorformulierten Antworten auf mögliche Einwände. Deshalb ist es auch so schwierig, mit Zeugen Jehovas, die an die Haustür kommen, zu diskutieren. Erfolge haben sie heute vor allem in Ostdeutschland, wo sie zu DDR-Zeiten verboten waren. Die Deutschland-Zentrale der Zeugen Jehovas in Selters im Taunus wurde in den letzten Jahren in großem Umfang erweitert, 1200 Menschen leben und arbeiten inzwischen dort.
In Berlin stellten die Zeugen Jehovas jetzt einen Antrag auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. In der 1. Instanz bekamen sie bereits Recht, derzeit ist der Fall in der Berufung. Eine Anerkennung hätte eine Reihe von Vorteilen zur Folge. Alle ihre Gruppen wären automatisch als gemeinnützig anerkannt. Kritiker verweisen dagegen auf die autoritäre Struktur der Organisation. Frauen müssen ihren Männern gehorchen, einfache Mitglieder ihren Vorgesetzten. Wer gegen die strengen Regeln verstößt, also beim Rauchen erwischt wird, an Feiern teilnimmt oder tanzen geht, wird rigoros ausgeschlossen. Das führt zu großen psychischen Problemen, weil die Betroffenen sämtliche Sozialkontakte verlieren, aber auch zu materiellen, weil die Zeugen Jehovas für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Sozialbeiträge bezahlen. Hier, so meint Kurt-Helmut Eimuth, sei wirklich Handlungsbedarf:
Ich denke, daß hier über das Steuerrecht, über das Sozialversicherungsrecht, viel mehr geschaut werden muß, ob das alles rechtens ist, zum einen zum Schutze derjenigen, die dort arbeiten, zum anderen aber auch zum Schutze unseres Sozialsystems, denn es kann ja nicht angehen, daß jemand zunächst mal keine Sozialbeiträge zahlt, aber dann später womöglich im Alter eben von diesem Sozialversicherungssystem leben muß.
Diese Sendung lief 1996 auf hr1