Konsens, Heft 4/2002

Das Aufsehen erregende Leben der Victoria Woodhull

Ein schillerndes, wie der Untertitel des Buches schon sagt "Aufsehen erregendes" Frauenleben gilt es zu entdecken, wieder zu entdecken - das der amerikanischen Unternehmerin Victoria Woodhull.

Aus ärmsten und kriminellen Verhältnissen kommend, arbeitete sich Woodhull zu einer unabhängigen Unternehmerin empor, die Zeitungen kontrollierte und durch diese Meinungen. Sie schaffte jedoch nicht nur den wirtschaftlichen Aufstieg, sondern entwickelte sich zu einer selbstständigen Frau mit eigenen Gedanken und politischen Ideen, die ihrer Zeit, von der sie geprägt waren, schließlich weit voraus waren.

Woodhull, schon als junge Frau mit den amerikanischen Bürgerrechtlerinnen in Kontakt gekommen, war eine entschiedene und leidenschaftliche Fürsprecherin der Frauen, die vor den ausschließlich männlichen Abgeordneten des Kongresses in einer eigenen Adresse ihre Forderungen nach der Teilhabe an der politischen Macht und dem Wahlrecht für Frauen darlegte.

Woodhull konnte es vereinbaren, einerseits eine erfolgreiche Unternehmerin, nämlich Brokerin und Zeitungsverlegerin, zu sein, und andererseits dem Sozialismus anzuhängen. Sie gründete ihre eigene Partei und war die erste Frau, die je für das Präsidentenamt in Amerika kandidierte. Außerdem vertrat sie entgegen den strikten Moralvorstellungen ihrer Epoche, die man in Europa die viktorianische zu nennen pflegte, die freie Liebe als Ausdruck unabhängiger Beziehungen auch im Sexualleben. Dadurch belastete sie die amerikanische Frauenbewegung, deren Vertreterinnen sich, bei teilweise großer Nähe der Positionen, von Woodhull distanzierten.

Schließlich blieben ihr auch immer noch Reste ihrer traumatischen und armen Jugendzeit, engste Bindungen an ihre kleinkriminelle Familie, die sie zeitlebens mit durchzog.

Ihre Offenheit und Freizügigkeit, ihre gelebte Unabhängigkeit brachte sie aber immer wieder in Konflikte, auch zu ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern. Eine heftige öffentliche Fehde verband sie mit der einflussreichen Familie Beecher. Die Prüderie und Bigotterie einer verheuchelten Gesellschaft konnte Woodhull nicht ertragen. Sexualität, Liebe und Ehe hatte sie zu Anfang ihres Lebens immer nur von unten kennen gelernt, unter Überschreitung der grenze zur Prostitution. Sie hatte, mehr als der Typus der gesellschaftlich engagierten, wohl versorgten Ehefrau, den Wunsch, zu selbst bestimmten Beziehungen für alle zu kommen.

Woodhull war offensiv, sie ging die öffentlichen Probleme ebenso wie die ihrer eigenen Person energisch an und entwickelte eigenständige Lösungsmodelle. Vielleicht war das mehr, als die ihr gegenüber reformunwillige Gesellschaft ertragen konnte. Das gilt nicht nur für ihre eigene Lebenszeit, sondern noch weit darüber hinaus. So blieb Woodhull mit all ihren Anregungen und Wirkungen auf die amerikanische Bürgerrechts- und Frauenbewegung völlig vergessen.

Es ist ein Verdienst der Autorin Antje Schrupp und des Ulrike Helmer Verlages, Woodhull mit der vorliegenden Biographie diesem Vergessen entrissen zu haben. Anzumerken bleibt lediglich, dass die Autorin bei guter historischer und kulturgeschichtlicher Einordnung ihre Geschichte abschnittsweise etwas zu unkritisch aus der Perspektive ihrer Heldin erzählt. Woodhull war aber offenkundig aus dem Stoff, aus dem Heldinnen gemacht sind, und so ist ihre Lebensbeschreibung gut zu lesen.

Dr. Bettina Marquis