aus: FrauenRat, Zeitung des Deutschen Frauenrates, Nr. 6/2003
Selfmade Woman
Aufstieg und Fall der Victoria Woodhull – eine Biografie
„Es kann Prostitution in der Ehe geben und fairen Handel in einem Bordell.“ Das war nicht die einzige Einsicht, mit der Victoria Woodhull (1838-1927), erste und bisher einige US-amerikanische Präsidentschaftskandidatin, die Frauenrechtsbewegung ihres Landes einst brüskierte.
Die Begründung für ihre Kandidatur gab Victoria Woodhull im April 1870 per Anzeige im Herald: „Während andere meines Geschlechtes einen Kreuzzug gegen Gesetze führen, die die Frauen des Landes einschränken, habe ich meine persönliche Unabhängigkeit behauptet. Während andere für bessere Zeiten beteten, tat ich etwas dafür. Während andere für die Gleichheit von Frauen mit den Männern argumentierten, habe ich sie unter Beweis gestellt, indem ich eine erfolgreiche Geschäftsfrau wurde.“ Victoria Woodhull war eine engagierte Verfechterin weiblicher Emanzipation und eine echte Selfmade Woman, die offenbar nie daran gezweifelt hat, dass sie zu Größerem berufen sei. Auch wenn es zunächst keineswegs danach aussah: Aus einer ärmlichen Familie von Wunderheilern und Betrügern kommend, hatte sie 15-jährig einen Alkoholiker geheiratet und ihr Geld unter anderem als Zigarettenmädchen in den Goldgräber-Saloons San Franciscos verdient. Während des amerikanischen Bürgerkriegs tingelte sie als magnetische Heilerin durchs Land und ließ sich schließlich mit ihrer Schwester und ihren beiden Kindern in New York nieder. Dort landete sie am 24. September 1869 ihren entscheidenden Coup: „In Trance“ riet sie dem Eisenbahnmillionär Cornelius Vanderbilt, seine gesamten Geldreserven in Gold zu stecken und bei exakt 150 Dollar zu verkaufen. Vanderbilt folgte ihrem Rat, verkaufte unmittelbar vor dem großen Börsencrash und überließ ihr als Dank die Hälfte seines Gewinns – 650.000 Dollar. Victoria Woodhull war auf einen Schlag eine reiche Frau.
Der Frage, welchen Anteil Woodhulls Spiritismus an ihrer politischen Laufbahn gehabt habe, räumt Schrupp in ihrem Buch großen Raum ein. „Wenn Frauen mit der Autorität der Geister sprachen, garantierte ihnen das die Möglichkeit, auch von männlichen Zuhörern ernst genommen zu werden“, schreibt sie. Zudem sei Woodhull als Heilerin mit den unterschiedlichsten weiblichen Lebensrealitäten in Berührung gekommen – Erfahrungen, die ihr feministisches Engagement nachhaltig prägten. So gründete sie nicht nur eine Brokerfirma für Frauen, sondern gab auch ihre eigene Zeitung heraus, in der sie soziale Anliegen aufgriff, engagiert für Geburtenkontrolle und gegen die ungleiche Entlohnung von Männern und Frauen Stellung bezog und gleichzeitig ihre eigene Präsidentschaftskandidatur vorantrieb.
Doch die mehrheitlich bürgerlichen Protagonistinnen der Frauenrechtsbewegung zeigten ihr die kalte Schulter. Erst als sie im Januar 1871 auf eigene Faust im Rechtsausschuss des Kongresses sprach und dort ein erstaunliches „Memorial“ zum Frauenstimmrecht präsentierte, wurde sie von ihnen ernst genommen. Woodhull wurde schnell eine der wichtigsten Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit und eine gefragte Rednerin. Doch sie weigerte sich energisch, den Maßstäben an Weiblichkeit zu genügen. Obwohl die Kritik an ihrer „Respektabiliät“ ständig zunahm, forderte sie vor dreitausend Zuhörerinnen öffentlich die Abschaffung aller Ehegesetze, bekannte sich zur freien Liebe, sprach offen über Abtreibung und Prostitution. „Alle anständigen Frauen distanzierten sich nun von dieser skandalösen Frau“, schreibt Schrupp. Als Woodhull, die sich der ersten Internationale angeschlossen hatte und die Pariser Kommune unterstützte, ihren angeschlagenen Ruf dadurch wiederherzustellen suchte, dass sie einen angesehenen Tugendwächter öffentlich als Ehebrecher outete, landete sie just zu den Präsidentschaftswahlen im Gefängnis. Die Einführung des Frauenwahlrechts erlebte sie fünfzig Jahre später fast vergessen im englischen Exil.
Aus den Annalen der Frauenbewegung war ihr Name lange Zeit getilgt. Antje Schrupp füllt diese Lücke nun für den deutschsprachigen Raum mit einer ebenso klug wie unterhaltsam geschriebenen Biografie. Unbedingt lesen!
Karin Nungeßer