Antje Schrupp im Netz

Werdet fauler!

Vortrag am 29.9.2023 in der Paulus-Akademie in Zürich

Der Mann muß hinaus


Ins feindliche Leben,

Muss wirken und streben


Und pflanzen und schaffen,


Erlisten, erraffen,


Muss wetten und wagen,


Das Glück zu erjagen.


Sie erkennen vermutlich, Schillers Lied von der Glocke, ein Lobgesang des bürgerlichen Lebens, entstanden an der Schwelle zum 19. Jahrhundert, das unser Denken bis heute mehr prägt, als wir meinen. Und unser Verständnis von Arbeit, von Pflicht, von Wirtschaft. Ich zitiere noch ein Stück, weil es so eindrücklich ist.

Da strömet herbei die unendliche Gabe,


Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,


Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.

Und drinnen waltet


Die züchtige Hausfrau,

Die Mutter der Kinder,


Und herrschet weise


Im häuslichen Kreise,

Und lehret die Mädchen


Und wehret den Knaben,


Und reget ohn’ Ende


Die fleißigen Hände,


Und mehrt den Gewinn

Mit ordnendem Sinn,


Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,


Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,

Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein


Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,


Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer


Und ruhet nimmer.

Je mehr wir arbeiten, das war seit langem die Maxime der abendländischen Kultur. Desto besser. Desto mehr Wohlstand.

„Ohne Fleiß kein Preis“, „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, „Müßiggang ist aller Laster Anfang“.

Auf den ersten Blick klingt das logisch. Aber heute wird es zunehmend in Frage gestellt.

Das ständige Schaffen und Streben droht, die Grenzen der physikalischen Welt zu sprengen. Oder, wie die britische Tageszeitung „The Guardian“ kürzlich getitelt hat: „Ökonomisches Wachstum zerstört den Planeten.“

Auch die Nachhaltigkeitsforscherin der Wirtschaftsuniversität Wien, Maja Hoffmann sagt: „Arbeit ist klimaschädlich. Menschen, werdet fauler!“ Maximal sechs Stunden pro Woche dürfe ein Mensch arbeiten, um innerhalb des verbleibenden CO2-Budgets zu bleiben.

Immer mehr geht ganz einfach nicht, wir müssen weniger machen, weniger bauen, weniger konsumieren, weniger reisen.

Eine Grafik der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung rechnet im Detail vor, wie viel CO2 verschiedene wirtschaftliche Aktivitäten verursachen. Egal ob man reist oder konsumiert oder arbeitet – nichts ist so umweltfreundlich wie einfach nur auf dem Sofa liegen zu bleiben.

Das ist neu. Bisher gab es Widerstand gegen den Appell zum Fleiß nur von den Kritikern des Systems. Von den Linken, den Hippies. Berühmt ist die Streitschrift “Das Recht auf Faulheit”, das Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, 1880 veröffentlicht hat.

Im Gegenzug warnten in meiner Jugend Politiker vor Gefahren wie dem „Freizeitpark Deutschland“ (Helmut Kohl) oder „spätrömischer Dekadenz“ (Guido Westerwelle).

Eine Frage von Links und Rechts, antiautoritär und autoritär?

Heute sitzen die Jungen wegen des demografischen Wandelns häufig am längeren Hebel. In China macht seit einigen Jahren der Begriff Tang Ping – (sich hinlegende Verweigerung) – die Runde, als Kennzeichen für die Generation der zwischen 1995 und 2010 Geborenen, von denen immer mehr versuchen, durch Konsumverzicht aus der harten Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt auszusteigen – wer wenig braucht, muss wenig arbeiten.

Auch aus Europa und den USA ist Ähnliches zu vermelden. Ökonomen haben das Phänomen „The Big Quit“ getauft: Junge Arbeitskräfte kündigen ihre Jobs in Berufen, die anstrengend sind und wenig einbringen, ob in Restaurants, als Flugpersonal oder in der Krankenpflege.

Der Rückzug der Jungen aus der Tretmühle des Pflichtgefühls ist auch eine Reaktion darauf, dass der traditionelle Kapitalismus seine Versprechen immer weniger einhält. Weder bietet er den Leistungsbereiten faire Aufstiegschancen, noch versorgt er uns verlässlich mit dem, was wir brauchen. Notwendige Dienstleistungen wie Krankenpflege, Instandhaltung öffentlicher Flächen, gute Schulbildung für Kinder aller Schichten werden nicht ausreichend erbracht.

Wenn es sich betriebswirtschaftlich „nicht mehr rechnet“, wird auch an der Substanz gespart, der Markt regelt vieles nur schlecht. Auf der anderen Seite bietet die Karriereleiter selbst denen, die sie erfolgreich erklimmen, nicht unbedingt Sinnerfüllung. Dafür gibt es viel zu viele „Bullshit Jobs“, wie es der Anthropologe David Graber nennt: bürokratische oder statusbezogene Arbeitsplätze, die nicht dazu beitragen, der Welt etwas Gutes zu tun.

Schließlich ist inzwischen auch das Bewusstsein für unsere eigenen Grenzen gewachsen. Das Internet macht die Stimmen derer sichtbar, die nicht so “fit” sind: Long-Covid, ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom) und andere unsichtbare chronisch Krankheiten: Nicht alles, was von außen als faul erscheint, ist es auch. Es gibt womöglich Gründe, warum Menschen nicht so leistungsfähig sind wie andere, an die Stelle einer klaren Unterscheidung von “gesund” und “krank” ist das Bewusstsein eines Spektrums an unterschiedlichen Graden von Gesundheit und Krankheit getreten. Wenn Leute faul erscheinen, dann haben sie womöglich Hindernisse, die wir nicht kennen.

Aber trotz all dieser neuen Spuren, ist es doch noch eher eine Minderheit, die sich dem Schillerschen Imperativ zum Fleiß entziehen kann. Einer aktuellen Studie des deutschen Bundesinstituts für Berufsbildung zufolge ist in Deutschland ein Zehntel aller Beschäftigten „arbeitssüchtig“, was sich in exzessiv langen Arbeitszeiten, übergroßem Arbeitspensum, schlechtem Gewissen an freien Tagen und der Unfähigkeit, sich am Feierabend zu entspannen äußert.

Das Phänomen hat inzwischen sogar einen Namen: Von „Burn on“ spricht man in den Fällen, wo beruflicher Stress nicht – wie beim „Burn out“ – in einen Zusammenbruch führt, sondern über lange Strecken aufrecht erhalten werden kann.

Warum ist das so schwer, einfach weniger zu tun?

Einerseits ist es natürlich einfach auch ein Zwang, eine Notwendigkeit. Wir müssen Geld verdienen. Wir müssen die Kinder versorgen. Wir müssen einkaufen, putzen, waschen, pünktlich im Büro sein – jedenfalls die meisten von uns. Faulheit und Langsamkeit muss man sich leisten können – darauf komme ich gleich noch einmal zurück.

Aber teils ist es eben auch soziale Prägung. Noch immer geistert die “protestantische Arbeitsmoral” im Diskurs herum. Kürzlich hatte ich mit einer Freundin die Diskussion über zunehmende Arbeitsverdichtung, sie arbeitet in einem sozialen Beruf, bekommt immer mehr Fälle auf den Schreibtisch, und oft geht sie auch dann zur Arbeit, wenn sie krank ist. Sie sagt, sie kann sich schlecht krankmelden, wenn sich die Fälle bei ihr stapeln. „Das ist meine protestantische Arbeitsmoral“. Dabei ist sie gar nicht religiös oder protestantisch.

Der Begriff geht, wie Sie vermutlich alle wissen, auf den Soziologen Max Weber zurück, der in seinem 1904 erschienenen Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, also zeitlich ziemlich genau zwischen Schiller und uns heute, die These aufgestellt hat, erst durch die „protestantische Arbeitsmoral“ mit Tugenden wie Fleiß, Verzicht und Sparsamkeit wären Überschüsse, Investitionen und Wachstum möglich geworden, also Kapitalismus.

„Der Protestantismus“ ist aber in wirtschaftethischer Hinsicht kein einheitliches Phänomen. Martin Luther war zwar in der Tat der Ansicht, dass Berufsarbeit eine Form von Gottesdienst sein kann, Vergnügungen aller Art genoss er aber trotzdem reichlich – vom ausschweifenden Feiern über gutes Essen bis zu schöner Musik.

Johannes Calvin hingegen wandte sich explizit gegen das nutzlose Spaßhaben, ja er wollte sogar Gasthäuser verbieten. Erfolgreiches Wirtschaften interpretierte er vorwiegend als individuelle Prosperität. Der calvinistische Einfluss verbreitete sich vor allem in den USA und prägte die marktliberale Wirtschaftsethik: Wer arm bleibt, ist wohl nicht fleißig genug. Aus diesem Zweig des Protestantismus haben sich heute regelrechte „Prosperity Churches“ entwickelt, die persönlichen materiellen Reichtum als Belohnung für gottgefälliges Leben versprechen.

Anders war es im deutschen Pietismus. Dort ging es ausdrücklich nicht um individuelles Fortkommen, sondern um Weltverbesserung. Ein guter Christ, schrieb August Hermann Francke, der theologische Gründungsvater des Pietismus, möge „sein ganzes Leben Gott zu Ehren und seinem Nächsten zum Dienst und Nutzen führen.“ Die 1698 – also 100 Jahre VOR Schiller – in Halle gegründeten und heute noch existierenden Franckeschen Stiftungen bildeten als gemeinwohlorientierte kulturelle, wissenschaftliche und pädagogische Institution einen klaren Gegenpol zu Privateigentum und individuellem Wohlstand.

Ohnehin ist fraglich, ob „Protestantismus“ wirklich der entscheidende Faktor ist. Webers These ist stark von antikatholischen Vorurteilen geprägt – alle Katholiken sind faul – außerdem hält ja nicht nur der Protestantismus zur Arbeit an: Sklavenhalter, Fürsten, Fabrikbesitzer – sie alle haben ein Interesse daran, dass die Menschen, von deren Arbeitskraft sie profitieren, nicht auf der faulen Haut liegen.

Schon lange vor der Reformation hatte das Lob auf harte Arbeit und Fleiß zur Stabilisierung von Herrschaft und zur Disziplinierung des Volks gedient: Wer arbeitet, kommt nicht auf dumme Gedanken oder zettelt am Ende noch eine Revolution an.

Was außerdem häufig übersehen wird: Der Schwerpunkt von Webers Argumentation liegt keineswegs auf Arbeitseifer und Fleiß, sondern auf der Sparsamkeit: Statt dass gearbeitet wird, um Wohlstand und Genuss zu ermöglichen, ob für die Arbeitenden selbst oder für diejenigen, die sie ausbeuten, betrachtet eine protestantische Arbeitsethik die Früchte der Arbeit nicht als Besitz, sondern als Kapital, argumentiert Weber: Das Erwirtschaftete wird nicht verbraucht oder gar verprasst, sondern reinvestiert.

In dieser Logik ist Faulheit nicht nur eine individuelle Angelegenheit: Wer nicht genug arbeitet, schadet nicht nur sich selbst, sondern der Gemeinschaft. So wurde das Nichtstun dann in einem moralischen Sinne verwerflich: Faule Menschen „stehlen dem lieben Gott die Zeit“.

Genau dieser Aspekt, also die Idee, dass fromme Menschen ihre ganze Arbeitskraft und Energie dem Nutzen der Welt zur Verfügung stellen müssen, prägt europäische Gesellschaften trotz aller Säkularisierung bis heute.

Die Philosophin Dorothee Markert hat in ihrem Buch „Lebenslänglich besser“ eine direkte Linie von pietistischen Traditionen zum moralisch durchtränkten politischen Aktivismus gezogen. Ihr ist aufgefallen, dass es große Parallelen zwischen pietistischen Traditionen und sozialistischen Bewegungen gibt. Beide ordnen das persönliche Vergnügen dem Gemeinwohl unter, rufen zu Verzicht und Einsatz für andere auf. Dieser Umweg über den Sozialismus habe es möglich gemacht, dass sich tiefe Überzeugungen, die ihre Wurzeln im Pietismus haben, heute vor allem in linken und aktivistischen Milieus erhalten haben, schreibt Markert – schließlich geht es auch ihnen darum, die Welt immer besser zu machen und dabei selbst mit gutem Beispiel voranzugehen.

Die anarchistische Philosophin und Aktivistin Simone Weil war alles, aber nicht protestantisch, sie war jüdisch-säkularer Herkunft und wandte sich am Ende ihres Lebens dem Katholizismus zu, aber auch für sie war Faulheit das Allerletzte. Weil sie “der Revolution” Ressourcen raubte.

Diese Argumentationslinie ist bis heute lebendig. “Wie viel Faulheit verträgt die Demokratie?” fragte ein Politikredakteur der FAS erst kürzlich und identifizierte also Unlust beziehungsweise Faulheit als eine Hauptursache des Demokratieverlusts.

Gegen offene Herrschaftsausübung haben wir eine gesunde demokratische Skepsis entwickelt, aber die Vorstellung, dass eine gewissermaßen transzendente Anrufung existiert, wonach wir jede Minute, jede Sekunde unseres Lebens sinnvoll nutzen müssen – die steckt tief in uns drin. Und zwar auch bei denen, die der Religion den Rücken gekehrt haben.

Nichtstun ist so suspekt, dass selbst Phasen der Erholung und der Ruhe im Hinblick auf ihre Nützlichkeit gedeutet werden: Urlaub ist eine Maßnahme zur Wiederherstellung der Arbeitskraft, der Spaziergang am Nachmittag ein Beitrag zur Fitness und die Netflix-Serie auf dem Krankenbett wird zum Bildungsprogramm umdeklariert: Wer gerade nicht arbeitet, betreibt eben „Self Care“, Hauptsache, wir verplempern keine Zeit.

Dass die Autorin Nadia Shehadeh kürzlich in ihrem Buch „Anti-Girlboss“ vorschlug, den Kapitalismus lieber vom Sofa aus zu bekämpfen, ist daher wirklich gegen den Strich. Viele politische Aktivist*innen leiden heute unter „activist burnout“: Nicht die berufliche Anstrengung fürs eigene Fortkommen, sondern das Engagement für eine bessere Welt steht für sie unter einem hohen moralischen Imperativ. Die Dringlichkeit der aktuellen politischen Probleme, vor allem der kurze Zeithorizont, der bei der Bekämpfung des Klimanotstandes bleibt, befördert das alles noch: Ist es denn nicht objektiv verwerflich, faul auf dem Sofa zu liegen, während ringsherum die Welt brennt?

Ich habe es oben beim Abstecher zum Thema Herrschaft schon angedeutet: Wer wie fleißig sein muss und wer sich Müßiggang leisten kann, ist auch eine Frage der sozialen Position. Besonders von Frauen wird in fast allen kulturellen Milieus rastlose Tätigkeit und Aufopferung erwartet, und zwar für andere.

Simone de Beauvoir schildert das eindrücklich in ihrem Roman „Die Unzertrennlichen“, der kürzlich aus ihrem Nachlass veröffentlicht wurde: Die Protagonistin – das Alter Ego von Beauvoirs jung verstorbener Jugendfreundin Zaza – wird von ihrer streng katholischen Mutter permanent beschäftigt gehalten, sodass ihr keine freie Minute bleibt. Beauvoir erzählt die Geschichte einer lebenslustigen, klugen und originellen jungen Frau, der es verweigert wird, eine eigene Persönlichkeit auszubilden, und die daran zugrunde geht.

Auch heute noch sind vor allem Frauen durch Care-Arbeit dermaßen zeitlich beansprucht, dass sie kaum zu etwas anderem kommen. Die Basler Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach hat das „Die Erschöpfung der Frauen“ genannt. In ihrem gleichnamigen Buch beschreibt sie, wie gesellschaftliche Verhältnisse dazu führen, dass Frauen sich immer weiter auspowern müssen.

Individuelles Gegensteuern ist da nur bedingt möglich. Die Publizistin Teresa Bücker hat [mit ihrem Buch “Alle Zeit”]https://www.youtube.com/watch?v=kJVbiOiqUA0&t=14s) eine aktuelle Debatte angestoßen, indem sie die Verteilung von zeitlichen Ressourcen als eine der großen Ungerechtigkeitsachsen identifiziert. Natürlich verlaufen diese Achsen nicht nur zwischen Frauen und Männern, sondern auch entlang anderer Unterschiede, aber an der Geschlechterdifferenz lässt sich sehen, wie die Dynamik funktioniert. Männer haben trotz der relativ vielen Lohnarbeit, die sie tun, mehr Freizeit als Frauen. Mädchen und Frauen, schreibt Bücker, haben verinnerlicht, dass ihre Zeit nicht ihre eigene ist. Deswegen gibt es auch diesen fürchterlichen Begriff «Me-Time», der suggeriert: Ich darf mir eine Stunde pro Tag reservieren, um etwas für mich zu tun, aber die restlichen dreiundzwanzig Stunden gehören anderen Menschen. Wer männlich sozialisiert wird, lernt eher: Meine Zeit gehört mir, und vielleicht gebe ich mal was ab.

Hier hat sich, glaube ich, seit Schiller etwas verschoben, und meiner Ansicht nach spielt dabei auch der Bedeutungsverlust der Kirchen und der christlichen Traditionen eine Rolle: Die Männer haben sich von dem pietistischen Imperativ des “Immer Tätig sein müssens” entfernt und einen säkularen und neoliberalen Gestus angenommen, der lautet: “Ich mache nur, was sich für mich rentiert”.

Der innere Imperativ bei den Frauen ist aber noch weitgehend intakt, und womöglich deshalb, weil er gar nicht in erster Linie durch die Religion geprägt war, sondern durch einen anderen Imperativ, der auf das Römische Recht zurückgeht: Mater semper certa est. “Die Mutter ist immer sicher” hat die soziale Rolle der Mutterschaft und damit die Aufgabe, für ein Kind zu sorgen, per Gesetz derjenigen Person zugewiesen, die es geboren hat. Care-Arbeiten sind demnach inhärent mit der biologischen Familie verknüpft. Es sind keine gesellschaftlichen Aufgaben, für deren Erledigung wir alle gemeinsam sorgen müssen – wie zum Beispiel Straßenbau oder Universitäten – sondern es steht sozusagen „von Natur aus“ fest, wer zuständig ist. Mütter müssen für ihre Kinder sorgen, Kinder müssen im Alter für ihre pflegebedürftigen Eltern sorgen.

Das ist keine psychologische Frage. Die Lösung ist nicht, dass Frauen doch einfach mal sich von dieser protestantischen Arbeitsmoral innerlich lösen müssen. Sondern sie haben ja faktisch gar keine Alternative: Kinder brauchen Fürsorge, Kranke Pflege, Wohnungen müssen geputzt werden. Die Schweizer Autorin Annette Hug sprach kürzlich von einer „Ökonomie der Erpressung“: Wenn wir uns nicht kümmern, kümmert sich niemand.

Anders als zu Schillers Zeiten, die noch wesentlich von Subsistenzökonomie geprägt waren, ist die Frage heute nicht, wie viel wir arbeiten, sondern was wir arbeiten – sowohl individuell als auch gesellschaftlich – und wer als quasi natürlicherweise für welche Arbeiten zuständig erklärt wird.

Aufgrund des Zustands des Kapitalismus produzieren wir einerseits viel mehr als wir brauchen und der Planet vertragen kann, andererseits gibt es aber viele notwendige Dinge, die nicht erledigt werden, weil es sich nicht rechnet. Der Markt regelt es nicht, dass die wichtigen Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden. Er führt dazu, dass hilfsbedürftige Menschen unversorgt bleiben, während jede Menge überflüssiges Zeug produziert wird, dass zu einem erheblichen Anteil direkt auf dem Müll landet.

Wir müssen also gleichzeitig fauler und fleißiger werden.

Die Philosophin Eva von Redecker prägt in ihrem aktuellen Buch „Bleibefreiheit“ den Begriff der Regeneration statt Reproduktion. Das Kriterium ist nicht Effizienz und Masse, sondern das Ermöglichen von gutem Leben. Qualität statt Quantität.

Was Menschen bei der Arbeit und bei ihren Tätigkeiten ermüdet und auslaugt, so ihre These, ist nicht nur die Anstrengung einer Arbeit, sondern auch deren empfundene Sinnlosigkeit. Ermüdend ist es, schreibt von Redecker, die Katastrophe zu verfolgen und nicht das Angemessene tun zu können.

An dieser Stelle treffen sich Klimaaktivist*innen mit Pflegekräften. Und auch die Junge Frau aus Simone de Beauvoirs Buch, die zwar rund um die Uhr tätig sein muss, aber dabei nie ihre eigenen Projekte verfolgen kann, nie das tun kann, was sie selbst für sinnvoll erachtet.

Ich plädiere deshalb dafür, unsere Faulheit ernster zu nehmen. Wenn wir keine Lust zum Arbeiten haben – liegt es vielleicht daran, dass diese Arbeit sinnlos ist? Dass wir eigentlich etwas anders tun müssten?

Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, sich selbst zu verwirklichen, wie manchmal gesagt wird. Erfüllt ist eine Zeit nicht dann, wenn man permanent Spaß hat oder voll und ganz den eigenen Vorlieben folgen kann, sondern wenn man Sinnhaftigkeit erfährt.

Einen alten Menschen zu füttern, ein Bad zu reinigen, eine Straße zu kehren – das alles macht nicht unbedingt Spaß. Aber es ist unmittelbar sinnvoll und notwendig. Ich bin überzeugt, dass etwas Notwendiges zu tun, in sich befriedigend ist. Aber natürlich nicht, wenn man es im Minutentakt erledigen muss, wenn man den alten Menschen hetzen muss, wenn man sich keine Zeit nehmen kann für die hartnäckigen Flecken – dann ist es vielleicht Zeit, die Arbeit hinzuschmeißen, innerlich oder tatsächlich zu kündigen, je nachdem was man sich aufgrund der eigenen Position erlauben kann.

Vielleicht sollte man Luther, Calvin, Francke und Co. nicht zu schnell abschreiben: Vor allem der pietistische Appell, auf unnötigen Konsum zu verzichten und das eigene Wirtschaften am Nutzen für die Allgemeinheit zu messen, sind heute aktueller denn je.

Aber wir müssen verstehen, dass rastloses Schalten und Walten gerade nicht das ist, was wir brauchen.

Schiller hat ein falsches Bild von dem, was eine Hausfrau tut. Er stellt sie sich offenbar vor wie eine emsige Fabrikarbeiterin, die keine ruhige Minute hat. Aber das stimmt nicht. In Wahrheit steht sie oft auch einfach nur da und schaut den Zwiebeln beim Schmoren zu.