Antje Schrupp im Netz

Nichts ist unmöglich!

Immer wieder arbeitet die Werbung mit Anspielungen auf christliche Traditionen und religiöse Symbole. Da wird das Unmögliche versprochen – und niemand glaubt es. Aber offenbar funktioniert das Spiel mit Bibelworten und Priesterkutte. Warum eigentlich?

«Betet sie an!« – dieser Befehl auf einem Werbeplakat sprang mir kürzlich in der B-Ebene der Hauptwache in die Augen. Der fromme Spruch erfüllte seine Funktion als »Hingucker« (so nennt man in der Werbebranche die Elemente, die Vorbeigehende dazu bringen, ein Plakat anzuschauen, obwohl es sie eigentlich gar nicht interessiert). Ich guckte also tatsächlich hin und erfuhr im Kleingedruckten, dass es nicht etwa Gott ist, den ich anbeten soll, sondern die Sonne, und zwar am besten, indem ich mir ein Cabriolet von Opel kaufe.

Bild Religiöse Symbole und Anspielungen kommen in der Werbung häufig vor. Die Skandal-Designer der Kleiderfirma Benetton etwa zeigen Nonne und Priester beim Küssen, die Zigarettenfirma West wirbt mit leicht bekleideten Frauen im Nikolauskostüm, und VW lässt einen leicht übergewichtigen Hippie über die Frage meditieren. »Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und warum weiß mein Golf die Antwort?« (weil er ein satellitengestütztes Navigationssystem hat). Bild

Nicht etwa, dass Werbeleute sonderlich fromme Menschen wären. Die Wahrheit ist viel schlichter: Gerade mal zwölf Sekunden widmen wir einem Plakat, und in dieser Zeit muss es gelungen sein, unsere Aufmerksamkeit zu wecken. Werbepsychologen haben herausgefunden, dass dies besser funktioniert, wenn die Bilder oder Werbeslogans bei den Betrachtenden eigene Assoziationen wecken.

Immerhin hat Werbung ja eine schwierige Aufgabe. Sie soll Menschen dazu bringen, freiwillig etwas zu tun, was sie sonst nicht tun würden: kaufen. Das gelingt heutzutage nicht mehr mit schlichten Appellen nach dem Motto: Dieses Produkt ist das beste! Der Trick besteht darin, die Leute selbst aktiv werden zu lassen. In meinem Fall hat es funktioniert: Das Wort »Beten« hat bei mir persönliche Erinnerungen geweckt, und nur deshalb habe ich mir das Plakat mit dem schicken Auto drauf genauer angeschaut. Das Auto allein hätte das nicht geschafft.

Es gibt Leute, die solche Werbung moralisch verwerflich finden, weil sie darin einen Missbrauch christlicher Symbole sehen. Man kann es aber auch anders herum betrachten: Ist es nicht eigentlich erstaunlich, dass dieses Wecken von persönlichen Erinnerungen mit religiösen und gerade auch mit christlichen Anspielungen immer noch so gut funktioniert? Auch heute noch, in dieser angeblich so säkularen, verweltlichten Gesellschaft?

Natürlich wird bei dieser Art der Werbung die religiöse Botschaft meistens verzerrt. Erlösung kommt eben nicht durch schnelle Autos, und das Paradies finden wir ganz bestimmt nicht, indem wir in einen TUI-Flieger steigen. Aber wer wüsste das nicht! Und schließlich kann der Schuss auch nach hinten losgehen – vor einem halben Jahr noch stellte Boris Becker mit Heiligenschein die »innere Stärke« von Schweizer Uhren dar, heute schon hat sich gezeigt, dass er eben auch nur ein Mensch ist. Und nicht mal einer der glaubwürdigsten.

Bild

Nicht immer liegen die Anspielungen auf Glauben und Religion so deutlich auf der Hand. Als Bill Clinton bei seinem Deutschlandbesuch in einer Rede den Satz »Nichts ist unmöglich« fallen ließ, schallte es ihm prompt aus dem Publikum entgegen »Tooyooota!« Dass der Satz eigentlich aus der Bibel stammt, ist in Vergessenheit geraten.

Das Problem ist nicht so sehr, dass hier ein Autohersteller in Allmachtsphantasien schwebt. Denn wohl niemand erwartet von Toyota ernsthaft, Unmögliches zu vollbringen. Das Problem ist eher, dass wir nicht mehr wissen, dass es tatsächlich einen Ort gibt, wo nichts unmöglich ist: bei Gott. Und so haben wir uns angewöhnt, uns resigniert mit dem Möglichen zufrieden zu geben.

Die jüdische Philosophin Hannah Arendt hat davon gesprochen, dass die moderne Welt in einer »Herstellungslogik« gefangen sei. Wir glauben, alles aus eigenen Kräften herstellen zu können. Dass Unmögliches geschehen könnte, ist dabei nicht mehr vorgesehen. Diese Denkweise hat sich auch im Bereich des Religiösen ausgebreitet. Viele esoterische Praktiken erwecken zum Beispiel den Eindruck, man müsse nur die richtige Meditationstechnik anwenden oder einen Profi aufsuchen, und schon könne so etwas wie »Heil« hergestellt werden.

Auch auf christlicher Seite erliegen manche diesem Irrtum. So haben Gruppen aus dem fromm-evangelikalen Lager versucht, aktuelle Werbeslogans wieder christlich umzudefinieren. So lustig das sein mag: Es ist die falsche Botschaft. Hier wird nämlich so getan, als könne man den Glauben eben mal anknipsen wie eine Lampe und Jesus oder Gott würde es dann schon richten. Aber erfahrungsgemäß funktioniert das eben nicht.

Konsum bringt den Menschen keine Erlösung, und Gott (beziehungsweise Religion) kann man nicht konsumieren. Genau diesen Widerspruch greift die Werbung geschickt auf. »Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt«, sagte Jesus. Das fanden seine Jünger ziemlich erschreckend. »Wer kann dann noch gerettet werden?«, fragten sie. Und Jesus sah sie an und sagte zu ihnen: »Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich.« Dieses Gleichnis aus dem Neuen Testament fiel mir ein, als ich neulich an einem Plakat der Deutscen Bank vorbei ging: »Vertrauen ist der Anfang von allem«, stand darauf.

· Der Prophet Jeremia, Kapitel 32, Vers 17: »Gott! Du hast Himmel und Erde erschaffen durch deine Kraft und deinen hoch erhobenen Arm. Nichts ist dir unmöglich.«· Matthäusevangelium, Kapitel 17, Vers 20: Jesus sagte: »Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort!, und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein.«

» Frei nach der BibelViele Werbeslogans haben eine Vorlage in biblischen Texten, die sie entweder direkt zitieren oder auf die sie doch deutlich anspielen. Eine Auswahl:· »Nichts ist unmöglich« (Toyota) – Matthäus 17, 20, Lukas 1, 37· »Wer Ohren hat zu hören, der höre« (World of Music) – Markus 4, 9· »Mein Blut für dich« (Deutsches Rotes Kreuz) – Matthäus 26, 28· »Ihr guter Stern auf allen Straßen« (Mercedes Benz) – Matt- häus 2, 9· »Auf diese Steine können Sie bauen« (Schwäbisch Hall) – Matthäus 16, 18· »Ich will« (Audi) – Trau-Ritus· »Leset die Schrift, und ihr werdet gut sein« (Page-Designmagazin) – Matthäus 22, 29· »Vertrauen ist der Anfang von allem« (Dresdner Bank) – Johannes 1, 1

aus: «Evangelisches Frankfurt«, April 2001