Web 2.0 -Demokratisierung der Meinungsbildung oder Gefahr für die Kommunikationskultur?
Es geht heute Abend um mediale Kommunikation, also solche, die nicht ein direktes Gespräch ist, sondern über ein Medium entwickelt.
Ich schicke das vorweg, weil einer der häufigsten Einwände gegen das Internet ist, dass es »virtuell« sei, also irgendwie weniger »real« als direkte Kommunikation zwischen Menschen aus Fleisch und Blut. Aber das ist nicht das Thema. Medien können natürlich niemals die direkte Kommunikation Face to Face ersetzen – dazu hat gerade Chiara Zamboni ein gutes Buch geschrieben (Pensare in Presenza)
Es geht nicht um den Vergleich zwischen medial vermittelter Kommunikation und direkter persönlicher Kommunikation – so wie wir sie heute Abend hier führen – sondern um den Vergleich zwischen verschiedenen Medien. Den früheren Medien, Brief, Buch, Zeitung, Radio, Fernsehen – und den heutigen Formen des Internet.
Jedes neue Medium beeinflusst die gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnisse, und die Frage ist, wie, nicht ob.
Geschichte der Medien
Medienkommunikation bedeutet, dass in die unmittelbare Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Menschen – also das direkte Gespräch – ein Medium dazwischen geschaltet ist, eine Technik, die die Verbreitung der Information vermittelt: Angefangen vom Brief, über Zeitungen, Telefon, Radio, Fernsehen bis hin zu Internet.
Medienkommunikation hat immer etwas mit Macht zu tun: Wer erhält welche Informationen – und wem werden sie vorenthalten? Wer kontrolliert die Inhalte? Wer hat zum Beispiel – im Briefeschreibzeitalter – die Adressen bzw. kann sie sich verschaffen? Wer hat genug Geld, um eine Zeitung oder ein Buch zu drucken? Wer entscheidet, welche Autoren verlegt werden oder welche Leute im Fernsehen gezeigt oder interviewt werden? Wie wird das Medium finanziert, das heißt: Wer kann es sich leisten, es zu konsumieren oder auch selbst herstellen? Welche Möglichkeit gibt es, den Wahrheitsgehalt von medial vermittelten Informationen zu überprüfen?
In der Ersten Internationale, in der Mitte des 19. Jahrhunderts (über die ich meine Diss geschrieben habe), gab es »Korrespondierende Sekretäre« für die verschiedenen Länder. Immerhin schon mit Telefon und Fax und Kopierer aufgewachsen, war mir anfangs gar nicht klar, was das ist. Es bedeutete, dass jeder Beschluss, der in einer Sektion oder im Generalrat gefasst wurde, samt Hintergrundinformationen, per handschriftlichem Brief an die Verantwortlichen in den Sektionen in anderen Städten oder Ländern mitgeteilt werden musste. Da waren viele Briefe zu schreiben.
Diese Positionen waren sehr einflussreich, denn auf diese Weise konnte man natürlich auch viel manipulieren, Meinungen beeinflussen, Stimmungen in die gewünschten Bahnen lenken. Oder auch schlecht über andere reden.
Zu den wichtigsten Leuten in sozialen Bewegungen gehörten lange Zeit auch die Drucker – eigene Zeitungen zu haben war eine wichtige Sache, vor allem für solche Meinungen, die von der »offiziellen« Meinung, die oft von den Regierungen kontrolliert wurde, abwichen.
Auch später gibt es viele Möglichkeiten, Informationsfluss zu steuern. Das muss nicht platte Pressezensur sein, die es seit 1945 in Deutschland nicht mehr gibt (in anderen Ländern wie China oder Iran schon). Es kann auch schlichte Medienmacht sein: Wer kein Geld hat, ist auf die Zustimmung von Verlegern und Redakteuren angewiesen.
Jede neue Medientechnik hat also nicht nur einen technischen Aspekt, sondern verändert auch Machtverhältnisse und politische Einflussmöglichkeiten generell. Wie genau, das ist anfangs gar nicht vorhersehbar, da sich die Möglichkeiten, die sich aus einer neuen Technik ergeben, erst im Lauf ihrer Praxis herausstellen. Das dauert immer ein paar Jahre.
Dabei werden ältere Medien normalerweise nicht völlig verdrängt, aber sie ändern ihre Rolle. Auch heute werden noch Briefe mit der Hand geschrieben, aber sicher nicht mehr, um die Ergebnisse eines Kongresses zu verbreiten. Auch Zeitungen gibt es noch, aber ihr Sinn ist nicht mehr, schnell über neue Ereignisse zu informieren.
Es gibt nicht die Möglichkeit, sich einer neuen Kommunikationstechnik zu verweigern oder sie abzulehnen. Denn nachdem sie einmal in der Welt ist, hat das automatisch Auswirkungen auf die althergebrachten Techniken – ganz banal: Je mehr Handys es gibt, desto weniger Telefonhäuschen gibt es. Wer heute keine E-Mail-Adresse hat, ist von vielem Abgeschnitten.
Wenn wir heute darüber nachdenken, inwiefern das Internet unsere Kommunikations-Gewohnheiten verändert, dann ist die Frage also nicht: Sind wir dafür oder dagegen, sondern: Wie und wo schalten wir uns in diese Entwicklung sinnvollerweise ein?
Was ist das Neue am Internet?
Mit dem Internet ist es erstmals in der Geschichte der Menschheit möglich, Massenkommunikation interaktiv zu machen.
Früher war Kommunikation entweder interaktiv, dann aber auf eine kleine Gruppe von Menschen beschränkt (per Telefon, Fax oder Brief) oder sie war auf Masse ausgerichtet, aber dann nach dem Modell der Einbahnstraße (per Radio, Fernsehen oder Zeitung): Eine Quelle sendete an viele. Das Internet schafft hingegen die Möglichkeit, dass viele, Massen von Menschen, interaktiv miteinander kommunizieren können.
Anfangs – das Internet ist als Breitennutzung inzwischen ja schon ungefähr 15 Jahre alt – war das jedoch noch nicht so klar. An Anfang wird nämlich ein neues Medium immer erst einmal in der Logik des vorhergehenden genutzt: Im Radio wurden anfangs nur Texte verlesen, erst allmählich entstanden Hörspiele, life-Studiogespräche, Straßenumfragen, Musikeinspielungen – also Formen, die nicht mehr die Zeitung kopierten, sondern eigenständig waren. Im Fernsehen wiederum hat man anfangs diese Radio-Stile einfach abgefilmt, erst mit der Zeit entstanden eigene Fernsehformate wie zum Beispiel Quizshows.
Und genauso war es auch mit dem Internet: Anfangs wurde es nur dazu genutzt, die Medieninhalte, die aus Zeitungen, Radio und Fernsehen sowieso da waren, schneller und kostengünstiger zu verbreiten. So funktionieren E-Mails und Homepages. Eine E-Mail ist im Prinzip ja nur ein per Internet verschickter Brief, aber das hat an und für sich dieselbe Logik wie ein Brief – ich schreibe einen Text und verschicke ihn, nur eben nicht mehr so umständlich wie früher. Eine Homepage ist eine über das Internet verbreitete Zeitung oder Sendung – es sind für die Öffentlichkeit bestimmte Texte, Bilder oder Filme, nur dass sie eben nicht mehr im Radio, Fernsehen oder als Zeitung kommen, sondern über die Computerleitung.
Schon in diesen Anfangsjahren, als das Internet noch hauptsächlich aus E-Mails und Homepages bestand, hat es die Medienlandschaft verändert – denn nicht nur waren die Informationen jetzt schneller da, sie waren vor auch billiger zu haben, da die Kosten für die Verbreitung auf nahezu null sanken. Man brauchte kein Briefpapier und keine Briefmarken mehr und auch keine Druckerei, keinen Vertrieb, keinen Versand, keine großen Sendestationen, keinen Fernseher, kein Radiogerät – ein Computer genügt.
Schon das hat viele Diskussionen ausgelöst, vor allem im Hinblick auf die Finanzierung. Warum soll ich Geld für ein Buch oder für eine CD ausgeben, wenn Texte, Musik, Filme ohne zusätzliche Kosten beliebig oft vervielfältigt werden können? Die Frage, wer wen wofür eigentlich bezahlt, wenn es das Internet gibt, ist bis heute ungeklärt, was vor allem daran liegt, dass diejenigen, die mit solchen Dienstleistungen ihr Geld verdienen, vor allem Verlage und Musikindustrie, bislang noch keine guten neue Modelle entwickelt haben, die mit den neuen technischen Möglichkeiten zusammen passen. Sie versuchen eher, mit technischer Aufrüstung und mit gesetzlichen Regelungen alles auf dem alten Stand zu belassen. Das hat einen ziemlich unfruchtbaren Wettkampf ausgelöst zwischen denen, die mit Hilfe von elektronischen Sperren versuchen, die Verbreitung ihrer Produkte zu vereiteln, und denjenigen, die mit der Umgehung dieser Sperren versuchen, es trotzdem zu machen. Das ist eine sehr langweilige und ärgerliche Sache. Besser wäre es zu überlegen, wie man das Thema neu denkt und angeht.
Doch dies ist vielleicht schon ein überholter Streit, und zwar weil im Zeitalter von Web 2.0 sich die Bedingungen erneut verschoben haben.
Was bedeutet Web 2.0?
Das 2.0 steht für eine neue Phase in einem Projekt – es kommt aus der Programmierung. Bei Computerprogrammen unterscheidet man im Allgemeinen mit solchen Zahlen verschiedene Versionen, die neue und zusätzliche Möglichkeiten haben. Vielleicht erinnern Sie sich noch an Word 6 oder 7.
Was also unterscheidet das Web 2.0 vom Web 1.0, also der alten Variante des Internet mit E-Mails und Homepages? Der Unterschied besteht darin, dass es inzwischen Software gibt, die direkt im Internet selbst angeboten wird und die es ermöglicht, dass jeder beliebige Mensch innerhalb von kürzester Zeit, ohne dass es etwas kostet oder große technische Kenntnisse braucht, selber Inhalte ins Internet stellen kann. Und dass es mithilfe von so genannten »sozialen Plattformen« wie Facebook oder Twitter möglich ist, dass viele Menschen sich untereinander vernetzen und miteinander kommunizieren.
Natürlich sind die Übergänge zwischen Web 1.0 und Web 2.0 fließend, denn auch die traditionellen Homepages konnte man schon vom eigenen Computer aus gestalten. Aber immerhin gab es dabei noch gewisse Hürden, man musste entweder Internetseiten programmieren können oder sich eine entsprechende Software kaufen, außerdem musste man sich Speicherplatz bei einem so genannten Provider kaufen – also, es war zwar machbar, aber doch ein bisschen kompliziert. Faktisch haben deshab nur wenige Menschen diese Möglichkeiten genutzt – natürlich erstmal diejenigen, die sowieso publizieren, also Zeitungen, Institutionen, Universitäten oder auch einzelne Journalistinnen, und dann vielleicht auch ein paar Technik-Fans, die zwar nicht viel Inhaltliches zu sagen hatten, aber von den technischen Möglichkeiten fasziniert warn.
Das Web 2.0 macht das sehr viel einfacher, zum Beispiel mit so genannten Blogs – der Name ist eine Abkürzung von Web-Log, also dem englischen Wort für Internet-Tagebuch – ist es möglich, innerhalb von fünf Minuten schon die eigene Homepage im Netz stehen zu haben und man braucht dafür keinerlei Vorkenntnisse.
Hinzu kommt, dass sich im Internet alle Medien vermischen – Bücher, Telefon, Radio und Filme. Man muss sich nicht mehr für eines entscheiden.
Aber Blogs sind nicht die einzige Möglichkeit, heute eigene Texte ins Netz zu stellen. Fast alle Seiten haben heute eine Kommentar-Funktion, das heißt, ich kann dort die Inhalte nicht einfach nur lesen, sondern ich kann auch selbst etwas dazu schreiben. Zum Beispiel kann ich Buch-Rezensionen bei Amazon einstellen oder ich kann auf den Internetportalen meiner Tageszeitung Kommentare zu Artikeln abgeben. Oder ich kann im Internet-Lexikon Wikipedia neue Einträge schreiben, zum Beispiel über interessante historische Frauen, die dort bisher fehlen oder wenn ich mich über einen Eintrag dort ärgere, weil er sexistisch ist oder die weibliche Perspektive nicht drin hat, kann ich das selbst aktiv innerhalb von wenigen Minuten verändern.
Es liegt auf der Hand, dass das eine ganz neue Sache ist und viele Möglichkeiten bietet. Vorbei sind die Zeiten, wo wir uns über Lexika geärgert haben, in denen nur Männer erwähnt wurden – jetzt schreiben wir das, was uns wichtig erscheint, einfach selber gleich dazu. Oder wir müssen nicht mehr hoffen, dass eine Redaktion meinen Leserinnenbrief veröffentlicht – ich kann ich schreiben und gleich danach kann er von Leuten auf der ganzen Welt gelesen werden.
Mit dem Internet ist also jetzt erstmals beides möglich: Viele Leute gleichzeitig, die untereinander Gruppen bilden UND gegenseitig kommunizieren. Jede Teilnehmerin ist gleichzeitig Konsumentin und Produzentin. Wer immer ins Internet geht, geht nicht nur zum Konsumieren, sondern auch zum Produzieren. Und das ohne Zeitverzögerung.
Die neueste Entwicklung: Social Media
Da stellt sich natüralcih die Frage: Wie komme ich mit dieser Informationsfülle zurecht? Und wie mit den vielen Kontaktmöglichkeiten, die sich daraus ergeben? Ich zum Beispiel bekomme viel mehr Zuschriften als früher – eine E-Mail ist eben schneller geschrieben, als ein Brief. Außerdem kann mich heute jeder erreichen, meine E-Mail-Adresse ist nur einen Mausklick entfernt, früher konnten mir ja nur diejenigen schreiben, die meine Postadresse wussten.
Diese schnellere Organisation von Kontakten funktioniert über so genannte soziale Netzwerke. Anders als bei Blogs, wo es immer noch einen Autor/eine Autorin gibt, deren Texte dann von den Leser_innen kommentiert werden, ist es hier so, dass alle gleichzeitig publizieren und lesen. Was ich lese hängt nicht mehr vom Thema ab, sondern von den sozialen Beziehungen zu denen, die es produzieren. Ich habe »Freunde« oder »folge anderen«. Ich bekomme mit, was sie interessiert und sie, was mich interessiert, wir verweisen uns gegenseitig auf interessante Seiten. Es ist gewissermaßen gleichzeitig privat und politisch.
Ich bin also mit vielen Menschen in Kontakt, ohne jeder einzelnen mühsam E-Mails schreiben oder einen Adresspool selbst verwalten zu müssen. Wie gesagt, diese Netzkontakte ersetzen nicht wirkliche Kontakt und Treffen und Besuche, sondern andere Medien, das Telefon, den Brief, die E-Mail.
Interessant ist, dass in diesen Sozialen Netzwerken Frauen in der Mehrheit sind – das ist neu im Internet. Sowohl beim Anbieten von Homepages, als auch beim Kommentieren als auch in Blogs hatten immer Männer eine Mehrheit. Nach einer US-Amerikanischen Studie sind etwa bei Twitter und Facebook 57 Prozent der Nutzer_innen weiblich. Es sind auch nicht die ganz Jungen, die hier unterwegs sind, sondern der Schwerpunkt liegt bei den 30-40-Jährigen.
Bisher sind die Zahlen noch relativ gering. Irgendwo habe ich gelesen, dass etwa 3 Millionen Menschen in Deutschland schon mal Twitter genutzt haben, aber diese Zahlen verändern sich ständig. Die meisten von ihnen lesen aber nur passiv mit. Aktiv selber twittern derzeit nur knapp 200.000 Menschen. Aber das wird sich ändern – ob wohl es natürlich in der Natur der Sache liegt, dass nicht alle gleich viel zu veröffentlichen haben. Es wird also immer welche geben, die eher lesen, und andere, die eher schreiben.
Was verändert sich durch diese Medien?
Die Verbreitung von Informationen wird unkontrollierbar
Dinge, die irgendwo auf der Welt passieren, sind also SOFORT überall bekannt – das war erstmals so bei den großen Erdbeben in China ??? so, als über Twitter bereits Meldungen und Fotos vom Erdbeben auf der ganzen Welt verbreitet waren, bevor der Wetterdienst diese Erdbeben gemessen und veröffentlicht hatte. Bei dem vorherigen Erdbeben in China dauerte es drei Monate, bevor die Regierung es überhaupt öffentlich zugegeben hat. Und gleichzeitig auch Berichte über korrupte Beamte, die Schulen nicht sicher gebaut haben usw. Selbst China, das ja viel Erfahrung in Zensur hat, konnte das diesmal nicht verhindern.
Ein anderes Beispiel sind große Sportereignisse. Schon jetzt macht sich das IOC Sorgen darüber, wie es wohl wird, wenn Sportlerinnen und Sportler direkt von der Olympiade twittern. Das ist besonders brisant, weil es immer rigidere Durchleuchtungsmethoden für Journalistinnen gibt, die von solchen Großereignissen berichten – weshalb zum Beispiel die taz von der Leichtathletik-Weltmeisterschaft gar nichts berichtet hat. Aber vielleicht braucht es irgendwann solche Journalisten nicht mehr, weil ich alles, was mich interessiert, sowieso schon weiß?
Neue politische Aktionsformen entstehen
Neue Aktionsformen wie z.B. Flashmobs – keine zentrale Demo mehr anzumelden. Menschen können sich ohne »Chef« vernetzen. Politik noch uneins, wie darauf zu reagieren ist. (Beispiel Flashmob zum Erhalt des Imbiss am Eschenheimer Turm).
Politische Inhalte werden erst gemeinsam erarbeitet, es ist nicht mehr wie früher so, dass irgend eine Partei ein Programm schreibt und dann dafür wirbt, sondern Unzufriedene treffen sich spontan und handeln dann Forderungen und Vorschläge miteinander aus, z.B. im Oktober an der Uni Wien.
Diese Veränderung ist so tief greifend, dass uns kulturell glaube ich noch gar nicht klar ist, wohin das führt, und wahrscheinlich ist es auch noch gar nicht raus. Es geht jetzt darum, zu überlegen, wie wir als Gesellschaft und als Einzelne mit den neuen medialen Formen umgehen. Ich möchte zum Schluss nur einige Aspekte und Vorurteile ansprechen.
Oft gehörte Einwände gegen Web 2.0
Einwand 1: Informationen werden jetzt ungeprüft verbreitet, auch falsche.
Das ist sicher richtig, aber kein Gegenargument. Erstens ist auch das »alte« System, bei dem Informationen vor der Veröffentlichte ein redaktionelles Verfahren durchlaufen mussten, nicht gegen Fehler gefeit – und ist es, je schlechter Journalist_innen bezahlt werden und je mehr Medien von Anzeigenkunden abhängig sind, immer weniger. Ganz abgesehen davon, dass dieser redaktionelle Flaschenhalls natürlich auch immer »Mainstreamig« war, das heißt, Minderheiten-Positionen hatten es dort schwer. Jedenfalls finden sich schlechte bzw. falsche Meldungen in Zeitungen und anderen Traditionsmedien prinzipiell ebenso wie in Blogs und Social Media.
Allerdings bietet das Internet die Möglichkeit, Falschmeldungen relativ schnell zu überprüfen. Wenn früher etwas Falsches in der Zeitung stand, hatte ich dazu keine Möglichkeit, ich musste es mehr oder weniger glauben, weil ich keine Möglichkeit hatte, es zu überprüfen. Jetzt kann ich selbst verschiedene Quellen anzapfen, etwa bei einem Bericht über irgendein Land die dortigen Blogs lesen oder Twitterer aus diesem Land verfolgen bei einem Bericht über eine Partei deren eigene Pressemeldungen im Internet abrufen. Das heißt, die Verantwortung für Wahrheit und Sinn ist ein Stück weit von den Produzentinnen der Nachrichten hin zu denen gewandert, die sie lesen. Diese Medienkompetenz müssen wir uns erst noch erwerben. Wir sind vom alten (gewissermaßen patriarchalen) System noch darauf gepolt, alles zu glauben, was Papa uns sagte. Heute müssen wir lernen (und zwar nicht nur die kritischen Geister, sondern alle), dass wir selbst die Verantwortung tragen für das, was wir glauben und was nicht. Das verändert auch unsere Argumentation und unsere intellektuelle Kultur: Zu sagen, dass ich etwas irgendwo gelesen habe, ist heute kein Beweis mehr für seine Richtigkeit. Ich muss schon noch andere Gründe für die Plausibilität finden bzw. selbst dafür gerade stehen, wenn ich etwas zitiere bzw. weiter verbreite.
Das müssen wir das erst noch lernen. Zum Beispiel machte bei Twitter schnell die Falschmeldung die Runde, Patrick Swayze sei tot (lange bevor er dann wirklich starb). Als dann Michael Jackson tatsächlich starb, waren die ersten Tweet mit dem Hinweis »vielleicht« versehen. Man kann aber auch diese Ressourcen zu Hilfe nehmen. Wenn ich zum Beispiel etwas wissen will, aber gerade keine Zeit habe, das genauer zu recherchieren, frage ich bei Twitter nach: Und oft finden sich unter den Followern dann welche, die sich bei dem Thema auskennen und mir entsprechende Links schicken können usw.
Einwand 2: Das Internet klaut die Inhalte und macht damit die Medien kaputt
Die Erosion der »traditionellen« Medien geht mit dieser Entwicklung noch schneller voran. Bisher konnten Sie Leute dazu zwingen, die Zeitung zu kaufen, indem sie die Texte einfach nicht ins Internet stellen. Aber wenn sie das weiterhin tun, verlieren sie an Relevanz. Wenn ich zu einem Text oder einem Video kein Link gesetzt werden kann, wird es auf Twitter auch nicht diskutiert und weitergeleitet. Dann hat es keine »Soziale Reichweite«. Nicht die Auflagenhöhe von Zeitungen sagt etwas über ihre Wichtigkeit aus, sondern ob ein Thema in den sozialen Netzwerken aufgegriffen wird. Sonst bleiben nur ein paar Eingeweihte.
Einwand 3: Die Informationsfülle ist viel zu groß ist, dafür hab ich keine Zeit
Das stimmt. Wenn man den Anspruch auf Vollständigkeit hat, auf immer erreichbar zu sein, dann kann man den ganzen Tag vorm Bildschirm hängen. Aber vielleicht müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, wir könnten alles lesen, was interessant ist. Das ging ja schon, um ehrlich zu sein, in alten Vorinternet-Zeiten nicht. Damals bekamen wir die Nachrichten gefiltert von den großen Medien. Wir konnten glauben, wenn wir eine große Tageszeitung lesen oder die Tagesthemen schauen, wissen wir das Wichtigste. Das stimmte ja schon nicht, weil Informationen, die nicht im Mainstream lagen, nicht vorkamen – die Frauenbewegung hat ja damit so ihre Erfahrung. Jetzt bekommen wir im Prinzip alles und sind damit natürlich überfordert.
Das heißt aber nicht, dass wir alles lesen müssen, sondern bloß, dass wir andere Filter brauchen. Gerade die Sozialen Netzwerke können so ein Filter sein: Ich lese die Themen, die mir die Leute dort vorschlagen – Leute, von denen ich weiß, sie haben ähnliche Interessen oder sie kennen sich gut aus in einem Themengebiet, das mich besonders interessiert. Falls Sie sich zufällig für Feminismus interessieren, könnten Sie mir bei Twitter folgen und wären über alles Wichtige auf dem Laufenden J Wenn ich dort also eine gute Auswahl getroffen habe, dann hab ich mir quasi meine eigene Zeitung zusammengestellt.
In anderen Bereichen spart Social Media aber auch Zeit: Zum Beispiel muss ich von meinen Kontakten nicht mehr mühsam die E-Mail-Adressen pflegen: Das tun die in Facebook automatisch. Und ich muss in facebook nicht reagieren, anders als wenn mir jemand eine direkte E-Mail schickt, da wäre es unhöflich, sie nicht zu beantworten. Es gibt also auch Hilfestellungen, um Sachen einfacher zu machen. Und auch entlastend ist: Wenn ich etwas verpasse oder nicht gelesen habe, dann kann ich es im Netz auch später noch wiederfinden, anders als bei der Zeitung, die ich schon ins Altpapier getan habe. Ich kann also gelassener damit umgehen, wenn ich etwas nicht mitbekommen habe.
Einwand 4: Schadet diese Gruppenbildung nicht der Demokratie?
Auf diese Gefahr hat Cass Sunstein in seinem Buch Repulic 2.0 hingewiesen hat: Dass die Möglichkeit, Nachrichten zu filtern, dazu führen kann, dass sich alle nur noch die Nachrichten und Themen herauspicken, die ihnen genehm sind und sich nicht mehr mit anderslautenden Thesen und Meinungen auseinandersetzen. Er nannte das »Daily Me«. Dies könnte eine Gefahr für die Demokratie sein, weil es zu Extremismus und Radikalisierung führt. An dieser Gefahr ist was dran. Wer sich immer nur unter Gleichgesinnten bewegt, wird sich der eigenen Meinung wahrscheinlich immer sicherer, auch wenn sie extrem und einseitig ist. Auch hier müssen wir kulturell umlernen, dahingehend, dass es langweilig ist, immer nur im eigenen Saft zu schmoren. Es genügt nicht, recht zu haben, man muss es auch anderen vermitteln können. Vielleicht kann gerade das Web 2.0 dabei helfen.
Gerade das hat meines Erachtens auch etwas mit Geschlechterdifferenz zu tun: Die Männer mit ihrer »Parteiendemokratie« hatten das getrennt: Im öffentlichen Bereich sind sie Konkurrenten, im privaten Bereich umgeben sie sich nur mit Leuten, die ihnen genehm sind. Frauen gehen Beziehungen etwas anders ein: Sie sind oft auch fasziniert von dem Fremden, dem anderen (dazu habe ich kürzlich einen Artikel geschrieben: Das Ende der Demokratie, wie wir sie kannten.«
Einwand 5: Ist das denn nicht alles nur Geschwätz und Belangloses?
Hinter diesem Einwand steht auch ganz offenbar diese alte patriarchale Einteilung von wichtig und unwichtig. Die Männer haben den Frauen ja schon immer Geschwätzigkeit vorgeworfen und für sich beansprucht, die wirklich interessanten Dinge zu bereden. In der Tat: Rund 40 Prozent aller Tweets bestehen aus solchen vermeintlichen Nebensächlichkeiten, wie was die Katze gerade macht und was ich zum Abendbrot esse. Aber dieses vermeintliche »Geschwätz« ist durchaus wichtig, weil es hilft, Beziehungen einzugehen. Es hilft, mir ein Bild von der anderen Person zu machen, und dann bin ich vielleicht aufmerksamer für ihre inhaltlichen Nachrichten. Dazu kommt, dass es natürlich jeder und jede selbst in der Hand hat. Wer zu viel »schwätzt«, dem muss ich ja nicht folgen. Aber ich persönlich finde, dass die langweiligsten Kontakte die sind, die nichts von sich privat preisgeben. Die nur auf ihre Bücher, Vorträge usw. hinweisen oder »wichtige« Nachrichten posten. Ich will beides, die Vermischung von interessanten Inhalten und persönlichen Einschätzungen.
Einwand 6: Es ist doch gefährlich, so viel von mir im Netz preiszugeben
Ja, das stimmt. In unserer Kultur, in dem das Soziale vor allem aus dem Wunsch oder der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, besteht, ist es tatsächlich gefährlich und können diese vielen Daten missbraucht werden. Allerdings glaube ich nicht, dass wir da wieder rauskommen. Die technischen Möglichkeiten sind da, die Vorteile sind so groß – also müssen wir, statt unsere Daten möglichst weiter geheimzuhalten, eine Kultur entwickeln, die dem Missbrauch von Daten etwas entgegensetzt. Ich vergleiche das immer mit folgendem Bild: Stellen wir uns vor, durch irgend ein Ereignis hätten wir Menschen plötzlich die Fähigkeit der Telepathie, des Gedankenlesen. Natürlich würde das ziemlich vieles durcheinander bringen, wenn plötzlich alle Menschen um uns herum in jedem Moment wüssten, was wir denken (es gibt viele Science Fiction Geschichten, die das thematisieren).
Nun können wir uns entweder dieser neuen Möglichkeit stellen und Regeln erfinden (dass es zum Beispiel unhöflich ist, die Gedanken anderer gegen ihren Willen zu lesen, so wie es bei uns unhöflich ist, andere durch’s Schlüsselloch zu beobachten). Oder wir können uns alle Stahlhelme aufsetzen, die die Telepathie unterbricht, also uns durch harsche Maßnahmen künstlich auf dem alten technischen Stand halten. So ähnlich ist es mit Social Media. Nur ein Beispiel: Dass etwa Arbeitgeber die Profile von potentiellen Kandidaten durchforsten, halten wir für selbstverständlich. Sind die Leute doch selbst dran schuld, wenn sie kompromittierende Sachen von sich ins Netz stellen. Ich finde das nicht selbstverständlich. Ich finde, so ein Arbeitgeber, der seine Angestellten ausspioniert, handelt falsch. Je mehr technisch möglich ist, desto mehr muss eine Gesellschaft sich klar machen, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch moralisch erlaubt sein kann. Also: Ich finde, Leute, die andere böswillig im Netz ausspionieren, benehmen sich schlecht und wir sollten das unterbinden. Solange wir aber noch nicht eine solche neue Kultur haben, ist es natürlich in gewisser Weise Riskant, und wir müssen genau überlegen, was wir ins Netz stellen und was nicht. Aber sich ganz raushalten, fände ich langweilig. Ich will da mitdiskutieren und mitprägen.
Einwand 7: Ich will nicht den ganzen Tag vorm Computer hängen
Dass man online ist heißt heute nicht mehr, vor’m Computer zu hängen. Früher war Computer ein Arbeitsmittel, ist mit Arbeit assoziiert. Mit Smartphone usw. bin ich aber überall online, ich kann meine Accounts checken, wenn ich auf die Straßenbahn warte oder in der Postschlange stehe. Es ist nicht mehr getrennt vom »wirklichen« Leben.
Ich beobachte sogar, dass sich gerade aus den Sozialen Netzwerken heraus das Bedürfnis entwickelt, sich auch persönlich kennenzulernen, mit neuen Formen wie Barcams, Twittagessen und so weiter.
Vortrag am 30.10.2009 im Ev. Frauenbegegnungszentrum, Frankfurt/Main