Was kommt nach der Gleichstellung?
Wichtige Veränderungen vollziehen sich oft erst einmal unbemerkt vom Denken und ohne dass ihre Tragweite offen zu Tage tritt. Zum Beispiel die Gleichstellung der Frauen. Nach Jahrtausenden, in denen das Weibliche als das Andere galt und die Geschlechterdifferenz als Folie für die Aufteilung der Welt in falsche Dualismen und Hierarchien diente – Geist versus Körper, Kultur versus Natur, öffentliches versus Privates, um nur einige zu nennen – ist diese symbolische Ordnung heute nicht mehr wahr. Doch welche Bedeutung und welche Auswirkungen das hat, ist bisher kaum durchdacht und benannt.
Die etablierten Institutionen – Universitäten, Medien, Kirchen, politische Parteien – behandeln die Anwesenheit von Frauen eher beiläufig, so als wäre dies nur ein Detail, eine Fußnote der Weltgeschichte oder eine Angelegenheit, die lediglich die Frauen selbst betrifft. Unter den Frauen hingegen macht sich ein gewisses Unbehagen am erreichten Status Quo breit. Sicher: Es hat sich vieles zum Positiven verändert. Frauen sind heute gut ausgebildet, ihnen stehen alle Chancen offen. Doch die Institutionen erweisen sich als erstaunlich resistent gegenüber tiefer gehenden Veränderungen. Und Kritik lässt sich nur schwer vorbringen. Denn viele Männer glauben, mit der Gleichstellung habe sich das »Frauenthema« doch nun endlich erledigt, und fragen verständnislos: Was wollt Ihr denn noch?
Übrigens fragen das auch viele jüngere Frauen, die bereits im Paradigma der Gleichstellung aufgewachsen sind. Sie wissen oft gar nicht mehr, dass es der Frauenbewegung ursprünglich um viel mehr ging. Zum Beispiel um die Frage, ob es denn eigentlich immer so bleiben muss, dass Parlamentsdebatten langweilig und vorhersehbar sind, die Wirtschaft gnadenlos, die Wissenschaft mehr zerstörerisch als aufbauend. Die Reihe lässt sich fortführen: Ist es denn sinnvoll, dass der Bereich der ehemals weiblichen Haus- und Fürsorgearbeiten jetzt auch noch nach betriebswirtschaftlichen Kriterien durchkalkuliert wird? Und was wäre eigentlich gewonnen, wenn Einkommen zwar gleichmäßiger zwischen den Geschlechtern verteilt würden – aber die Schere von Arm und Reich trotzdem immer weiter aufgeht?
Feministinnen haben schon immer darauf hingewiesen, dass das Problem des modernen Patriarchats nicht einfach nur der Ausschluss und die Rechtlosigkeit der Frauen war, sondern dass dieser nur ein Symptom für tiefer liegende Irrtümer war. Dazu gehört insbesondere die Abwertung von allem, was früher in die so genannte »weibliche« Sphäre fiel – die Sorge um die unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen nach Nahrung, Kleidung, Pflege und liebender Zuwendung. Aber auch das universalistische Weltbild gehört zu diesen Irrtümern, das die Vielfalt der Welt und die Pluralität der Menschen auf einen höher stehenden Nenner zurückzuführen versuchte, auf eine objektive Norm: Gott, die Vernunft, das Gesetz, je nachdem. Denn in der »Sphäre der Frauen« kam man mit diesen Normen nicht weit. Wer mit Kindern oder kranken Menschen zu tun hat, braucht keinen Schiedsrichter, sondern Flexibilität und Geistesgegenwart und Aufmerksamkeit für die konkrete Situation.
Die Frage ist bloß, wie das Wissen und die Erfahrungen von Frauen in einer emanzipierten Gesellschaft fruchtbar gemacht werden können. Sicher nicht, indem man von ihnen erwartet, sich anzupassen und erst einmal »die Spielregeln« lernen. Das führt nur dazu, dass sie sich aus den öffentlichen Bereichen wieder zurückziehen. Nachdem die Euphorie der Pionierinnen verflogen ist, fragen sich nämlich viele Frauen heute ganz genau, ob sie denn unter den derzeitigen Bedingungen wirklich Managerin, Wissenschaftlerin, Bischöfin oder Politikerin werden möchten. Und häufig entscheiden sie sie sich dagegen. Es gibt bereits zu viele abschreckende Beispiele dafür, wie Frauen sich in solchen Positionen aufgerieben haben und letztlich doch kaum etwas bewegen konnten.
An vielen Punkten lässt sich bereits eine Wiedervermännlichung der Welt beobachten: Es gibt wieder Podien, auf denen keine einzige Frau mitdiskutiert, und Gremien, die ausschließlich aus Männern bestehen. Und selbst wenn Frauen in öffentlichen Bereichen präsent sind, ist ihr Anteil deutlich kleiner als der der Männer. Dahinter steckt keine böse Absicht: Man hat die Frauen ja gefragt, sie wollten aber nicht. Kaum noch jemand behauptet heute ernsthaft, dass Frauen für irgendeine Position nicht geeignet seien. Es ist den Verantwortlichen durchaus zu glauben, dass es ihnen im Prinzip ganz egal ist, ob sie es mit einer Frau oder einem Mann zu tun haben.
Und genau da, in dieser Gleichgültigkeit, liegt das Problem. Nach der Gleichstellung besteht die Herausforderung darin, die weibliche Differenz an den Orten, wo sie sich zeigt, nicht zu verleugnen, sondern zum Gegenstand politischer Verhandlungen zu machen – und das, wohlgemerkt, ohne in alte Geschlechtsrollenklischees zurückzufallen, die es leider auch immer noch gibt.
Diese Herausforderung stellt sich für Frauen und Männer auf unterschiedliche Weise: Frauen sollten selbstbewusst nach Wegen suchen, wie sie in der Welt und in den männerdominierten Institutionen sichtbar und einflussreich werden können, ohne sich anzupassen. Und Männer sollten aktiv den Austausch mit Kolleginnen, Mitarbeiterinnen, Ehefrauen oder Töchtern suchen und sich für deren Ideen und Anregungen interessieren, gerade auch wenn sie das Gewohnte grundsätzlich in Frage stellen.
Auf diese Weise könnten Frauen und Männer gemeinsam an einer neuen Welt arbeiten, die nicht bloß eine gleichgestellte Welt ist, sondern wirklich auch eine bessere Welt. Für alle Menschen.
Dieser Text erschein in »Interesse. Soziale Information« (hrsg. vom Sozialreferat der Diözese Linz), Nr. 1/2010