siehe auch: Zukunft der Frauenbewegung
siehe auch: Was ist weiblich? (ein weiterer Vortrag)
Was ist weiblich?
Als amerikanische Textilarbeiterinnen im März 1857 für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne streikten, hätten sie sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass ihr Streik einmal Anlass für die Einführung eines Internationalen Frauentages sein würde, und schon gar nicht, dass sich 150 Jahre später so viele Frauen im Augsburger Rathaus versammeln würden, um die Erfolge der Frauenbewegung zu feiern.
Wir haben es doch ganz schön weit gebracht: Die Frauenbewegung ist die wohl erfolgreichste soziale Bewegung, die die westliche Welt je erlebt hat. Kein anderer gesellschaftlicher Bereich hat sich in den letzten 150, vor allem aber in den letzten dreißig Jahren so sehr zum Positiven verändert, wie das Verhältnis von Frauen und Männern, und ich denke, das werden wahrscheinlich vor allem die Älteren unter Ihnen bestätigen können, diejenigen, die sich noch an die Zeiten vor der Frauenbewegung erinnern können.
Frauen haben für sich gleiche Rechte errungen, das Recht, zu wählen, jeden Beruf zu ergreifen, zu studieren. Vor allem aber haben sie die alten Rollenbilder aufgebrochen und mit neuen Formen von Weiblichkeit experimentiert.
Das ist für mich überhaupt die größte Errungenschaft der Frauenbewegung: Dass Frau sein und frei sein sich heute nicht mehr ausschließt. Wenn früher eine Frau aus ihrer vorbestimmten Rolle ausbrach, wenn sie zum Beispiel einen »männlichen« Beruf ergriff, wenn sie studierte oder fremde Länder bereiste, dann wurde von ihr gesagt: Sie tut das, obwohl sie ein Frau ist. So als sei das Frausein eine Behinderung.
Das ist heute anders. Frauen können Krankenschwestern werden und Managerinnen, sie können Kinder bekommen oder auch nicht, sie können Fußballerinnen werden oder Hausfrauen – und jede kann sagen, ich tue dies oder jenes, nicht obwohl ich eine Frau bin, sondern weil ich eine Frau bin.
Deshalb spreche ich übrigens nach wie vor von »der Frauenbewegung« und nicht von »den Frauenbewegungen«, wie es heutzutage üblich geworden ist.
Sicherlich, wir wissen heute besser als in den 70er Jahren, dass Frauen keine einheitliche Gruppe sind, sondern ganz unterschiedliche Interessen haben. Dass es viele verschiedene feministische Strömungen gibt, die teilweise sogar gegensätzliche Ansichten vertreten – denken wir nur an den so genannten »Kopftuchstreit«. Aber das ist ja gerade das Interessante, und im übrigen auch gar nichts Neues. Die Frauenbewegung war immer aufgesplittert in viele unterschiedliche Gruppierungen, sie hat nicht im Entferntesten ein einheitliches Auftreten oder ein gemeinsames Programm hervor gebracht. Und trotzdem war sie erfolgreich.
Ich würde sogar sagen: Gerade darum war sie erfolgreich. Einigkeit macht nämlich nicht stark, sondern eintönig. Einigkeit trimmt auf Linie und lässt keinen Raum für das individuelle Begehren, die jeweils eigene Sicht einer Frau auf die Welt, den authentischen Umgang mit den eigenen Erfahrungen, für die persönliche Differenz. Und genau das ist weibliche Freiheit, jene Freiheit, die wir heute, am Internationalen Frauentag feiern: Die Freiheit, eine Frau zu sein und doch unter Umständen etwas ganz anderes zu tun, als die Mehrheit der Frauen tut oder für richtig hält.
Wenn Frau sein und frei sein sich nicht mehr gegenseitig ausschließt, wenn also die Tatsache, dass ich eine Frau bin, mich nicht mehr automatisch auf ein bestimmtes Verhalten, auf eine bestimmte Laufbahn, auf eine bestimmte Rolle festlegt, dann kann eben jede Frau ihren eigenen Weg in Freiheit gehen. Dann wird die Differenz zwischen Frauen sichtbar und bedeutungsvoll. Und trotzdem sind sie alle zusammen die Frauenbewegung. Denn sie alle zusammen verkörpern weibliche Freiheit, die genau darin besteht: Dass die eine Frau dieses tut und die andere Frau etwas ganz anderes, und dass dennoch beide ganz zweifellos »richtige« Frauen sind.
Die Frauenbewegung ist nie eine Lobbygruppe gewesen, die die Interessen von Frauen vertritt, auch wenn sie manchmal so erlebt wurde. Das Augenmerk der meisten Feministinnen galt ja immer der Welt in ihrer Gesamtheit. Dem Frieden, der dieses Jahr in Augsburg ein großes Thema ist. Der Erziehung und Bildung der Kinder. Dem Umweltschutz. Der sozialen Gerechtigkeit.
In allen Jahrhunderten haben Feministinnen, also Frauen, die über die Bedeutung ihrer eigenen Geschlechtszugehörigkeit nachdachten, betont, dass die Beförderung weiblicher Freiheit nicht speziell dem Interesse der Frauen dient, sondern dass damit der ganzen Welt ein Angebot gemacht wird, und zwar: das Angebot der weiblichen Differenz. Die Feministinnen früherer Jahrhunderte haben zum Beispiel betont, dass es der Politik nur förderlich sein kann, wenn auch die Perspektive von Frauen darin Gehör findet. Sie haben argumentiert, dass eine Demokratie, die Frauen ausschließt, keine wirkliche Demokratie ist. Sie haben nachgewiesen, dass eine Wirtschaftslogik, die die Arbeit von Frauen nicht berücksichtigt, Fehler macht und nicht funktioniert.
Im Vergleich zu früheren Zeiten haben Frauen heute enorm an Einfluss gewonnen und neue Möglichkeiten für sich und ihresgleichen geschaffen. Wir gehören heute zur Mitte der Gesellschaft, haben Zugang zu allen Funktionen und allen Bereichen. Daraus ergibt sich eine große Verantwortung. Denn es stellt sich ja zwangsläufig die Frage, wie wir diesen Einfluss nutzen. Wird die Welt denn wirklich eine bessere, wenn Frauen in ihr gleichberechtigt sind, so wie unsere feministischen Vorfahrinnen es versprochen haben?
Vielleicht empfinden manche von ihnen diese Frage als verfrüht. Denn sind nicht Frauen immer noch in vielen Bereichen benachteiligt? Zeigen nicht alle Statistiken, dass sich zwar einiges verbessert hat, dass Frauen aber immer noch weniger Geld haben, anders erzogen werden, und in politischen und vor allem wirtschaftlichen Strukturen unterrepräsentiert sind?
Andere empfinden diese Frage vielleicht sogar als Zumutung. Denn warum eigentlich sollen Frauen besser sein als Männer? Haben sie nicht das gleiche Recht, ihren eigenen Vorteil zu suchen und ihre Privilegien zu sichern? Ist es nicht unfair, an Frauen, zum Beispiel in Führungspositionen, andere Ansprüche zu stellen, als an Männer?
Beide Einwände sind berechtigt, wenn man die Frage des Feminismus als eine Frage der Gerechtigkeit versteht. Unter der Perspektive der Gerechtigkeit könnten Frauen sich gewissermaßen zurücklehnen und sagen: Wir sind nicht zuständig für die Misere der Welt. Wir sind es nicht – oder doch nur wenige von uns – die die Kriege machen, wir sind es nicht, die Wirtschaft als organisierten Egoismus verstehen, wir haben diese Gesetze nicht gemacht, wir sind nicht Schuld an all dem. Noch immer leben wir in einer Welt, in der Frauen vieles zu Fordern haben, mit gutem Recht, bevor irgend jemand sie zur Verantwortung ziehen kann.
Ich glaube jedoch, dass wir es uns eine solche Haltung nicht wirklich leisten können. Dazu ist die soziale und wirtschaftliche Situation zu heikel, der Frieden zu bedroht, die ökologischen Ressourcen zu sehr am Ende. Was nützt es uns schließlich, recht zu haben, wenn dabei alles den Bach runter geht? Und ich beobachte auch, dass viele Frauen eine solche Haltung gar nicht einnehmen wollen. Frauen pochen in der Regel nicht auf ihr Recht, wenn es gilt, Schaden abzuwenden. Sie geben sich nicht damit zufrieden, Recht zu haben, sondern sie sehnen sich nach einer Welt, in der es allen gut geht, nicht nur ihnen selbst. Nicht alle Frauen, aber doch mehr Frauen als Männer.
Mehr Frauen als Männer engagieren sich für den Frieden. Mehr Frauen als Männer pflegen alte und kranke Menschen, auch wenn es ihren eigenen Interessen entgegenläuft – sei es unentgeltlich in der Familie, oder schlecht bezahlt in Krankenhäusern und Altenheimen. Mehr Frauen als Männer verzichten auf eine steile Karriere, um Zeit für Kinder, Familie, Beziehungen zu haben. Mehr Frauen als Männer wollen eine Arbeit, die sinnvoll ist, auch wenn sie dort weniger verdienen.
Der Alltag zeigt: Frauen handeln in vielerlei Hinsicht anders als Männer. Warum ist das so? Inzwischen dürfte eigentlich klar sein, dass diese andere Prioritätensetzung der Frauen nicht an den Genen oder an einer vermeintlich weiblichen Natur liegt. Denn dafür kennen wir längst viel zu viele Frauen, die anders sind. Wir wissen von Chefinnen in Unternehmen, die genauso wie ihre männlichen Kollegen nur den Profit im Auge haben. Von Politikerinnen, die genauso knallhart und strategisch und verlogen vorgehen, wie ihre männlichen Kollegen. Und – das war im letzten Jahr eine Meldung, die mich sehr aufgeschreckt hat – wir wissen von Soldatinnen, die Gefangene auf grausame Weise foltern.
Das ist wohl zwangsläufig ein Begleitumstand weiblicher Freiheit. Frauen sind keine besseren Menschen, allein deshalb, weil sie Frauen sind. Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die wir im Alltag beobachten können – noch, muss man vielleicht sagen – sind nichts, was aus Urzeiten herrührt oder in den Genen verankert ist, und das uns deshalb nicht verloren gehen kann. Sondern das, was wir beobachten, wenn wir sagen: Frauen sind anders als Männer, ist eine weibliche Kultur, eine Kultur, die gepflegt werden muss, wenn sie Bestand haben soll.
Frauen können und dürfen heute alles. Aber damit stellt sich eben die Frage, ob sie denn auch alles wollen. Und wenn nicht: Was sie wollen? In diesen Zeiten, in denen mein persönlicher Lebenslauf nicht mehr gesellschaftlich vorbestimmt ist durch mein Geschlecht, was will ich, eine Frau, also tun? Was soll mein Beitrag sein zu dieser weiblichen Kultur? Wie möchte ich sie verändern? Was möchte ich von ihr erhalten?
Das ist eine spannende Diskussion, die da, wo sie geführt wird, wichtige gesellschaftliche Impulse gibt. Allerdings ist sie häufig durch eine symbolische Unordnung blockiert, ein Durcheinander im Hinblick auf das Verständnis der Geschlechterdifferenz.
Da ist einmal das, was die italienische Philosophin Wanda Tommasi die »Versuchung des Neutrums genannt hat«. Sie lautet: Heute, wo Frauen weitgehend gleichberechtigt sind, spielt es keine Rolle mehr, ob jemand eine Frau oder ein Mann ist. Alles ist individuell, wir sind alle nur noch Personen, die Geschlechtszugehörigkeit ist bedeutungslos.
Das Gegenstück dazu ist der Ying-und-Yang-Irrtum. Er besagt: Frauen und Männer sind grundsätzlich verschieden gepolt, die einen von der Venus, die anderen vom Mars, die einen können einfach nicht einparken und die anderen nicht zuhören.
Interessanterweise werden beide Sichtweisen manchmal sogar von ein und derselben Person vertreten – oder auch von ein und derselben Frauenzeitschrift. Das mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, ist aber eigentlich kein Wunder. Denn beide Interpretationen der Geschlechterdifferenz leiten das, was weiblich ist, aus dem Männlichen her: Die Versuchung des Neutrums sagt: Frauen sind genauso wie Männer. Das Ying-und-Yang-Denken sagt: Frauen sind das Gegenteil von Männern, ihr Widerpart oder ihre Ergänzung.
Beides läuft aber weiblicher Freiheit entgegen. Denn entweder geht das Weibliche verloren – indem nämlich das Geschlecht für bedeutungslos erklärt wird – oder aber die Freiheit geht verloren – indem nämlich das, was weiblich ist, aus dem Männlichen abgeleitet wird.
Weibliche Freiheit hingegen heißt: Mein Frausein hat eine Bedeutung, aber welche, das ist nicht von irgendwoher abzuleiten, sondern es liegt in unserer eigenen Hand, der Hand der Frauen. Wir sind es, die dem Frausein eine Bedeutung geben – jede einzelne, indem sie, eine Frau, tut, was sie tut. Und wir alle zusammen, indem aus unserem Handeln, aus unseren Diskussionen, aus unseren Wünschen eine weibliche Kultur entsteht, die wir selbst genießen, mit der wir aber auch die Welt gestalten und damit auch verändern können.
Wie kann es gelingen, diese weibliche Kultur, oder besser: diese weiblichen Kulturen, die nichts Festgelegtes sind, sondern immer wieder neu entstehen und verhandelt wird von den Frauen, die an einem bestimmten Ort sind, in die Welt zu tragen? In eine Welt, in der zwar Frauen inzwischen gleiche Rechte haben, die aber – und da sollten wir uns nichts vormachen – nicht unbedingt auf das weibliche Begehren gewartet hat?
Denn trotz aller formalen Gleichberechtigung ist doch die Struktur von Institutionen nach wie vor männlich geprägt. Es hat sich inzwischen vielerorts gezeigt, dass die reine Anwesenheit von Frauen als solche noch nicht zu einer kulturellen Veränderung in dem Sinne führt, dass die weibliche Differenz dort einen Platz hat. Angela Merkel bringt das schön auf den Punkt, wenn sie sagt, sie möchte zwar Bundeskanzlerin werden, aber ihr Frausein spiele dabei keine Rolle. Das ist die Versuchung des Neutrums: Frauen sind heute in historisch von Männern für Männer gemachten Orten wie Parlamenten, Unternehmensvorständen usw. zwar herzlich willkommen, sie werden teilweise sogar umworben. Vorausgesetzt, sie erklären Ihr Frausein für irrelevant.
Viele Frauen meiner Generation, vor allem die gebildeten, sind sich der weiblichen Kultur nicht egr bewusst. Schließlich wurden sie von klein auf mit dem Versprechen der Gleichheit umworben. Ihnen wurde Gleichheit mit den Männern versprochen, wenn sie nur die männlichen Regeln, die männlichen Philosophien, die männlichen Vorlieben für sich akzeptieren. Ein Versprechen, das sogar weitgehend eingelöst ist. Aber der Preis ist hoch: Er besteht darin, das eigene Frausein für bedeutungslos zu erklären. Also eine ganz zentrale Tatsache der eigenen Existenz ständig zu ignorieren.
Wenn wir an einem Tag wie heute die Erfolge der Frauenbewegung feiern, dann mischt sich deshalb für mich auch ein Wermutstropfen in die Freude. Denn ich muss feststellen, dass es zwar gelungen ist, Frauen einen Platz in dieser Gesellschaft zu verschaffen, dass es aber nicht – oder zumindest nicht ausreichend – gelungen ist, auch der weiblichen Differenz dort einen Raum zu geben. Und schlimmer noch: Dass wir vielleicht sogar Gefahr laufen, den Sinn der weiblichen Differenz ganz zu verlieren, zum Beispiel dann, wenn junge Frauen sich fragen, was es denn heißt, eine Frau zu sein, und sich oft – weil sie darauf keine befriedigende Antwort bekommen – in irgendwelche Klischees von Weiblichkeit flüchten. Nein, der Sinn der weiblichen Differenz ist nicht naturgegeben, sondern er muss immer wieder neu gefunden werden.
Dafür kann es natürlich keine allgemeine Strategie geben, sondern es ist eine alltägliche Praxis. Eine Praxis, die daraus besteht, dass Frauen ihre Einflussmöglichkeiten und Spielräume nutzen, jede an dem ort, an dem sie lebt und tätig ist, um zum Beispiel neue Regeln für das Zusammenleben auszuhandeln – wobei jede ihrem eigenen Begehren folgt, indem sie sich Rat und Anregung in der Autorität anderer Frauen sucht, indem sie in den Verhandlungen und Auseinandersetzungen ihr eigenes Frausein nicht verleugnet, ohne sich aber auf ein angeblich naturgegebenes Weibliches festlegen zu lassen.
Dies berührt einen anderen Punkt, der in der Frauenbewegung bislang vielleicht ein wenig vernachlässigt wurde: die Zusammenarbeit mit den Männern. Es ist uns, trotz aller Bemühungen, noch nicht gelungen, die Männer zur Arbeit an einer neuen Ordnung einzuladen. Aber dies ist wünschenswert, denn Männer sind ein Teil der Welt, und wenn das weibliche Begehren in die Welt hinein vermittelt wird, ist es notwendig, einen Dialog auch mit Männern zu führen – sei es am Arbeitsplatz, in politischen Projekten, in privaten Beziehungen.
Die gegenwärtige politische und wirtschaftliche Situation macht ja zweifellos nicht nur Frauen, sondern auch vielen Männern Angst. Auch sie finden sich oft nicht zurecht, wenn sie zum Beispiel arbeitslos werden, oder sie finden keinen Weg, um zwischen familiären Bindungen und der vom Arbeitsmarkt geforderten Flexibilität zu balancieren. Sie haben darüber hinaus das Problem, dass ihnen mit dem Ende der klassischen, patriarchalen Vaterfigur ein Rollenbild abhanden gekommen ist, und zwar ohne attraktiven Ersatz. Es ließen sich daher womöglich auch unter den Männern Bündnispartner für die Suche nach neuen Wegen und Möglichkeiten und Regeln finden.
Wir könnten dieses Gespräch mit Männern vielleicht als »interkulturellen Dialog« verstehen. Es geht darum, sich gegenseitig mit Respekt zu begegnen und zu versuchen, die jeweilig andere »Kultur« zu verstehen, ohne jedoch sich ihr anzupassen und die eigene Kultur zu verleugnen. Das ist natürlich schwierig, weil wir darin noch wenig geübt sind. Und anstrengend. Denn in einem echten Gespräch gibt es immer auch Konflikte, denn es geht ja darum, über Differenzen zu verhandeln, und nicht immer gibt es eine für alle angenehme Lösung. Leider aber zeigen viele Frauen oft wenig Verhandlungsstärke, wenn es darum geht, ihrem Begehren zu folgen und sie dabei auf Konflikte stoßen. Es ist eben nur die eine Seite, dass für vielerlei Anliegen und Wünsche von Frauen der Weg inzwischen rechtlich und symbolisch geebnet ist, und eine ganz andere, ob es einer konkreten Frau in einer bestimmten Situation auch wirklich gelingt, diesen Weg zu gehen.
Manche Feministinnen vermuten, der Grund dafür, warum viele Frauen oft nicht den Weg ihres eigenen Begehrens wählen, sei der, dass sie von äußeren Umständen daran gehindert werden: materiellen Sorgen, fehlenden Ressourcen, mangelnder Bildung. Aber ist das wirklich der Grund? Hannah Arendt erzählt folgende Begebenheit aus ihrer Kindheit: Immer wenn sie es in der Schule mit antisemitischen Äußerungen eines Lehrers zu tun hatte, hatte sie von ihrer Mutter die Anweisung, laut zu protestieren, sofort die Klasse zu verlassen und zu Hause Bericht zu erstatten. Diese Rückendeckung seitens der Mutter, diese Bestärkung machte es ihr möglich, zu widersprechen, zu protestieren, in den Konflikt zu gehen. Weil sie ihre eigene Freiheit an die Autorität der Mutter knüpfte – und nicht an die Anerkennung seitens des Lehrers oder der anderen Kinder –, konnte sie auch in einer antisemitischen Umgebung frei handeln.
Ohne weibliche Autorität im Rücken allerdings stehen Frauen in der Tat mit ihrem Begehren allein da und müssen es klein halten. Und dies ist leider allzu oft der Fall. Viele Frauen sind schnell bereit, ihre Freiheit einzutauschen gegen Zuneigung und Sicherheit. Sie gehen Konflikten lieber aus dem Weg, geben anderen »um des lieben Friedens willen« nach, tragen ihre eigenen Wünsche nicht vor, weil sie die Einwände und Widerstände der anderen schon vorher sehen. Vor allem wenn Frauen den Sinn ihrer eigenen Existenz mit der Liebe und Anerkennung seitens ihres Mannes, ihres Chefs oder der Gesellschaft allgemein verknüpfen, das heißt, wenn sie dort die Bestätigung ihrer Freiheit suchen, anstatt sich weiblicher Autorität anzuvertrauen und gemeinsam mit anderen Frauen über eine freie Bedeutung des Frauseins nachzudenken, dann können sie über ihr Begehren nur schlecht verhandeln.
Die Freiheit einer Frau äußert sich aber genau in dieser Verhandlungsstärke. Sie kann nicht per Gesetz beschlossen werden, sondern sie muss sich in vielen konkreten Situationen immer wieder neu zeigen. Freie Frauen tragen ihr Begehren in die Welt und verändern sie dadurch. Unfreie Frauen scheuen den Konflikt, die Verhandlung, und zwar auch dann, wenn die äußeren Umstände vergleichsweise gut sind.
Die politische Praxis der Frauen ist keine instrumentelle. Politisches Handeln ist keine Strategie, die einen bestimmten Zweck verfolgt und bei der daher der Zweck die Mittel heiligt. Eher ist es ein Experiment auf der Suche nach Neuem, nach Unvorhergesehenem. Die Richtung dieser Suche und dieses Experimentierens wird immer vom eigenen Begehren der jeweiligen Frau angezeigt, nicht von angeblich »objektiven« Interessen. Und oft stellt sich auch erst später heraus, was daraus wird, welche Anregungen und Entwicklungen daraus entstehen.
Die einzige Möglichkeit, aus einer vertrackten Situation, aus Zwängen und Beschränkungen herauszukommen, ist die, neue Wege zu finden und zu erproben, die es ermöglichen, etwas anderes zu tun. Wo die jeweilige Grenze dessen liegt, was einer Frau möglich erscheint und jenseits derer sie der Mut verlässt, das ist individuell unterschiedlich. Aber wenn Frauen auf eine Weise Verhandlungsstärke gewinnen, dass sie – jede an dem Ort, an dem sie lebt, in der Liebesbeziehung, gegenüber ihren Kindern, bei der Arbeit, in politischen Aktionen – ihre jeweils vorhandenen Freiräume und Handlungsspielräume, selbst wenn sie klein sind, ausschöpfen, dann verändert sich vieles. Das zeigt das Beispiel vom Streik der Textilarbeiterinnen, oder das Beispiel der vielen Pionierinnen, die Wege gingen, die Frauen eigentlich verschlossen waren und damit anderen ein Vorbild waren.
Natürlich: Auch Frauen, die das Risiko des Konfliktes eingehen, haben keine Garantie dafür, dass sie erfolgreich sind und sich durchsetzen. Denn das Ergebnis einer Verhandlung ist immer offen. Manchmal gibt es auch keine Lösungen. Entscheidend aber ist, ob diese Verhandlungen überhaupt geführt werden, denn sie bieten die Eröffnung von neuen Sichtweisen, die die Voraussetzung für neue Lösungen sind. Und neue Lösungen brauchen wir, und zwar nicht wir, die Frauenbewegung, sondern wir, diese Gesellschaft, deren überlieferte männliche Institutionen sich in einer tiefen Krise befinden und die nicht in der Lage sind, die dringenden anstehenden Probleme zu lösen.
Was können wir also tun? Wie halten wir die Frauenbewegung lebendig? Wie tragen wir die weibliche Freiheitsliebe hinaus in die Welt, damit sie sich ausbreitet? Ich möchte mich da einem Zitat der italienischen Philosophin Luisa Muraro anschließen: »Die Liebe zur Freiheit ist ansteckend«, sagt sie, »die Ansteckung erfolgt aber nicht, indem man den Feminismus lehrt, sondern indem wir unsere Freiheit und die der anderen lieben.«
Vortrag beim Empfang des OB der Stadt Augsburg zum Internationalen Frauentag am 7.3.2005 im Goldenen Saal des Rathauses.