Verschleierung adé
Als im Sommer das »Schreiben über die Zusammenarbeit von Männern und Frauen« von Joseph Ratzinger und Angelo Amato an die katholischen Bischöfe publik wurde, hieß es rasch: Der Vatikan fährt mal wieder einen »Frontalangriff auf den Feminismus«. Allerdings ist in dem Papier selbst von Feminismus gar keine Rede. Dort heißt es vielmehr, man wolle sich kritisch mit zwei gesellschaftlichen Trends auseinandersetzen: Erstens mit der Tendenz, das Frausein als Gegnerschaft zum Mannsein zu interpretieren, und zweitens mit der Tendenz zur »Verschleierung der Verschiedenheit der Geschlechter«.
Natürlich ist das beides auch in der Frauenbewegung zu finden. Aber es gibt genauso andere Teile derselben Frauenbewegung, die diese Tendenzen ebenfalls kritisch sehen und stattdessen für eine Bedeutung des Frauseins plädieren, die sich nicht aus der Abgrenzung von oder Angleichung an das Mannsein speist, sondern aus weiblicher Freiheit. Ratzinger selbst schreibt übrigens, dass die »tiefste Begründung« der von ihm kritisierten Tendenzen »im Versuch der menschlichen Person nach Befreiung von den eigenen biologischen Gegebenheiten gesucht werden« müsse.
Nun ist aber dieser Versuch, sich von den eigenen biologischen Gegebenheiten zu lösen und die eigene Geschlechtlichkeit zu leugnen, keineswegs auf dem Mist des Feminismus gewachsen. Er ist auch nicht, wie Ratzinger offenbar meint, ein Auswuchs der heutigen verlotterten Zeiten, sondern im Gegenteil sehr, sehr alt. Er liegt nämlich einem Großteil der westlichen (männlichen) Philosophie zugrunde, und zwar einschließlich der katholischen. Auf diesen Aspekt hat die italienische Philosophin Luisa Muraro in einem Kommentar zum Ratzinger-Schreiben hingewiesen: Seit Anbeginn des Patriarchats haben Männer jedweder Couleur die »Neutralität« des Menschseins fantasiert (und diese zudem in ihrem eigenen Mannsein repräsentiert finden wollen) – ein Irrtum, der von der Frauenbewegung nicht etwa geteilt, sondern im Gegenteil erst aufgedeckt wurde!
So ist es auch kein Wunder, dass Ratzinger und Amato unter anderem aus dem Denkfundus des (zum Beispiel katholischen) Feminismus schöpfen, freilich ohne diese Quelle aufzudecken und sie teilweise auch verfälschend. Aber im Kapitel 14 schreiben sie explizit, dass »die eben erwähnten fraulichen Werte vor allem menschliche Werte sind«. Konkret bedeutet das: Die Frau repräsentiert das ganze Menschsein und ist nicht etwa eine abgeleitete Variante davon. Dass ein Mann das denkt und hinschreibt, ist neu. Und es ist zu begrüßen.
Es ließe sich natürlich einwenden, dass das Papier zahlreiche mehr oder minder plausible Beobachtungen über das Frausein anstellt, über das Mannsein dagegen weitgehend schweigt, obwohl doch die Autoren selbst Männer sind und keine Frauen. Aber Joseph Ratzinger und seine Brüder stehen auch erst am Anfang einer großen und weitreichenden Entdeckung, deren Folgen sie selbst vermutlich noch gar nicht überblicken. Denn aus der Tatsache der sexuellen Differenz, die sich nicht in ein über allem schwebendes Neutrum auflösen (also »verschleiern«) lässt, folgt unweigerlich ein Konflikt – wie in jeder Differenzbeziehung. Auch darauf hat Luisa Muraro hingewiesen. An dieser Stelle aber weicht Ratzinger aus und fällt in die altbekannte klerikale Überheblichkeit zurück, die Frauen so wütend macht, weil hier über sie gesprochen wird, und nicht mit ihnen. Wie aber kann der notwendige Konflikt zwischen Männern und Frauen ausgetragen werden, ohne in einen unfruchtbaren Krieg auszuarten? Das ist eben genau die Frage.
in: Schlangenbrut, Nr. 87, November 2004