Trotzkraft. Hoffnungsstur Mutig
Vortrag beim Frauentag Oldenburg, 13.9.2025
Vor einiger Zeit, als die Klimabewegung noch aktiver war und nicht von anderen Themen übertönt wurde, hörte ich zwei ältere Herren in einem Podcast über diese jungen Leute sprechen. Sie zeigten durchaus Sympathie für deren Engagement – aber dass die immer so pessimistisch sein müssen! Besonders empörten sie sich über eine Klimaaktivistin, die in einer Talkshow gesagt hatte, sie wolle keine Kinder bekommen, weil sie auf einer klimakatastrophierten Erde dafür keine Zukunft sehe.
„Ist das nicht entsetzlich?«, fragten die Herren kopfschüttelnd.
Was sie „entsetzlich« fanden, war allerdings nicht die Klimakatastrophe – sondern die fehlende Hoffnung dieser jungen Frau.
Sie kennen sicher den Spruch: „Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her«? Ich mag ihn nicht. Es gibt kaum etwas Empathieloseres, als Menschen in Notlagen zu sagen: „Wird schon wieder. Sieh nicht immer alles so negativ. Glaub ans Lichtlein.« Leider ist dies auch bei religiösen Menschen verbreitet. Als im Sommer Teheran fast verdurstet wäre, sagten die Mullahs, die bei der Planung versagt hatten, die Leute sollten auf Gott hoffen.
Eine solche Haltung begegnet uns heute überall – gegenüber der Klimabewegung, gegenüber Kriegen, gegenüber der Politik von Trump, aber auch angesichts des drohenden Faschismus, den ich vor einem Jahr noch gar nicht auf dem Schirm hatte.
Ich will versuchen, diese Art billige Hoffnung zu vermeiden. Denn falsche Hoffnung und unbegründeter Optimismus versperren den Weg zur wirklichen Hoffnung. Wenn man Karfreitag auslässt, gibt es kein Ostern. Das heißt: Ohne die Anerkennung des Leidens und der Katastrophe kann es keine echte Hoffnung geben.
Das liberale Wunder
Oberflächliche Hoffnung ist aber nicht nur ein Problem der Religionen. Sie flankiert auch das Mindset der Wirtschaftsliberalen. Es sind vor allem die hoffnungsvollen Vertreter, die in Talkshows erklären, dass alles nicht so wild sei und die Menschen bestimmt bald irgendeine neue Energiequelle entdecken würden – einen Fusionsreaktor vielleicht –, der wundersamerweise all unsere Probleme löst.
Wozu haben wir die Kinder schließlich aufs Gymnasium geschickt? Diese Haltung spiegelt einen blinden Glauben an technischen Fortschritt wider, als könne Bildung und Innovation automatisch jedes Problem lösen.
Noch extremer wird diese Denkweise im Silicon Valley vertreten, wo alle Ressourcen und Energie verwendet werden, um eine Künstliche Intelligenz zu schaffen oder den Mars zu besiedeln. Manche wollen sogar die Katastrophen noch beschleunigen, weil sie glauben, dass erst aus dem Zusammenbruch die geniale neue Idee hervorgehen würde.
Longterminismus
Die philosophische Richtung, die hinter solchen Ideen steht, heißt „Longterminismus«. Sie wird vorangetrieben von der Silicon Valley-Blase um Elon Musk und andere Tech-Milliardäre. Diese Philosophie ist aus dem Utilitarismus hervorgegangen – einer ethischen Theorie, die besagt, dass eine Handlung dann richtig ist, wenn sie das größte Glück für die größte Anzahl von Menschen bewirkt.
Die Longterministen argumentieren folgendermaßen: Da in der fernen Zukunft unglaublich viel mehr Menschen leben werden als heute – vielleicht Billionen von Menschen auf anderen Planeten –, müssen wir uns darauf konzentrieren, einer Elite das Überleben zu sichern. Für dieses Ziel, so ihre Überzeugung, ist es womöglich gerechtfertigt, andere Menschen zu opfern.
Diese Theorie ist aus zwei Gründen problematisch: Erstens wird vieles, was sie sich ausdenken, schlicht nicht funktionieren. Die Besiedlung des Mars oder das Hochladen des Bewusstseins in Computer sind Science-Fiction-Fantasien, nicht realistische Pläne. Zweitens gibt es keine moralische Verpflichtung gegenüber Menschen, die noch gar nicht geboren sind und vielleicht niemals geboren werden.
Die Realität der Privilegien
Konsequent zu Ende gedacht werden diese Hoffnungsbotschaften von dem Wissen getragen, dass wir hier in Europa, wenn wir es schlau anstellen, wohl noch eine Weile halbwegs glimpflich davonkommen werden.
Zuerst leiden immer andere. In Afrika und Südostasien etwa sterben Menschen schon jetzt wegen des Klimawandels. Zu Zigtausenden. Aber ja – Hoffnung! Die Reichen werden auch nicht als erste leiden. Wir sitzen definitiv NICHT alle im selben Boot.
Katastrophenfilme wie „The Day After Tomorrow« von Roland Emmerich vermitteln ein völlig falsches Bild davon, was passiert, wenn Klimawandel, Faschismus, Krieg oder wirtschaftlicher Zusammenbruch kommen. In diesen Filmen passiert etwas Spektakuläres: Außerirdische landen, der Mond stürzt auf die Erde, oder eine riesige Flutwelle zerstört New York. Die Realität ist viel schleichender und unspektakulärer.
Ein Beispiel dafür ist die Corona-Pandemie. Weltweit starben sieben Millionen Menschen – das ist ein ganzes Prozent der Weltbevölkerung. Aber haben wir wirklich etwas davon gemerkt? Stellen Sie sich vor, ein Prozent der Weltbevölkerung würde von heute auf morgen sterben – das wäre ein gewaltiger Aufruhr. Aber so, über zwei oder drei Jahre verteilt, geht das unter. In reicheren Ländern mit Impfstoff waren es weniger Tote. Die Leute in ärmeren Ländern waren angeblich selber schuld. Und außerdem sterben Menschen ja sowieso.
Auch Faschismus betrifft nicht sofort alle Menschen gleich. Wer in Nazi-Deutschland „arisch« deutsch war und politisch rechts stand, konnte ganz gemütlich leben. Auch jetzt in den USA geht das Leben für viele scheinbar normal weiter. Denn es werden immer nur bestimmte Gruppen zuerst angegriffen – Menschen ohne Papiere in Abschiebegefängnisse gesteckt, Minderheiten drangsaliert, Andersdenkende mundtot gemacht.
Auch beim Klimawandel wird nicht einfach die Welt untergehen. Es ist inzwischen fast ausgeschlossen, dass wir die international vereinbarten Klimaziele erreichen. Wahrscheinlich wird sich die Erde um bis zu drei Grad erwärmen. Aber auch das bedeutet nicht das Ende der menschlichen Zivilisation. Es wird mehr Tornados, Hochwasser und Dürren geben. Vielleicht sogar eine neue Eiszeit in Europa, falls der Golfstrom versiegt. All das wird vielen Menschen das Leben schwer machen oder sogar kosten – aber es bedroht nicht die menschliche Zivilisation als Ganzes.
Und insgeheim wissen wir das. Der Klimawandel wird nicht alle Menschen gleich betreffen, und uns in Mitteleuropa wahrscheinlich nicht so sehr wie andere. Rechte Prepper bereiten sich systematisch darauf vor, auch in schwierigen Zeiten gewappnet zu sein.
Nüchtern betrachtet ist die Klimadebatte in Europa von sehr viel Zynismus durchzogen. Wer angesichts des Klimawandels zu Optimismus aufruft, verbreitet nicht etwa eine christliche Hoffnungsbotschaft, sondern menschliche Hybris und einen naiven Fortschrittsglauben.
Jesus als Hoffnungsträger?
Auch in den Kirchen ist diese problematische Haltung verbreitet. Dort ist von „Hoffnungstheologie« die Rede, zum Beispiel als Widerspruch gegen die Aktivist*innen der „Letzten Generation«. Immerhin erkennt diese Theologie die Not und das Problem an und leugnet es nicht völlig.
Aber oft schwingt dabei eine Haltung mit nach dem Motto: „Ich sehe was, was du nicht siehst« – wir Christen haben Gott, und die arme säkulare Welt hat ihn nicht. Das ist eine Form von Überheblichkeit. Ich habe immer den Eindruck, dass dies bedeutet: Wir haben den Ernst der Lage nicht verstanden oder wollen ihn verdrängen.
Die Kollaps-Bewegung
Aus Frankreich kommt eine neue, andere Bewegung, die radikalen Realismus statt Verdrängung fordert. Sie nennt sich „Kollaps-Bewegung« und richtet sich gegen das sogenannte „Hopium« – diese Mischung aus dem englischen Wort „Hope« (Hoffnung) und „Opium«. Hopium ist eine Droge der falschen Hoffnung, die nicht hilft, sondern nur betäubt. Diese Bewegung sagt: Hören wir auf, für eine Zukunft zu werben, die unerreichbar ist.
Das Motto eines „Kollapscamps« in Nordbrandenburg, das im August stattfand, lautete: „Katastrophe und Kollaps nicht als die Apokalypse, als das Ende aller Hoffnung zu betrachten, sondern als einen strategischen Raum, für den wir uns neu aufstellen müssen und können«. Die Teilnehmer*innen wollten „gemeinsam lernen, auch in einer immer schwierigeren Zukunft widerständig und solidarisch handlungsfähig zu sein.«
Das Camp stieß auf großen Anklang und war schon lange im Voraus ausverkauft.
Wie stellt sich die Bewegung den „Kollaps« vor? „Nicht so, wie wenn ein Haus oder eine Brücke einstürzt«, erklärt einer der Organisatoren. Für die Menschen, die sich dieser Bewegung anschließen, bedeutet der Begriff vielmehr, „dass der Alltag, wie wir ihn jetzt haben, an verschiedenen Stellen nicht mehr möglich sein wird«. In Deutschland könnte das durch Extremwetterereignisse wie Waldbrände und Überflutungen passieren, die zu einem Ausfall der Stromversorgung oder der globalen Lieferketten für Medikamente führen.
Aber auch gesellschaftliche Destabilisierung kann in den Faschismus führen.
Deshalb werden in solchen Camps praktische Kenntnisse vermittelt: wie man Wunden versorgt, medizinisches Grundwissen für Zeiten, in denen wir nicht mehr ausreichend mit Ärzten versorgt sind, Trauerarbeit, um mit Verzweiflung umzugehen, und Workshops zu praktischer Katastrophenhilfe. Aber im Gegensatz zu rechten Preppern, die sich individuell auf den Zusammenbruch vorbereiten, geht es hier um solidarische Vorbereitung – um Netzwerke, Stadtteile und Gemeinschaften.
Die Bewegung will vom globalen Süden lernen, wo Menschen schon lange mit schwierigen Bedingungen leben müssen. Aber sie orientiert sich auch an der Solidarität, die nach der Flutkatastrophe im Ahrtal entstanden ist.
Es geht nicht um die Unausweichlichkeit des Kollapses, sondern um eine realistische Einschätzung: Jedes Zehntel Grad Erwärmung, das verhindert wird, ist wichtig und gut. Aber realistischerweise wird die Weltgemeinschaft das nicht schaffen.
Corine Pelluchon: Hoffnung vs. Optimismus
Die französische Philosophin Corine Pelluchon hat in ihrem Buch „Die Durchquerung des Unmöglichen: Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe« einen wichtigen Unterschied herausgearbeitet: den zwischen Hoffnung und Optimismus.
Sie warnt eindringlich davor, die Realität zu leugnen. Warum ist das so wichtig? In einem Interview erklärt sie: „Die negativen Emotionen, die durch Kriege und die Klimaerwärmung ausgelöst werden, sind psychisch und moralisch sehr schwierig zu ertragen. Viele Menschen versuchen, die schlechten Nachrichten zu verdrängen, um nicht darunter zu leiden. Das ist der Grund dafür, dass sie ihren Lebensstil nicht ändern, obwohl sie über genügend Informationen verfügen und wissen, dass wir dabei sind, den Planeten zu zerstören.«
Im Protestantismus sind wir von diesem Problem besonders betroffen, und vielleicht gilt das auch für uns Deutsche generell. Wir sind sehr prinzipientreu und moralisch streng mit uns selbst. Wir haben schnell ein schlechtes Gewissen. Und wenn es uns dann nicht gelingt, unsere hohen Ansprüche zu erfüllen, denken wir uns Ausreden aus und machen am Ende gleich gar nichts mehr – wie beim berühmten Beispiel mit dem Frühstücksei, das man eigentlich weglassen müsste, aber dann doch isst und sich dabei schlecht fühlt (mein persönliches Problem).
Die Autorinnen Theresa Leisgang und Gerriet Schwenn schreiben in ihrem Essay „Schöner Scheitern in einer Welt, die zerfällt« über alternative Ansätze: Wir sollten gemeinsam trauern über das Leid, das uns erwartet und das anderen Menschen genau in diesem Moment widerfährt. Wir sollten solidarisch für schwere Zeiten vorsorgen, statt dass sich Reiche Luxusbunker bauen. Wir können die Lösungen von morgen heute schon vorleben und Praktiken des gemeinsamen Schaffens entwickeln – „Lieder, Spiele, Rezepte und Witze, die uns an Abenden, an denen der Strom ausfällt, miteinander verbinden.«
Das Unmögliche akzeptieren
Pelluchon hat eine wichtige Erkenntnis: Wir haben keinen Grund für Optimismus, weil die Lage objektiv schlecht ist. Aber das bedeutet nicht, dass wir keine Hoffnung haben können.
Eine Rettung unserer Welt ist unwahrscheinlich, aber sie ist nicht völlig unmöglich. Diese Rettung wird jedoch nicht so aussehen, dass das Schlimme noch einmal an uns vorbeizieht, dass „der Kelch an uns vorübergeht«, wie Jesus im Garten Gethsemane betete. Sondern sie besteht darin, dass es auch in schlimmen Situationen Hoffnung gibt – nicht die Hoffnung auf einen „Erlöser« von oben, der alles gut macht, sondern auf menschliche Praktiken, die es Menschen ermöglichen, solidarisch und gemeinschaftlich auch in schwierigen Situationen zusammenzuleben und sich gegenseitig zu helfen.
Vor allem aber ist es nicht unmöglich, trotz allem etwas Gutes zu tun. Und auch wenn uns perfekte Lösungen nicht gelingen – wie bei meinem Problem mit dem Frühstücksei –, ist das kein Grund, gar nichts mehr zu tun.
Pelluchon sagt: „Unsere Lage erfordert, das Unmögliche zu akzeptieren. Wenn man verzweifelt ist, glaubt man, dass die Nacht kein Ende hat. Statt zu kämpfen, muss man die Lage akzeptieren. Das klingt paradox. Aber wenn man darauf verzichtet, alles zu kontrollieren, erst dann kann man merken, dass es Menschen gibt, die gute Dinge tun, dass es Vorzeichen eines neuen Zeitalters gibt, das die Zukunft öffnen könnte.«
Dinge, die wir tun können
Die Politikwissenschaftlerin Marina Weisband beschäftigt sich in ihrem Podcast „Wind und Wurzeln« mit der Frage: Was tun wir, wenn der Faschismus kommt? Ihre Antworten sind einfach formuliert und doch tiefgreifend:
Erstens: Mensch bleiben. Das bedeutet, auch unter schwierigen Umständen die eigenen Werte nicht aufzugeben und anderen Menschen mit Respekt zu begegnen.
Zweitens: Schönes schaffen. Kunst, Musik, Literatur und andere Formen der Kreativität helfen dabei, die Menschlichkeit zu bewahren und Hoffnung zu säen.
Drittens: Banden bilden. Gemeint sind Netzwerke von Menschen, die füreinander da sind und sich gegenseitig unterstützen.
Viertens: Alternative Kommunikationswege aufrechterhalten. Wenn die offiziellen Medien gleichgeschaltet werden, braucht es andere Wege, um wahre Informationen zu verbreiten.
Fünftens: Sabotage und Ungehorsam. Das bedeutet, nicht mit dem herrschenden Zeitgeist mitzugehen, wie es gerade viele Menschen in den USA tun, die sich dem neuen politischen Klima anpassen.
Sich selbst hinterfragen
Der Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson beschreibt in seinem Roman „Ministerium für die Zukunft« ein Problem, das vielleicht dem ganzen Dilemma zugrunde liegt: unsere kognitiven Verzerrungen. Das sind systematische Denkfehler, denen wir alle unterliegen. Ebenso wie wir zwangsläufig auf optische Täuschungen hereinfallen, erliegen wir auch diesen Denkfehlern.
Wir neigen zum Beispiel dazu, bei unserer ersten Einschätzung einer Situation zu bleiben, auch wenn neue Informationen dagegen sprechen. Wir halten einfache und verständliche Erklärungen für wahrscheinlicher als komplizierte. Wir können sehr große Zahlen nicht wirklich emotional erfassen – der Unterschied zwischen einer Million und einer Milliarde Toten ist für unser Gefühl nicht wirklich fassbar. Und wir sind besonders schlecht darin, Risiken richtig einzuschätzen. Leider hilft das Wissen um diese kognitiven Verzerrungen nicht dabei, sie zu vermeiden.
Gerade in Zeiten von Fake News und Künstlicher Intelligenz sollten wir kritischer mit Informationen umgehen. Wir sollten nicht einfach nachplappern, was wir irgendwo gehört haben, und nicht alles sofort glauben. Stattdessen sollten wir mit Menschen, denen wir vertrauen, über die Dinge sprechen, die uns beschäftigen. Und wir sollten unsere eigenen Grenzen akzeptieren – wir können nicht alles wissen und verstehen.
Eine Frage der Dimensionen
Das Problem der Hoffnungslosigkeit besteht eigentlich nur, wenn wir eine mittlere Zeitperspektive von einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten einnehmen. Wenn wir stattdessen in Jahrmillionen denken, gibt es kein Problem – irgendwann ist die Erde Geschichte. Und wenn wir sehr kurzfristig denken, besteht das Problem auch nicht: Ich bin optimistisch, dass ich nächste Woche einen schönen 61. Geburtstag feiern kann.
Es gibt Kulturen, die gar nicht in längeren Zeiträumen denken. Eine indigene Kultur in Brasilien hat nur Wörter für „jetzt, bald und später« und für „jetzt, gerade eben und früher«. Diese Menschen sehen offenbar keinen Sinn darin, sich Gedanken über das zu machen, was in zwei Jahren geschehen wird, geschweige denn in zweihundert Jahren.
Leben wertschätzen
Wir werden alle sterben. Das ist die eine große Gewissheit im Leben. Egal wie groß die kommende Katastrophe wird, sie kann nicht größer sein als diese Tatsache. Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir sterben werden, sondern wie wir leben und wie wir uns umeinander kümmern, solange wir leben.
Es gibt den schönen Spruch: „Nicht dem Leben mehr Tage geben, sondern den Tagen mehr Leben.« Das ist das Gegenteil der Longterminismus-Philosophie: Die Leben, die es bereits gibt, sind es, die zählen, nicht die Leben, die vielleicht irgendwann einmal geboren werden könnten.
Der Longterminismus hat mir paradoxerweise dabei geholfen zu verstehen, dass es vielleicht gar nicht so schlimm wäre, wenn die Menschheit ausstirbt. Es gibt nämlich Schlimmeres als das Aussterben der Menschheit – eine Menschheit, die auf die Weise überlebt, wie die Longterministen sich das vorstellen: als kleine Elite in Luxusbunkern oder auf dem Mars, während der Rest der Menschheit geopfert wird.
Revolution ist kein einmaliges Ereignis
Die amerikanische Dichterin und Aktivistin Audre Lorde sagte einmal: „Revolution is not a one time event« – Revolution ist kein einmaliges Ereignis. Gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich nicht dadurch, dass ein einzelner Mensch an seinem Schreibtisch sitzt und durch eine geniale Denkanstrengung etwas völlig Neues erfindet. Wirklich Neues entsteht aus einem komplexen Zusammenspiel von praktischem Alltagswissen und theoretischem Denken, von Handeln und Reflektieren.
Morgen ist ein anderer Tag
Hoffnung entsteht aus der Möglichkeit, jederzeit etwas anders zu machen als bisher. Wir Menschen haben die einzigartige Fähigkeit, Neues in die Welt zu bringen.
Wir können üben, flexibel zu sein. Wir können einen anderen Weg einschlagen. Wir können etwas nicht so machen, wie wir es immer gemacht haben. Wir können kleine Verbesserungen hier und da vornehmen.
Die italienische Philosophin Wanda Tommasi schreibt über eine „Politik des Alltäglichen«: Schlafen, sich anziehen, Essen besorgen, putzen, Kinder versorgen – aber auch ein Schwätzchen halten, die eigene Meinung äußern, spielen, Spaß haben. All das passiert überall auf der Welt, selbst unter den widrigsten Umständen.
Die Aktivistinnen Indigo Drau und Jonna Klick verwenden das Bild einer Eisdecke: Unser Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit verursacht meistens nicht mehr als einen winzigen Haarriss in der Oberfläche, der gleich wieder zufriert. Aber es ist womöglich nicht vergeblich. Vielleicht bricht die Eisdecke eines Tages aus irgendeinem Grund – „dann ist uns alles, was wir in unseren Kämpfen gelernt und geübt haben, nützlich.«
Die Verbesserung der Welt funktioniert eben nicht so, wie in den Katastrophenfilmen dargestellt, wo ein männlicher Held auftaucht und alle rettet. Sondern genauso wie das „Preppen« für schwere Zeiten nur solidarisch funktioniert, ist es auch mit der Verbesserung der Welt. Wir müssen keine Heldinnen sein, aber wir können unseren Teil dazu beitragen.
Das Sorgenmachen als Geschäftsmodell abzulehnen, ist ein wichtiger Punkt. Es gibt eine Art von Sorgen, die nichts bewirkt – eine Art „Placebo-Sorge«. Sich Sorgen zu machen kann auch eine Ausrede dafür sein, nichts zu tun. Es ist ein Fehler, die ganze Welt retten zu wollen, denn das bringt zu viel Druck mit sich.
Die französische Philosophin Simone Weil hatte eine praktische Regel: Man soll sich um Probleme erst kümmern, wenn man sie wirklich hat.
Geselligkeit schaffen
In unserer Zeit besteht die große Gefahr, dass Menschen sich vereinzelt in ihre eigenen vier Wände zurückziehen. Stattdessen sollten wir jede Gelegenheit nutzen, um gesellig zu sein. Das bedeutet: hingehen, wenn man eine Einladung bekommen hat, andere Menschen zu sich nach Hause einladen, einfach mal jemanden anrufen.
Corine Pelluchon erklärt: „Ich glaube, dass es wichtig ist, Geselligkeit zu schaffen und sich auf Vereine zu stützen, um schädlichen Ideologien zu widerstehen. Die Atomisierung des sozialen Lebens und die Erfahrung der Entmenschlichung erklären auch die Anfälligkeit für Rechtspopulismus.«
Kleine Aktionen und dezentrale Strukturen
Kleine Aktionen im Alltag können große Wirkung haben. Die Theologin Manuela Kalsky verwendet dafür das Bild eines Rhizoms – das ist ein horizontales, unterirdisch verflochtenes Wurzelgewächs ohne zentralen Stamm. Wie ein solches Rhizom können sich neue gesellschaftliche Strukturen entwickeln: nicht hierarchisch von oben nach unten, sondern in Beziehung zueinander, dezentral und widerstandsfähig.
Dieses Rhizom-Modell ist das Gegenteil der autoritären Strukturen und der Selbstüberschätzung des Silicon Valley.
Das Böse nicht hassen
Ein wichtiger Punkt ist auch: Das Böse nicht zu hassen. Wenn wir hassen, verlieren wir unsere Rationalität. Hass führt uns in eine geistige Enge. Das Böse hingegen ist oft sehr rational und strategisch in seinem Vorgehen. Wenn wir uns von Hass mitreißen lassen, können wir das Böse nicht mehr realistisch bekämpfen. Zorn und Wut sind etwas anderes – das sind durchaus fruchtbare Gefühle, die zu konstruktivem Handeln führen können.
Christliche Hoffnung neu verstehen
Für den Apostel Paulus bezieht sich die christliche Hoffnung nicht auf innerweltlichen Optimismus oder „positives Denken«, sondern auf ein „Danach« – auf etwas, was jenseits der sichtbaren Welt liegt. Das ist das christliche „Trotzdem«: nicht die Hoffnung, dass alles so bleibt, wie es ist, sondern dass es nach dem Ende noch etwas anderes gibt.
Das könnte ein wichtiger Beitrag des christlichen Glaubens für die heutigen westlichen Gesellschaften sein, die so erfolglos darin sind, für den Erhalt des Bestehenden zu kämpfen. Weder die Kirchen noch die westlichen Demokratien sollten sich in Selbstkritik verlieren, nur weil sie schrumpfen. Es gibt auffällige Parallelen zwischen der Situation der Kirchen und der westlichen Demokratien: Beide scheinen in einer Abwärtsspirale gefangen zu sein, und der Versuch, sich daraus zu befreien, führt nur dazu, dass sie immer tiefer hineingeraten.
Die christliche Hoffnung richtet sich nicht darauf, dass doch alles so bleibt, wie es ist – das wäre eine Hoffnung für Privilegierte. Es geht auch nicht um die Hoffnung, dass das drohende Ende vielleicht doch nicht so unausweichlich ist. Als Jesus im Garten Gethsemane betete: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen«, ging der Kelch eben nicht an ihm vorüber.
Glaube an Gott bedeutet die Hoffnung, dass auch dann noch etwas weitergeht, wenn nach menschlichem Ermessen bereits alles zu Ende ist.
Konkret gesprochen: Auch wenn wir alle Klimaziele verfehlen, auch wenn große Teile der Erde unbewohnbar geworden sind, wenn wir Flüchtlingsbewegungen in unvorstellbarem Ausmaß erleben, wenn grausame Kriege um Ressourcen toben, wenn wir unter autoritären, faschistischen Regimen leben müssen – auch dann gäbe es noch Grund zur Hoffnung.
Glauben wir das wirklich? „Wie töricht!«, werden viele sagen. Genau davor hat Paulus uns schon gewarnt: Den Griechen und Römern seiner Zeit war die christliche Botschaft „eine Torheit«. Aber vielleicht ist genau das der entscheidende Punkt:
Eine Hoffnung, die nicht auf unsere menschlichen Fähigkeiten baut, sondern darauf vertraut, dass auch im scheinbar Unmöglichen noch etwas möglich ist. Und die genau deshalb nicht aufgibt, sondern an dem Ort, wo man gerade steht, weiterhin das tut, was man tun kann.
Trotzdem: hoffnungsstur mutig
Die Zukunft ist offen – für säkulare Menschen wie für Gläubige. Es geht darum, trotzdem hoffnungsstur mutig zu bleiben: nicht im naiven Optimismus, sondern in der Bereitschaft, das scheinbar Unmögliche zu durchqueren und dabei die Menschlichkeit nicht zu verlieren.
Das bedeutet nicht, dass wir uns Illusionen hingeben sollten. Aber es bedeutet auch nicht, dass wir in Resignation verfallen müssen. Zwischen falscher Hoffnung und hoffnungsloser Verzweiflung gibt es einen dritten Weg: eine Hoffnung, die der Realität ins Auge blickt und trotzdem nicht aufgibt. Eine Hoffnung, die nicht auf Wunder von außen wartet, sondern auf die kleinen, alltäglichen Wunder setzt, die Menschen füreinander vollbringen können.
Diese Art von Hoffnung ist weder naiv noch zynisch. Sie rechnet mit dem Schlimmsten und bereitet sich darauf vor – aber sie gibt die Überzeugung nicht auf, dass Menschen auch unter schwierigsten Bedingungen fähig sind zu Solidarität, Kreativität und Menschlichkeit. Sie weiß, dass nicht alle gerettet werden können, aber sie gibt niemanden auf. Sie träumt nicht von der perfekten Welt von morgen, aber sie arbeitet an den kleinen Verbesserungen von heute.
In diesem Sinne ist »trotzdem hoffnungsstur mutig« zu sein vielleicht die angemessenste Haltung für unsere Zeit: eine Haltung, die weder die Augen vor der Realität verschließt noch vor ihr kapituliert, sondern einen Weg des Widerstands und der Fürsorge einschlägt – trotz allem und gerade deshalb.