Third-Wave-Feminismus
Postfeminismus, Backlash, Institutionalisierung oder was
Die derzeitigen Diskussionen über einen »neuen« oder »dritte Welle«-Feminismus entstanden vor dem Hintergrund der 1990er Jahre, die geprägt waren von:
Endgültige Durchsetzung der rechtlichen Gleichstellung von Frauen und deren Institutionalisierung (Gleichstellungsbeauftragte, Gender-Mainstreaming)
Postmodernes Gesellschaftsbild – jeder darf nach seiner Facon glücklich werden, also Abnahme von sozialem Druck auf eine bestimmte Frauenrolle hin
Postfeminismus – also die Idee, deshalb sei Feminismus jetzt nicht mehr nötig und überholt.
Backlash – wieder stärkeres Aufkommen von Antifeminismen, Biologismen, vor allem aber wieder größere Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber »Frauenthemen« von Seiten vieler Männer.
Als Reaktion auf diese zwiespältige Entwicklung der Ausläufer der Zweiten Frauenbewegung entstanden verschiedene neue »Wellen« des Feminismus, wobei die Entwicklungen in den USA und in Europa teilweise ähnlich, teilweise aber auch unterschiedlich waren.
USA: Third-Wave-Feminismus
Der Begriff »Third Wave Feminism« stammt aus Amerika. Er geht zurück auf einen Aufruf von Rebecca Walker, die 1969 geborenen Tochter der bekannten afro-amerikanischen Feministin Alice Walker. Sie schrieb 1992, wobei sie sich auf einen Gerichtsurteil bezog, wo ein Vergewaltiger freigesprochen wurde:
Ich schreibe das als einen Appell an alle Frauen, vor allem Frauen meiner Generation: Werdet ärgerlich über diese Abweisung der Erfahrung einer Frau. Verwandelt diese Wut in politische Macht. Wählt sie nicht, solange sie nicht für uns arbeiten. Schlaft nicht mit ihnen, brecht nicht das Brot mit ihnen, ernährt sie nicht, wenn sie nicht eurer Freiheit, über eure Körper und eure Leben selbst zu bestimmen, Vorrang geben. Ich bin keine post-feministische Feministin. Ich bin die Dritte Welle.
Nach verschiedenen Vorläufern gründete Walker 1997 zusammen mit anderen die »Third Wave Foundation«, die bis heute aktiv ist. Die von ihr herausgegebene Aufsatzsammlung »To be real. Telling the Truth and Changing the Face of Feminism«, 1995 erschienen, gilt als eine Art Standardwerk der »dritten Welle« von US-amerikanischen Feministinnen.
Mit dem Titel »To be real« greift Walker ironisch eine Redewendung auf, die auch für die Zweite Welle wichtig war. Hatte sich der Feminismus in den siebziger Jahren mit der Frage beschäftigt, was denn eine »richtige« Frau sei – und dabei von Zuschreibungen und Zumutungen befreit, die eine »richtige« Frau auf eine bestimmte Rolle festlegen wollten – so beschäftigten sich Rebecca Walker und die Autorinnen und Autoren dieses Bandes mit der Frage, was denn eine »richtige« Feministin sei.
Sowohl bei dieser, wie auch bei den anderen US-Amerikanischen Veröffentlichungen zum Thema »Third-Wave-Feminism« wird ganz deutlich, dass es sich hier um Frauen handelt, die fest im Feminismus verankert sind – nicht nur als Töchter von ausgewiesenen »Second Wavers« wie Rebecca Walker, sondern überhaupt, dass sie aus ihrer Dankbarkeit von den Arbeiten und Errungenschaften der vorausgegangenen Generation von Feministinnen keinen Hehl machen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum deutschen Phänomen des F-Klasse-Feminismus, auf den ich später noch zu sprechen komme. Und ein zweiter wichtiger Unterschied ist die sozialkritische Haltung der Third Wavers, die sich dezidiert nicht nur auf bessere Chancen für Frauen beschränken: »working towards gender, racial, economic, and social justice« ist ihr Programm.
Bei den »Third Wavers« handelt es sich um Frauen, die in den 1960er und 1970er Jahren geboren sind – also um meine Generation, ich bin 1964 geboren – um Frauen, die zwar schon Feminismus vorgefunden haben und davon profitierten, die häufig feministische Mütter und Lehrerinnen hatten, die aber auch in einer Zeit aufgewachsen sind, in der Gleichstellungs-Bekenntnisse und Frauenförderung noch nicht in dem Maße institutionalisiert und in den gesellschaftlichen Mainstream eingeflossen waren, wie sie es heute sind. In den 1980er Jahren, also dem Jahrzehnt der »Politisierung« dieser Frauengeneration, führten Feminismus wie auch Gleichstellungspolitik noch eine vergleichsweise Randexistenz, gleichwohl aber waren feministische Theorien schon ausgearbeitet, hatten sich die feministischen Gruppen und Projekte bereits in diverse dogmatische Richtungen ausdifferenziert, war die Frauenbewegung schon nicht mehr vom Schwung und vom Enthusiasmus der früheren Jahre geprägt, sondern von einer gewissen Schwere, von Dogmatismus, von Grabenkämpfen und gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Rebecca Walker schildert sehr schön, was diese Sozialisationserfahrung für sie bedeutete:
Bevor ich dieses Buch anfing, war mein Leben wie ein feministisches Ghetto. Jede Entscheidung, die ich traf, jede Person, mit der ich Zeit verbrachte, jedes Wort, das ich sagte, musste ich an dem Bild messen, das ich davon hatte, was moralisch und politisch korrekt war im Sinne meiner Vision der weiblichen Ermächtigung … Meine Existenz war also ein andauernder Zustand des Nein-Sagens zu vielen Elementen des Universums, aus dem ich die herauspicken und auswählen musste, denen ich es erlauben konnte, zu mir zu gehören. Die Teile von mir, die nicht in dieses Ideal passten, waren tief in mir vergraben, und wenn ich sie in manchen Momenten spürte, fühlte ich mich unsicher und verwirrt über meine Werte und meine Identität. Neugier im Hinblick auf Pornographie, die Anziehung, die eine stabile, häusliche Lebenspartnerschaft auf mich hatte, der Wunsch, ein Unternehmen zu gründen und nach traditioneller, individueller Macht zu streben, mein Interesse an der S/M-Welt, meine Liebe zu Menschen, die meine feministischen Überzeugungen herausforderten oder sie sogar rundheraus ablehnten – all diese Gefühle waren für sich genommen nicht allzu schrecklich, aber für mich und für meine Ansichten darüber, wie eine feministische Revolution gemacht wird, bedeuteten sie Widersprüche, von denen ich nicht wusste, wie ich mit ihnen umgehen sollte. (Walker, To be Real, XXX)
Diese Passage erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich hatte, auch Ende der 1980er Jahre, ebenfalls überzeugte Feministin, als ich bei einem Klassentreffen war, und mit einem meiner früheren Mitschüler in eine heftige Diskussion geriet über den Satz, alle Männer seien potenzielle Vergewaltiger – eine These, die ich aus dem Fundus feministischer Glaubenssätze übernommen hatte und auch für richtig hielt. Aber als ich sie diesem jungen Mann – wir waren damals eben so Mitte zwanzig – erzählte, oder besser: vorhielt – merkte ich in dieser Situation, wie absurd diese These ist, und dass ich sie eigentlich gar nicht teilte.
Ausgehend von dem Impuls, den Rebecca Walker gesetzt hatte, sind in den späten Neunziger Jahren in den USA viele Initiativen, Publikationen und Aktionen rund um den Begriff der »Dritten Welle« entstanden. Die Zusammenfassung all dieser Aktivitäten unter einem gemeinsamen »Label« ist genauso problematisch, wie die Zusammenfassung der vorherigen Generation unter »zweite Welle«, aber es gibt doch einige gemeinsame Punkte, an denen sich die neuen Schwerpunktsetzungen festmachen lassen.
Die Ablehnung einer Dichotomie von Frauen und Männern. Third Wavers verstehen die Debatten um sexuelle Differenz weniger als eine Auseinandersetzung zwischen Männern und Frauen, denn als kulturelles, diskursiv hergestelltes Phänomen. Eine wichtige Rolle spielte hierbei das Buch »Gender Trouble« von Judith Butler, 1990 erschienen, indem sie die Unterscheidung von sex und gender, also biologischem und sozialem Geschlecht hinterfragt, das für die Analyse des »Second Wave-Feminism« tragend war. Wobei allerdings Judith Butler in den USA nicht die Ikone ist, zu der sie große Teile des deutschen akademischen Feminismus sie gemacht haben, sondern sie wird dort auch sehr kritisch gesehen und hinterfragt, ihre Arbeit ist sozusagen nicht der Weisheit letzter Schluss, der nur noch verstanden und interpretiert werden muss, sondern eher Ausgangspunkt für Weiterdenkende Theorien, die die üblichen Gewissheiten von Mannsein und Frausein in Frage stellen.
Die engere Zusammenbindung zwischen verschiedenen »Identitätspolitiken«. Für Third Wavers ist das Mann-Frau-Thema eines, das untrennbar mit anderen Identitätspolitiken verknüpft ist, also Hautfarbe, Ethnizität, Homosexualität. Das Stichwort hierbei ist »Queer Politics«, also der Wunsch, aus all diesen Zuschreibungen auszubrechen, mit ihnen zu spielen, sich nicht festlegen zu lassen. Sie richten sich mit ihren Aktionen nicht an Frauen, sondern vor allem auch an »Transgender«-Aktivisten oder, wie der Slogan der Organisatorinnen der so genannten »Ladyfeste«: »Whatever your gender may be, if you feel like a Lady, be part of the Ladyfest«
Scharfe Kritik an der Weißen-Mittelschichts-Dominanz von Teilen der »zweiten Welle«. Maßgebliche Aktivistinnen der »Dritten Welle« sind Afroamerikanerinnen, Latinas, Native Americans und »postkoloniale« Theorien spielen eine große Rolle.
Die Skepsis gegenüber traditionellen Formen der Politik. Third Wavers sind weniger davon überzeugt, dass politischer Aktionismus auf Parteien, Vereine, Organisationen stützen sollte, sondern sie bevorzugen lockere Formen der Vernetzung und verstehen Politik vor allem als kulturelles Phänomen. Hintergrund ist die Erfahrung, dass auch die Gleichstellungspolitik und Staatsfeminismus manche Probleme nicht lösen können, etwa Gewalt gegen Frauen oder die Unvereinbarkeit von Fürsorge und Karriere, und dass deshalb nicht nur Gesetze geändert werden müssen, sondern vor allem kulturelle Bilder sich wandeln müssen. Eine große Rolle spielt dabei die Nutzung des Internet. Und sie agieren stärker im Bereich von Kultur und Medien, von Kunst, Literatur – wie zum Beispiel die »Riot Grrls«, eine ebenfalls in den 1990er Jahren entstandene Punk-feministische Bewegung.
Die Skepsis gegenüber festen Inhalten und jeder Art von Dogma. Third Wavers sehen viele Dinge ambivalenter – sie können zum Beispiel das Frauenbild in bestimmten Fernsehserien gleichzeitig kritisieren und dennoch Fans dieser Serien sein. Sie kritisieren scharf diejenigen Feministinnen, die auf alles eine einfache Entweder/Oder-Lösung haben, und zwar weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass es nicht funktioniert. Die »Du kannst alles«-Erwartungshaltung bewirkt, dass man auf Sexismus nicht vorbereitet ist und gedemütigt, wenn es »doch passiert«.
Der Wunsch, mit der eigenen Weltgestaltung ernst genommen zu werden. Z.B. Rebecca Traitler in der taz (vom 24.5.2008): Sie will weder von den Männern gefragt werden, ob sie nur deshalb für Hillary stimmt, weil die eine Frau ist, noch will sie von älteren Feministinnen dazu aufgefordert werden, für Hillary zu stimmen, nur weil die eine Frau ist.
Im Großen und Ganzen ist die Zusammenarbeit zwischen zweiter und dritte Welle in den USA relativ fruchtbar, soweit ich es sehe, auch wenn der Ton manchmal scharf ist. Catherine Redfern, eine andere Third-Waverin, schreibt, dass viele ältere Frauen den Enthusiasmus der Jüngeren für eine neue Welle missverstehen, weil sie glauben, dass die Jüngeren ihren Kampf nicht würdigen oder sich von ihren distanzieren wollten. Sie, wie fast alle Third Wavers, die ich gelesen habe, sind sich aber über die Verdienste der Zweiten Welle sehr bewusst und sie wollen sich nicht abgrenzen. Redfern schreibt, dass der Wunsch, eine neue »Welle« zu sein »einfach das Begehren zeigt, Teil einer Bewegung sein zu wollen, die Relevanz für unser eigenes Leben hat, die Bewegung für uns selbst zu reklamieren und zu zeigen, dass Feminismus auch heute, genau jetzt, aktiv und aktuell ist.« (2002, zit. nach: Whelahan: Feminist Bestseller, S. 170).
Die jüngeren Feministinnen hingegen ärgert eine gewisse Tendenz zum Festhalten der Älteren an etablierten Formen und Inhalten, die ewige Kritik, dass es angeblich keine jungen Feministinnen gäbe – und sie weisen demgegenüber darauf hin, dass auch in den 1970er Jahren die allermeisten Frauen keine Feministinnen waren.
Unterschiede zwischen Europa und USA
In Europa liefen die Debatten in den Neunziger Jahren teilweise ähnlich, teilweise unterschiedlich. Hier hat sich eine solche dritte Welle, jedenfalls organisatorisch, nicht formiert, auch wenn einige Aktivitäten, zum Beispiel Ladyfeste oder manche Aktionen in der Kunstszene, auch in Europa Fuß gefasst haben.
An den deutschen Universitäten, im Bereich Gender-Studies, ist einerseits viel vom US-Amerikanischen Diskurs aufgegriffen worden, insbesondere die Thesen von Judith Butler, allerdings wurden sie nicht wirklich zum Ausgangpunkt für eine neue politische Praxis oder gar zum Impuls für die Frauenbewegung. Viel mehr als in den USA wird Judith Butler vielmehr als Ikone verehrt, deren (ziemlich schwer zu lesendes) Werk immer wieder neu interpretiert, aktualisiert, verteidigt wird. Gleichzeitig – oder vielleicht auch deswegen – hat der akademische Feminismus in Deutschland fast keine Auswirkungen auf das Alltagsleben von Frauen.
Gleichzeitig hat seit Ende der 1980er Jahre in Deutschland eine große Welle der Institutionalisierung von Frauenpolitik stattgefunden, angefangen von der Installierung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in den meisten Kommunen und Institutionen bis hin zu den Gender-Mainstreaming-Vorgaben seitens der EU. Das hat allerdings auf der anderen Seite dazu geführt, dass Feminismus den Charakter des Bürokratischen bekommen hat, nicht mehr als Bewegung als vielmehr Teil des Staates gesehen wird. Und andererseits hat dadurch der formalistische Gleichstellungs-Aspekt des Feminismus – auf Kosten des kulturellen Aspektes – ein enormes Übergewicht bekommen.
Zudem ist die Feminismus-Debatte in Deutschland auch durch die starke mediale Fixierung auf die Person von Alice Schwarzer geprägt, was die Auseinandersetzungen schwierig machte. Alice Schwarzer steht für eine bestimmte Richtung des Weißen Dominanzfeminismus mit klaren, dogmatischen Glaubenssätzen – und viele Feministinnen meiner Generation hatten das Problem, dass sie einerseits aus ähnlichen Gründen wie ihre amerikanischen Altersgenossinnen (aber auch schon älterer Feministinnen) diese Positionen nicht teilen, andererseits aber nicht öffentlich gegen die Repräsentantin des Feminismus schlechthin auftreten wollten.
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass während die »Dritte Welle« in USA stark von Postkolonialistischen Themen geprägt ist – die Kritik schwarzer Frauen oder Latinas an der Dominanz des »Weißen« Feminismus ist hier sehr stark – dieser Aspekt in Deutschland sehr unterbelichtet ist. Migrantinnen z.B. fast gar nicht am feministischen Diskurs beteiligt und im Gegenteil treten Teile des Feminismus dezidiert anti-islamisch auf. Die Vorherrschaft eines bestimmten westlich-bürgerlichen Verständnisses von Emanzipation und Feminismus ist hier nochweitgehend ungebrochen, also die Tendenz, Frauen aus anderen Kulturen und mit anderen Prioritäten für »unemanzipiert« zu halten.
Postpatriarchaler Feminismus
Es gibt aber auch in Europa neue Impulse für die feministische Debatte, die man unter dem Stichwort »postpatriarchales Denken« einordnen könnte. Dieser Ausdruck stammt von Ina Praetorius, die damit einen Gedanken der italienischen Philosophin Luisa Muraro aufgreift, die in einem Artikel 1995 zum ersten Mal vom »Ende des Patriarchats« gesprochen hat. Damit ist nicht so sehr eine historische Zustandsbeschreibung gemeint, als vielmehr eben ein Perspektivenwechsel für feministisches Denken und feministische Praxis, die in den deutschsprachigen Ländern inzwischen recht einflussreich geworden ist. Inhaltliche Punkte sind in etwa:
Nicht mehr von den Defiziten der Frauen ausgehen, sondern von ihren Ressourcen, ihren Wünschen, dem, was sie einbringen. Unter anderem läuft viel im Bezug auf historische Frauenforschung, auch Matriarchatsforschung in diese Richtung, Wiederentdeckung der Mystikerinnen, weibliche Spiritualität, die Fülle.
Die Frage nach der Verantwortung und dem Begehren der Frauen selbst tritt an die Stelle des Widerstands gegen »das Patriarchat« oder »die Männer«. Dies ist einerseits ein Perspektivenwechsel, hat andererseits aber auch mit der veränderten Realität zu tun, die darin besteht, dass Frauen (und wir selbst) heute nicht mehr außerhalb, sondern innerhalb der Institutionen stehen (Bsp. Arnoldshain). Die Frage ist: Warum haben wir da so oft keine Autorität?
Die Beziehungen zwischen Frauen in ihrer Differenz als Ausgangspunkt nehmen statt einfach Frauensolidarität zu behaupten oder einzuklagen. Die Unterschiede zwischen Frauen schätzen und als Fülle verstehen, an der Differenz arbeiten statt Positionen klären oder ein »Wir der Frauen« proklamieren. Ausgangspunkt ist die Arbeit an der »symbolischen Ordnung der Mutter« (Muraro) – gegen die Abwertung des Mütterlichen auch in Teilen des Feminismus, z.B. Neubewertung von Haus- und Fürsorgearbeit als Hebel für Ökonomiekritik.
Fragestellung ist nicht so sehr die Kritik des Bestehenden als vielmehr der Versuch, neue Möglichkeiten der Politik zu erfinden und zu praktizieren. Ein vielfältiger Bereich von Projekten ist entstanden, z.B. Beginen-Wohnprojekte, außeruniversitäre Bildung, Netzwerke, Supervision.
Die Mehrheit der Protagonistinnen dieses Denkens gehört altersmäßig zur Generation der »Third-Wavers«, also die in den 1960ern und 1970ern geborenen Frauen, die bereits gewissen Einfluss haben, weil sie innerhalb von Institutionen arbeiten. Vor allem innerhalb von Kirchen, aber auch in Frauenzentren oder Gleichstellungsbeauftragte sowie viele Selbstständige insbesondere im Bildungs- oder Supervisionsbereich gehören hierzu. Allerdings wird das Thema nicht als Generationenthema diskutiert, wie in den USA, da auch viele Frauen aus der »Second Wave«-Generation hier mitarbeiten bzw. ihren Aktivismus der 70er Jahre inzwischen in diese Richtung weiterentwickelt haben. Daher kann hier auch an die damals gemachten Erfahrungen angeknüpft werden.
Zwischen den Anliegen der »Dritten Welle« in den USA und dem europäischen Postpatriarchalismus gibt es viele Gemeinsamkeiten: Die Wertschätzung der Differenz und der Unterschiedlichkeit unter Frauen, die Skepsis gegenüber staatlichen Gleichstellungsprogrammen und dass die Aufmerksamkeit nicht so sehr darauf gerichtet ist, was von wem gefordert werden soll (was ja ein gemeinsames inhaltliches Programm erfordert), sondern darauf, wie einzelne Frauen in ihrem politischen Aktivismus und ihrem Einfluss gestärkt werden können. Gemeinsam ist auch die Skepsis gegenüber festen »Inhalten« einer feministischen Theorie und stattdessen das Interesse an offenen Debatten und dem Ausgehen von der eigenen konkreten Erfahrung, ohne das gleich in eine konsistente Theorie oder Ideologie zu gießen. Ähnlich ist auch das Eintreten für unterschiedliche Lebensmodelle und die Aufmerksamkeit für die Bedeutung von Haus- und Familienarbeit – so hat die Third Wave Foundation kürzlich eine »National Week of Action for Reproductive Justice« ins Leben gerufen.
Unterschiede bestehen darin, dass die Third Wavers in den USA eher Aktions-Orientiert sind, das heißt, sie halten viele regionale und internationale Konferenzen ab und haben Institute, Fonds und Vereine gegründet (also sie haben eine eigene Organisationsstruktur unter dem Label »Third Wave«), während postpatriarchaler Feminismus in Deutschland sich nicht institutionalisiert hat, sondern eher in der Vernetzung einzelner Denkerinnen und Frauengruppen besteht, während die Praxis sozusagen dezentral in den jeweiligen Projekten stattfindet, in denen die einzelnen sich lokal engagieren. Allerdings gibt es mit dem Forum www.bzw-weiterdenken.de inzwischen eine gemeinsame Internetplattform. Postpatriarchaler Feminismus eignet sich allerdings auch nicht so gut als Label, weil es erst erklärt werden muss (wieso, das Patriarchat lebt doch noch…)
F-Klasse-Feminismus in Deutschland ist ein anderes Phänomen
Medial in die Diskussion gekommen ist in den letzten Jahren noch eine andere Bewegung, nämlich der F-Klasse-Feminismus, der Ausdruck stammt von Thea Dorn und ihrem Buch. Hier treten vor allem Politikerinnen und Frauen aus der Medienwelt auf, im Prinzip umfasst der F-Klasse-Feminismus ein breites Lager von Alice Schwarzer bis Angela Merkel.
Initialzündung für diese Bewegung war die Provokation von Eva Herman, ebenso die unsägliche Demografiedebatte über angeblich aussterbende Deutsche im Gefolge von Frank Schirrmacher. Die F-Klasse stellt sich dem entgegen, es sind Frauen aus derselben Generation wie die »Third Wavers«.
Allerdings kamen diese Frauen nicht aus feministischen oder sozialen Bewegungen, sondern waren vorher eher »Postfeministinnen«, d.h. sie dachten, sie hätten eigentlich schon alle Chancen der Gleichberechtigung und Feminismus sei überholt. Sie stellen nun fest, dass dem nicht so ist, weil sie als Frauen immer noch benachteiligt werden. Ihr Ausgangspunkt ist also auch eine gewisse Enttäuschung über die uneingelösten Versprechen des Second-Wave-Feminismus – insbesondere die nach wie vor nicht gelösten Themen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die nach wie vor ungleichen Entlohnungen und Karrierechancen von Frauen. Charakteristisch für den F-Klasse-Feminismus ist:
Dezidierte Abgrenzung vom »alten« Feminismus, der zu dogmatisch und radikal gewesen sei, wobei aber häufig keine Kenntnis der Frauenbewegung da ist, d.h. die Abarbeitung richtet sich mehr auf die Klischees der Frauenbewegung als auf das, was wirklich war. Insbesondere gibt es hier kein Wissen über die Vielfältigkeit der »zweiten Welle«.
Es gibt kaum Kritik an bestehenden Wirtschaftsformen und sozialer Ungleichheit allgemein, das Problem wird nur in den fehlenden Karrierechancen von Frauen gesehen. Im Gegenteil: herrschende soziale Ungleichheit wird als gegeben und selbstverständlich akzeptiert. So schreiben zum Beispiel Sibylle Hamann und Eva Linsinger in ihrem aktuellen »Weißbuch Frauen – Schwarzbuch Männer« (Deuticke 2008) so: »Prompt wurde (nach der Einführung des neuen Elterngeldes) angeprangert, wie viel soziale Ungerechtigkeit in ihm stecken würde: Gutverdienerinnen kassieren während der Kinderpause mehr als Schlechtverdienerinnen! Dabei ist dieses Prinzip bei anderen Leistungen des Staates ganz selbstverständlich.« (S. 257) Deshalb läuft der F-Klasse-Feminismus Gefahr, von neoliberalen Wirtschaftsentwicklungen vereinnahmt zu werden – Verfügbarmachung von Frauen für den Arbeitsmarkt, Flexibilisierung.
Eine konservative Grundhaltung, häufig eine tendenziell anti-islamische Haltung, eher »Bilderbuchkarrieren« nur mit einem neuen, gleichberechtigten Familienbild. Kein Raum für Queer und ähnliches.
Wenig theoretische Fundierung, über die bekannten Strukturen und Mechanismen wird nicht hinausgedacht. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind eigentlich eine reine Fortführung alter Rezepte (Quote, Kinderkrippen, Männer sollen Hausarbeit machen, usw.) Obwohl die »Opferhaltung« der alten Frauenbewegung kritisiert wird, geraten die Analysen daher häufig wieder zum reinen Lamento über bestehende Verhältnisse. Frauen sind Protagonistinnen nur, insofern sie sich an männliche Strukturen anpassen (Aufstiegstechniken, bessere Selbstvermarktung und Selbstorganisation).
Die »vierte Welle«
Innerhalb dieser Situation formiert sich inzwischen – in den USA wie in Europa – das, was zuweilen bereits eine »vierte Welle« des Feminismus genannt wird, nämlich die jungen, in den 1980er und 1990er Jahren geborenen Frauen und Mädchen. Themen sind hier insbesondere:
Der große Wunsch, gemeinsam mit Männern zu arbeiten und aktiv zu sein. Die ablehnende Haltung »älterer« Feministinnen und die Praxis des Separatismus wird nicht verstanden und für unnütz und verbiestert gehalten. Andererseits aber auch Skepsis und Sensibilität gegenüber unterschwelligem Antifeminismus (Beispiel: Frauenfeindlichkeit von männlichen Obama-Anhängern).
Kein Interesse für die »alten« Themen – Sie haben keinen Wunsch mehr, sich gegen Hausarbeit abzugrenzen, ihre Mütter waren ja meist schon berufstätig. Sie wollen keine Frauenförderung, sondern gute Chancen für alle, Sehnsucht nach Intimität und Familie. Kampf gegen Frauendiskriminierung ist für sie historisch, daher kein Interesse an »Pionierinnen«, weil das mit ihrer eigenen Situation nichts zu tun hat.
Wichtige Themen der Gesellschaftskritik: Karriere und Familie – also Öffentlich und Privat vereinbaren. Sie sehen aber keinen Anknüpfungspunkt zu den Themen der Frauenbewegung der 70er Jahre, obwohl dort viele Lösungsideen schon erdacht wurden. Aber das ist – anders als die Patriarchatskritik und die Anklage – nicht tradiert worden und oft verloren gegangen.
Ein anderer Umgang mit Körper und Sexualität: Sexualisierte Selbstdarstellung und Kleidung, großer Wert auf äußerliche Erscheinung, was aber durchaus auch kritisch reflektiert wird. (Charlotte Roche)
Wenig kritische Distanz gegenüber Geschlechterklischees. So als ob angesichts rechtlicher Gleichstellung keine Gefahr mehr in Biologismen usw. gesehen wird. Andererseits souveräner Umgang damit – damit stimmen auch die Interpretationen älterer Frauen nicht mehr. Es geht nicht darum, den Männern zu gefallen. Auf dieser Grundlage müssten ältere Theorien über Geschlechterdifferenzen neu verhandelt werden.
Fragestellungen und Ausblick
Bewusstsein für die verschiedenen biografischen Hintergründe schaffen. Dabei könnte die »Mittlere« Altersgruppe Brücken bauen, weil sie sich sowohl noch an die Zeiten der Diskriminierung erinnern kann, als auch bereits an die Gleichstellung gewohnt ist.
Gegen die Scham arbeiten: Die Unterordnung der Frauen geschieht heute mit egalitärem Vokabular. Dagegen sind auch feministisch erzogene Frauen nicht gefeit – Das Gefühl der Scham, zu versagen, ist groß. Sexismus wird nicht so leicht erkannt oder sie verleugnen, dass es ihn gibt. Frauen geben sich selbst die Schuld, wenn sie nicht erfolgreich sind. Darin steckt die richtige Einsicht in die eigene Verantwortlichkeit (auch schon anknüpfend an Beauvoir), aber es fehlt die Systemkritik.
Das Verhältnis Frauen – Männer diskutieren. Die Alternative ist nicht mehr: Separatismus oder Gemeinsamkeit, sondern die Art und Weise der Zusammenarbeit reflektieren. Darüber diskutieren, warum die sexuelle Differenz auch in Zeiten von Gleichstellung wichtig ist als kulturelles Phänomen, dies nicht der Genetik oder der Hirnforschung überlassen.
Migrantinnen und Vertreterinnen anderer Kulturen in die Bewegung einbeziehen, indem man sie nicht an einem westlich-bürgerlichen Bild von Feminismus misst, sondern sich dafür interessiert, was sie tun, sich wünschen, welche Prioritäten sie haben.
Gegen weiblichen Konventionalismus. Feminismus nicht als Anpassungsleistung an gesellschaftliche Erfordernisse feiern, sondern offen halten für das unkonventionelle Begehren. Gegen Nützlichkeitsdebatten. Den Wert des Nonkonformismus bewusst machen.
Feuchtgebiete (auf Seite 128), wo die 18 Jahre alte Protagonistin sagt: »Es gibt eigentlich nichts, womit meine Mutter kein Problem hat.« Das scheint mir ein guter Hinweis darauf zu sein, was die »jungen Frauen« an den »älteren Frauen« stört – dass wir nämlich zu viel über Probleme und Forderungen reden, die an andere (die Männer, den Staat) zu stellen wären, anstatt die Lösungen und Ideen stark zu machen, die der Feminismus schon lange formuliert und ausprobiert hat. Und zwar nicht nur, aber natürlich auch, im Hinblick auf guten Sex! Oder anders gesagt: Charlotte Roche weist uns auf das Fehlen weiblicher Autorität hin – und genau das ist, jedenfalls meiner Ansicht nach, der Dreh- und Angelpunkt, um den es in punkto »Zukunft der Frauenbewegung« geht.
Über Körper und Biopolitik diskutieren. Der Erfolg von Charlotte Roches »Feuchtgebiete« weist in diese Richtung. Es erinnert uns daran, dass das Projekt der sexuellen Befreiung noch nicht abgeschlossen ist.
Beziehungen zwischen Frauen stärken, das Begehren der Jüngeren sehen und darauf eine Antwort finden, nicht Seite an Seite mit ihnen Anklagen und Forderungen stellen. Artikel über Licci/Kaufmann usw. in der taz: Ihre Erfahrungen nicht als Niederlagen lesen, sondern sie als Pionierinnen für ein neues Lebensmodell für Frauen und Männer (die Anliegen sind gemeinsam!)
Literaturliste
Third-Wave-Feminism:
Rebecca Walker (Hg): To be real. Telling the Truth and Changing the Face of Feminism. First Anchor Books, New York 1995. Mit einem Vorwort von Gloria Steinem.
Barbara Findlen (Hg): Listen up. Voices from the next feminist Generation. Seal Press, 1995.
Heywood, Leslie; Drake, Jennifer (Hg): Third Wave Agenda: Being Feminist, Doing Feminism, University of Minnesota Press, 1997.
Gillis, Stacy u.a.: Third Wave Feminism. A Critical Exploration, Palgrave 2004.
Third Wave Foundation: [www.thirdwavefoundation.org](http://www.thirdwavefoundation.
Rebecca Walker: www.rebeccawalker.com
Postpatriarchaler Feminismus:
Libreria delle donne di Milano: Das Patriarchat ist zu Ende, Christel Göttert-Verlag, Rüsselsheim 1996.
Ulrike Wagener u.a.: Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn, Christel Göttert-Verlag, Rüsselsheim 1999.
Luisa Muraro: Die Menge im Herzen. Christel Göttert-Verlag, Rüsselsheim 2001.
Dorothee Markert: Wachsen am Mehr anderer Frauen. Vorträge über Begehren, Dankbarkeit und Politik, Christel Göttert-Verlag, Rüsselsheim 2002.
Michaela Moser, Ina Pratorius (Hg): Welt gestalten im ausgehenden Patriarchat, Ulrike Helmer-Verlag, Königstein 2003.
Andrea Günter: Weltliebe. Gebürtigkeit, Geschlechterdifferenz und Metaphysik, Ulrike Helmer-Verlag, Königstein 2003.
Andrea Günter: Frauen-vor-Bilder, Christel Göttert-Verlag, Rüsselsheim 2003.
Antje Schrupp: Zukunft der Frauenbewegung, Christel Göttert-Verlag, Rüsselsheim 2004.
Ina Praetorius: Handeln aus der Fülle. Postpatriarchale Ethik in biblischer Tradition, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005.
Ina Praetorius (Hg): Sich in Beziehung setzen. Zur Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit, Ulrike Helmer-Verlag, Königstein 2005.
F-Klasse Feminismus:
Barbara Bierach: Das dämliche Geschlecht. Warum es kaum Frauen im Management gibt, Viley, 2002.
Thea Dorn: Die neue F-Klasse: Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird, Piper, München 2006.
Silvana Koch-Mehrin: Schwestern. Streitschrift für einen neuen Feminismus, Econ, 2007.
Sibylle Hamann, Eva Linsinger: Weißbuch Frauen, Schwarzbuch Männer. Warum wir einen neuen Geschlechtervertrag brauchen, Deuticke, Wien 2008.
»Vierte Welle«
Charlotte Roche: Feuchtgebiete, 2008.
Rebecca Traister: Das Unbehagen der Frau, taz 24./25. Mai 2008. Eine etwas andere englische Version unter http://www.salon.com/mwt/feature/2008/04/14/obama_supporters/
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Vortrag bei der Klausur der Fachgruppe Frauen der Ev. Akademie Bad Boll, 2.–4. Juni 2008
(abgedruckt in: (Neue) Frauenpolitische Ziele – Umsetzung in der Akademiearbeit. Dokumentation dieser Fachtagung)
Vortrag am 29.9.2008 im Frauenzentrum Rüsselsheim
(gekürzt) am 21.10.2008 bei einer Veranstaltung der Katholischen Frauenarbeit der Erzdiözese Köln
am 27.11.2008 in der Frauenbibliothek cid-femmes in Luxemburg