Fragwürdiges Abendseminar:
Dass Scientology dahinter steckte, ahnte ich nicht
»Das haben Sie bestimmt auch schon mal erlebt« sagt Franz Richter, der Seminarleiter, immer wieder zu uns. »Haben Sie das nicht auch schon mal erlebt, dass Sie Ihrem Chef etwas sagen wollten, und als Sie dann in seinem Zimmer standen, plötzlich nervös wurden?« oder »Das haben Sie bestimmt auch schon mal erlebt, dass Sie ihrer Sekretärin eine Arbeit gegeben haben, aber nicht wirklich sicher waren, ob sie sie auch ausführt«. Zögerndes Kopfnicken in der Runde. Wir alle sind auch schon missverstanden worden, hatten schon mal Schwierigkeiten, uns zu entscheiden, oder das Gefühl, uns läuft die Zeit davon. Deshalb sind wir hier auch richtig, hier, bei der »Akademie für Management und Kommunikation« – kurz: AMK – in Eschborn.
Wir waren zu sechst. Zwei Frauen aus der Werbebranche, eine Computerspezialistin, eine Schülerin, ein Banklehrling und ich, eine – vorgebliche – Verwaltungsangestellte. Wir alle waren in der Frankfurter Innenstadt angesprochen und zu einem kostenlosen Seminar über »die Ursachen des Erfolgs« eingeladen worden. Franz Richter, bei der AMK für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, soll uns jetzt vom Nutzen des Angebots seiner Firma überzeugen. Wenn alles gut läuft, sind wir bereit, am Ende einen 200-Fragen-»Persönlichkeitstest« zu machen und uns in einem Einzelseminar über unsere Defizite aufklären zu lassen. Und melden uns dann zu einem Seminar an.
Auf den Prospekten der AMK sieht man junge dynamische Menschen, die eine Treppe mit hohen Stufen hinaufstürmen, hin zu einem, der es geschafft hat und nun oben auf der Weltkugel thront. »Sie sollten wissen, mit wem Sie es zu tun bekommen« – steht da in großen Lettern. Genau darüber wird man aber nicht aufgeklärt. Die AMK ist nämlich ein WISE-Unternehmen, also Mitglied im »World Institute of Scientology Enterprises«, und führt Prozente seines Umsatzes an Scientology ab. Die Lehr- und Trainingsmethoden sind – wie Trainer Richter später auf Anfrage selbst zugibt – die von L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology. »Wir benutzen diese Techniken einfach, weil sie funktionieren und in der Praxis anwendbar sind«, erklärt Richter. Er selbst sei kein Scientologe. Und der Geschäftsführer von AMK, Martin Kolb? Der schon.
Dass angesichts des schlechten Images von Scientology die AMK nicht unbedingt mit diesem Etikett wirbt, ist eigentlich verständlich, wenn auch nicht unbedingt fair. Seit knapp sieben Jahren gibt es die Firma, rund 14.500 Menschen haben seither laut Richter an Kursen von AMK teilgenommen. Um ihre Chancen auf beruflichen Erfolg zu verbessern, sind sie bereit, viel Geld auszugeben. Zwei Tage Training »Erfolg durch Kommunikation« zum Beispiel sind für 890 Mark zu bekommen, Anfahrt, Essen, Übernachtung und Mehrwertsteuer nicht eingeschlossen. Ein Kompakt-Kursprogramm kostet schlappe 40.000 Mark, wer das komplette Angebot durchläuft, ist eine knappe halbe Million los. Auch zahlreiche Firmen buchen hier Kurse für ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
»Die ersten 3000 Mark fallen noch schwer«, sagt Kurt-Helmuth Eimuth, Weltanschauungsbeauftragter des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt, »danach, so berichten mir Betroffene, sind die Skrupel weg«. Und AMK hilft mit. Direkt nach einem Wochenendkurs werden die Schecks für die Folgekurse eingesammelt, die Euphorie ausgenutzt. Wer nicht gleich unterschreibt, handelt sich vorwurfsvolle Blicke ein – beweist er doch mangelnde Entschlusskraftt.
Dass das System funktioniert, liegt aber nicht an den Werbemethoden der AMK allein. »Wir waren begeistert von dem Seminar«, schreibt etwa eine Gruppe von Managern, »als wir dann erfuhren, dass Scientology dahintersteckt, waren wir natürlich entsetzt«. Warum wohl waren die Manager begeistert? Warum finden viele Menschen die Seminare der AMK so »toll«, dass sie im Überschwang gleich das Scheckbuch für den nächsten Kurs zücken? Mit Manipulation hat das wenig zu tun. Viel schlimmer: Scientology bietet über die AMK offenbar Themen an, die viele Menschen tatsächlich interessant finden.
»Management nach Statistiken« heißt etwa einer der Kurse – hier können Chefs lernen, die Effizienz ihrer Untergebenen besser zu kontrollieren. In einem anderen Kurs kann man »Lernbarrieren abbauen« – anschließend ist man in der Lage, mehrere Bücher an einem Tag zu lesen. Im Kurs »Erfolg durch Kommunikation« heißt eine Übung »Konfrontation«. Man lernt, das Gegenüber durch wahllose Vorwürfe aus der Ruhe zu bringen und dann, wenn eine Reaktion gezeigt wird, nachzubohren. Manager können bei der AMK neue Organisationsformen einüben. »Wir werden alle nach Leistung bezahlt«, erzählt mir Franz Richter. »Jede Woche gibt es einen Leistungscheck und dann wird die Höhe des Gehalts bestimmt«. Und was ist, frage ich nach, wenn mal jemand krank wird? Die Frage bringt ihn aus dem Konzept. Er sei jetzt seit zwei Jahren dabei, und eigentlich sei in dieser Zeit noch nie jemand krank geworden.
Effektives Unternehmensmanagement, dauernde Leistungskontrolle der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Krankenstand gleich Null – ein Paradies für Wirtschaftsbosse. AMK und Scientology bieten eine Ethik, die diesem System entspricht. »Das Problem«, sagt denn auch Kurt-Helmuth Eimuth, »ist eigentlich nicht Scientology, sondern dass das inhumane, auf Effektivität ausgerichtete Menschenbild von Scientology so gut mit dem Leistungsgedanken unserer Wirtschaft zusammenpasst«. Was könnte einer skrupellosen Leistungsgesellschaft besseres passieren, als eine Religion, die genau dies predigt? Wer im Beruf ständig Spitzenleistungen erbringen muss oder Angst vor Arbeitslosigkeit hat, ist leicht zu verführen, an Kursen von AMK, etwa zum Thema »Absichten durchsetzen und Kontrolle erreichen« teilzunehmen. Manipulation und Gehirnwäsche sind dazu gar nicht notwendig.
»Erfolgreich sein heißt, seine Ziele zu erreichen«, doziert Trainer Richter. Und er erklärt uns, wie das geht. Mehrmals wende ich ein, dass das größere Problem für mich eigentlich sei, zu entscheiden, welches Ziel ich mir setzen soll. Jedes Mal nickt er, lenkt aber gleich wieder von der Frage ab. Die Sinnfrage, das ist mir schnell klar, wird bei Scientology nicht gestellt. Dass es darum geht, mehr Macht, mehr Reichtum, mehr Erfolg zu haben, das wird vorausgesetzt. Am Ende wundert es mich kaum noch, dass Herr Richter gar nicht erst versucht, mir einen Kurs zu verkaufen. Vermutlich ist er froh, mich los zu sein. Hat doch mein »Persönlichkeitstest« eindeutig ergeben: Ich bin viel zu kritisch.
Dieser Artikel erschien 1997 im Evangelischen Pressedienst und in der Frankfurter Rundschau