Schwangerwerdenkönnen
in: Körper. Magazin Nr. 01, Schauspiel Köln, Sommer 2022
Wir beginnen unser Leben als Teil des Körpers einer anderen Person. Der Zellhaufen, aus dem womöglich ein Mensch entsteht, muss sich neun Monate lang von der Materie eines lebendigen Körpers nähren, bevor er geboren werden kann. Doch „der offenkundige Umstand, dass der Fötus, der jeder von uns einmal war, körperlich mit seiner Mutter verbunden ist und ohne sie nicht überleben kann, spielt kaum eine Rolle im Mainstream der philosophischen und naturwissenschaftlichen Debatten, die sich mit der Frage beschäftigen, was der Mensch ist“, wundert sich Siri Hustvedt in ihrem Essay „Die Illusion der Gewissheit“.
Vielleicht deshalb, weil die meisten Menschen, die in diesem „Mainstream der Debatten“ Gehör finden, selbst nicht schwanger werden können. Die Menschheit existiert ja in biologisch zwei Varianten. Und nur eine davon hat die Fähigkeit, schwanger zu werden. Der anderen fehlt das dazu notwendige Organ, der Uterus. Das ist keine Marginalie.
Heutige Geschlechterdiskurse nehmen vor allem die Uneindeutigkeiten von Geschlecht im Blick. Das ist auch verständlich ist, hat doch die traditionelle Sichtweise einen simplen Dualismus gepredigt, der nicht nur soziale Identitäten verkürzt darstellt, sondern auch die Biologie. Penis und Klitoris zum Beispiel sind letztlich dasselbe Organ, nur in unterschiedlichen Varianten. Auch bei Geschlechtschromosomen oder Hormonen gibt es mehr als „Entweder dies – oder das“, nämlich zahlreiche Zwischenformen.
Aber es gibt eine Ausnahme, die nicht in das Modell vom „Geschlecht als Spektrum“ hineinpasst. Die Gebärmutter ist in der Tat ein „binäres“ Organ. Man hat eine oder man hat keine, Eins oder Null. Es gibt dazu kein „männliches“ Pendant.
Die Tatsache, dass alle Menschen geboren werden müssen, aber nur die Hälfte von ihnen schwanger werden kann, zieht politischen Regelungsbedarf nach sich. Die Rechte und Pflichten von Schwangeren und Geborenen, ihre Beziehungen zueinander und die damit verbundenen sozialen Ordnungen lassen sich nicht „aus der Natur der Sache“ herleiten. Es steht Menschen frei, dies so zu organisieren, wie es ihnen gefällt.
Wir leben heute in einer Zeit, in der die klassische Lösung, das heteronormative Paar als alleiniges Lebensmodell der Reproduktion, von immer mehr Menschen abgelehnt wird. Das Patriarchat ließ sich ja im Kern auf die Formel bringen, dass Menschen, die selbst nicht schwanger werden können, die Schwangerschaften der anderen kontrollieren und reglementieren. Zu diesem Zweck wurden Neugeborene, von denen man aufgrund ihrer Genitalien annahm, dass sie später einmal schwanger werden können (womit man in über 98 Prozent der Fälle richtig lag), in eine besondere Kategorie namens „Frauen“ sortierte und ihnen die Rechte und Privilegien der normalen Menschen alias „Männer“ – in vielen Sprachen ist das dasselbe Wort – vorenthielt.
Damit einher ging die Abwertung und Unsichtbarmachung der mit einer Schwangerschaft verbundenen Care-Arbeit: Schon seit Aristoteles wurde das Schwangersein nicht als Bestandteil der menschlichen Kultur und Zivilisation betrachtet, sondern als Überbleibsel unserer tierischen Natur. Die schwangere Frau wurde als passiver Nährboden beschrieben, in den der Mann „seinen“ Samen hineinpflanzt – dasselbe Narrativ, das heute noch der kommerziellen Leihmutterschaft zugrunde liegt: Das, was in einem Uterus heranwächst, gehört nicht zu der betreffenden Person, sondern unterliegt der Verfügungsgewalt anderer.
Auch die Gleichberechtigung der Frauen hat das patriarchale Reproduktions-Narrativ nicht wesentlich verbessert. Emanzipierte Paare erzählen das Geschehen heute gerne als Fifty-Fifty-Teamwork: „Er zeugt das Kind, sie trägt es aus.“ Aber auch das ist biologisch falsch. Das männliche Ejakulat enthält kein Sperma, keinen Samen, sondern nur Samens-Bestandteile. Erst das Zusammenkommen von Spermium und Eizelle ergibt einen Embryo, also einen Keim, der genährt werden und wachsen kann.
Die reproduktive Differenz erzeugt eine Ungleichheit unter den Menschen, die keine Gleichstellungspolitik aufheben kann: Während die Zeugung ein gemeinschaftlicher Akt von zwei Menschen ist, kann die anschließende Schwangerschaft nur eine von beiden übernehmen, und zwar diejenige mit dem Uterus. Das Schwangerwerden kann man nicht „gerecht“ untereinander aufteilen wie das Badputzen oder das Einkaufen. Zumal eine Schwangerschaft eben auch nichts ist, was man passiv und untätig erleidet, sondern eine besondere Art von gemeinschaftlicher Existenz, die aktiv gestaltet und kultiviert werden muss. Die Philosophin Luce Irigaray hat sie als „Zwei in eins“ beschrieben, als eine Form der Beziehung, für die eigene moralische und ethische Kategorien entwickelt werden müssten.
Die patriarchale Tradition hat sich mit all dem jedoch nie beschäftigt und stattdessen alles, was mit dem Schwangerwerdenkönnen zusammenhängt, in spezielle „Frauenräume“ ausgegliedert, so als hätte die Menschheit insgesamt nichts damit zu tun. Lieber malte sie sich Welten aus, in denen Schwangerschaften nicht mehr vorkommen, wie Stanislaw Lem, der in seinem Science-Fiction Roman „Lokaltermin“ eine Kultur von „Entianern“ beschreibt, die von Vögeln abstammen und daher ordentlich saubere Eier legen. Niemand muss dort schwanger sein, und, Gott bewahre, kleine Kinder aus einem Loch im Unterleib herauspressen, das praktisch direkt neben dem Loch liegt, aus dem man kackt.
Auch Feministinnen träumten von der Abschaffung der leiblichem Gestation. Shulamith Firestone schlug 1970 in ihrem Buch „The Dialectic of Sex“ die maschinelle Auslagerung der Reproduktion als Weg zur Befreiung der Frauen vor. Auf dieselbe Idee setzen heute Betreiber von Reproduktionskliniken wie Albert Totschilowskyj, der Betreiber des größten Reproduktionszentrums der Ukraine BioTexCom. In Interviews sagt er die baldige Entwicklung von Inkubatoren voraus, was die fabrikmäßige Wunschkindproduktion sehr vereinfachen würde, weil man dafür keine lebendigen Leihmütter mehr bräuchte.
Tatsächlich sollte man die Reproduktionstechnologie nicht unterschätzen, sie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mit rasanter Geschwindigkeit entwickelt. Inzwischen kann man nicht nur Eizelle und Spermium „in vitro“ zu Embryonen verschmelzen, sondern auch männliches Sperma gezielt in einzelne Eizellen injizieren, was die Erfolgschancen bei niedriger Spermien-Fruchtbarkeit deutlich erhöht. Es ist auch möglich, das Genmaterial von Embryonen zu manipulieren oder Leichen noch drei Tage nach dem Tod fruchtbares Sperma zu entnehmen. Selbst Gebärmutter- oder Eierstocktransplantationen sind heutzutage möglich, an künstlich hergestellten Gebärmüttern wird intensiv geforscht.
Die erhofften Embryo-Inkubatoren hingegen sind noch nicht in Sicht. Mindestens 22 Wochen, besser 24 Wochen lang ist immer noch ein lebendiger Menschenkörper erforderlich, um einen Embryo zu lebensfähiger Reife zu bringen.
Gut möglich jedoch, dass sich das Ganze bald erübrigt, denn dem Feminismus sei Dank hat die patriarchale Ab- und Entwertung des Schwangerseins heute immer weniger Legitimität. Frauen haben sich schon immer dagegen gewehrt, ihr Geschlecht auf die Gebärfähigkeit reduziert zu sehen, heute wird außerdem klar, dass die direkte Verbindung von Geschlecht und Uterus auch umgekehrt keinen Sinn ergibt: Schwangerwerdenkönnen ist keine „Frauenangelegenheit“, sondern eine Menschheitsangelegenheit. Nicht nur, weil „auch Männer schwanger werden können“. Das ist zwar richtig, Männer können in Deutschland offiziell seit 2011 schwanger werden, seit nämlich das Bundesverfassungsgericht entschied, dass trans Personen sich nicht mehr sterilisieren lassen müssen, bevor sie in ihrem Geschlecht anerkannt werden können. Seither gibt es Männer mit Gebärmutter und in der Folge auch Männer, die schwanger werden.
Der eigentliche Grund, warum das Schwangerwerdenkönnen keine Frauen-, sondern Menschheitsangelegenheit ist, liegt aber darin, dass alle Menschen geboren werden. Die Schwangerschaften einiger ermöglichen die Existenz aller. Das Ende des Patriarchats bedeutet nicht, dass Frauen jetzt „auch“ Zugang zu Privilegien haben, die früher nur die Männer hatten, wie Geld, Macht und Formel Eins. Sondern es bedeutet, die Welt so einzurichten, dass alle Menschen darin gut leben können, auch Menschen mit Uterus. Und auch Menschen, die ihren Uterus benutzen.
Wenn Abtreibung nicht länger kriminalisiert wird, wenn die Sorge für die Kinder und die damit verbundene Care-Arbeit nicht mehr automatisch den Gebärenden zugewiesen wird, wenn sich die Gesellschaft als Ganze für das Wohlergehen von Kindern verantwortlich fühlt ohne daraus andererseits gleich wieder das Recht abzuleiten, die Freiheit von Schwangeren und Gebärenden einzuschränken, wenn es zum Beispiel genügend Kindergärten und Krabbelstuben gibt, wenn Erwachsene, die für Kinder sorgen, nicht von Wohlstand, Erwerbsarbeit, Mitbestimmung ausgeschlossen sind – dann ist das Schwangerwerdenkönnen kein ein Fluch mehr, der auf den Frauen lastet.
Sicher, da sind wir noch nicht, aber das Ziel steht vor Augen und erste Erfolge sind bereits errungen. In einer solchen Welt wäre das Schwangerwerdenkönnen als eine Fähigkeit anerkannt, die einen Beitrag zum Gemeinwohl leistet, der allgemein wertgeschätzt wird, auch von denen, die selbst nicht schwanger werden können oder wollen. Am Ende des Patriarchats ist die Kulturarbeit des Schwangerseins zentral, gefördert, diskutiert. Weil alle Menschen wissen, dass sie ohne die Schwangerschaft ihrer Mutter nicht auf der Welt wären.
Oder wie auch immer wir die Personen, die ihre Körper auf diese Weise zur Verfügung stellen, dann in Zukunft nennen möchten.