Die Bibel mit den Augen einer Frau befragen
Ein biografisches Interview mit Elisabeth Schüssler Fiorenza
Elisabeth Schüssler Fiorenza,katholische Neutestamentlerin, lebt seit Jahrzehnten in den USA. Bekannt wurde sie vor allem durch ihr Buch »In Memory of her« («Zu ihrem Gedächtnis«). Sie hat die feministische Theologie, gerade auch in Deutschland, geprägt wie kaum eine andere. Ein biografisches Interview
Ja, wenn Sie's so ansehen, können Sie sagen, es war alles Zufall. Dass ich Theologin geworden bin. Ich bin Schritt für Schritt so gegangen, wie ich glaubte, dass es richtig war und ich bin froh, dass es mit Theologie geendet hat.
Dass sie einmal Theologin werden würde, noch dazu eine, die in der ganzen Welt bekannt ist, war dem Bauernmädchen Elisabeth Schüssler nicht in die Wiege gelegt, das 1938 als Kind volksdeutscher Eltern in Rumänien zur Welt kam. Es sei ein »statistisches Wunder«, sagt Elisabeth Schüssler Fiorenza heute, dass aus ihr wurde, was sie ist: Eine der wichtigsten Autoritäten in der feministischen Theologie. Seit über drei Jahrzehnten lebt die Neutestamentlerin in den USA. Ihr 1983 erschienenes Hauptwerk »In Memory of her«, auf Deutsch: »Zu ihrem Gedächtnis« ist inzwischen ein Klassiker geworden. Darin hat sie nicht nur die Geschichte des Urchristentums aus der Sicht der Frauen neu geschrieben, sondern auch eine neue Methode der Bibelauslegung erfunden, die wegweisend für die gesamte theologische Frauenforschung wurde. In vielem hat Elisabeth Schüssler auf ihrem Lebensweg einfach Glück gehabt, aber das ist nicht alles. Schon als kleines Mädchen hatte sie den Willen, etwas Großes zu leisten.
Als ich in der 2. oder 3. Klasse war, da hat unser Lehrer eine Aufsatzsammlung mit den Kindern gemacht über das Thema: Wenn ich drei Wünsche hätte. Die meisten haben geschrieben, dass es keinen Krieg mehr gibt und viele von uns haben geschrieben, dass wir einmal Schokolade essen dürften, aber mein dritter Wunsch war, dass ich eines Tages Papst sein würde.
Der Wunsch, im Leben etwas Wichtiges und Bedeutendes zu tun, wurde im Lauf ihres Lebens durch mehrere glückliche Fügungen befördert. Nach dem Krieg war Elisabeth Schüssler mit ihren Eltern aus Rumänien nach Oberfranken geflüchtet. Dort landeten sie in einem Dorf, wo der katholische Pfarrer ihre Begeisterung für Bücher weckte und sie die Bibliothek nutzen ließ. Solchermaßen ermutigt machte Schüssler zunächst einmal Abitur, engagierte sich in der katholischen Jugendarbeit und fand ihren ersten Bürojob bei der Caritas. Doch das war ihr auf Dauer nicht genug. Also schrieb sie sich an der Würzburger Universität für das Studium der Theologie ein – gegen den Willen ihrer Eltern und selbst die Mahnungen des Bischofs in den Wind schlagend:
Der kannte mich schon als kleines Mädchen, und als ich dann die Erlaubnis oder die Bestätigung brauchte, Theologie zu studieren, bin ich zu ihm hin. Ich dachte, das wäre überhaupt keine Schwierigkeit. Aber dann hat er mir gesagt. Ach nein, Elisabeth, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Ich wusste nicht, warum, ich arbeitete fürs Jugendamt und ich hatte immer für die Kirche gearbeitet. Und dann hat er gesagt, ja, die Schwierigkeit ist, dass du zu genau die Wunden der Kirche siehst. Aber anstatt den Mantel der Liebe darüber zu decken, zeigst du mit dem Finger darauf. Ich habe ihn angeschaut, damals hat man noch zu Bischöfen Exzellenzen gesagt, und ich hab gesagt, Eure Exzellenz, wenn ich glaubte, dass die Patientin tot wäre, würde ich den Mantel der Liebe drüberdecken, aber so glaub ich, dass es immer noch Lebenschancen gibt.
Diese Meinung vertritt Elisabeth Schüssler Fiorenza bis heute. Auch als radikale Feministin bleibt sie stur Mitglied in der katholischen Kirche, während sie doch gleichzeitig schonungslos mit ihr ins Gericht geht. Mit der Stellung und dem Einfluss von Frauen in der Kirche beschäftigt sie sich schon seit ihrer Lizensiatsarbeit. Ihr Thema war damals die Mitarbeit der Frau in der Kirche, wobei sie die Frauen als Beispiel für die Laien generell nahm. Ihre Doktorarbeit schrieb sie dann über das Priestertum aller Gläubigen am Beispiel der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes. Mit solch kirchenkritischen Themen hätte es die junge Theologin in den sechziger Jahren an deutschen Fakultäten sicher schwer gehabt. Daher war es wohl ein weiterer glücklicher Zufall, dass sie sich nicht hier zu Lande, sondern in den USA auf Jobsuche machte, wo die universitäre Forschung sehr viel unabhängiger von kirchlicher Einflussnahme ist, als in Deutschland. Der eigentliche Grund war aber ihre Ehe mit dem US-amerikanischen Theologen Francis Fiorenza, den sie 1967 heiratete und der ihre wissenschaftlichen Ambitionen teilte.
Meine Bekannten haben mir immer gesagt, Elisabeth, wenn du heiraten willst, dann darfst du mit den Kollegen nicht so viel argumentieren. Und ich hab gesagt, ja, wer will denn schon heiraten, wenn du nicht argumentieren darfst. Wir haben uns aber getroffen und wir haben beide sehr viel Spaß an Theologie und sehr viel Spaß am Argumentieren, und von daher war das ganz klar, als wir geheiratet hatten. Francis hat klar gemacht, dass er keine Stelle annehmen würde, wenn ich nicht auch eine volle Stelle bekommen würde.
Das Abkommen funktionierte, und 1970 ging das Paar an die katholische Universität Notre Dame in Indiana. Auch als 1973 ihre Tochter geboren wurde, fiel Schüssler Fiorenza nicht in die »Familienfalle«.
Wir hatten ausgemacht, ich werde, solange ich schwanger bin, 100 Prozent übernehmen und er wird dann den Rest übernehmen. Das hat nicht ganz so geklappt, aber eigentlich hat Francis sich am Anfang viel mehr um unsere Tochter gekümmert, als ich. Ich war damals im Englischen noch nicht so sicher, weil ich Latein und Griechisch in der Schule hatte, aber kein Englisch, und daher hatte ich alle meine Lehrveranstaltungen quer durch die Woche, während er alles gebündelt hatte. Und so hatte er alle Veranstaltungen an zwei Tagen und den Rest war er dann zu Hause. Und ich war die ganze Woche über beschäftigt.
Dass Schüssler, die junge Nachwuchswissenschaftlerin an einer eher unbedeutenden Hochschule im mittleren Westen, bald schon eine führende Rolle in der feministisch-theologischen Bewegung einnahm, verdankt sie einem weiteren glücklichen Zufall. In der noch jungen Frauenbewegung wurden Anfang der siebziger Jahre zahlreiche Netzwerke gegründet, darunter auch der so genannte Women's Caucus, ein Frauennetzwerk innerhalb der Society of Biblical Literature, der amerikanischen Vereinigung der Bibelwissenschaftler. Doch die renommierteren Professorinnen zögerten zunächst, in einer solch dezidiert feministischen Gruppe führende Positionen zu übernehmen. Schließlich war damals noch nicht absehbar, wie sich das auf ihre Karriere auswirken würde. Und so wurde die unbekannte Elisabeth Schüssler Fiorenza bald Co-Chair, eine von zwei Vorsitzenden des Women’s Caucus. Dieses Amt öffnete ihr viele Türen, sie wurde zu Kongressen eingeladen und erweiterte ihren bis dahin noch sehr katholisch geprägten Horizont. Erst hier, in diesem Frauennetzwerk, sagt sie im Rückblick, sei sie wirklich zur Theologin geworden.
Im Zusammenhang all dieser Konferenzen hab‘ ich mich zum ersten Mal als Theologin verstehen gelernt. Ich meine, ich hatte meine ganze Theologie abgeschlossen und habe es so gesehen und verstanden, dass ich Theologie vermittle. Aber die großen Theologen, das waren Rahner, Bultmann usw. Erst im Zusammenhang mit der Frauenbewegung habe ich zum ersten Mal realisiert, dass ich wirklich Theologin bin, die etwas anderes zu sagen hat. Das war für mich sehr wichtig. Und das hat nicht die Universität fertig gebracht, sondern die Frauenbewegung.
Diese Erfahrung war der entscheidende Anstoß für Schüssler Fiorenza, nicht mehr nur Kommentare zu den Werken männlicher Theologen zu schreiben, sondern selber Theorie zu machen. Erst mit der Frauenbewegung hatte sie ihre Zielgruppe gefunden – und das Ergebnis dieser Begegnung war die Arbeit an »In Memory of Her« (Zu ihrem Gedächtnis).
Die Sache ist, Theologie für eine bestimmte Gruppe von Menschen zu machen, Fragen aufzunehmen, Fragen durchzudenken, die von bestimmten Menschen, das heißt Frauen, gestellt und artikuliert werden, und die bisher in der Theologie keine Beachtung gefunden haben. Oder auf gut amerikanisch, »to have your own people«. Zum Beispiel an der Arbeit zu »In Memory of her« war interessant, wie sich da mein Bewusstsein von der Frau im Christentum entwickelt hat. 1971 oder 1972 wurde ich von einem Verleger in Amerika gefragt, ob ich ein Buch über die Frau im Neuen Testament schreiben wollte. Ich hab zu ihm gesagt, nein, da habe ich kein Interesse daran, was darüber gesagt werden kann ist längst gesagt, und im Zusammenhang mitder Ordinationsfrage ist das alles längst ausdiskutiert, es ist langweilig, das interessierte mich nicht. Aber durch die Frauenbewegung hat sich die Frage dann total anders aufgerollt. Als die ersten Ansätze in Frauenstudien, besonders in Geschichte herauskamen, da hat mir das erlaubt, nicht über die Frau zu arbeiten, sondern zu fragen, wie denn die Frauen selbst in der frühen Christenheit diese Bewegung geprägt haben. Vom Objekt Frau zum Subjekt Frau zu kommen. Und das wäre nicht möglich gewesen ohne die Frauenbewegung.
Doch noch eine weitere Schranke war auf dem Weg zur Popularität zu überwinden, und auch hier hat Schüssler Fiorenza mit ihrem Buch eine Vorreiterrolle eingenommen: Es ist ihr nämlich gelungen, die Verbindung herzustellen zwischen der wissenschaftlichen Universitätstheologie auf der einen Seite, und der kirchlichen Frauenbewegung auf der anderen.
Als ich das Buch fertig machen wollte, hatte ich alle Materialien zusammen, aber das Ganze hat einfach nicht geklickt, es hat einfach nicht zusammengehängt. Ich habe damals immer nachts gearbeitet, und einmal mitten in der Nacht ging mir auf, dass das Problem war, dass ich nicht wirklich glaubte, das Buch würde jemand lesen. Ich dachte mir, Feministinnen würden wahrscheinlich sagen, mit all den Fußnoten und all dem akademischen drum und dran, ist das Männertheologie. Und umgekehrt würden meine Kollegen es nicht lesen, weil es feministische Theologie ist. Ich habe dann beschlossen, dass ich das für Frauen schreibe, die daran interessiert sind, und wenn's meine Kollegen auch lesen, dann lesen sie's. Aber dass ich es nicht in populärer Sprache schreiben würde, sondern in wissenschaftlicher Sprache, denn in den USA gibt's Millionen von Büchern über Frauen in der Bibel. Und der Erfolg von »Zu ihrem Gedächtnis« spricht dafür, dass sich meine Angst nicht bewahrheitet hat; es ist sehr viel von Frauen und Feministinnen gelesen worden.
«Zu ihrem Gedächtnis« ist ein wissenschaftlich fundiertes Werk, das gleichzeitig auch von Menschen verstanden werden kann, die keine akademische Ausbildung haben. Schüssler-Fiorenza hat damit die an den Universitäten gängige Auffassung widerlegt, komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge seien einem breiteren Publikum nicht vermittelbar: Sie sind es doch. Es kommt eben nur darauf an, dass sich die Wissenschaft mit Themen beschäftigt, die für die Welt und das Leben der Menschen von Bedeutung sind.
Auf das Buch »Zu Ihrem Gedächtnis« gab es viele Reaktionen, die ich lange Zeit nicht verstehen konnte. Frauen, die kein College besucht hatten, die vielleicht noch nicht einmal in der Oberschule gewesen waren, haben mir gesagt, dass sie das Buch gelesen hätten und dass es ihnen viel gesagt hätte, auch wenn sie es mit einem Wörterbuch gelesen hätten. Und sie waren ganz begeistert davon. Auf der anderen Seite habe ich Kolleginnen – nicht nur Kollegen, sondern auch Kolleginnen – getroffen, die mich zum Beispiel irgendwo vorgestellt haben und einen langen Vortrag darüber hielten, wie schwierig das Buch sei und dass sie sehr große Schwierigkeiten hätten, es zu verstehen mit all diesen schwierigen Wörtern usw. Das konnte ich mir nicht erklären, denn für sie hätte es doch einfach sein sollen. Ich meine, Leute, die theologisch ausgebildet sind, wissen, was Hermeneutik ist, die brauchen das nicht im Wörterbuch nachzusehen. Bis mir eines Tages klar wurde, dass die Frage nicht eine der theologischen Schwierigkeit ist, sondern, ob ich feministisch damit übereinstimme oder nicht. Denn die Leute, die die größte Schwierigkeit mit dem Buch haben, sind Leute, die kirchlich total identifiziert sind. Und für die ist es zu schwierig, diese kritischen Fragen zu stellen. Sie schalten dann ab und sagen, sie verstehen's nicht. Während Frauen, die immer schon diese Fragen haben, aber nicht wussten, ob sie die stellen dürfen oder nicht wussten, wie sie zu artikulieren seien, instinktiv dann Anschluss finden.
Schüsslers entscheidender Ansatzpunkt ist die Begründung einer feministischen Hermeneutik, einer Erkenntnislehre. Sie geht mit neuen Fragestellungen an die Bibel heran: Was kann ich aus dem Text über die Meinungen, Handlungen und Positionen der frühen Christinnen erfahren? Welche Fragen habe ich, eine Frau, überhaupt an diesen Text, warum ist er mir wichtig? Heute ist es völlig normal und auch wissenschaftlich akzeptiert, solche Fragen zu stellen, damals galten sie noch als Beleg für eine angeblich mangelnde Objektivität. Man dachte, »aus Frauensicht« an einen Text heranzugehen, bedeute, die Bibel mit den eigenen Vorurteilen zu verfälschen. Elisabeth Schüssler-Fiorenza hat jedoch deutlich gemacht, dass es eine vollkommen »objektive« Herangehensweise ohnehin nicht gibt, und dass jede Textauslegung die eigenen hermeneutischen Voraussetzungen offen legen, also über den eigenen Blickwinkel Rechenschaft ablegen muss. In ihrer Universitätslaufbahn brachte das Buch Schüssler-Fiorenza zusätzliche Anerkennung, wenn auch nicht alle Kollegen die Bedeutung von »In Memory of her« erkannten:
Ich hatte immer eine doppelte Persönlichkeit. Während der 70er Jahre hatte ich zwar feministische Beiträge veröffentlicht, aber kein Buch. Unter Feministinnen, unter Frauen war ich schon immer bekannt als feministische Theologin; aber unter meinen Kollegen war ich bekannt als Expertin für die Apokalypse. Das hat sich mit »In Memory of her« geändert, weil das Buch den Anspruch hat, auf beiden Ebenen zu wirken. Da ging es – glaub‘ ich – meinen Kollegen zum ersten Mal auf. Aber sogar noch 1987, als ich Präsidentin der ältesten biblischen Gesellschaft, Society of biblical Literature, war, hat mir eine Journalistin erzählt, dass sie die Leute, die da im Vorstand sitzen, gefragt hätte, ob ich als erste Frau Präsidentin wurde, weil »In Memory of Her« wirklich ein klassisches theologisches Buch sei. Und da hätten die sie alle angeschaut und gesagt, nein, wir haben sie gewählt, weil sie Expertin für die Apokalypse ist.
Elisabeth Schüssler Fiorenza wechselte an die Universität von Harvard, wo sie bis heute den Lehrstuhl für Neues Testament innehat. Es ist für sie der Schritt aus dem katholischen »Ghetto« heraus, wie sie selber sagt. Sie arbeitet nun mit Jüdinnen zusammen, mit Kolleginnen aus verschiedenen protestantischen Kirchen, aber auch mit Frauen, die sich vom Christentum wegen seiner patriarchalen Anteile getrennt haben, wie etwa die Postchristin Mary Daly. Sie trifft Matriarchatsforscherinnen, die sich auf die Suche nach alten Göttinnen-Kulten begeben oder Theologinnen, die jenseits der etablierten Strukturen eine eigene Frauenkirche gründen wollen. All diese Versuche findet Schüssler Fiorenza aufgrund der patriarchalen christlichen Geschichte durchaus nachvollziehbar, sie teilt sie aber selbst nicht:
Ich habe immer schon auf kirchlicher Ebene gearbeitet, und für mich war es wichtig zu realisieren, dass für mich Theologie eine positive Erfahrung war. Ich habe mich zum Beispiel mit Carol Christ – die ursprünglich protestantisch und jetzt eine führende Göttinnen-Theologin ist – viel darüber unterhalten. Es ist die andere Erfahrung. Zum Beispiel war für mich »Göttin« zu stark mit Weiblichkeit besetzt. Ich hatte das alles ja erfahren, Weihrauch und Kräuter und all das. Ich kann mich gut daran erinnern, als ich ein Kind war, da haben wir einen Maialtar gehabt, und das Sakrament war irgendwo hinten in der Ecke gestanden und das war alles. Eine Anthropologin, die da reingekommen wäre und das studiert hätte, hätte gesagt, das war ein Göttinnenkult, der sich da zusammengefunden hat. Und von daher liegt für mich viel an der anderen Erfahrung.
Zwischen denen, die den Frauen den Auszug aus der Kirche empfehlen – einen neuen Exodus gewissermaßen – und den anderen, die trotz aller Ärgernisse loyal zur Kirche stehen, versucht Schüssler-Fiorenza bis heute, zu vermitteln. Sie will zeigen, dass Frauen die patriarchalen, und, wie sie sie nennt, kyriarchalen, also auf Herrschaft aufbauenden Strukturen der Kirche radikal ablehnen können, und dennoch die eigenen christlichen Wurzeln nicht aufgeben müssen.
In meiner eigenen feministischen Theologie habe ich dann versucht, einen Mittelweg zwischen den Leuten zu finden, die das so wie Mary Daly sahen, und denen, die sagten, die Kirche ist unser zuhause und man kritisiert sie nicht. Theologisch habe ich versucht, in der Mitte stehend zu betonen, dass die Exodus-Bewegung darin Recht hat, dass sie die patriarchalen oder kyriarchalen Strukturen der Kirche scharf kritisiert, aber umgekehrt die Exodus-Bewegung nicht genügend in Betracht zieht, dass vielen Frauen – und das hab‘ ich von den afrikanisch-amerikanischen Frauen gelernt – Religion etwas bedeutet. Wenn man für Frauen Theologie machen will, kann man die nicht alle abschreiben und sagen, die haben alle ein falsches Bewusstsein und ich bin die einzige, die erleuchtet ist und das Richtige weiß. Von daher hab ich immer versucht, diesen Mittelweg zu suchen, und ich glaube, daher kommt mein Einfluss, daher kommt es, dass ich bekannt bin. Es ist nicht nur »In Memory of her«, sondern es ist eine Möglichkeit für Frauen, für die Religion aus irgendwelchem Grunde nicht nur unterdrückend gewirkt hat.
Es waren vor allem die afro-amerikanischen Frauen, die in den achtziger Jahren die radikale Kirchenkritik der weißen Feministinnen in Frage stellten. Sie wiesen darauf hin, dass das Christentum in ihrer Geschichte, etwa im Bezug auf den Widerstand gegen Rassendiskriminierung, durchaus auch positive Aspekte hatte. Der christliche Glaube hatte vielen von ihnen in den Bürgerrechtskämpfen Mut und Kraft gegeben, und sie hielten es für einen Ausdruck weißer Überheblichkeit, diese Erfahrungen einfach als unbedeutend abzustempeln. Elisabeth Schüssler-Fiorenza fand sich mit ihrer eigenen Lebensgeschichte in diesen Argumenten wieder.
Für mich vom Dorf kommend hat Religion Türen und Fenster geöffnet und war nicht negativ. Wenn ich nicht religiös so engagiert gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich keine Akademikerin geworden. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich, als ich jung war, Frisösin werden wollte, weil alle Leute damit Geld verdient haben. Und mein Pfarrer hat mir immer eine lange Predigt gehalten und gesagt, das Gleichnis von den Talenten auslegend, wenn man Talente hat, muss man die nutzen. Und deshalb bin ich nicht von der Schule abgegangen, sondern habe sie fertig gemacht. Diese Erfahrung von Religion haben viele Frauen gemacht, und besonders schwarze Frauen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass für sie Religion nicht nur etwas ist, das unterdrückend ist, sondern auch etwas, das Leben gibt und ernährend wirkt. Und ich habe versucht, das theologisch umzusetzen. Ich glaube, das Buch – nicht nur »In Memory of her« sondern auch meine anderen Sachen – ist für Frauen darum so wichtig. Selbst wenn sie diesen ganzen theologischen Apparat nicht haben, sie verstehen es einfach.
Doch die tiefe Überzeugung, dass die christliche Religion etwas Positives ist, dass Gott nicht frauenfeindlich ist und dass es sich lohnt, in der Kirche zu bleiben, heißt nicht, dass Schüssler-Fiorenza ihre Kirchenkritik mäßigen würde. Im Gegenteil: Die Herrschaftsstrukturen der katholischen Kirche prangert sie ohne Kompromisse an – so weit, dass sie Frauen auffordert, dieser Kirche den Dienst zu verweigern. Erst wenn sich die Kirche grundlegend verändert und erneuert hat, meint sie, hat sie es verdient, dass Frauen in ihr Ämter übernehmen. Diese Auffassung brachte sie immer wieder in Konflikt mit deutschen Katholikinnen, die sich für das Diakonat der Frau einsetzen. Schüssler-Fiorenza hält das für einen großen Fehler, schon seit ihrer Doktorarbeit in den sechziger Jahren übrigens:
Mir ging's nicht um die Ordination, mir ging's nicht um die Verklerikalisierung von Frauen, sondern mir ging's um die Kirche. Ich habe damals schon geschrieben, was meine Position immer war. Dass Frauen zuerst dafür kämpfen müssen, als Bischöfinnen ordiniert zu werden, bevor sie es sich leisten können, als Diakoninnen ordiniert zu werden, und ich bin davon immer noch überzeugt. In den USA ist es so, und ich glaube, auch in der Schweiz, in Deutschland, überall, dass die Hierarchie wirklich die Gemeinden fast nicht mehr versorgen kann oder umgekehrt, dass die Hierarchie die Gemeinden nur noch versorgen kann, weil viele Frauen und so genannte Laien für die Kirche arbeiten. Deshalb muss sich das System an irgendeinem Punkt ändern, es ist keine Frage, dass es sich ändern muss. Wenn Sie sich die deutsche Situation ansehen: Was tun die Frauen? Sie wollen die Diakonatsweihe für Frauen haben, das heißt, sie wollen Frauen wieder auf der untersten Stufe eingliedern. Das ist ja schon in der Gesellschaft der Fall, Frauen werden ja sozialisiert zum Dienen. Sie kämpfen um ein Amt, das die gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen festschreibt, und die kirchliche dazu.
Als Herausforderung der Zukunft sieht Elisabeth Schüssler-Fiorenza, ob es der feministischen Theologie gelingt, ihre Unabhängigkeit von der Kirche zu bewahren und in einer weiblichen Traditionsbildung verankert zu sein.
Worum ich mir Sorgen mache- und ich hab darauf keine Antwort – ist, dass feministische Theologie institutionalisiert und vereinnahmt wird. Und die Frage ist, das ist eine alte Frage für Feministinnen, dass immer wieder Frauen neue Sachen gedacht haben und das dann wieder der Vergessenheit anheim gegeben wird. Wenn ich auf meine Schulzeit zurück blicke, dann war ich genau wie diese jungen Frauen, ich wollte nichts mit der ersten Frauengeneration und diesen Blaustrümpfen zu tun haben. Abgesehen von den vielen theoretischen Sachen, die gemacht werden müssen; für mich stellt sich wirklich die Frage, wie feministische Traditionsbildung vor sich gehen kann. Ich weiß es nicht, und das ist das Problem, das mich derzeit sehr beschäftigt.
Doch allzu pessimistisch muss man nicht sein. Unter den deutschen Wissenschaftlerinnen gilt Schüssler-Fiorenza zum Beispiel heute unbestritten als Autorität und Vorbild. Vielen männlichen Theologen ist feministische Hermeneutik zwar noch immer ein Rätsel, aber das ist zunehmend deren Problem. Die Theologinnen haben von Schüssler-Fiorenza gelernt und gehen ihren Weg, und »Zu ihrem Gedächtnis« ist heute im Theologiestudium Pflichtlektüre. Es sieht also gar nicht so schlecht aus für die weibliche Traditionsbildung, auch wenn es nun mal zum Wesen einer Pflichtlektüre gehört, dass sie bei den Studentinnen auch Unlust erzeugt.
(Diese Sendung lief am 10. Dezember 2000 im Hessischen Rundfunk /hr2)