Religiöse Feste in Salvador de Bahia
Jedes Jahr zum Karneval, wird Salvador de Bahia, Küstenstadt im Norden Brasiliens, fünf Tage lang zu einem riesigen Festplatz. Zwei Millionen Touristinnen und Touristen, viele davon aus Europa, teilen die ausgelassene »Folia«, den »Irrsinn« der einheimischen Bevölkerung. Was viele nicht wissen: Mit dieser Riesenfete geht in Salvador jedes Jahr ein ganzer Zyklus von großen religiösen Festen zu Ende: Glauben und Feiern gehört hier noch ganz eng zusammen.
Selma Conceição Santos hat einen vollen Terminkalender. Die resolute vierzigjährige herrscht über ein transportables Kleinunternehmen, das aus einem Holzkohlegrill, vier Plastiktischen, zwölf zusammenklappbaren Stühlen und einem Ghettoblaster besteht. Mit dieser flexiblen Imbissbude verdient Dona Selma den Lebensunterhalt für sich, ihre acht Kinder und zwei Enkelkinder. Ihr Haupteinsatzgebiet: Religiöse Feste. Denn bei kilometerlangen Prozessionen in der grellen Sommerhitze von Salvador will auch für das leibliche Wohl der Gläubigen gesorgt sein.
«Salvador hat für jeden Tag des Jahres einen Heiligen«, weiß der Volksmund, nur wenig übertreibend, »und jeder Heilige hat sein Fest«. Wenn dann mit dem Aschermittwoch die (festlose) Passionszeit beginnt, hat Dona Selma ihre Imbissbude bei über dreißig Festen aufgebaut, zu Ehren der Heiligen Barbara, des Heiligen Lazarus, des Herrn Jesus Christus höchstpersönlich und zu Ehren der Muttergottes in all den vielfältigen Erscheinungen, in denen »Nossa Senhora« in Brasilien verehrt wird.
Den katholischen Kirchenoberen wird bei der enthusiastischen Hingabe ihrer Schäflein zuweilen etwas mulmig. Beim Fest zu Ehren von »Nossa Senhora da Conceição da Praia« (in etwa: Maria der unbefleckten Empfängnis vom Strand), der Schutzheiligen von Salvador, das seit 1707 immer am 9. Dezember gefeiert wird, kam es in diesem Jahr zum Eklat: Padre Osmar Ribeiro ließ seine Kirche kurzerhand schließen und das Fest beenden, als die Sambaklänge der mobilen Bands draußen die Gebete und Choräle drinnen allzu sehr übertönten. Auch der steigende Alkoholpegel in den Reihen der Pilger, die an sonnigen Tagen – zur großen Freude von Dona Selma – die Hitze mit massenweise Dosenbier bekämpfen, ist ein Problem für diejenigen, die mit eher kontemplativen Anliegen gekommen sind.
Doch nicht nur der profane Charakter der allgemeinen Fete am Rande ihrer Heiligenfeiern ist den kirchlichen Veranstaltern ein Dorn im Auge. Noch schlimmer ist, dass sie auch an der Rechtgläubigkeit vieler Teilnehmenden zweifeln. Denn in Salvador, wo 80 Prozent der Bevölkerung Nachkommen ehemaliger Sklaven und Sklavinnen sind, haben sich afrikanische Naturreligionen ausgesprochen lebendig erhalten. In den Jahrhunderten ihrer Zwangskatholisierung haben wurden die alten afrikanischen Götter, die Orixás, heimlich weiter verehrt – gut getarnt in Gestalt von katholischen Heiligen, denn dagegen konnte ja niemand etwas einwenden.
Heute ist die Religion der Orixás, der Candomblé, nicht mehr verboten, sondern wird zunehmend zum Zeichen eines neuen afrobrasilianischen Selbstbewusstseins und sogar zur Touristenattraktion. Doch die alten Gewohnheiten haben sich erhalten. Wenn am 4. Dezember das Fest der Heiligen Barbara gefeiert wird (die, so die Legende, nach ihrem Übertritt zum Christentum vom eigenen Vater getötet wurde, den daraufhin der Blitz erschlug), dann wissen die Gläubigen, dass Barbara in Wirklichkeit Yansã ist, die streitbare Gewittergöttin. Und wenn der Heilige Lazarus (der von den Toten auferweckte) verehrt wird, dann verstreuen sie massenweise Popcorn in der Kirche, denn das ist die Lieblingsspeise von Omolu, dem Gott der ansteckenden Krankheiten.
Höhepunkt dieses christlich-afrikanischen Mischmaschs ist jedes Jahr im Januar die »Lavagem do Bonfim«, das Fest, bei dem Hunderte von »Baianas« in ihren weißen, rituellen Candomblé-Kleidern die berühmteste Kirche Salvadors mit parfümiertem Wasser waschen und mit Blumen schmücken – von draußen. Denn die Kirchentür bleibt schon seit Jahren an jenem Tage fest verrammelt. Zu offensichtlich ist, dass die Verehrung hier nicht so sehr dem auferstandenen Christus gilt, dem die Kirche geweiht ist, sondern Oxalá, dem obersten Gott im afrikanischen Pantheon. Doch was die einen für unerträgliche Religionsvermischung halten, ist für die anderen reine Ökumene. »Natürlich ist Oxalá nicht Jesus Christus«, betont Alice de Oxossi, Leiterin einer Candomblé-Gemeinde und gleichzeitig bekennende Katholikin, »ich verehre sie aber alle beide«.
Und schon schreitet das Volk, von theologischen Bedenken unbeeindruckt, zum nächsten Fest. Hunderttausende pilgernseit 1924 jedes Jahr Anfang Februar an die Strände der Stadt, um Iemanjá, der Meeresgöttin, parfümierte Blumen und Schmuck zu opfern – und sich anschließend bei Dona Selma mit Fleischspießen und Bier zu versorgen. An der Bretterwand hinter dem improvisierten Tresen prangt ein wunderschönes Marien-Kitschbild. Was das auf einem Fest für Iemanjá zu suchen hat? Dumme Frage: Schließlich ist Iemanjá doch die Mutter aller Orixás, aller Götter. Und welche Dekoration würde da besser passen, als ein Bild der Muttergottes?
** Festkalender: **
Prozession für die Heilige Barbara (parallelisiert mit der afrikanischen Göttin Yansã), Kirche Rosario dos Pretos (Pelourinho), immer am 4. Dezember Organisiert von den Feuerwehrleuten, deren Schutzheilige Barbara ist. Wird seit ca. Mitte des 19. Jahrhunderts gefeiert.
Prozession Nossa Senhora da Conceição da Praia (Comercio, am Fuss des Lacerda-Aufzugs) zu Ehren der Stadtpatronin von Salvador, , am 8. Dezember,Tradition seit 1707. Offizieller Feiertag in der Stadt.
13. Dezember – Festder Heiligen Lucia vor der gleichnamigen Kirche / Verehrung von Oxum.
Fest Bom Jesus dos Navegantes (der gute Jesus der Seefahrer), Schiffsprozession mit Christusstatue mit zahlreichen Booten vom Mercado Modelo bis zur Kirche von Boa Viagem am 1. Januar. Dort Volksfest schon seit der Silvesternacht. Auch die Fischer im Stadtteil Itapuã veranstalten an diesem Tag eine Schiffsprozession. Tradition wurde 1750 in Portugal begründet.
Anfang Januar – Ritual für Oxum, afrikanische Göttin der Süßwasser, am Dique do Tororó, organisiert von den Candomblés im Stadtteil Engenho Velho de Brotas. Seit 1950, initiiert von Joaquim Pestana Miranda, heute organisiert von seiner Frau, Elisa Miranda.
6. Januar – Dreikönigsfest (Festada Lapinha).
Lavagem do Bonfim (Waschung der Bonfimkirche durch 500 »Baianas«). Das berühmteste religiöse Fest im Kalender von Salvador wird schon seit 1754, als die Kirche eingeweiht wurde, gefeiert. Immer am 2. Donnerstag im Januar. Damals sollten die Sklavinnen und Sklaven die Kirche saubermachen. Inzwischen ist die Kirche an diesem Tag geschlossen, weil hier dem vor allem Oxalá verehrt wird, der wichtigste der afrikanischen Götter des Candomblé, parallelisiert mit dem Schöpfergott oder dem auferstandenen Christus. Zuvor gibt es eine acht Kilometer lange Prozession vom Comercio bis zur Bonfimkirche, die ganze Strecke wird an diesem Tag zum Volksfestes.
Fest für den Heiligen Lazarus oder Omolu, afrikanischer Gott der ansteckenden Krankheiten und ihrer Heilung. Prozession vom Candomblé Terreiro Gantois bis zur Lazarus-Kirche und wieder zurück. Immer am letzten Sonntag im Januar.
Fest für Iemanjá , afrikanische Meeresgötting Stadtteil Rio Vermelho, seit etwa 1924, immer am 2. Februar. Wurde eingeführt von den Frauen der Fischer, die bei einem Gewitter der afrikanischen Meeresgöttin Opfer brachten, damit ihre Männer heil heimkommen. Sie kamen und auch noch mit einem guten Fang. Seither wird das Fest alljährlich von den Fischern organisiert. Bis in die dreißiger Jahre hinein ließen sie jeweils morgens auch noch eine Messe in der benachbarten Kirche lesen, was sie aber einstellten, als der Priester in der Predigt gegen die »heidnische« Verehrung von Iemanjá wetterte. Die Geschenke für Iemanjá sind vor allem Blumen, aber auch Schmuck und Parfüm.
Waschung der Kirche im Stadtteil Itapuã / Verehrung von Oxum, afrikanische Göttin der Seen und Flüsse. Immer 15 Tage vor Karneval.
Fest für den Heiligen Lazarus und Waschung der Lazaruskirche (Stadtteil Federção) am 28. Februar, mit Popcorn-Bad für die Volksmenge (Parallelisierung mit Omolu, afrikanischer Gott der ansteckenden Krankheiten).