Silvana Koch-Mehrin. Schwestern – Streitschrift für einen neuen Feminismus. Econ, Berlin 2007, 18 Euro.
So ein Feminismus reicht nicht!
Bekenntnisse für und gegen den Feminismus sind neuerdings en vogue. Als Reaktion auf Eva Hermans Anti-Emanzipations-Streitschrift »Das Eva-Prinzip« hat nun die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin eine nicht minder flammende Streitschrift für den Feminismus vorgelegt. Leicht lesbar streitet sie hier – mit den einschlägig bekannten Argumenten – gegen den deutschen Müttermythos und die verbreitet Vorstellung, nur Mütter seien geeignete Betreuerinnen ihrer kleinen Kinder. So weit so richtig, außergewöhnlich vielleicht nur, dass eine maßgebliche Politikerin – Koch-Mehrin leitet die deutsche FDP-Delegation im Europaparlament – sich so deutlich zum »F-Wort« bekennt.
Ihre Forderungen sind klar: Vor allem will sie einen raschen Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten auch unter drei Jahren, orientiert an den entsprechenden Erfahrungen anderer europäischer Länder wie Schweden oder Frankreich. Sie will eine Frauenquote in allen politischen Gremien – mit dem Argument, dass Proporzdenken in der Zusammensetzung solcher Kreise in der Politik schließlich auch in anderen Belangen gang und gäbe sei. Schließlich fordert sie Frauen auf, selbstbewusster für ihre Rechte einzutreten, sich aktiver um Posten, höheres Gehalt und dergleichen zu bemühen, Ansprüche zu stellen und sich nicht von Hindernissen vorschnell entmutigen zu lassen. Glasklar entlarvt sie dabei auch die gegenwärtige Hinwendung zu genetischen oder neurobiologischen Zementierungen eines angeblich »natürlichen« Geschlechterunterschieds als rückwärtsgewandte Illusionen. Anschaulich wird das Ganze mit Geschichten aus ihrer eigenen Erfahrung als zweifache Mutter und aufstiegsorientierte Berufstätige mit internationaler Erfahrung belegt.
All das ist natürlich vollkommen richtig. Und es überrascht auch nicht, dass Koch-Mehrin als FDP-Politikerin ihre Position vor allem mit den heutigen Erfordernissen einer globalisierten Wirtschaft mit hohem Effizienzstreben und Flexibilitätsanspruch begründet: Deutschland, so ihre Warnung, gerät ins wirtschaftliche Abseits, wenn die Qualifikationen von Frauen nicht genutzt werden.
Nachdenklich macht nur, wie das Szenario des freien und gleichberechtigten Frauenlebens aussieht, das sie entwirft: Morgens um 7 mit dem Flieger von Brüssel nach Berlin, nachmittags wieder rechtzeitig zu Hause, um die Kinder vom Kindergarten abzuholen, und das dadurch ausgefallene Arbeitspensum am heimischen Laptop nacharbeiten, wenn die Kleinen im Bett sind. Auch ein bisschen Zeit für sich selbst soll die moderne Frau sich gönnen, »und wenn es nur 15 Minuten sind«. Selbstredend hält Koch-Mehrin sechs Stunden Schlaf für ausreichend. Natürlich lässt sich so ein Leben organisieren – wenn jemand eine sehr robuste Konstitution hat, nicht zwischendurch rumtrödelt, effizient organisiert ist, und wenn die nötige Kinderbetreuung zur Verfügung stünde, ebenso wie ein gleichermaßen engagierter Mann.
Die Männer zur Verantwortung zu ziehen und die Kinderbetreuung ausbauen, das ließe sich vielleicht politisch bewerkstelligen. Aber selbst dann stelle ich mir so ein Leben wie permanenten Hochleistungssport vor. Was sind schon 15 Minuten Zeit für sich selbst? Da dauert es ja drei Monate, bis man einen einzigen Roman gelesen hat! Und ich zumindest brauche täglich acht Stunden Schlaf. Und in der Tat möchte ich sogar hin und wieder ganz geruhsam einen Apfelkuchen backen. Bin ich deshalb schon dem Müttermythos verfallen? Auch wenn ich gar keine Kinder habe?
Silvana Koch-Mehrin betont, dass es ihr um die Freiheit der Frauen geht. Andererseits sagt sie aber, dass Frauen, die sich einen solchen Stress, wie ihn das heutige Wirtschaftsleben seinen Arbeitskräften abverlangt, nicht antun mögen, und die sich daher (zugegebenermaßen oft recht blauäugig und ohne sich die beruflichen und wirtschaftlichen Folgen so richtig klar vor Augen zu führen), auf eine Mutterschafts-Auszeit inklusive Teilzeit zurückziehen, selbst Schuld sind, wenn sie dann die Folgen tragen müssen. Sie sollen nicht jammern, wenn sie später ohne Geld da stehen und ihre Qualifikationen nichts mehr wert sind. Sie hätten es ja frei gewählt.
Hier äußert sich ein sehr verkürztes Verständnis von Freiheit (und da ist Koch-Mehrin symptomatisch für ihre Partei): Die Freiheit zwischen vorgegebenen Möglichkeiten zu wählen. Klar: Wenn die Alternative ist, sich durch Kinderzeiten und Teilzeit ins berufliche Aus zu manövrieren oder aber voll durchzustarten, erfolgreich und reich zu werden, ist diese zweite Variante definitiv vorzuziehen. Aber wäre es nicht auch denkbar, dass die weibliche Unlust, sich so mit Haut und Haaren auf den Erwerbsarbeitsmarkt zu stürzen, eine wichtige und ernst zu nehmende Kritik an dieser Art des Arbeitens ist? Eine, der politisch Gehör zu verschaffen wäre? Weil weibliche Freiheit sich nicht damit zufrieden gibt, aus Vorhandenem das Beste auszuwählen, sondern auch Neues zu erfinden? Wie wäre es etwa mit einer Gesellschaft, in der beruflicher Erfolg und monetäres Einkommen auch dann zu haben sind, wenn man sich etwas mehr Zeit gönnt – nicht nur für die Kinder, sondern auch für sich selbst, für Freizeit, Kultur, Freundschaften oder einfach nur Rumtrödeln?
Wie wenig tragfähig Koch-Mehrins Vorstellung von Freiheit ist, wird schließlich deutlich, wenn sie sich über das muslimische Kopftuch ereifert. »Verhüllte Frauen sind für freiheitlich gesinnte Bürgerinnen und Bürger ein provokanter Anblick, verletzend für jedes emanzipierte Auge.« Unverhüllter, pardon, kann man in der Tat nicht ausdrücken, dass nur die Freiheit gemeint ist, sich an gegebene Verhältnisse zu assimilieren. Die Kopftuch-Episode ist nur eine Randbemerkung in Koch-Mehrins Buch. Aber sie bringt auf den Punkt, was sie unter der Freiheit der Frauen versteht: die fraglose Anpassung an die Regeln der Marktwirtschaft.
Zu Recht weist sie nach, dass die ökonomischen Rahmenbedingungen sich in den letzten Jahrzehnten verändert haben und dass altmännertümelndes patriarchalisches Getue heute nicht mehr zeitgemäß ist. Statt die Freiheit der Frauen aber nun in einem umfassenden Sinne zu befördern, schlägt sie lediglich vor, ihnen auch zu ermöglichen, im Sinne dieser neuen Logik zu funktionieren. Um es mit den Frauen des Mailänder Frauenbuchladens zu sagen: »So ein Feminismus reicht uns nicht.« (1)
(1) So der Titel der aktuellen Ausgabe der Zeitung »Via Dogana«, April 2007.