Antje Schrupp im Netz

Das Fremde beschreiben

Neue Bücher über andere Kulturen

Über sämtliche Kanäle kommen sie zu uns: Indianerinnen des südamerikanischen Dschungels, stolze Krieger der afrikanischen Wüsten, wilde Mongolen aus sibirischen Weiten. Die Kamera hält drauf, aber was davon zu halten ist, muss man sich selbst denken. Im Fernsehen wird das Fremde nicht beschrieben, sondern nur gezeigt – zum Verstehen reicht das nicht.

»Meine Feder erlaubt mir nicht, eine Beschreibung zu geben von den vielen unsittlichen Gebräuchen, welche den Leuten ganz natürlich erscheinen; ich kann nur sagen, dass die Keuschheit einer Frau hier nicht den geringsten Wert hat, und dass, was Ehen und Nachkommenschaft anbelangt, so sonderbare Gesetze herrschen, wie gewiss nirgends auf der Welt« – Ida Pfeiffer, Forschungsreisende und Abenteuerin, hielt sich mit ihrem Urteil über fremde Kulturen nicht zurück. Damals, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, war der Maßstab für die Beurteilung des Fremden noch klar: das Eigene. Fünf große Reisen unternahm die Österreicherin, sie führten sie in den Nahen Osten, nach Island und Skandinavien, nach Madagaskar und zweimal sogar rund um die Welt. Ida Pfeiffer findet blumige, drastische Worte, ihre Reiseberichte sind zwar alles andere als politisch korrekt, aber sehr anschaulich und höchst amüsant zu lesen.

Auch heute brechen Frauen in ferne Länder auf und bringen anschließend ihre Eindrücke zu Papier. Doch wo Ida Pfeiffer noch unbekümmert Vergleiche anstellt und Urteile fällt, ist bei ihnen der Maßstab oft unklar. So balancieren sie auf einem schmalen Grat zwischen romantischer Verklärung des Fremden und einem erneuten, wenn auch unbeabsichtigten Rückfall in alte Klischees. Nur wenigen gelingt dieser Balanceakt, so wie Antje Olowaili, die ein Jahr lang bei dem panamaischen Inselvolk der Kuna Yala gelebt hat. Wer den alten Maßstab der westeuropäischen Überlegenheit aufgibt, braucht einen neuen – Olowaili hat ihn in der eigenen Lebenserfahrung gefunden. Sie erzählt nicht nur, sie urteilt auch, und zwar explizit, nicht einfach unter der Hand. Das hebt ihre Schilderung aus der Flut aktueller Reiseliteratur heraus.

Etwa zur selben Zeit, als Ida Pfeiffer die Welt erkundete, kam auch eine andere exotische Lektüre in europäische Haushalte: die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Diese Sammlung von Erzählungen, die auf indische, persische und arabische Einflüsse zurück geht, galt als Tür zum Orient – allerdings wurden die höchst erotischen und von westlichen Moralvorstellungen ganz unbeeindruckten Originalgeschichten meist »europäisiert«. Die Übersetzungen glätteten anstößige Passagen und präsentierten die Geschichten als Kindermärchen, sodass ihr ursprünglicher Charakter sehr verfälscht wurde. Die neue, historisch kritische und sehr gelungene Übersetzung von Claudia Ott kommt deshalb genau richtig in einer Zeit, in der der Dialog mit dem Islam wieder an Bedeutung gewinnt.

Ebenfalls der Begegnung mit dem Islam widmet sich Monica Ali mit ihrem Roman, der im Milieu bengalischer Einwanderer in London spielt. Das Fremde ist hier der Westen, jedenfalls für die Hauptfigur, eine junge Muslimin aus Bangladesh. Ihre Gedanken sind für die deutsche Leserin ebenfalls fremd, und gleichzeitig doch auch sehr vertraut. Denn das weiß sie aus eigener Erfahrung: Die Träume einer Frau sind immer fremd in einer Welt, in der sich nicht nur der Blick einer bestimmten Kultur, sondern vor allem der männliche Blick zum Maßstab aller Dinge gemacht hat.

  • Gabriele Habinger: Ida Pfeiffer. Eine Forschungsreisende des Biedermeier. Milena-Verlag, Wien 2004, 17,90 Euro

  • Antje Olowaili: Schwester der Sonne. Ein Jahr in Kuna Yala. Ulrike Helmer-Verlag, Königstein 2004, 20 Euro

  • Tausendundeine Nacht. Neuübersetzung der ältesten arabischen Fassung von Claudia Ott. Verlag C.H. Beck, München 2004, 29,90 Euro

  • Monica Ali: Brick Lane. Roman, Droemer, München 2004, 19,90 Euro.


Frauen Unterwegs, Juli/August 2004