An der Quote hängt die Freiheit nicht!
Ein immer noch aktueller Kommentar zum EU-Quotenurteil
»Frauen und Männer müssen gleich sein« lässt die italienische Cartoonistin Pat Carra eine ihrer Comik-Figuren sagen, die beim gemütlichen Plausch mit einer Freundin auf dem Sofa sitzt. Die fragt zurück: »Gleich den Männern oder gleich den Frauen?« Gute Frage. Die Sache mit der Gleichheit der Geschlechter ist komplizierter, als sich die Mütter des Grundgesetzes wohl gedacht haben, sonst hätten sie sich ihrerzeit vielleicht nicht so vehement dafür eingesetzt, den Artikel »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« hineinzuschreiben. Jetzt haben wir den Schlamassel. Was noch vor wenigen Jahrzehnten als Riesen-Fortschritt für die Frauenbewegung daherkam, wird uns nun von den offenbar gewiefteren Männern erbarmungslos als Stolperstein zwischen die Füße geworfen.
»Männer und Frauen sind gleich«, zitierten triumphierend die Herren Richter des Europäischen Gerichtshofes, deshalb dürfen Frauen nicht von Rechts wegen bevorzugt werden – und liegt die Frauenquote auch bei Null Prozent, wie das im Bremer Gartenbauamt auf Abteilungsleiterebene der Fall war. Der Herr Kalanke, der sich 1990 schon so sicher auf dem ersehnten Posten als Sachgebietsleiter für »Planung von Grünanlagen« gesehen hatte und dem dann eine gleichqualifizierte Frau vorgezogen worden war, hat nun schwarz auf weiß, daß er damals zu Recht beleidigt reagierte. Und mit ihm erleichtert aufatmen werden all die Männer, die durch die Einführung von Quotenregelungen um ihre Karriere fürchteten: Wenn schon Frauenförderung, dann darf, bitte schön, eine Härtefallregelung für die armen, gebeutelten Männer nicht fehlen.
Na, gut. Das Luxemburger Urteil wird langfristig trotzdem keine großen Auswirkungen haben. Manche Frauenfördergesetze müssen zwar umgeschrieben werden, aber das Konzept der Quotierung an sich ist nicht in Gefahr: Wenn sogar Bundeskanzler Helmut Kohl sich für die Quote ins Zeug legt, dann zeigt das – wenn er sich auch diesmal beim CDU-Parteitag noch nicht durchsetzen konnte – wie weit diese Art der Frauenförderung inzwischen gesellschaftlich akzeptiert ist. Der Staat, die Parteien, die Kirchen und die Gewerkschaften haben längst eingesehen, daß sie nur in ihrem eigenen Interesse handeln, wenn sie den Frauenanteil in ihren Führungsetagen nicht weiterhin bei wenigen Prozent dümpeln lassen. Und sie wissen genau, daß sie dafür klare Richtlinien brauchen, weil die Männer nicht freiwillig auf ihre Pöstchenschieberei unter Kumpels verzichten. Auch wenn es immer noch Kalankes gibt, die das nicht einsehen wollen.
Netterweise finden sich Frauen, die den Institutionen bei diesem mühsamen Umlernen behilflich sind. Der Job einer Frauenbeauftragten ist ja wahrlich kein Zuckerschlecken. Ständig langweilige Gremiensitzungen, der alltägliche Kampf gegen die kleinen Sabotageakte der Kollegen, das unermüdliche Vortragen der immer wieder gleichen Argumente – und all das ist noch nicht mal dem persönlichen Fortkommen dienlich. Und am Ende bleibt auch noch das Lob der anderen Frauen aus: Leidige Kompromisse, die unumgängliche Kooperation mit den Männern und der mühsame Weg der kleinen Schritte lassen sich an der Basis nur schwer verkaufen.
Viele Frauen, vor allem jüngere, sehen in den Frauenbeauftragen inzwischen eher Repräsentantinnen der jeweiligen Institution, als Vorkämpferinnen für feministische Anliegen. Fast flehentlich forderte die Frauenbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Sigrid Häfner, auf einer Tagung der Frauenkonferenz der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE) in Gelnhausen kürzlich das Lob der Kirchenfrauen ein: Nach zwei Jahren Überzeugungsarbeit sei es ihr endlich gelungen, die Männer in der Kirchenverwaltung zu einer Supervision zum Thema Geschlechterverhältnis zu überreden. Na gut, die Frauen applaudierten, schön, daß sie das macht. Mit Begeisterung und Visionen hat das aber nichts zu tun.
Die Frauen sind längst auf dem Weg zu neuen Ufern. Sie haben ganz andere Fragen: Was will ich eigentlich selber? Ist es wirklich erstrebenswert, den Marsch durch die Institutionen zu machen? Oder suche ich mir eine Nische außerhalb? Will ich überhaupt einen stressigen zwölf-Stunden-Tag als Managerin oder reicht mir der ruhige Verwaltungsjob? Oder will ich gar zuhause bleiben, Kinder erziehen und für mich allein kreativ sein? Dieses gewandelte Selbstbild stellt gerade auch die Angebote der Erwachsenenbildung auf den Prüfstand: Die Chancen der Frauen, das Gleiche zu tun wie die Männer, waren noch nie so gut, wie heute. Viele jüngere Frauen können die Aufregung der alten Kämpferinnen gar nicht mehr verstehen. Eine platte und ungeschminkte Benachteiligung, wie sie vor wenigen Jahrzehnten noch gang und gäbe war, haben sie nie erlebt. Und trotzdem fühlen sie sich fremd, stellt sie das Erreichte nicht zufrieden, fühlen sie sich nicht »gleich«. Und zwar nicht nur, weil es mit der Gleichberechtigung im Alltag zuweilen noch hapert – das auch – sondern vor allem, weil das doch nicht alles gewesen sein kann.
Die italienische Philosophin Chiara Zamboni, die zusammen mit Luisa Muraro in Verona die Philosophinnengruppe »Diotima« gegründet hat, stellte als Repräsentantin des sogenannten »Differenzfeminismus« bei der DEAE-Tagung in Gelnhausen ihren Ansatz vor. Nachdem die Anregungen aus Italien in Deutschland lange Zeit nur auf Unverständnis und Kritik stießen, werden sie heute immer häufiger zu Rate gezogen. Denn dem Gleichheitsfeminismus fehlt in der Tat etwas Entscheidendes: Der Kampf gegen die Frauendiskriminierung in einer männlich geprägten Kultur führt über das Abarbeiten an den Normen und Lebenswelten der Männer nicht hinaus. Der Mann steht weiter im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Gegen ihn muß frau sich behaupten, an seine Maßstäbe muß sie sich anpassen – oder sich von ihnen abgrenzen, je nachdem. »Frauen und Männer müssen gleich sein«, sagt die Comic-Figur von Pat Carra, und die andere fragt nach: »Gleich den Männern oder gleich den Frauen?«
»Gleich den Frauen« antworten einige italienische Feministinnen schon seit den frühen achtziger Jahren. Dabei ging es ihnen nicht darum, die altbackene »Natur der Frau« durch die Hintertür wieder ins Spiel zu bringen, wie ihnen oft unterstellt wurde, im Gegenteil: »Nur in Bezug auf den Mann können Frauen als Einheit gedacht werden. Aus der Definition über den Mann entlassen, wird die Differenz unter Frauen sichtbar« – so beschreibt die Freiburger Theologin Andrea Günter, die sich seit längerem in Deutschland um die Vermittlung der Anregungen aus Italien verdient macht, den entscheidenden Wendepunkt im Denken. Immer mehr Frauen haben es satt, sich als Teil eines monolithischen Blocks des »Weiblichen« wiederzufinden, wie auch immer der definiert sein mag. Frauensolidarität, schön und gut, aber sie macht nur Sinn im Kampf gegen das Patriarchat. Sie führt nicht dazu, zu eigenen Positionen zu kommen.
Das Thema der »Italienerinnen« – übrigens ein mißverständlicher Ausdruck, denn gemeint sind nur die Betreiberinnen des Mailänder Frauenbuchladens und eben »Diotima« in Verona – ist: »Wie weibliche Freiheit entsteht«. So lautet ein Buchtitel der Mailänderinnen und er bringt die Fragestellung auf den Punkt: Weibliche Freiheit, so die These, entsteht nicht erst dann, wenn die Gleichstellung der Frauen mit den Männern erreicht ist. Weibliche Freiheit entsteht, wenn eine Frau sich selbst ins Zentrum ihres Denkens und Handelns setzt. Wenn sie sich auf die Erfahrung und das Wissen von anderen Frauen stützt, um – auch in der Auseinandersetzung mit ihnen – die Welt zu erklären und in der Welt zu handeln. »Fare centro« – das heißt, nicht mehr länger danach zu fragen, ob ich als Frau genauso bin, wie Männer, oder ob ich vielleicht anders bin. »Fare centro« heißt, die eigene Macht in den Mittelpunkt zu setzen: die Welt dadurch zu verändern, daß ich mein Verhältnis zur Welt ändere.
Das ist nicht als Psycho-Selbstfindung zu verstehen, sondern als politische Strategie. Chiara Zamboni sagt zum Kampf für rechtliche Gleichstellung in den Institutionen, der in Italien genauso auf der Tagesordnung steht, wie hier: »Ein Gesetz ist nur eine idealistische Situation. Es funktioniert nur, wenn die konkreten Personen es auch tragen. Es ist daher besser, in einer praktischen Situation etwas zu verändern, also im direkten Gegenüber mit einem Menschen, der die Institution repräsentiert. Veränderung ist anfangs immer individuell, hinterher werden sich dann auch die Gesetze ändern«. Die Italienerinnen halten also die rechtliche Gleichstellung nicht für überflüssig, wie ihnen oft unterstellt wird. Aber sehen darin nicht die Grundlage für die Freiheit der Frauen, sondern eine Folge davon.
Was aber heißt, »von sich selbst ausgehen, sich selbst ins Zentrum setzen«, wenn es nicht um Selbstfindung und Betroffenheitsrhetorik geht? »Wenn wir über unsere Erfahrungen sprechen, sprechen wir über die Welt«, sagt Chara Zamboni. Ethische Normen, Moral und Konventionen – all das ist bis heute männlich geprägte Kultur, und deshalb fühlen sich Frauen »irgendwie« fremd, auch wenn sie nicht eindeutig diskriminiert werden. Die Italienerinnen wollen Frauen ermutigen, ihrer eigenen Urteilskraft etwas zuzutrauen, auch wenn sie »nur« auf persönlicher Erfahrung beruht und allgemeinen Konventionen und Normen widerspricht. Dabei geht gerade nicht darum, wie in manchen Selbstfindungsgruppen, die Gefühle zur letzten Instanz zu machen: »Das Thema ist, die Welt zu denken«, erklärt Andrea Günter. »Frauen gehört nicht die halbe, sondern die ganze Welt, und Frauen gestalten die ganze Welt in dem Wissen, daß es Frauen und Männer gibt.«
Dabei ist es wichtig, die Erfahrungen und das Wissen von anderen Frauen einzubeziehen: »affidamento« – das Sich-Anvertrauen – ist ein zentraler Punkt in der Theorie der Italienerinnen. »Die Frau, die will, vertraut sich der Frau an, die weiß« – gemeint ist wiederum nicht der Aufbau einer weiblichen Subkultur, das Jammern über die vielen schrecklichen Erlebnisse oder ein harmonisches Sich-wohl-fühlen in der Frauengruppe, sondern die Auseinandersetzung, der Streit, das Ernstnehmen anderer Positionen. Wenn Frauen anderen Frauen Autorität geben, das heißt, bei ihnen Orientierung suchen und ihrem Urteil etwas zutrauen, dann ist die Macht der Männer und ihrer Institutionen und Definitionen schon durchbrochen.
Das kann jede Frau in ihrem Alltag umsetzen, sie muß nicht darauf warten, daß sich die Gesetze oder die Verhältnisse ändern. »Macht ist wirklich, aber leer, wenn wir ihr keine Autorität geben«, sagt Chiara Zamboni, »deshalb möchte nicht auch nicht in erster Linie gegen die Macht kämpfen«. Wichtig ist nur, die eigenen Ziele zu verfolgen, so zu handeln und zu reden, wie frau es aufgrund der eigenen Urteilskraft als gut erkannt hat. Mit den Kalankes dieser Welt muß sie sich nur dann auseinandersetzen, wenn es gar nicht anders geht. Im Alltag ist das viel seltener der Fall, als viele Frauen glauben. Eine solche Sichtweise befreit. Die Macht der patriarchalen Verhältnisse ist zwar lästig und hinderlich, aber sie kann uns längst nicht mehr lähmen und aufhalten: Frauen, die sich selbst ins Zentrum ihres Urteilens, Redens und Handelns stellen, die Autorität nicht in den Konventionen und Regeln der Mächtigen sehen, sondern sich in der Auseinandersetzung mit den Erfahrungen und dem Wissen anderer Frauen orientieren, die sind heute schon frei. Ein paar EU-Richter und ein hinterwäldlerischer CDU-Parteitag sind demgegenüber vergleichsweise unbedeutend.
Dieser Artikel erschien 1997 in der Zeitschrift »Publik Forum«