Antje Schrupp im Netz

Alles neu – gar nichts Neues?

Einordnung der Thesen vom Ende des Patriarchats in die Fragestellungen der Frauenbewegung

Als die neue Frauenbewegung in Deutschland vor gut dreißig Jahren ins Leben gerufen wurde, war ich noch ein Schulmädchen und lebte in einem kleinen Ort im Taunus – nicht weit von hier übrigens – was heißt: Ich habe von diesem historischen Ereignis nichts mitbekommen. Was ich über diese siebziger Jahre weiß und darüber, was die Frauenbewegung damals geprägt und bewegt hat, weiß ich nur aus Erzählungen, und mir erscheinen sie manchmal wie aus einer anderen Welt: Eine Welt, in der es noch Aufsehen erregte, wenn Frauen ohne männliche Begleitung ein Restaurant aufsuchten, zum Beispiel. Eine Welt, in der die Meinung verbreitet war, dass man Mitleid haben muss, wenn eine Familie lauter Töchter hat und keine Söhne. Eine Welt, in der es für die allermeisten selbstverständlich war, dass sie Kinder bekamen und Hausfrauen wurden. Eine Welt, in der Mädchen aus genau diesem Grund nicht aufs Gymnasium oder zur Universität geschickt wurden. Eine Zeit, in der Abtreibung illegal und strafbar war und von allen Seiten moralisch verurteilt wurde, eine Zeit, in der es keine Frauengruppen, feministische Gesundheitszentren, Frauenberatungsstellen, Frauenhotels, Frauenreisebüros, Frauenbands gab. Oder Tagungen wie diese.

Ich kann mir eigentlich gar nicht wirklich vorstellen, wie das war, aber dass es sehr anders war wurde mir klar, als ich vor einen Jahren Erika Wisselink, eine der Protagonistinnen von damals, bei einer Tagung erlebte, und sie dauernd von »vor der Frauenbewegung« und »nach der Frauenbewegung« sprach, so als sei das eine Aufteilung von Epochen.

Die Frauenbewegung ist eine der erfolgreichsten sozialen Bewegungen überhaupt. Sie hat unsere Welt in einem Maß verändert, wie keine andere soziale Bewegung. Und dafür bin ich den Frauen, die in den siebziger Jahren – und natürlich auch vorher schon – den Mut hatten, Feministinnen und Emanzen zu sein, ungeheuer dankbar. Und deshalb finde ich es auch merkwürdig, wenn heute immer mal wieder von einem Scheitern der Frauenbewegung oder gar ihrem Ende die Rede ist. Natürlich – so manches könnte noch besser sein, das kann es immer. Aber ich meine, wir können sehr stolz sein, wir sollten diese Erfolge viel öfter feiern und hervorheben, gerade auch, damit junge Frauen, die von diesen Veränderungen profitieren, ohne sich dessen bewusst zu sein, wissen, dass dies alles nicht vom Himmel gefallen ist, sondern dass sie ihre Wahlmöglichkeiten – und zwar die in der Realität und vor allem auch die in ihrem Kopf – einer Bewegung zu verdanken haben. Es war nicht einfach der Lauf der Dinge, der das alles bewirkt hat, sondern die Liebe der Frauen zur Freiheit.

Als ich gerade dabei war, diesen Vortrag zu schreiben, und also überlegte, wie der Satz »Das Patriarchat ist zu Ende« in die Entwicklung der Frauenbewegung gehört, brachte mir ein Freund einen Artikel aus der taz mit der Überschrift »Die Gefahr, Frau zu sein«. Es war ein ganzseitiger Artikel, geschrieben von einer offenbar sehr zornigen Frau, Verena Kern, 37 Jahre alt, also genauso alt wie ich. Sie scheint sich nicht über die Erfolge der Frauenbewegung freuen zu können. In ihrem Artikel listet sie vielmehr alle Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen auf, derer sie habhaft werden kann: Jede Minute stirbt eine Frau an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. Auf der Welt leben inzwischen 60 bis 100 Millionen Mädchen weniger als Jungen, weil sie abgetrieben werden oder wegen Vernachlässigung sterben. Zwei Millionen Mädchen pro Jahr werden die Genitalien verstümmelt. Frauen erzeugen 80 Prozent der Nahrungsmittel, erhalten aber nur 10 Prozent des Welteinkommens und besitzen nur ein Prozent des Weltvermögens. Allein in Pakistan gibt es jährlich 5000 Mitgiftmorde. Schlimme Zahlen auch in Deutschland: Nur 3,7 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Deutschland haben Führungspositionen. Weniger als zwei Prozent aller Männer nehmen Erziehungsurlaub.

Und so weiter, vier lange Zeitungsspalten voll. Mir wurde ganz schwummrig im Kopf. Wie passen diese beiden Beobachtungen zusammen: Die Freude über die unbestreitbaren Erfolge der Frauenbewegung auf der einen Seite, und der genauso unbestreitbare Skandal, dass sich immer noch so viele schreckliche Zahlen über das Schicksal von Frauen aufzählen lassen?

Völlig erschöpft von dieser Auflistung weiblichen Elends kehrte mein Blick an den Anfang des Artikels zurück. Als erster Satz steht da eine Frage: »Was ist die Frau?« – und da wurde mir klar, dass genau das die entscheidende Frage ist. Denn die Frage: Was ist eine Frau? Ist für mich, die ich ja eine Frau bin, gleichbedeutend mit der ganz existenziellen Frage: Was bin ich? Allerdings beantwortet der Artikel diese Frage dann auf eine Weise, mit der ich nicht einverstanden bin: Die Gefahr, Frau zu sein, steht da schon in der Überschrift. Macht das etwa mein Wesen, mein Frau-sein aus? Dass ich nur haarscharf der Ermordung, Verstümmelung und Entrechtung entronnen bin? Oder anders gefragt: Bin ich glücklich und zufrieden und erfolgreich und klug, nicht weil ich eine Frau bin, sondern obwohl ich eine Frau bin?

Was ist eine Frau? Was bin ich? Es gibt darauf nicht mehr nur die Antwort, die das Patriarchat und Sichtweisen wie die in diesem taz-Artikel nahe legen. Denn die Frauenbewegung hat der Tatsache, dass ich eine Frau bin, eine neue Bedeutung gegeben. Dass ich eine Frau bin, bedeutet nicht mehr, auf eine bestimmte Lebensform, auf eine Rolle festgeschrieben zu sein, sondern es bedeutet nun: Ich kann etwas tun, und es ist wichtig, was ich tue.

Vom »Ende des Patriarchats« zu sprechen, ist für mich eine Folge, das vorläufige, derzeitige Ergebnis der Entwicklung der Frauenbewegung. Und zwar nicht nur in dem Sinne, den ich anfangs beschrieben habe, dass sie nämlich eine erfolgreiche soziale Bewegung war, die dafür gesorgt hat, dass sich vieles objektiv für Frauen verbessert hat. Solche Verbesserungen sind immer nur relativ, sind niemals endgültig und ausreichend, übrigens nicht nur im Bezug auf Frauen, sondern auf Menschen überhaupt, wir könnten dasselbe für Ausländer, Schwarze, Lesben, Alte, Behinderte sagen, im Bezug auf jede Teilgruppe von Menschen, die in irgend einer Weise diskriminiert und benachteiligt werden.

Das liegt daran, dass die reale Welt eben nicht das Paradies ist, und politische oder gesellschaftliche Übereinkünfte, Regeln und Gesetze, immer nur unzureichend auf eine konkrete Situation zutreffen. Daher ist es auch nicht so leicht zu entscheiden, ob eine politische Maßnahme oder ein neues Gesetz den Frauen nützt oder schadet – so hat etwa Lohn für Hausarbeit den Vorteil, diese Arbeit aufzuwerten und zu entlohnen, aber den Nachteil, dass es möglicherweise die Rollenfestlegung verstärkt. So hat das Verbot der Vergewaltigung in der Ehe den Vorteil, dass eine lange unter den Teppich gekehrte Form von Gewalt gegen Frauen sichtbar und strafrechtlich verfolgbar wird, aber den Nachteil, dass vergewaltigte Ehefrauen nun möglicherweise erst recht nicht mehr über ihr Problem sprechen, weil dann gleich die Polizei im Hause steht. Und so weiter. Das heißt: Zwischen dem gemeinsamen Wunsch, die Lebenssituation der Frauen zu verbessern – oder die der Armen, der Schwarzen, der Alten, der Lesben, der Behinderten oder meinetwegen auch der alten Lesben oder der schwarzen Behinderten – zwischen diesem Wunsch, die Lebenssituation einer benachteiligten Menschengruppe zu verbessern und der konkreten Umsetzung dieses Wunsches besteht immer eine Lücke. Das Ergebnis ist niemals absolut gut. Die Politik schafft nicht das Paradies auf Erden, und was sie erreicht und tut ist immer nur relativ gut oder schlecht und auch das ist noch Interpretations- und Ansichtssache. Klar ist jedenfalls: Die Welt ist schlechter, als sie sein könnte. Und deshalb sagen manche: Das Patriarchat ist nicht zu Ende.

Ich halte das nicht für sinnvoll. Als Politikwissenschaftlerin und vielleicht auch als Christin mit einem Sündenbegriff bin ich davon überzeugt, dass die reale Weltimmerschlechter ist, als sie sein könnte, Patriarchat hin oder her. Das Patriarchat ist nicht dann zu Ende, wenn für Frauen paradiesische Zustände auf der Welt bestehen, denn erstens wird es die niemals geben, weil die Welt nun einmal nicht das Paradies ist, und zweitens stellen sich verschiedene Menschen – und also auch verschiedene Frauen – das Paradies auch noch unterschiedlich vor. Das Patriarchat ist dann zu Ende, wenn Frauen in diesen Auseinandersetzungen und Diskussionen über die Regeln, die die Menschen auf dieser Welt einrichten, mitreden, verantwortlich mitdenken und entsprechend handeln – und zwar mit all ihren Unterschieden, denen von Rasse, Klasse, sexueller Orientierung usw. und auch mit ihren individuellen Unterschieden. Das tun sie heute. Das Patriarchat ist dann zu Ende, sagt Luisa Muraro, wenn Frauen nicht mehr daran glauben, wenn Frauen ihm die Glaubwürdigkeit entziehen.

Das haben sie schon immer getan, jedenfalls manche, und werden es auch später noch tun, das Ende des Patriarchats ist kein bestimmtes Datum. Aber dass sie es laut sagen, dass es offensichtlich wird, auch wenn nicht alle es sehen – genau das ist meiner Meinung nach die Entwicklung, die die Frauenbewegung genommen hat, und die man vielleicht in drei Phasen unterteilen kann – die ich persönlich in meiner eigenen Biografie auch durchlaufen habe.

Die erste Phase war, zu sagen: Wir wollen gleiche Rechte haben wie die Männer. Wir wollen gleiche Gesetze für Frauen und Männer, wir wollen Zugang zu ihren Universitäten, zu ihren Möglichkeiten, zu ihren Arbeitsplätzen. Das war die Zeit, als wir glaubten, wir müssten genauso viel Bier trinken wie die Jungs, mit denen wir unterwegs waren. In der wir sehr dagegen waren, von Unterschieden zwischen Männern und Frauen zu reden, denn diese Unterschiede waren in der bürgerlichen Variante des Patriarchats ja die Begründung dafür, Frauen von diesen männlichen Privilegien auszuschließen. Allem Weiblichen standen wir kritisch gegenüber und am liebsten wäre es uns gewesen, wir würden die Geschlechterdifferenz ganz abschaffen. Es war die Zeit, als wir uns auch in der Geschichte auf die Suche nach Frauen machten, die sich ihren Platz in der Männerwelt erobert hatten und die wir deshalb bewunderten: Pilotinnen, Politikerinnen, Entdeckerinnen, Erfinderinnen, Königinnen und auch Göttinnen. Wir fanden es gut, wenn Frauen sich in der Welt der Männer bewegten, als gehörten sie dazu.

Die zweite Phase war, als wir entdeckten, dass es auch positive Aspekte des Weiblichen gibt, die wir – ebenso wie die Männer – zu wenig berücksichtigt hatten. Dass etwa Haus- und Familienarbeit in Wirklichkeit viel wichtiger für die Gesellschaft ist, als die patriarchale Kultur – und mit ihr auch wir – es wahrhaben wollten. Dass Eigenschaften und Verhaltensweisen vieler Frauen wie weniger Aggressivität, mehr Sozialkompetenz, Fürsorglichkeit, gut und wichtig sind. In dieser Phase arbeiteten wir also an einer Aufwertung und Sichtbarmachung des Weiblichen. Wir entdeckten Jüngerinnen unter den Jüngern, stellten den marxistischen Arbeitsbegriff in Frage, stellten männliche Regeln und Rituale in den Universitäten und Unternehmen in Frage. Forderten die Quote, nicht nur um die Karrierechancen von Frauen zu verbessern, sondern auch, um den weiblichen Anteil zu erhöhen, weil wir uns einiges davon versprachen, eine weibliche Kultur in diese Männerkultur einzupflanzen und den Beitrag der Frauen als Frauen sichtbar zu machen.

Die dritte Phase – wobei diese Phasen nicht säuberlich getrennt aufeinander abfolgen, aber sie folgten meiner Meinung nach logisch aufeinander – die dritte Phase nun war das, was Ina Prätorius die »Trivialisierung des Männlichen« nannte. Sie folgte konsequenterweise auf die Aufwertung, der Ent-Trivialisierung des Weiblichen, denn wenn die Gesellschaft und unsere Zivilisation viel mehr auf dem Beitrag der Frauen fußt und gründet – vieler Frauen, nicht nur derer, die männliche Karriere machten – dann ist es ja nahe liegend, dass der Beitrag der Männer gar nicht so wichtig ist, wie sie tun und wie auch wir selber dachten. Uns fiel etwa auf, um nur ein ganz banales Beispiel zu nennen, dass Deutschland die Samstag- Nachmittage auch sehr gut ohne Fußballübertragungen herum bringt, eine Veränderung, die große Auswirkungen hatte, sie führte zum Beispiel zur Pleite des Medienimperiums von Leo Kirch. Wir müssen allerdings erst noch herausfinden, was die Trivialisierung des Männlichen bedeutet, wenn es nicht um Nebensächlichkeiten geht wie Fußball oder Motorräder reparieren können, sondern um Wichtiges wie Parlamentarische Umgangsformen oder Unternehmensführung. Da sind wir derzeit grade dran.

Wenn man das so sieht, dann lässt sich das Ende des Patriarchats auch in einer x-beliebigen Nachrichtensendung verfolgen. Vorgestern zum Beispiel, auf Bayern 5. Die erste Meldung war: Kirch Media hat Insolvenz angemeldet. Die zweite: Das Kriegsverbrechertribunal hat das Urteil gegen serbische Soldaten, die muslimische Frauen vergewaltigt haben, bestätigt (sie waren in die Berufung gegangen). Die dritte: Ein Mann hat seine Frau ermordet, weil die sich von ihm getrennt hat, denn das Ende des Patriarchats ist keineswegs ungefährlich.

Diese Entwicklung hatte auch Auswirkungen darauf, wie wir die Frage: Was ist eine Frau? beantworteten. Seit dem Streit zwischen Emma und Courage gab es dazu in der deutschen Frauenbewegung sehr harte ideologische Kämpfe. Sind Frauen und Männer gleich oder unterschiedlich? Sind die Unterschiede biologisch, kulturell, sozial zu erklären? Wollen wir sie abschaffen, verändern, beibehalten, neu definieren? An dieser Frage waren die feministischen Diskussionen meiner Meinung nach lange auf einem Holzweg: Weil nämlich die Frage: Was ist eine Frau? versucht wurde, im Vergleich zu: Was ist ein Mann? zu beantworten. Was eine Frau ist, das hängt aber nicht davon ab, was ein Mann ist, sondern davon, was eine Frau tut, will, was sie sagt und wie sie handelt. Eine zweite Sackgasse, in die sich die Frauenbewegung reindiskutierte, war die Einforderung von weiblicher Solidarität, ein Begriff, den sie aus der Arbeiterbewegung übernommen hat. Dadurch entstand der Eindruck, dass alle Frauen gleich wären oder zumindest gleiche Interessen hätten, was nicht stimmte. Inzwischen hat sich die Erkenntnis aber weitgehend durchgesetzt, dass es gerade die Unterschiede der Frauen sind, von denen wir ausgehen und auf die wir bauen können. Und der dritte Holzweg war vielleicht, dass wir uns zu viel von unseren Forderungen an den Staat, die Gesetzgeber etc. versprachen. Dadurch konnte man meinen, die Erfolge der Frauenbewegung ließen sich daran messen, wie sehr sie durch die etablierten Institutionen anerkannt wäre.

Genau diese Fragen waren es, auf die die Italienerinnen des Mailänder Frauenbuchladens seit den achtziger Jahren Antworten suchten. Zum Beispiel mit ihrem 1989 in deutsch erschienen Buch: »Wie weibliche Freiheit entsteht« – der Originaltitel lautet: »Nicht glauben, Rechte zu haben«. Die zentralen Punkte in ihrer Argumentation sind: Die Aufforderung, nicht länger von einem »Wir« der Frauen zu sprechen, von den Frauen als einer Gruppe, in deren Auftrag »der Feminismus« sozusagen unterwegs ist, denn dieses »Wir« macht nur Sinn in Abgrenzung von »den Männern«, die man damit als Norm akzeptiert. Außerdem verhindert die Rede von einem »Wir« der Frauen die Anerkennung von Ungleichheit unter Frauen, die jedoch notwendig ist für das Wirken weiblicher Autorität und damit für die Weiterentwicklung der Frauenbewegung. Und: Die wichtigste Aufgabe des Feminismus nicht darin zu sehen, Forderungen an die Gesellschaft und an die Männer zu stellen, sondern zu sehen, dass die eigenen Stärken und Fähigkeiten, vor allem das eigene Begehren, die Quelle von weiblicher Freiheit ist.

Die Reaktion darauf war hier in Deutschland überwiegend negativ. Man ordnete die Italienerinnen der Fraktion der »Differenzfeministinnen« zu und warf ihnen »Biologismus« vor. Von den Büchern und Texten, die die Italienerinnen in den folgenden Jahren schrieben, wurde nur wenig übersetzt, und nur einige kleine Gruppen von Frauen oder Einzelne hielten den Kontakt und versuchten dieses Denken hier bekannter zu machen und zu vermitteln.

Seit Mitte der neunziger Jahre hat sich die Frauenbewegung in Deutschland aber sehr ausdifferenziert und in gewisser Weise auch etabliert. Der Feminismus – oder zumindest Versatzstücke davon – hat Eingang gefunden in die Parteien, Unternehmen und Institutionen. Es gibt Gleichstellungsbeauftragte, Quoten, Mentoring-Programme, Frauenförderpläne. Es gibt feministische Lehrstühle an den Universitäten, Versatzstücke aus dem feministischen Denken sind inzwischen auch in Illustrierten, Tageszeitungen und Fernsehsendungen, ja sogar in der Werbung zu finden.

Gleichzeitig war in, sag ich mal, »ideologischer« Hinsicht Entspannung angesagt. Es hatte den Anschein, als ob endlich die unterschiedlichen feministischen Denkrichtungen miteinander ins Gespräch kamen. Die starren Fronten zwischen »Gleichheits«- und »Differenzfeministinnen« waren aufgeweicht, Matriarchatsfrauen diskutierten mit Karrierefrauen, der Ton wurde versöhnlicher, man schien sich gegenseitig ernster zu nehmen, weniger zu diffamieren, die Stärken und Schwächen der jeweiligen Position gegeneinander abzuwägen. Auch die Thesen der Italienerinnen wurden in Deutschland nun mehr beachtet. Vor allem ihre Arbeiten über das weibliche Begehren, über weibliche Autorität und über die Beziehungen unter Frauen waren nachgefragt, meistens wurden sie unter dem Stichwort »Affidamento« diskutiert. Irgendwie schien sich die Meinung durchzusetzen, dass es eben unterschiedliche Schwerpunkte und Perspektiven gibt, dass die einen irgendwie recht haben und die anderen auch. Ich habe in den letzten Jahren viele Frauen getroffen, die sich jeweils aus den verschiedenen feministischen Denkansätzen das Beste raussuchen und frei miteinander kombinieren.

Ich finde das gut und schlecht gleichzeitig. Gut deshalb, weil bei den früheren ideologischen Streitigkeiten häufig aneinander vorbeigeredet wurde. Nicht nur bei der anfangs ablehnenden Haltung zu den Italienerinnen, auch sonst wurde häufig gar nicht versucht, zu verstehen, was die andere sagen will, sondern es wurden den Gegnerinnen Dinge unterstellt, um selber recht zu behalten. Problematisch finde ich die neue inter-feministische Entspannung aber deshalb, weil ich den Eindruck habe, dass manchmal Dinge nicht zu Ende gedacht werden, dass da Sachen zusammengefügt werden, die eigentlich nicht zusammen passen. Dass man Konflikte scheut, dass man unterschiedliche Positionen nicht deutlich genug benennt, um sich nicht streiten zu müssen. Und manchmal vielleicht auch: Um sich die Mühe des Denkens zu ersparen. Dass Differenz – oder neumodisch: diversity – so in Mode gekommen ist, ja nicht nur unter Frauen, hat dazu geführt, dass auch die Unterschiede zwischen Frauen und ihrem Denken und ihren Ansichten oft als so eine Art »Bunte Vielfalt von Merci« verstanden werden. Mal ess ich Marzipan, mal Zartbitter, wie ich grade Lust habe, und letzten Endes ist eines so gut wie das andere. Oder höchstens eine Frage des persönlichen Geschmacks, über den sich nicht streiten lässt. Ich habe es in Diskussionen schon erlebt, dass da Frauen waren, die zu zwei völlig konträren feministischen Positionen gleichermaßen enthusiastisch nickten. Es geht aber nicht nur darum, die Unterschiedlichkeit von Frauen zu akzeptieren, sondern darum, einen kreativen Umgang mit der Ungleichheit zu finden, also damit, dass Frauen nicht einfach nur verschieden sind, sondern dass eine andere Frau ein Mehr haben kann, als ich, oder auch andersrum ein weniger, einen Mangel, ein Begehren. Ein einfaches Nebeneinander und Sowohl-als-auch der unterschiedlichsten Standpunkte kann nämlich nichts Neues hervor bringen und ist genauso lähmend, wie das Gleichheitsdenken es war.

Das ist auch der Grund, warum ich mich so gefreut habe, als da Mitte der neunziger Jahre dieser ungeheuerliche Satz von Luisa Muraro kam: »Das Patriarchat ist zu Ende«. Das war ganz bestimmt kein belangloser Satz, zu dem man einfach so nicken kann. Er fordert uns heraus, unser feministisches »Alltagsgeschäft«, sag ich mal, in dem wir uns eingerichtet haben, wieder einmal grundsätzlicher anzuschauen und grundlegende Fragen neu zu stellen. Und das Zentrum zu verrücken: Das Wesentliche am Patriarchat, sagt Luisa Muraro, ist nicht die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen gewesen, sondern der Ausschluss des Weiblichen aus unserer Kultur, aus dem, was gesagt und gedacht werden kann, aus der symbolischen Ordnung. Aber das ist heute nicht mehr so. Denn die Frauenbewegung hat Räume eröffnet, in denen sich eine freie Bedeutung von Frau-sein entfalten kann. Frauen arbeiten an vielen Orten an neuen Begriffen, fragen, was Politik, was Macht, was Arbeit, was Muttersein, was Spiritualität und vieles mehr für sie bedeutet, welche Wünsche sie an die Welt haben, wie sie leben wollen, welche Werte ihnen wichtig sind, und sie handeln entsprechend.

Manchmal wird der Einwand vorgebracht, das gelte nur im Westen, diese Sicht sei ein überheblicher, weißer, privilegierter Feminismus. Das glaube ich nicht. Denn das Patriarchat ist umso mehr zu Ende, je unfähiger es sich erweist, die Probleme der Welt zu lösen und das Zusammenleben der Menschen zu regeln. In einem kürzlich erschienenen Buch über das Engagement afghanischer Frauen habe ich etwa folgende Passage gefunden: »Die letzten Jahrzehnte der afghanischen Geschichte haben in vielen Frauen die Einsicht erzeugt, dass männliche Dominanz kein sicheres Refugium bietet und dass sich damit ihre einzige mögliche Begründung als unrichtig erweist. Mit anderen Worten, Frauen haben erkannt, dass die Grundprämisse der männlichen Über- und weiblichen Unterordnung, nämlich die Prämisse, dass Frauen nicht für sich selber sorgen können, sondern dass sie dazu die Führung und Hilfe von Männern brauchen, schlicht und einfach nicht stimmt«1. Und das wissen Frauen nicht nur in Afghanistan, nicht nur in Deutschland, sondern vermutlich in den meisten Ländern der Welt. Und sie sprechen es aus und verhalten sich auch so. Deshalb ist das Patriarchat zu ende. Und war es schon früher und wird es auch später noch sein, denn, wie gesagt, wir reden von einer neuen Sichtweise, nicht von einem bestimmten Datum.

Aber damit ist das Problem natürlich noch nicht gelöst. Im Gegenteil, es fängt erst an. Denn wenn das Patriarchat nicht mehr in der Lage ist die Dinge zu regeln, und wenn wir das wissen, dann ist es notwendig, dass wir eine andere Ordnung, eine andere Kultur entwickeln, eine weibliche Ordnung, die das hoffentlich besser schafft. Das ist die Herausforderung für die Frauenbewegung und die Frauenpolitik heute. Wenn das Patriarchat keine Orientierung mehr gibt, wenn seine Maßstäbe nicht mehr gelten, wo finden wir dann welche? Woran orientieren wir uns? Welcher Ethik folgen wir? Erst jetzt, nach dem Ende des Patriarchats, können wir diese Fragen wirklich diskutieren, weil wir nicht mehr in erster Linie damit beschäftigt sind, uns den Zugang zu diesen Diskussionen zu erkämpfen – real und im eigenen Kopf.

Der Satz »Das Patriarchat ist zu Ende« ist also keine Aussage darüber, dass mit der Welt nun alles in Ordnung ist. Sondern er ist eine Bilanzierung und Würdigung der bisherigen Erfolge der Frauenbewegung und eine Beschreibung der objektiven Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, und von denen wir in jeder Tageszeitung lesen und in jeder Nachrichtensendung hören. Die Erfolge der Frauenbewegung liegen auch darin, dass sich vieles in der Lebenssituation von Frauen verbessert hat. Aber das ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist, dass Frauen – nicht alle Frauen, aber doch genügend Frauen – der patriarchalen Ordnung die Glaubwürdigkeit entzogen haben. Wir orientieren uns an anderen Maßstäben, wenn wir über uns, über die Welt und über gutes Leben nachdenken. Und dabei sind wir keineswegs einer Meinung, denn wir machen unterschiedliche Erfahrungen und auch wenn wir gleiche Erfahrungen machen, beurteilen wir sie unterschiedlich. Aber gerade in der Auseinandersetzung darüber – und nicht im Bemühen, eine vermeintliche Frauensolidarität zu beschwören – entsteht eine weibliche Kultur, ist bereits eine weibliche Kultur entstanden, die wiederum in der Welt Wirkung entfaltet.

Damit ist auch klar, dass das Ende des Patriarchats keineswegs das Ende der Frauenbewegung ist, sondern im Gegenteil, ein neuer Anfang, eine neue Ausrichtung der Frauenbewegung. Ihre wichtigste Aufgabe ist es nun, diese weibliche Kultur zu stärken, sie sichtbar zu machen, ihr in der Welt Gehör zu verschaffen. Denn in der Welt, und da hat Verena Kern mit ihrem taz-Artikel natürlich recht, gibt es noch sehr viele Probleme, die wir anpacken müssen – nicht nur im Interesse der Frauen, sondern im Interesse aller.

Vortrag am 14.6.2002 in der Ev. Akademie Arnoldshain


  1. Benard/Schlaffer: Die Politik ist ein wildes Tier, Droemer, München 2002, S. 80.