Papa Pontifex
Der Papst betrachtet seine Mitgläubigen als Kinder, und natürlich will er nur ihr Bestes. Mich kann er schon mal von seiner Liste streichen. Ich bin ausgebüxt!
in: Publik Forum Nr. 6/2013, 22.3.2013
Wir waren fest entschlossen, uns diesmal nicht vom Papst-Hype anstecken zu lassen – wir, die Evangelischen, die Musliminnen, die Konfessionslosen. »Der Papst interessiert mich ungefähr so viel wie die Champions-League« warnte eine Freundin ihre Internetkontakte. Eine andere verkündete kurz vor dem Konklave tapfer an ihrer Facebook-Pinnwand, sie werde sich auf keinen Fall zur Papstwahl äußern. Richtig so, dachte ich, und klickte auf »Like« (nur um dann doch zuzusagen, als Publik-Forum mich um einen Beitrag bat, haha).
Immerhin ist es mir gelungen, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter nichts über den Papst zu schreiben. Naja, fast nichts. Als jemand dort behauptete, Franziskus sehe aus wie Woody Allen, konnte ich mir doch einen Widerspruch nicht verkneifen: Ich finde nämlich, er sieht eher aus wie Alfred Biolek. Kleiner Scherz.
Dann habe ich Twitter für den Rest des Tages zugemacht. Dort wurde eh nichts anderes herumgereicht, als dass der neue Papst gegen Homosexuelle ist und mit der Militärdiktatur gekungelt habe. Und wenn schon: Ist mir doch egal! Ist doch schließlich nur ein Christ wie du und ich, evangelisch betrachtet.
Apropos Twitter: Da sind ja du und ich und eben folgerichtig auch der Papst. Seine Follower finden ihn unter @pontifex. Erst im Dezember hatte Benedikt XVI. angefangen, dort kleine besinnliche Belehrungen zu hinterlassen. Doch als ich nun kurz nachschauen wollte, waren alle seine Tweets schon gelöscht. Jetzt stand da nur ein einziger Satz: »HABEMUS PAPAM FRANCISCUM« (in Großbuchstaben, was im Internet so viel bedeutet wie »schreit rum«). Immerhin hat der Vatikan ein Twitterarchiv für BXVI hinterlegt, wenn auch nur in Englisch: http://www.news.va/en/twitter_archive.
Überhaupt wirft so eine Papstwahl für Außenstehende jedes Mal wieder neue Fragen auf. Zum Beispiel: Wenn ein Name zum ersten Mal gewählt wird, fällt dann die Nummerierung weg? Offenbar, denn nirgendwo ist ja von Franziskus I. die Rede. Und: Warum ist eigentlich nicht schon früher jemand auf Franziskus gekommen? Schließlich ist der Armenmönch doch ein echter Sympathieträger. Ich hätte gedacht, dass es bestimmt schon drei oder vier Franzens gegeben haben müsste.
Ein Freund von mir (Atheist übrigens, Sie sehen, wir alle haben davon geredet) erzählte mir von einer These, wonach das Papsttum einer der wesentlichen Faktoren für die erfolgreiche Eroberung der Welt durch die Europäer gewesen sei. Denn keine andere Religion habe so etwas wie ein oberstes Oberhaupt mit globalen Ansprüchen jemals hervorgebracht. Spontan wollte ich widersprechen: Aber der gesamte Absolutismus hat doch solche Hierarchien herausgebildet! Die katholische Kirche ist nur die einzige, die davon noch übrig geblieben ist! Finsterstes Patriarchat, die letzte Bastion einer untergegangenen Idee!
Aber das war nur mein erster Impuls. In Wirklichkeit hat der Papst mit einem absoluten Herrscher nicht viel gemein: Er ist ja gerade kein König, er ist ein Papa! Ein Herrscher beherrscht seine Untertanen, sie stehen auf der einen Seite, er auf der anderen, die Interessen sind klar verteilt, und es ist allen Beteiligten klar, dass es nicht dieselben sind. Beim Papst hingegen ist die Sache viel raffinierter: Er betrachtet seine Mitgläubigen nicht als Untertanen, sondern als Kinder. Und wie jeder gute Vater will er sie nicht ausbeuten oder sich an ihnen bereichern, sondern nur ihr Bestes – auch wenn die, wie Kinder halt so sind, das nicht immer zu würdigen wissen. Weshalb man schon auch mal durchgreifen muss.
Der Eine, der im Namen der Vielen spricht – das ist die Idee, die hinter dem Papsttum steckt und es so mächtig macht. Diese Idee der Repräsentation hat die westlichen Kulturen durchgängig infiltriert: Das Papsttum ist der direkte Vorläufer der repräsentativen Demokratie, denn von ihm stammt die Vorstellung, dass die Vielfalt und die Pluralität einer riesigen Gruppe von Menschen in einer einzigen Person zusammenlaufen könnten. So gesehen ist das politische Pendant des Papstes nicht der König, sondern die Bundeskanzlerin.
Allerdings mit einem Unterschied. Denn auf dem Gebiet der Politik hat das Prinzip der Repräsentation durchaus eine gewisse Plausibilität. Es geht dabei ja um äußerliche Regeln, die das Zusammenleben ermöglichen sollen. Und dazu muss man sich halt irgendwie »einigen«, denn alles andere wäre zu anstrengend und unpraktikabel. Ich kann mich durchaus an bestehende Gesetze halten, auch wenn ich persönlich vielleicht lieber andere hätte, und der Polizei ist es ja auch ganz egal, was ich von den Gesetzen halte, solange ich sie nur nicht breche.
Aber in Bezug auf den Glauben? Da finde ich so einen Zugang doch eher skurril. Zum Beispiel das Prinzip »Don’t ask, don’t tell«, das in der ökumenischen Praxis ja gerade an der Basis sehr verbreitet ist. Es macht vieles möglich, obwohl es der Papa in Rom »eigentlich« nicht erlaubt, von Segnungsfeiern für lesbische oder schwule Paare bis hin zu gemeinsamen Abendmahlsfeiern. Ich verstehe das, aber es gefällt mir nicht. Ich muss dabei immer an Kinder denken, die heimlich Bonbons naschen und aufpassen, dass sie nicht erwischt werden.
Für den Glauben, für das eigene Verhältnis zu Gott, muss doch jeder Mensch selbst verantwortlich sein und gerade stehen. Was man nicht glaubt, das glaubt man ganz einfach nicht, und wenn es tausendmal Mehrheits- oder Lehrmeinung ist. Ich vermute, dass das auch die meisten Katholikinnen und Katholiken so sehen.
Franziskus ist daher um seinen Job nicht zu beneiden. Das Papsttum, das Prinzip der Repräsentation in Glaubensdingen, ist die Quadratur des Kreises. Und deshalb gefällt mir der Gedanke, dass es die Last des Papstes vielleicht ein klein wenig erleichtert, wenn er mich schon mal von der Liste streichen kann. Denn ich will von ihm nicht repräsentiert werden – und auch von niemandem sonst.