Antje Schrupp im Netz

Newsletter vom 19.11.05

1. Freiheit vs. Biologismus

Vorige Woche war ich beim Herbsttreffen der Medienfrauen von ARD und ZDF, das sehr spannend war. Interessant fand ich einerseits das grosse Interesse der Journalistinnen am Thema. Nicht nur waren mehr als 200 von ihnen zu diesem Treffen gekommen, darunter auch viele junge Kolleginnen – und das, obwohl die wenigsten Sender noch die Kosten tragen. Es kamen auch viele in meinen Workshop »Feminismus, Solidarität, Konkurrenz oder was?« Es stimmt also nicht, dass (theoretischer) Feminismus aus der Mode ist. Interessant war aber auch, wie dann die Diskussionen verlaufen sind. Ich habe, wie immer, von weiblicher Freiheit geredet, weil die Liebe zur Freiheit (meiner Meinung nach) die Basis der Frauenbewegung wie der Weltveränderung schlechthin ist. Doch war ich erstaunt, wie wenig die meisten Frauen damit anfangen konnten. Eine fragte sogar: »Wieso reden Sie denn dauernd von Freiheit, Freiheit gibt es doch gar nicht!« Dass es keine Freiheit gebe, erklärten viele Frauen unter anderem damit, dass sie durch die Umstände immer noch daran gehindert werden, sich »frei« zu entscheiden, zum Beispiel im Hinblick auf Beruf und Mutterschaft. Ich weiss nicht, ob es mir gelungen ist, zu vermitteln, dass Freiheit mehr bedeutet als die Möglichkeit, sich von verschiedenen Optionen eine auszusuchen, dass Freiheit vielmehr notwendigerweise auf Hindernisse trifft, wenn sie in die Welt geht.

Zu der allgemeinen Ansicht »Freiheit gibt es nicht« passte auch das Eingangsreferat zu dem Kongress zum Thema »Ticken Frauen anders?«, bei es tosenden Applaus und keinerlei Widerspruch gab zu der These, dass Frauen und Männer aus biologischen Ursachen heraus (Hormone, Gehirnfunktionen) einfach unterschiedlich seien. Der Biologismus, also die Vorstellung, was »weiblich« sei, sei gewissermassen von der Natur biologisch festgelegt (und nicht, wie ich meine, ein kultureller Aushandlungsprozess), hat heute offenbar wieder eine sehr grosse Attraktivität fuer Frauen. Ich glaube, das liegt daran, dass sie einerseits der Tatsache der Geschlechterdifferenz zwar keine Bedeutung mehr geben – wir sind doch alle Menschen! – andererseits aber im Alltag dauernd mit der Tatsache konfrontiert sind, dass das Geschlecht faktisch eben doch eine Rolle spielt. Und da die Arbeit an der Geschlechterdifferenz als kulturelle Praxis nicht mehr gepflegt wird, ist es verfuehrerisch, die Ursache von dem allen in der Biologie zu vermuten. Also: Ueber die Freiheit will ich bald noch etwas mehr nachdenken. Wertvoll war mir dabei ein Satz, den eine Workshopteilnehmerin formulierte. Sie sagte: »Eine Frau, die frei sein will, braucht viel Mut und viel Demut.« So ist es. Die Notizen des Workshops habe ich derweil schon mal ins Netz gestellt.

antjeschrupp.de/solidaritaet-konkurrenz-feminismus

2. Ethik fuer den Lebensalltag

Ethik gilt im allgemeinen als eine Sache von Experten – man denke nur an all die »Ethikkommissionen«. Ina Praetorius hat jetzt ein Buch geschrieben, das das Nachdenken ueber das »gute Leben« (so seit Aristoteles die Definition von Ethik) wieder mitten im Alltag verankert. Es ist ihr gelungen, aus den vielen Debatten der letzten Jahre und Jahrzehnte zum Denken der Geschlechterdifferenz sozusagen die Quintessenz zu ziehen und als prägnantes Ethikbuch in die Welt zu setzen. Dieses Buch ist ein echter Tipp, und obwohl höchst philosophisch lässt es sich wie ein Krimi an zwei Abenden durchlesen.

Ina Praetorius: »Handeln aus der Fuelle. Postpatriarchale Ethik in biblischer Tradition«, Guetersloher Verlagshaus, 19,95 Euro. Rezension unter antjeschrupp.de/rez-praetorius-fuelle

3. Geld fuer alle!

Geld für alle – das ist keineswegs eine spinnerte Utopie, eine Forderung illusionistischer Sozialromantiker, sondern, zumindest in Deutschland, schon Wirklichkeit. Wir haben immerhin eine Sozialhilfe, das heisst, es gibt die Vorstellung, dass kein Mensch verhungern soll, selbst dann nicht, wenn er faul und dumm ist. Symbolisch verläuft die Debatte hingegen vollkommen verqür. So wurde die »Sozialhilfe« bekanntlich in »Arbeitlosengeld II« umbenannt; das heisst, diejenigen, die soziale Hilfe benötigen und bekommen (und das sind ausnahmslos alle Menschen) werden als Ausnahmen definiert, als solche, die ohne (Erwerbs-)Arbeit sind. Wichtiger als der Streit um Details der Sozialpolitik ist ein grundlegender Perspektivenwandel im Menschenbild, in unserer Vorstellung von Arbeit und Sinn, von Reichtum und Armut. Darum geht es bei einem Vortrag, den ich im Dezember in Giessen halte. Bei einem Workshop gibt es am nächsten Tag Gelegenheit, dies anhand unseres Textes zum Grundeinkommen weiter zu vertiefen.

»Geld für alle! Feministische Gedanken zur Wirtschaftsethik«. Vortrag am Freitag, 9. Dezember, um 20.15 Uhr im Netanya-Saal, Altes Schloss, Brandplatz 2 in Giessen. »Für ein leistungsunabhaengiges Grundeinkommen«, Workshop fuer Frauen am Samstag, 10. Dezember, von 10-14 Uhr am selben Ort. Der Text steht unter www.gutesleben.org im Internet.

4. Maria – oder: Was ist eigentlich eine Mutter?

Eine Mutter ist nicht eine, die Windeln wäscht und Brei kocht. Oder zumindest nicht nur. In dem Buch »Maria liest«, das Andrea Guenter herausgegeben hat, geht es in den verschiedenen Texten darum zu zeigen, dass Mutter sein nicht nur eine körperliche, sondern auch eine geistige Seite hat – ein Thema, das gerade zur Weihnachtszeit wieder ins Bewusstsein rücken könnte. Ich habe es vor kurzem in einem Vortrag weiter ausgearbeitet, der seit kurzem auch im Internet steht. Andrea Guenter wiederum kommt Ende November zu einer Lesung nach Rüsselsheim.

»Maria liest – eine Einführung in Advent und Weihnachten«. Diavortrag und Gespräch mit Andrea Guenter am Mittwoch, 23. November, um 19 Uhr im Gemeindesaal Auferstehung Christi, Thüringer Strasse 17, in Rüsselsheim. Mein Vortrag steht im Internet unter antjeschrupp.de/maria-vortrag.

5. Neue Seiten im Netz:

Seit dem letzten Newsletter sind neue Manuskripte von mir online gegangen und können nun abgerufen werden – falls jemand neuen Lesestoff braucht. Wie immer sind sie teilweise nicht ganz ausformuliert, sondern manchmal nur Stichworte, mit denen ich zu Veranstaltungen gegangen bin. Sie sind entsprechend nicht zitierfähig, sondern sollen euch nur Anregungen geben (zur Erinnerung: antjeschrupp.de/erlaubnisse-und-verbote). Nun also viel Spass damit!

  • Bertha »Boxcar« Thompson, Eisenbahntramp: Manuskript zu einer Radiosendung im WDR über eine Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts auf Eisenbahnwaggons kreuz und quer durch die USA reiste – antjeschrupp.de/boxcar-bertha.

  • Der zuckersüsse Jesus. Religion und Kitsch: Vortrag, den ich im Oktober im Frauensalon in Unna gehalten habe – antjeschrupp.de/kitsch.

6. Frauen und Drogen und so’n Zeug

Ich stehe ja auf einer Reihe von Newslettern, von denen kommen zuweilen interessante Informationen. So erfuhr ich dieser Tage, dass es im Europäischen Parlament einen Ausschuss gibt, der für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres zuständig ist und abgekürzt LIBE heisst (was mir Word soeben in LIEBE verbessert, und das wäre ja mal schön!). Dieser Ausschuss jedenfalls muss demnächst über den Vorschlag entscheiden, ein EU-Programm gegen Gewalt an Frauen, Kindern und Jugendlichen (es heisst DAPHNE) zur Verwaltungsvereinfachung mit dem Anti-Drogen-Programm zusammenzulegen, was symbolisch ja sehr lustig wäre und viel über die Logik der EU-Politik aussagt. Dagegen und weil DAPHNE so dem FEMM entzogen würde (das wiederum ist der Ausschuss der Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter) tobt aber nun die Entrüstung, weshalb es vielleicht gar nicht dazu kommt.