Neid und Konkurrenz unter Frauen
Neid und Konkurrenz sind zwei miteinander verwandte Themen. Es sind Beziehungsformen, oder besser Denkmuster, die etwas über das Verhältnis zweier Menschen und die damit verbundenen Gefühle aussagen sollen. Als solche geht es um die kulturelle Interpretation, darum, wie wir unser Verhältnis zur Welt und zu anderen Menschen verstehen wollen.
In dieser Hinsicht sind Neid und Konkurrenz historisch nicht geschlechtsneutral gewesen. Neid gilt eher als eine weibliche, Konkurrenz als eine eher männliche Verhaltensweise, wobei der Neid tendenziell negativ, die Konkurrenz eher positiv gesehen wird: Neid ist eine der sieben Todsünden, ein psychologisches Defizit, ein Beziehungskiller. Konkurrenz hingegen gilt als notwendig für den Fortschritt und die Weiterentwicklung der Gesellschaft: Sie garantiert die Freiheit in der Marktwirtschaft, spornt zu Wettbewerb und der Verbesserung der eigenen Leistungen an.
Heute, im Zeitalter der Emanzipation, müssen Frauen also den Neid bekämpfen und stattdessen konkurrenzfähig werden. In dieser Hinsicht ist ja schon viel passiert, und zahlreiche Frauenzeitschriften und –ratgeber helfen uns dabei. Neid ist out, ein Fall für die Therapie, Konkurrenz will selbstbewusst gelernt werden.
Trotzdem will ich heute mit dem Neid anfangen, denn, so meine These, gerade über die Auseinandersetzung mit dem Neid können wir viel über das weibliche Begehren erfahren, ohne es vorschnell (in der Logik der Konkurrenz) an einem männlichen Maßstab zu messen.
Die klassischen Lexikon-Definitionen setzen meist Neid mit Missgunst gleich. Im Brockhaus heißt es: »Neid ist ein gerichtetes, missgünstiges Gefühl gegenüber Einzelnen oder Gruppen wegen eines Wertes, dessen Besitz dem Neider nicht gegeben ist.« Webster’s New-World-Wörterbuch besagt, Neid sei »das Gefühl der Unzufriedenheit und Feindschaft in Bezug auf Vorteile und den Besitz anderer…, ein ärgerlicher Widerwille auf Jemanden, der etwas Wünschenswertes hat.«
Neid hat nach diesen Definitionen also vor allem etwas mit der negativen Beurteilung eines anderen Menschen zu tun, es charakterisiert eine Beziehung zwischen zwei Menschen, und zwar eine negative, unfruchtbare Beziehung mit nachteiligen Folgen für beide Seiten. Wer neidisch ist, der gönnt einem anderen sein Glück oder seine Leistung nicht und versucht womöglich, ihn zu schädigen.
Aus dieser Ablehnung des Neides entstand dann jedoch in unserer Kulturgeschichte noch eine andere Tradition oder Interpretation dieses Gefühls, die zwar ebenfalls Neid und Missgunst gleichsetzt, daraus aber ganz andere Schlüsse zieht: Neid sagt nach dieser Definition nichts über den Neider aus (der schlecht ist oder so), sondern etwas über den Beneideten, der nämlich mehr hat, als er verdient. In dieser eher linken Tradition werden Neid und Missgunst also als Zeichen verstanden, die Ungerechtigkeit und Unterdrückung sichtbar machen. Es ist gut, dass es Neid gibt, weil er die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Veränderung anzeigt. Das linke Kursbuch, das eine ganze Ausgabe dem Thema Neid gewidmet hat, schreibt etwa: »Die Privilegierten müssen begreifen, dass es ein Menschenrecht auf Neid gibt.«
Man könnte diese beiden Haltungen unserer Kulturgeschichte als konservative und fortschrittliche, rechte und linke einteilen: Die einen sagen, dass die Unterschiede zwischen Menschen quasi gottgewollt sind, und danach ist Neid schlecht, weil jemand diese Unterschiede bzw. seine geringe Position darin nicht akzeptiert und sich gegen Gott oder die natürliche Ordnung auflehnt. Die anderen sagen, die Unterschiede zwischen Menschen sind ungerecht, Ziel ist die Gleichheit aller Menschen, und deshalb ist Neid gut.
Neid hätte so gesehen also etwas mit Privilegien zu tun und mit der Vorstellung, dass den Menschen die Dinge, die sie haben dürfen, irgendwie zustehen müssen, dass sie ein Recht auf bestimmte Dinge haben und auf andere Dinge nicht. Wobei es eine übergeordnete, moralische Kategorie gibt (Gott oder die Gesellschaft), die darüber entscheidet. Neid entsteht dann, wenn die Zuteilung der Privilegien mit dieser von »oben«, objektiv festgelegten Ordnung nicht übereinstimmt. »Schlechter Neid« bedeutet, dass ich etwas haben will, das mir eigentlich gar nicht zusteht. »Guter Neid« dagegen bedeutet, dass mir etwas vorenthalten wird, was mir eigentlich zusteht, was mein gutes Recht ist.
Neid ist in dieser patriarchalen Kultur aber nicht nur ein unabwendbares Phänomen, sondern auch ein notwendiges. Privilegien sind nämlich nur dann etwas wert, wenn andere mich andere darum beneiden. Nur durch den Neid der anderen wird der Sieger zum Sieger. Ein gutes Beispiel dafür ist die Werbung: »Ihre Nachbarn: neidgelb, Ihr neuer Pool: azurblau. Ihre Finanzierung: wüstenrot« – der Pool als solcher ist nicht erstrebenswert, weil man darin schwimmen kann, weil er erfrischt und Spaß macht, sondern weil die Nachbarn neidisch werden. Nur weil die anderen neidisch sind, kann ich mich an meinem Pool erfreuen. Ich soll etwas konsumieren, nicht weil es schön ist, ich es gebrauchen kann, es mir hilft, sondern damit andere mich beneiden. Unsere Wirtschaft baut auf dem Neid auf – und Neid entsteht nur, wenn andere das nicht haben, was ich habe. Gold wäre nichts wert, wenn alle es im Überfluss hätten. Daher wird so getan, als herrsche ein Mangel an allem. Ein Pool im Garten ist nicht mehr ein schöner Ort, an dem ich mich und meine Freundinnen und meine Nachbarn sich mit mir vergnügen können, sondern der Auslöser für ein Bewusstsein des Mangels. Dadurch, dass wir etwas haben, fehlt uns was.
In dieser Logik kann es eine Welt ohne Neid nicht geben. Es wird immer eine ungleiche Verteilung von Gütern geben – und damit neidische Menschen. Selbst wenn alle reich sind, irgendwer hat immer noch mehr.
Neid ist daher ein typisches Phänomen von Gesellschaften, die Gerechtigkeit mit Gleichheit gleichsetzen. Daher ist man in Russland noch viel neidischer als bei uns (in der russischen Variante von »Wer wird Millionär« ist der Publikumsjoker so gut wie unbrauchbar, weil alle absichtlich die falsche Antwort drücken: Sie finden es eben ungerecht, dass jemand anders Kandidat sein darf und sie nicht)
Von all diesen Bedeutungen des Neides sind Frauen, da sie in dieser Kultur leben, geprägt. Trotzdem würde ich nach den Gesprächen mit Freundinnen und Kolleginnen in der Vorbereitung dieses Vortrags sagen, dass diese Definitionen von Neid – die linke wie die rechte – nicht so richtig stimmen, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Die meisten Frauen verstehen unter Neid nicht Missgunst, das Gefühl ist nicht in erster Linie auf den oder die andere gerichtet. Wenn sie neidisch sind, dann nicht, weil sie einem oder einer anderen den Erfolg oder das Glück missgönnen, sondern weil sie traurig sind, selbst ein solches Glück oder solchen Erfolg nicht zu haben. Was sie neidisch macht, ist nicht der Zorn über die Privilegien der anderen (der macht sie eher wütend), sondern die Unzufriedenheit über die eigene Situation. Wenn sie über ihren Neid sprechen, stellen Frauen vor allem die Frage: Was ist bei mir schief gelaufen, wo habe ich Pech gehabt, wo reichen meine Fähigkeiten nicht aus? Dieser Punkt hängt natürlich mit dem ersten zusammen: Wenn bei mir etwas schief gelaufen ist, nützt es mir nichts, wenn bei anderen auch etwas schief läuft.
2. Den meisten Frauen fallen auf die Frage, worauf sie denn neidisch sind, keine Güter ein, die knapp sind, an denen Mangel herrscht, sondern Güter, die grundsätzlich unendlich sind, um die man sich nicht streiten, konkurrieren muss, sondern die alle haben können: Liebe, gelingende Beziehungen, Zufriedenheit, Zeit, Schönheit.
Ich stellte also zunächst einmal fest, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem, worüber die Frauen sprechen, wenn ich sie nach ihrem Neid befragte, und der Definition des Begriffes in den Lexika und im öffentlichen Diskurs. Und zwar ist der hauptsächliche Unterschied: In der offiziellen Kultur interessiert am Neid vor allem seine Auswirkung auf andere Menschen – Neid ist negativ, weil er die sozialen Hierarchien in Frage stellt, oder er ist positiv, aus genau denselben Gründen. Bei dem, was Frauen dazu sagten, geht es nicht so sehr um ihr Verhältnis zu anderen Menschen und zur Gesellschaft, sondern um das zu sich selbst. Neid zeigt an, dass da eine Differenz ist zwischen dem, was ich bin und dem, was ich sein möchte, und die anderen sind dafür lediglich der Spiegel. = Begehren
Weil es für das weibliche Begehren kulturgeschichtlich keine Begriffe und keine Symbole gibt, wird es als Neid bezeichnet und damit der Logik des Patriarchats gewissermaßen einverleibt. So ist den Frauen ja auch oft ihr Neid vorgeworfen worden, nach dem Motto »du bist ja nur neidisch«. »Du bis ja nur neidisch« – das ist ein Totschlagargument gegen alle, die ein Begehren äußern. Das Perfide daran ist: Man kann den Neid nicht bestreiten. Wer beteuert, nicht neidisch zu sein, bestätigt den Sieger nur in der eigenen Haltung, weil – wer will schon zugeben, dass er neidisch ist?
Was passiert also in diesen Fällen? Eine Einschätzung, ein Urteil, ein Wunsch einer Frau wird als Neid bezeichnet und damit als Ausdruck einer Beziehung interpretiert, als gerichtet auf andere Menschen (vorzugsweise Männer) und damit an ihnen messbar. Aber wenn es das nicht ist, welche Interpretation wollen wir dem Neid denn dann geben? Wie interpretieren wir und was machen wir mit diesem Gefühl der Unzufriedenheit, das uns befällt, wenn wir bei einer anderen sehen, was wir selbst gerne hätten oder wären?
Natürlich ist der erste und wichtigste Schritt, sich dieses Gefühl überhaupt einzugestehen. Schon allein dafür ist es gut, statt von Neid von Begehren zu sprechen. Gerade der unausgesprochene, uneingestandene Neid kann nämlich sehr schädlich für Beziehungen sein und diese geradezu zerstören. Neulich etwa kaufte sich eine Kollegin von mir einen schicken, extravaganten und teuren Mantel. Statt sich mit ihr zu freuen, fingen die anderen Kolleginnen an, an dem Mantel herumzumäkeln und Bedenken zu äußern: Wird schnell dreckig, kann man nicht dauernd tragen, man wird sich schnell daran satt sehen usw. Natürlich ärgerte sie sich sehr, und so wurde aus dieser kleinen Angelegenheit fast ein ernstes Zerwürfnis, um wie viel schlimmer, wenn es dabei wirklich um etwas Wichtiges geht.
Wann man sich erst einmal bewusst gemacht und eingestanden hat, dass sich im Neid auf andere ein eigenes Begehren ausdrückt, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen: Entweder die Person hat etwas, das ich auch haben will, aber nicht habe, und das man teilen kann. Da gibt es nun erst einmal eine ganz einfache Möglichkeit, auf die schon Sokrates hingewiesen hat, die aber merkwürdigerweise bei uns gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird. Sokrates empfiehlt: »Freunde beseitigen den Neid, indem sie ihre Güter dem Freunde anbieten oder indem sie die seinen als die ihren ansehen«.
Genau: Man kann ja einfach teilen. Kinder machen das übrigens so – wenn jemand was hat, von dem sie auch etwas haben wollen, dann verlangen sie ihren Anteil ab. Es ist ein ganz einfaches Ding, vorausgesetzt natürlich, man geht nicht davon aus, Menschen dürften nur das haben, was ihnen zusteht. Wenn mein Nachbar einen Pool hat, frage ich, ob ich drin schwimmen darf. Und andersrum lade ich ihn dazu ein.
Wir haben aber in unserer Kultur die Möglichkeit, einfach grundlos (oder nur wegen der Beziehung) etwas abzugeben bzw. sich etwas abgeben zu lassen, symbolisch ausgeschlossen, weil wir immer die Frage nach der Berechtigung, dem Recht, der Gerechtigkeit stellen. Neid kann aber einfach ein Zeichen dafür sein, dass ich mit jemandem in Verhandlungen treten muss. Es geht dabei nicht um Rechte, denn ich habe natürlich kein Recht darauf, im Pool des Nachbarn zu schwimmen. Sondern es geht um Wünsche. Deshalb kann ich nichts einklagen, sondern muss bitten, verhandeln. Aber im Austausch gegen materielle Güter kann ich in diesen Kreislauf durchaus etwas einbringen: Dankbarkeit, Loyalität, Freundschaft, Liebe. Wir können da von den Kindern viel lernen, die Meister in dieser Art von Verhandlungen sind.
Soviel zu dieser ersten Möglichkeit, dass ich nämlich neidisch auf irgendein Gut bin, das knapp ist und ver- bzw. geteilt werden kann. Viel häufiger jedoch trifft die zweite Möglichkeit zu, dass ich nämlich neidisch bin auf etwas, das man nicht teilen kann, und das im Prinzip unbegrenzt vorhanden ist, nur dass ich es eben nicht habe. Dass jemand anderes glücklich ist, eine gute Liebesbeziehung hat, beruflich erfolgreich ist, zeigt mir, dass es möglich ist so etwas zu haben. Und neidisch zu werden heißt, dass ich insgeheim glaube, dass ich so etwas auch erreichen könnte – aber dass es gleichzeitig schwierig ist, so schwierig, dass ich schon fast keinen Mut habe, hier heranzugehen. In solchen Fällen hat Neid weniger mit Missgunst zu tun, als mit Traurigkeit.
Viele Frauen, die auf das Glück, den Erfolg, das Selbstbewusstsein, die Arbeit einer anderen neidisch sind, glauben dann meist, dass sie selbst es nicht kriegen können, und zwar aufgrund einer eigenen Unfähigkeit. Diese Unfähigkeit wiederum kann verschiedene Ursachen haben: Ich habe keine liebevolle Mutter gehabt, meine Eltern haben mich nicht auf eine gute Schule geschickt, ich hatte keine ausreichenden finanziellen Mittel, ich habe zu viele schlechte Erfahrungen gemacht. Viele Frauen empfinden dieses Gefühl des Neides oft als lähmend und lassen sich davon blockieren.
An diesem Punkt setzen dann die Ratschläge der Frauenzeitschriften ein: Ich soll das eigene Schicksal beherzt in die Hand zu nehmen, die Konkurrenz der anderen zu meinem eigenen Vorteil zu nutzen, sich anspornen zu lassen und mir vornehmen, die eigenen Ziele zu erreichen, meist mit Hilfe der ein oder anderen Technik, eines Kurses, eines Ratgeber-Buches. Leider ist es in der Realität meist nicht so einfach, wie es hier suggeriert wird.
Denn manchmal ist diese Einschätzung, dass die Möglichkeiten verpasst, die Chance unwiderruflich verstrichen ist, ja richtig. Wenn etwa eine fünfzigjährige kinderlose Frau neidisch ist auf eine Jüngere, die gerade Mutter geworden ist, dann kann sie daran nichts ändern. Sie hat keine Kinder. Und sie wird auch keine mehr bekommen. Es ist eine verpasste Gelegenheit, Pech, dumm gelaufen. Eine falsche Entscheidung getroffen. Hier kommt es darauf an, dieser Trauer auch Raum zu geben, sie sich einzugestehen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Sich nicht etwas vormachen (etwa: Ich will ja gar keine Kinder, was für ein Glück, dass ich keine habe), sondern sich einzugestehen, dass dieses Begehren nicht erfüllt werden wird und ganz bewusst darum trauern. Und sich dann von diesem unerfüllbaren Wunsch lösen, statt Energien damit zu verschwenden, ihm trotzdem nachzueifern. Uns so wieder Raum zu schaffen, den nächsten Schritt gehen zu können. Zum Beispiel den, ein neues, ein anderes Begehren zu finden, eines, das erfüllt werden kann.
Aber viel häufiger als auf solche unerreichbaren Dinge, sind wir neidisch auf Sachen, die prinzipiell erreichbar wären. Wenn ich merke, dass ich neidisch bin, ist es deshalb wichtig, zu sehen, was die andere, auf die ich neidisch bin, dafür tut, was sie erreicht. Eine Freundin erzählte mir zum Beispiel, sie sei neidisch auf Künstlerinnen, die gut musizieren oder gut malen können. Aber gleichzeitig weiß sie, dass für eine solche Fähigkeit sehr viel Üben notwendig ist – eine Disziplin, die sie selbst nicht aufbringt. Bei mir ist es so, dass ich manchmal neidisch bin auf Frauen, die eine bessere Figur haben als ich. Aber inzwischen ist mir dieser Neid vergangen, weil er mich jedes Mal daran erinnert, was ich eigentlich tun müsste: Weniger Schokolade essen, mehr Sport treiben. Im Fall von Abnehmen ist das ja ganz einfach. Natürlich habe ich es in der Hand, schlanker zu werden. Aber ich bin nicht bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Also muss ich mir eingestehen, dass mir das Ganze wohl doch nicht wichtig genug ist.
Und auch da zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, die Verhandlungen zwischen mir und mir selbst aufzunehmen, wozu uns der Neid herausfordert. Wie groß ist mein Begehren, und bin ich bereit, wirklich etwas dafür zu tun, um dieses Ziel zu erreichen? Das gilt übrigens auch, wenn der Preis, den ich zahlen müsste, höher ist als bei der, auf die ich neidisch bin: Weil ich zum Beispiel nicht so talentiert bin und noch mehr üben müsste, oder weil meine Eltern mir keinen Klavierunterricht finanzierten usw. Das Entscheidende ist: Es ist ein Preis, den ich zahlen könnte, auch wenn er hoch ist, aber den ich nicht zahlen will.
Als ich meine Freundin damit konfrontierte, dass ihr Begehren, gut musizieren zu können, offenbar nicht groß genug ist, wenn sie nicht bereit ist, dafür zu üben und dass es vor diesem Hintergrund doch ziemlich blöde sei, neidisch zu sein, stellte sich heraus, dass es gar nicht die Fähigkeit, ein Instrument gut zu spielen, ist, weshalb sie auf diese Frau neidisch ist, sondern schlicht die Tatsache, dass diese Frau in ihrem Leben etwas hat, das sie mit so großer Leidenschaft verfolgt, dass sie bereit ist, dafür viele Stunden am Tag zu üben – und dass der Mangel, die Unzufriedenheit, die bei meiner Freundin den Neid auslöst, eigentlich die ist, dass sie eine solche Leidenschaft in ihrem Leben vermisst. Sie ist unzufrieden, weil sie nichts hat, das sie so begeistert, dass sie bereit ist, mit solcher Hingabe und Disziplin dafür zu arbeiten.
Das war für mich eine sehr faszinierende Spur, auf die wir da geraten waren. Wenn hinter dem Neid vielleicht oft gar nicht der Neid auf eine bestimmte Sache steckt, dann geht es nicht mehr darum, moralisch zu sagen: Du musst eben mehr üben, wenn du Musikerin werden willst, oder du musst weniger Schokolade essen, wenn du schlank sein willst. Sondern dann ist gerade diese »Disziplinlosigkeit«, also die Tatsache, dass wir den Preis oft nicht bezahlen wollen, ein Hinweis darauf, dass wir noch gar nicht herausgefunden haben, was wir wollen. Worauf es ankommt, ist, dieses eigene Begehren zu finden und herauszufinden, wofür ich mich so leidenschaftlich einsetzen würde. Denn wir müssen nicht alle den gleichen Idealen nachjagen: Was meine Leidenschaft weckt, das muss deine noch lange nicht wecken.
Somit war für mich die Frage beantwortet, warum so viele Frauen – und vermutlich auch Männer – neidisch sind auf Dinge, die sie gar nicht begehren. Und damit kommen wir zurück zur Missgunst: Wir sind nicht neidisch auf den Pool der Nachbarn, sondern auf ihr oft sogar nur vermutetes Glück. Nur wenn wir diesen Weg zu unserem eigenen Begehren nicht verstehen, wenn wir den Neid also nicht in diesem Sinne kreativ nutzen, um unserem Begehren zu folgen, nur dann entsteht Missgunst.
Es ist noch aus einem anderen Grunde fatal, dass weibliches Begehren oft als Neid fehlinterpretiert wird. Und zwar deshalb, weil ich meinem Begehren nur folgen kann, indem ich Beziehungen eingehe, so dass das Mehr anderer Frauen, ihre Autorität, für mein eigenes Begehren fruchtbar wird. Wenn mein Begehren sich aber als Neid äußert, dann zerstört das die Beziehungen. Neid ist in zweifacher Hinsicht eine Blockade: Er blockiert meine Verhandlungen mit mir selbst – was will ich wirklich, was bin ich bereit, wofür zu tun und zu zahlen? – indem er meine Aufmerksamkeit auf andere richtet: Denen geht es besser, die haben mehr. Und zweitens blockiert er meine Beziehungen zu den anderen, weil ich ihr Mehr als eine Bedrohung, als Ungemach wahrnehme und nicht als Möglichkeit, mich selbst auf dem Weg meines Begehrens zu begleiten und weiterzubringen.
Eine weibliche symbolische Ordnung braucht den Neid nicht. Dass eine andere etwas hat, bedeutet nicht, dass ich das auch haben muss – erstens kann ich sie darum bitten, mir etwas abzugeben (oder andersrum, wenn ich viel habe, kann ich es mit anderen teilen) und zweitens ist es genauso gut möglich – und sogar sehr wahrscheinlich, dass ich so etwas gar nicht haben will, weil ich nämlich etwas ganz anderes begehre.
Was bedeutet das alles nun für das Thema Konkurrenz unter Frauen, mit dem sie heute zunehmend konfrontiert sind?
- con-Correre (zusammen laufen, mit laufen): Wettlauf, zusammen rennen. Das Setting ist: Zwei laufen nebeneinander her (ohne Beziehung) in dieselbe Richtung (also nicht dorthin, wo sie wollen, die Richtung ist vorgegeben). Und Gewinner ist nicht, wer ankommt, sondern wer schneller ankommt, als die anderen.
- der Schiedsrichter ist »objektiv«, d.h. extern, z.B. Stoppuhr, der Punktrichter. Wenn Konkurrenz im Spiel ist, dann bin ich nicht mehr selber Maßstab meiner Leistungen, sondern habe diese Bewertungsaufgabe sozusagen nach außen delegiert. Es geht nicht um die Frage: Ist es gut oder schlecht, sondern um die Frage: Wer ist besser, wer ist schlechter? (Es gibt nur einen Gewinner, selbst wenn alle ziemlich gut sind). Hundertstel Sekunden messen.
- Was ist der Sinn einer solchen Veranstaltung? Die Leistungen »vergleichbar« zu machen, um den Besseren, den Gewinner zu ermitteln. Das kann zwei Gründe haben: 1) Es ist notwendig, den Besseren zu identifizieren 2) Es ist nicht notwendig, man macht es aber trotzdem, also aus symbolischen Gründen, z.B. weil es Spass macht oder weil es die eigene Identität konstituiert.
- Konkurrenz, Wettkampf, funktioniert nur, wenn die Beteiligten als Gleiche gedacht werden, beide haben die gleiche Ausgangsposition, müssen das gleiche machen,
- bei Konkurrenz kommt es deshalb sehr auf Fairness an, Unfairness ist ein großes Problem, denn dadurch wird das Ergebnis verzerrt. – wichtig ist aber: Das hat überhaupt nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Denn die würde sich an den individuellen Unterschieden orientieren – laufen Behinderte mit nicht-Behinderten? Habe ich heute gut geschlafen oder schlecht? Hat jemand persönliche Probleme? All diese individuellen Unterschiede werden bei Fairness aber gerade nicht berücksichtigt. Es geht nicht um die Leistung, sondern nur um das Ergebnis.
Die individuellen Unterschiede bleiben bei der Konkurrenz außen vor, es wird so getan, als seien alle Konkurrenten gleich, was natürlich niemals stimmt. Fairness bedeutet lediglich, dass unter Konkurrenten, die als Gleiche gesehen werden, der Beste gewinnt, dass also nicht einer gewinnen kann, obwohl er gar nicht der Beste ist. – und der Beste ist eben, wer das Ziel am schnellsten erreicht, nicht wer die meisten Hindernisse dabei überwindet (etwa die eigene Faulheit oder Dickleibigkeit).
- der Zweck der Konkurrenz ist: Möglichst den finden, der die gestellte Aufgabe objektiv am besten bewältigt. Es geht dabei nicht darum, den Beteiligten gerecht zu werden, sondern dem anvisierten Ziel. Es soll der Mensch gefunden werden, der am schnellsten 100 Meter läuft – und die Regeln gibt es nicht, damit es gerecht zugeht, sondern damit nicht der Zweitbeste gewinnt, nur weil er sich dem Allerbesten gegenüber einen unlauteren Vorteil verschafft hat.
- Es ist daher Quatsch, für Konkurrenzsituationen zu fordern, dass die Regeln »gerechter« werden. Etwa neue Auswahlkriterien bei Stellenbesetzungen, die weibliche Qualitäten, so genannte »soft skills« berücksichtigen. Durch solche Änderungen wird es nicht gerechter, es werden nur die Ziele verändert, der Maßstab, der die Effektivität bestimmt, die angestrebt werden soll.
– Konkurrenz ist so zu sagen eine Methode im Umgang mit Mangelsituationen. Wenn es um knappe Ressourcen geht, entsteht unweigerlich Konkurrenz – denn nicht alle können das Ziel, sich mit den knappen Ressourcen zu versorgen, erreichen. Wenn es etwa nur eine Stelle gibt, aber fünf Bewerberinnen, dann werden die in Konkurrenz gehen – bzw. jeder der eine solche Stelle besetzen will und die Beste dafür haben will, wird einen Wettbewerb ausloben. Das ist aber nur sinnvoll, wenn es einen realen Mangel gibt – und daher oft nicht, wenn wir, wie beim Thema Neid, herausgefunden haben, dass Mangel oder Fülle eine Frage der Perspektive ist (wie beim Pool). Es ist sogar so, dass wenn mit dem Konkurrenzgedanken an eine Situation der Fülle herangegangen wird, ein Mangel entsteht – Beispiel von den Liegen in der Sauna.
- Gleichzeitig gibt es auch schon lange einen symbolischen Mangel, der identitätsstiftend ist für das Männliche. Die Olympiade wurde schon in antiken Zeiten erfunden. Doch erst mit der Industrialisierung und der Marktwirtschaft entstand Konkurrenz als vorherrschendes und maßgebliches Verhalten zwischen Menschen im öffentlichen Raum (also Männern, denn Frauen waren in der bürgerlichen Gesellschaft von dieser öffentlichen Sphäre ja gerade ausgeschlossen), und zwar nicht nur im Spiel, sondern in der Wirtschaft und in der Politik. Denn es ging um möglichst effektive Ausbeutung von Ressourcen, um Fortschritt und Erfindungen, um reich werden usw. D.h. die Dinge, die Konkurrenz brauchten, wurden gesellschaftlich ganz wichtig.
Mit Entstehung des Kapitalismus wurden, so meine These, der symbolische und reale »Konkurrenzbedarf« der Männer in eins gesetzt. Der symbolische, der bis dahin nur ein Spiel, eine Inszenierung war, wurde nun interpretiert als die Grundregeln jeder Gesellschaft, jeden sozialen Zusammenlebens.
Das funktioniert natürlich in der Realität nicht, Konkurrenz allein regelt die Gesellschaft nicht, weil sie von der Realität (den konkreten, individuellen Bedürfnissen der Menschen, zum Beispiel dem, geliebt zu werden unabhängig von Leistung) absieht. Konkurrenz braucht also eine Gegenseite. Es war daher kein Zufall, dass diese ganze Entwicklung zu einer Trennung der Sphären von weiblichem und männlichem Leben geführt hat.
Das heißt – und männliche Philosophen haben das übrigens schon immer klug beobachtet und gewusst – dass die »männliche« Praxis der Konkurrenz in der öffentlichen Sphäre nur funktioniert, wenn sie ergänzt wird durch andere Beziehungsformen, die eben gerade nicht durch Konkurrenz bestimmt sind, und diese Aufgaben haben Frauen übernommen: In der Familie, der Kindererziehung, der Liebe, der Pflege von Kranken und Alten und so weiter.
- Vor der Emanzipation konkurrierten Frauen nicht mit Männern, sondern nur mit anderen Frauen. Und das Objekt, um das sie konkurrierten, war nur ein einziges: Der Mann. Konkurrierten die Männer sozusagen um die Welt (Gott, Macht, Einfluss, Wissen) so konkurrierten die Frauen um die besten Männer – denn die mussten dann als ihre Ehemänner ja sozusagen die Verhandlungen über die Welt stellvertretend für ihre Frauen übernehmen.
- Seit der Emanzipation sind Frauen aber auch in den Bereich der Konkurrenz mit den Männern gekommen. Dabei kam es aber zu einer Vermischung der Ebenen.
Folge: 1) Frauen brachten ihre Gewohnheiten und Werte aus der privaten, intimen, konkurrenzlosen Sphäre mit, was häufig zu Missverständnissen führte. Alle Untersuchungen belegen, dass den Frauen gerade auch im öffentlichen Bereich das Private wichtig ist, sie arbeiten lieber mit Menschen zusammen, die ihnen nicht »fremd« sind. Das ist im Konkurrenzprinzip der bürgerlichen Gesellschaft aber nicht vorgesehen – denn es führt zu Korruption, indem etwa die Beziehungen mehr zählen als Regeln und Fairness.
2) aber: Es ist auch ein strukturelles Problem. Denn es funktioniert nicht, dass einfach alle Frauen werden wie Männer, denn dann bleibt die andere Seite, die der Familie und der Harmonie, leer. Wenn alle Menschen nur miteinander konkurrieren, also nur nach diesen Kriterien miteinander umgehen, dann bricht die Gesellschaft zusammen. Das beobachten wir derzeit.
Das Thema Frauen und Konkurrenz hat also 3 Ebenen: Sie konkurrieren nach wie vor mit anderen Frauen um den besten Mann (bzw. die Anerkennung der Männer), sie konkurrieren mit den Männern um die Welt (so als wären sie Männer, weil sie den Zugang zu der symbolischen Ordnung der Männer haben), und sie konkurrieren mit anderen Frauen um die Welt (weibliche symbolische Ordnung, der Streit, was eine Frau ist und wie sie in der Welt handelt).
Dieser dritte Teil ist der eigentlich spannende. Allerdings auch der, der am wenigsten diskutiert wird. Fragen: Wie wollen wir die Welt gestalten? Welchen Preis sind wir bereit zu bezahlen, zum Beispiel für Karrierestufen und Ämter – oder auch nicht? Welche Nachsicht sind wir bereit (oder auch nicht) mit Frauen zu haben, die alles dem Erfolg unterordnen?
Konkurrenz ist für diese Auseinandersetzung unter Frauen aber kein geeignetes Modell. Damit schließt sich der Bogen zum Thema Neid: Wenn Begehren der Motor ist, der das Verhältnis der Frauen zur Welt bestimmt, dann ist Konkurrenz kein geeignetes Instrument, denn es geht hier nicht um einen Mangel, sondern um eine Fülle: Die Fülle des Begehrens und die Fülle der Möglichkeiten die die Welt bietet. Und dieses nicht durch eine Perspektive der Konkurrenz in einen Mangel zu verwandeln.
Was nicht heißt, das es keinen Konflikt geben kann. Aber der Konflikt darüber, wie Frauen die Welt sehen und gestalten möchten, der muss über eine direkte Verhandlung und Auseinandersetzung miteinander laufen, nicht über externe, äußere Maßstäbe.
Was können wir also tun?
Um dem eigenen Begehren zu folgen ist Kooperation nötig, nicht Konkurrenz. Wir folgen unserem Begehren nicht, indem wir dahin rennen, wo andere hin wollen (oder die Werbung sagt, dass wir hinrennen sollen), sondern wo ich hin will. Andere Menschen sind dabei keine Konkurrenten, sondern notwendig, weil ihr Mehr, wenn sie für mich Autorität haben, einen Weg dahin zeigt.
Wenn wir in einer Konkurrenzsituation sind, ist es hilfreich die Frage zu stellen: 1) Ist es wirklich eine Mangelsituation (wobei das selten ein Frage ist, die sich objektiv bewerten lässt, sondern eine Frage danach, wie ich eine Situation symbolisch bewerten will. Verstehe ich z.B. die offene Stelle als knappe Ressource, die ich brauche, oder ist diese Stelle mir gar nicht so wichtig?) oder 2) ist es ein Spiel, das durch die Konkurrenz mehr Würze bekommt und mehr Spaß macht?
- Vielleicht ist das eine Möglichkeit des kreativen Umgangs damit, dass wir die Konkurrenz und den Wettbewerb wieder als das ansehen, was es ursprünglich war: Ein Spiel. Konkurrenz macht den Reiz eines Spieles aus, etwa beim Squash: Solange keine Punkte gezählt werden, strenge ich mich nicht an. Es macht Spaß, Kräfte zu messen, zu gewinnen – weniger zu verlieren. Aber das ist nicht wirklich existenziell wichtig. So wie ich mich zwar im Moment der Squash-Niederlage ärgere und im Fall eines Sieges freue – große Emotionen – so dauert das nur einen Augenblick. Nach dem Duschen habe ich meist schon vergessen, wer diesmal gewonnen oder verloren hat, es hat keine wirkliche Bedeutung. Das heißt, bei solchen unwichtigen Dingen kann Konkurrenz Spaß machen.
- Wenn wir jedoch unseren Ort in der Welt suchen, also in Beziehung zu anderen Frauen gehen, um unser Verständnis der Welt zu finden, dann ist Konkurrenz keine geeignete Form. Denn es geht nicht um einen Mangel, sondern um die Fülle unseres Begehrens, unserer Ideen, die Fülle an Möglichkeiten, weil ständig Neues entstehen kann. Es gilt daher, andere Formen der Differenz zu etablieren, andere Beziehungsformen für Ungleichheit zu finden.
Deshalb haben viele Frauen eine Abneigung gegen die Konkurrenz, auch wenn diese ihnen derzeit ausgetrieben wir, auch von einem falsch verstandenen Feminismus, der die Freiheit der Frauen an ihrer Gleichheit mit den Männern misst. Aber weibliche Freiheit bedeutet nicht, die männliche Lust an der Konkurrenz zu imitieren, sondern eine eigene, möglicherweise auch für die Welt bessere Weise zu finden, mit dem Anderssein umzugehen, mit der Tatsache, dass andere etwas besser können als ich. Damit könnten sie auch Dinge herausfinden und eine Praxis einüben, die sie denjenigen Männern anbieten, die ebenfalls keine Lust auf Konkurrenz haben.
Das Verhältnis der Frauen zur Welt muss nicht in der symbolischen Ordnung des Mangels verhaftet bleiben. Sie können ihr eigenes Begehren in die Welt tragen, indem sie es der Autorität andere Frauen anvertrauen, indem sie das Mehr der anderen nicht als Bedrohung ansehen, sondern als ein möglicher Weg, die eigenen Leidenschaften zu entdecken, indem sich nicht auf Rechte pochen, sondern auf konkrete Verhandlungen setzen: Verhandlungen mit mir selber über den Preis, den ich wofür zu bezahlen bin oder auch nicht, und auf Verhandlungen mit anderen darüber, was meine Wünsche sind, was ihre Wünsche sind, und wie wir die Welt so gestalten, dass die Probleme, die unsere Gesellschaft hat, besser gelöst werden, als das derzeit der Fall ist.
Vortrag am 25.6.2006 in Bad Honnef.