Neid: die Spur zum eigenen Begehren
»Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Hof, Vieh…« – das biblische Begehrensverbot klingt wie aus einer anderen Zeit. Denn natürlich sollen wir begehren, was die anderen haben: den neuen Flachbildschirm, das Designersofa, das schicke Auto. Was sollte denn sonst aus unserer Wirtschaft werden!
Der Neid, früher als Todsünde angesehen, wird heute ganz ungeniert als Motor des Konsums gefeiert: Da springt auf der Anzeige eine schöne, braungebrannte Frau im Badeanzug fröhlich in ihren Swimmingpool. Kommentar: »Ihre Nachbarn: neidgelb. Ihr neuer Pool: azurblau. Ihre Finanzierung: wüstenrot«. Erst der Neid der anderen, so scheint es, macht den eigenen Wohlstand so richtig schön.
Wäre da nicht auch noch die andere Seite des Neides. Dieses nagende, unangenehme Gefühl, bei anderen etwas zu sehen, das man selbst auch gerne hätte. Ein Mangel, der sich nicht so einfach mit einem Besuch des nächsten Konsumtempels aus der Welt schaffen lässt. Und nicht nur, weil der Geldbeutel vielleicht nicht prall genug gefüllt ist.
Denn mal ehrlich: Weshalb sind wir denn neidisch? In den seltensten Fällen sind es doch wirklich die schönen Dinge, die die anderen haben und ich nicht. Viel öfter deutet der Neid auf eine tiefere Unzufriedenheit hin. Darauf, dass ich mit mir und meinem Leben nicht wirklich im Reinen bin. Dass ich bei anderen eine Lebensfreude vermute, die mir fehlt. Das Schwimmbad, das Auto, das Sofa sind da nur der Auslöser.
Dass jemand anderes glücklich ist, eine gute Liebesbeziehung oder beruflichen Erfolg hat, zeigt mir, dass das möglich ist. Aber ich finde es gleichzeitig so schwierig, dass mich der Mut verlässt. So schlägt die Missgunst leicht in Selbstzweifel um. An diesem Punkt setzt dann die Ratgeberliteratur ein und empfiehlt, die Konkurrenz der anderen zum eigenen Vorteil zu nutzen, meist mit Hilfe der ein oder anderen Technik. Leider ist das in der Realität oft nicht so einfach.
Denn Tatsache ist: Neid ist vor allem eine ganz persönliche Angelegenheit. Er sagt viel mehr über mich selbst aus als über die anderen. Aber genau darin liegt auch seine wirklich große Chance: Denn wie wäre es, den Neid mal nicht als Anlass zum Ärger über die böse Welt und all ihre Ungerechtigkeit zu nehmen, sondern darin eine Chance zu sehen? Einen Ausgangspunkt, der mich nicht lähmt, sondern motiviert, etwas zu unternehmen?
Hinter jedem Neid steht nämlich ein Begehren. Und etwas zu begehren, das macht uns lebendig und treibt uns an. Allerdings wurde das »Begehrensverbot« der Bibel oft missverständlich ausgelegt: »Du sollst nicht begehren!« hat man vor allem Frauen eingeredet, so als ob das Begehren an sich schon eine moralisch verwerfliche Angelegenheit sei.
Aber dass man nicht Dinge begehren soll, die anderen gehören, heißt ja keineswegs, dass man überhaupt nichts begehren darf. Im Gegenteil: Das Gebot kann genauso gut als Aufforderung verstanden werden, nicht länger die Missgunst zu pflegen, sondern stattdessen zu überlegen, was man selbst denn eigentlich will.
So gesehen könnte der Neid ein Auslöser sein, über die eigenen Unzufriedenheiten nachzudenken und Veränderungen in die Wege zu leiten. Genau betrachtet ist nämlich vieles, worauf wir neidisch sind, gar nicht unerreichbar. Es sind nur zu »teuer«, das heißt, der Preis, den wir dafür bezahlen müssten, ist uns zu hoch: Zwar möchte ich gerne auch so schlank sein wie meine Kollegin, aber ich bin nicht bereit, auf Schokolade zu verzichten und mehr Sport zu treiben. Ich bin zwar neidisch auf die Klavierkünste meiner Nachbarin, würde aber die Disziplin nicht aufbringen, jeden Tag stundenlang zu üben.
Sich einzugestehen, dass man einen Preis nicht zahlen will, obwohl man es ehrlicherweise könnte (wenn auch mit Mühen), ist keine Schande. Es ist im Gegenteil eine wertvolle Erkenntnis. Sie gibt nämlich Auskunft über das eigene Begehren: Es ist wohl nicht groß genug. Vielleicht liegt also meine Sehnsucht ganz woanders, und ich habe nur noch nicht herausgefunden, wo. Was die andere hat, ist nicht unbedingt das, was mir fehlt. Dieser Spur nachzugehen ist immer der Aufbruch zu etwas Größerem: Weil da ein Begehren in mir schlummert, das es verdient, entdeckt zu werden.
in: Chrismon-Rheinland, 9/2006