Antje Schrupp im Netz

Maria Magdalena

(In meinem Blog habe ich zu dieser Veranstaltung auch etwas geschrieben)

Maria Magdalena ist eine wichtige Figur im Christentum, denn nach den Evangelienberichten wüssten wir ohne sie nichts von der Auferstehung – sie war es, die als erste das leere Grab und den auferstandenen Christus gesehen hat und von ihm den Auftrag erhielt, es den Jüngern zu verkündigen (Joh 20,18! daher nennen viele Kirchenväter sie auch: Apostelin der Apostel). Maria Magdalena steht bei den weiblichen Jüngerlisten an 1. Stelle, wie Petrus bei den männlichen.

Das Wort »Apostel« bedeutet »Gesandter«. Gesandt von wem, von Jesus selbst? Paulus zum Beispiel beansprucht den Titel für sich selbst, obwohl er Jesus nicht gekannt hat, er beruft sich auf eine Vision des Auferstandenen. Der Evangelist Lukas beschränkt den Titel auf die zwölf Apostel. Es ist nicht bekannt, dass Maria Magdalena selbst den Titel für sich beansprucht hat, allerdings hat es in der frühen Christenheit definitiv andere gegeben, die sie als Apostelin gesehen haben.

Portrait von Maria Magdalena Man weiß nicht viel Genaues über Maria Magdalena, weil es keine gute Quellenlage gibt. Immerhin wird sie in allen vier Evangelien erwähnt, von daher können wir sicher sein, dass sie zum engeren Kreis der Jesusbewegung gehört hat. Man geht davon aus, dass sie unverheiratet war, weil sie nicht nach einem Ehemann oder Vater benannt wurde, sondern nach ihrem Herkunftsort Magdala. Das liegt am Westufer des See Genezareth, ca. 10 Kilometer von Kapernaum entfernt, also einer Haupt-Wirkungsstätte von Jesus.

Die verschiedenen Evangelien nennen verschiedene Frauen, die unter dem Kreuz standen oder um Jesus am Grab trauerten, nur Maria Magdalena wird in allen genannt. Die männlichen Jünger hingegen waren größtenteils aus Jerusalem geflüchtet – immerhin war Jesus als Verbrecher von den Römern hingerichtet worden. Als Maria Magdalena und die anderen ihnen von der Auferstehung berichten, glauben sie es zuerst einmal nicht, so nach dem Motto: Was die Frauen wieder für dummes Zeug erzählen. Im Johannesevangelium begegnet sie dem auferstandenen Jesus, und er sagt, sie soll ihn nicht berühren, es scheint, als befinde er sich noch in einer Art Zwischenstadium (vor seiner Auffahrt in den Himmel) und sie wird sozusagen das Medium seiner Worte – über Maria Magdalena spricht Jesus zu den Jüngerinnen und Jüngern, sie ist sozusagen die Brücke.

Die Evangelien sind alle relativ jung und erst in den 70er bis 90er Jahren des 1. Jh. geschrieben worden. Wenn MM noch so einen zentralen Platz als Auferstehungszeugin in ihnen erhält, so zeigt das, dass sie den ersten Generationen nach Ostern bekannt war und eine wichtige Rolle in der Zeit nach Jesu Tod gespielt. Das ist wichtig, denn das Christentum hat ja drei Quellen: Erstens die Tora, also die Heilige Schrift des Judentums, zweitens: Die Ethik Jesu, die sozusagen eine spezielle Auslegung bzw. Interpretation des jüdischen Glaubens ist (und nicht die Gründung einer neuen Religion beinhaltet), und schließlich drittens die spezifisch christliche Theologie, die sich als Reaktion auf Jesu Tod am Kreuz und vor allem als Reaktion auf seine Nicht-Wiederkunft innerhalb eines Menschenlebens herausbildete.

An dieser Interpretationsgeschichte des Todes Jesu, zu der ein Großteil des christlichen Erlösungs- und Auferstehungsglaubens gehört, war Jesus logischerweise nicht mehr beteiligt, da er ja schon tot war. Deshalb sind diejenigen, die in den frühen Gemeinden eine maßgebliche Rolle spielten, so wichtig – neben Maria Magdalena und anderen Mitgliedern der Jesusbewegung war das zum Beispiel wohl Paulus. Wahrscheinlich gab es aber auch in Jerusalem mehrere Gemeinden mit zum Teil auch unterschiedlichen Theologien.

Man weiß nichts historisch Definitives über das Schicksal der Maria Magdalena nach Jesu Tod. Seit dem 6. Jahrhundert wird in Ephesus, einer in antiken Zeiten bedeutenden Stadt in Kleinasien, ungefähr 70 Kilometer südlich vom heutigen Izmir an der türkischen Westküste, wird ein Grab der Maria Magdalena verehrt. Ephesus war ein wichtiges Zentrum des frühen Christentums. Hier wirkten Johannes von Patmos, der Autor der Offenbarung, Paulus und möglicherweise auch die Schule, die sich um Johannesevangelium und Johannesbriefe sammelte.

Das Neue Testament ist eine Sammlung von Schriften, die erst im 4. Jahrhundert fest in der jetzigen Zusammensetzung »kanonisiert« wurden, wobei der Prozess der Kanonbildung aber schon im 2. Jahrhundert begann. Es ist auch das Ende eines Diskussionsprozesses, bei dem es um die Frage ging, was die Christen und Christinnen wohl glauben sollten. Offenbar hat sich dabei die Theologie des Paulus (und seiner Anhängerinnen und Anhänger) durchgesetzt. Kanon heißt eigentlich Richtschnur oder Maßstab im wörtlichen Sinn. Nachdem das Christentum zur römischen Staatsreligion geworden war, also im 4. Jh., wurde diese Liste verbindlich. Sie diente zugleich auch zur Abgrenzung. Dabei hat sozusagen die paulinische Richtung das große Los gezogen.

Es ist auffällig, dass Paulus Maria Magdalena in seiner Aufzählung der Auferstehungszeugen nicht nennt. Mag sein, dass er sie tatsächlich nicht kannte – er kam erst frühestens fünf Jahr nach Jesu Tod nach Jerusalem – mag auch sein, dass er sie herausgestrichen hat, denn einige frauenfeindliche Tendenzen hat er schon.

Man kann aber nicht einfach sagen, dass sich hier eine frauenfeindliche Richtung durchgesetzt hat, denn auch in der Paulusbewegung gab es viele Frauen, die durchaus den Rang von Apostelinnen hatten und die er in seinen Briefen namentlich erwähnt, etwa Junia und Priska und Thekla. Speziell Thekla war wichtig, es gab damals einen regelrechten Thekla-Kult, der aber nicht überliefert wurde.

Eine Richtung, gegen die man sich mit der Kanonisierung zunehmend abgrenzen wollte, war die Gnosis. Auch sie sammelte Texte, die aber in der werdenden Kirche immer häufiger verboten wurden. Viele Texte dieser Bewegung sind aber trotzdem enthalten, und in vielen von ihnen spielt Maria Magdalena eine tragende Rolle – wobei unklar ist, ob hier wirklich die historische Maria Magdalena beteiligt war, oder ob man sich auf die Erinnerung an sie berufen hat. Darin wird, zum Beispiel im Philippusevangelium – eine mystische Verschmelzung von Jesus und Maria Magdalena geschildert und sie quasi als seine Nachfolgerin gezeichnet. In diesen gnostischen Texten – es gibt auch ein Evangelium der Maria – wird sie als diejenige dargestellt, die als einzige schon zu Lebzeiten Jesu Lehre verstanden habe. Dies kann als Gegenposition zum »Spätbekehrten« Paulus gelesen werden, eher aber als Gegenposition zu Petrus, der ja wie die Evangelien berichten, seinen Herrn verleugnet hat und vieles erst einmal nicht verstanden hat.

Diese Texte scheinen einen Streit zu reflektieren um die Frage, ob Frauen theologisch-spirituelle Führungspositionen haben sollen. Ob dieser Streit ins 1. Jh. reicht oder nur ins 2. ist eine Frage. In den Apokryphen (wie die nicht kanonisierten frühchristlichen Texte heißen) ist vor allem von einer Konkurrenz zwischen Maria Magdalena und Petrus die Rede. Manche vermuten daher, dass es in der unmittelbaren Zeit nach Jesu Tod eine Konkurrenz zwischen Petrus und Maria Magdalena um die Führerschaft gegeben hat. Auch ein Petrus-Evangelium gibt es nämlich. Es ist gut möglich, dass es in Jerusalem verschiedene Gemeinden gegeben hat mit unterschiedlichen Ansichten, über Konflikte etwa zwischen Petrus und Jakobus gibt es Berichte.

Dazu muss man aber wissen, dass diese apokryphen Schriften mehrere Jahrzehnte nach den Paulusbriefen entstanden sind. Manche lesen sie auch als Stellungnahmen in einem Streit um die Frauenrolle in den damaligen Gemeinden. Bekanntlich waren in der Jesusbewegung viele Frauen aktiv, in der späteren Kirche hingegen sollten sie eine untergeordnete Rolle einnehmen und durften etwa nicht predigen. In dieser Auseinandersetzung ziehen die Apokryphen Maria Magdalena sozusagen als »Beleg« dafür heran, dass Jesus diesen Unterschied qua Geschlecht nicht gemacht hat.

So wird sie dargestellt als Lieblingsschülerin von Jesus und so etwas wie seine Nachfolgerin. Sie kennt das Himmelreich (das war Hauptthema seiner Predigten) und so weiter. Es scheint jedenfalls, als ob der Rückgriff auf Maria Magdalena im 2. Jahrhundert als Argument diente, Frauen in Leitungsämtern der frühen Kirche zu unterstützen, während es gleichzeitig Tendenzen gab, sie auszuschließen. Diese »Querelle des Femmes« ist in den Evangelien selbst noch nicht so drin, denn da spielt das Frausein Maria Magdalenas nicht speziell eine Rolle, sie ist einfach eine Jüngerin, die exemplarisch für Menschen steht.

Das heißt, auch die Apokryphen sagen uns nichts über die historische Maria Magdalena, sondern nur, dass sie als Role Model in einer bestimmten inner-christlichen Diskussion herangezogen wurde. Daher wird ihre Rolle in späteren Schriften auch tendenziell größer. Der erste, der am Anfang des 4. Jahrhunderts versucht, eine Geschichte des Christentums zu schreiben, Eusebius, erwähnt Maria Magdalena allerdings nicht. (allerdings könnte ein Grund sein, dass er erreichen will, dass das Christentum römische Staatsreligion wird, und da ist Petrus mit seinem Schwerpunkt auf Rom ein besserer Anknüpfungspunkt).

Feministisch gesehen ist der Befund aber auch aus anderem Grund nicht so eindeutig. Die Gnosis ist sozusagen eine sehr unkörperliche, vergeistigte Vorstellung. Frauen werden hier zwar als gleichberechtigt anerkannt, aber nur, wenn sie »männlich« werden. So wird über Maria Magdalena in einer späteren, darauf zurückgehenden Legende gesagt, sie sei von klein auf »unweiblich« gewesen. Die Vorstellung ist schon, dass das Männliche höher steht als das Weibliche, dass Frauen aber durch »Vermännlichung« auch dahin kommen können.

Aber auch unter denjenigen, die im Verlauf der Entwicklung des Christentums später als »rechtgläubig« galten, gibt es manche, die Maria Magdalena hoch einschätzen und als Vorbild hinstellen, vor allem Augustinus (ebenfalls 4. Jahrhundert). In einer Osterpredigt verteidigt er Maria Magdalena, würdigt sie als Auferstehungszeugin, nimmt sie in Schutz gegen Anschuldigungen, sie hätte die Tragweite des Ereignisses gar nicht verstanden. Allerdings ist auch hier Frauenfeindlichkeit der Grundtenor, wenn Augustinus schreibt, der Auferstandene sei zuerst einer Frau erschienen, um die Schande der Frauen durch den Verrat Evas wieder gut zu machen.

So oder so wurden Frauen im 4. und 5. Jahrhundert zunehmend aus kirchlichen Funktionen herausgedrängt. Und offenbar war es notwendig, Korrekturen an dem Vorbildmotiv Maria Magdalena vorzunehmen.

Es war Papst Gregor im späten 6. Jahrhundert, der Maria Magdalena, die Jüngerin und Lieblingsschülerin Jesu und Zeugin der Auferstehung, gleichsetzte mit der Sünderin, der Prostituierten und Ehebrecherin, die die sich bekehrt und damit zum Vorbild für geläuterte Christen und vor allem Christinnen wird. Im Prinzip vermischt Gregor sogar vier Frauen aus den Evangelien zu seiner Figur von Maria Magdalena: Nämlich die Jüngerin Maria Magdalena, die Ehebrecherin/Prostituierte (aus der »Wer unter euch ohne Sünde ist werfe den ersten Stein«-Geschichte), die Salbende/Prophetin (die das kostbare »Öl« an Jesus verschwendet hat) und Maria von Bethanien, die Schwester von Martha und Lazarus.

In der Ostkirche hingegen, die sich mit ihrem Zentrum Konstantinopel anders als die römische Kirche entwickelt hat und zwischen denen es um das Jahr 1000 herum zur offiziellen Trennung kam, gibt es diese Gleichsetzung der verschiedenen Maria-Figuren nicht. Historisch belegt ist die Überführung ihrer Reliquen (zusammen mit denen des Lazarus) um 900 von Ephesus nach Konstantinopel. In der Ostkirche gilt Maria Magdalena bis heute als »Heilige Apostelgleiche«, ihr zu Ehren gibt es einen wichtigen Feiertag am 22. Juni.

Im Mittelalter entstanden in der Ostkirche dann auch einige Legenden über das Leben der Maria Magdalena nach Jesu Tod. Danach reiste sie nach der Kreuzigung nach Rom, um Pontius Pilatus und die Hohepriester Kaiphas und Hannas anzuklagen, und habe bewirkt dass die nach Rom beordert wurden und ihnen der Prozess gemacht wurde. Anschließend sei sie nach Jerusalem zurückgekehrt und dann nach Ephesus gegangen, wo sie starb.

Aber auch im Westen blühte seit dem 8. Jahrhundert und das ganze Mittelalter hindurch in manchen Regionen ein Kult um Maria Magdalena. Ab dem 13. Jahrhundert sind Legenden belegt, wonach sie vor ihrer Reise nach Ephesus in Marseille gewesen sei und dort den Stadtpräfekten und seine Frau getauft sowie die ganze Stadt und Umgebung missioniert habe. Ein Grund ist vermutlich, dass in dieser Gegend der Magdalenenkult besonders heftig blühte.

Spätere Legenden aus dem 14. Jahrhundert berichten außerdem von Missionsreisen nach Phönizien, Syrien, Ägypten und Palästina und erzählen, Maria Magdalena habe diese teilweise mit Maria, der Mutter Jesu, gemeinsam unternommen.

Allerdings ist im Westen dieser Aufschwung der Maria Magdalena- und Marienverehrung auch von ihrer Gleichsetzung mit der Büßerin geprägt, sie war wieder einmal eine weibliche Identifikationsfigur, die als Kritik an der männlichen Kirchenhierarchie diente – sowohl die Korruptheit nicht als auch die Leib- und Lustfeindlichkeit der damaligen christlichen Missionare. Manche glauben, dass durch das Angebot des Magdalenenkultes diese kirchenkritische Volksfrömmigkeit auch in »orthodoxe Bahnen« gelenkt werden sollte. Die Kirchengeschichtlerin Elisabeth Gössmann etwa glaubt, dass die Popularität des Magdalenenbildes im Mittelalter auch darauf zurückzuführen ist, dass sie ein Sinnbild für die »sündige« Kirche war.

Dafür spricht, dass viele westliche Marienlegenden des Mittelalters diese Bekehrung starkmachen. Maria Magdalena als Schwester von Martha und Lazarus wendet sich zunächst weltlichen Genüssen zu, wird Opfer ihres Reichtums, bekehrt sich aber durch die Begegnung mit Jesus und salbt ihn. Nach seinem Tod verkaufen die Geschwister alles und verteilen es unter die Armen, gehen auf Mission. In diesen westlichen Legenden bleibt Maria Magdalena dann auch meistens in der Provence und geht nicht nach Ephesus.

Dieser Magdalenenkult war im späten Mittelalter sehr verbreitet, zwischen 1300 und 1550 gibt es 38 verschiedene Maria Magdalena-Legenden allein in Deutschland. 1224 wird in Worms sogar ein Magdalenen-Orden gegründet.

Die Gleichsetzung der Maria Magdalena mit der reuigen Sünderin wird im Laufe der Neuzeit immer dominanter, immer weniger kirchenkritisch. und die Figur wird zunehmend nur auf diesen Aspekt reduziert. Besonders in den Osterspielen wird das inszeniert, man kann sagen, je später die Zeit, desto mehr »Regenbogenpresse«.

Und ihr Verhalten wird immer mehr als Mann-Frau-Geschichte erzählt: Maria Magdalena kann die »weibliche Schwäche« überwinden, indem sie bereut und sich dem Herren unterordnet – hier vermischt sich Patriarchat mit Glaube und die fatale Doppelrolle von Jesus (gleichzeitig Gott und Mann zu sein) schlägt durch: Der sehr wichtige Unterschied, ob eine Frau sich Gott oder einem Mann unterordnet, wird tendenziell verwischt.

Dennoch gilt Maria Magdalena immer noch auch als feministische Identifikationsfigur, zum Beispiel beruft sich Christine de Pizan (um 1400) in ihrer Streitschrift »Buch von der Stadt der Frauen« auf sie: Sie argumentiert: Der Herr hat unser Geschlecht auserwählt, es kann also nicht schwach sein.

Erst nach dem 2. Vatikanum in den 1960er Jahren gab die katholische Kirche die Gleichsetzung von Maria Magdalena mit der Sünderin auf. Auch das kann man allerdings zwiespältig sehen, denn dass es früher im Heiligenkalender eine Prostituierte gab, hatte durchaus auch seinen Charme.

In den 1980er Jahren entdeckte die moderne Feministische Theologie entdeckte Maria Magdalena wieder einmal als Rollenmodell.

In der Populärkultur wird sie auch gerne als »Gefährtin« Jesu wieder entdeckt, allerdings ist es typisch, dass Dan Brown in »Sakrileg« oder auch Martin Scorsese in »Die letzte Versuchung Christi« diese Freundschaft zwischen Jesus und Maria Magdalena sich nur als geschlechtliche, heterosexuelle Paar-Beziehung vorstellen können.


Statement bei einer Podiumsdiskussion am 5.11.2009 in der Ev. Stadtakademie Frankfurt