Macht und Politik sind nicht dasselbe
Zur feministischen Kritik an Parlamentarismus und Parteien
in: Analyse und Kritik, 21.9.2012
Das Verhältnis zwischen Frauenbewegung und Parteienpolitik ist traditionell mindestens ambivalent, fast könnte man sagen: von gegenseitiger Antipathie geprägt. Was kein Wunder ist, schließlich hat sich die Demokratie, so wie sie von Männern für Männer erdacht wurde, von Beginn an über den Ausschluss der Frauen konstituiert. Das war schon zu Zeiten der athenischen Polis so und wurde in der Französischen Revolution erneut bekräftigt.
Die Idee von der „Gleichheit der Männer“, die dem allgemeinen Männerwahlrecht zugrunde liegt, hatte als Basis die Ungleichheit der Frauen, ein Arrangement, das die US-amerikanische Soziologin Carol Pateman – in Anspielung an Rousseaus „Gesellschaftsvertrag“ – den „Geschlechtervertrag“ nannte. Er spaltete die Welt auf in eine öffentliche, politische und eine private, explizit unpolitische Sphäre – wobei ersteres den Männern vorbehalten und letzteres den Frauen zugeschrieben wurde.
Inzwischen haben die Frauen diesen Geschlechtervertrag zwar aufgekündigt. Doch die Frage, wie es mit dem Parlamentarismus künftig weitergeht, bleibt noch offen. Die einfache Figur der „Gleichberechtigung“ reicht nämlich nicht aus, um Frauen in das männliche Parteiensystem zu integrieren.
Auch nach dreißig Jahren aktiver Gleichstellungs- und „Frauenförderpolitik“ – ein schreckliches Wort, das den grundlegenden Denkfehler dieses Ansatzes bereits deutlich macht – ist der Enthusiasmus der meisten Frauen darüber, dass sie nun in der Politik der Männer „mitspielen“ dürfen, eher verhalten. Zu viele, die es mit der Parteipolitik versucht haben, zogen sich frustriert wieder zurück. Sämtliche Parteien haben Probleme, genügend Kandidatinnen zu finden, sogar die Grünen, obwohl es dort schon seit Jahrzehnten eine 50-Prozent-Frauenquote gibt.
Die bloße Anwesenheit von Frauen reicht offensichtlich nicht aus, um in überlieferten Männerstrukturen wirkliche Veränderungen anzustoßen. Zu groß ist der Anpassungsdruck, und immer noch wird an parteipolitisch aktive Frauen die Erwartung herangetragen, sie müssten sich nun eben an die vorhandenen Spielregeln halten, wenn sie ernst genommen werden wollen.
Inzwischen kann man darin nicht länger nur ein Anpassung- und Übergansphänomen sehen. Die Wurzeln des Problems liegen tiefer, es geht um grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen davon, was eigentlich genau unter „Politik“ zu verstehen ist. Die Abneigung vieler Frauen gegenüber einem Politikbetrieb, der sich in erster Linie als „Machtpolitik“ versteht, wird immer offensichtlicher.
Es ist ja kein Zufall, dass sich der Feminismus als politische Bewegung – im Unterschied zur Arbeiter- oder zur Umweltbewegung – nie in Form einer politischen Partei konstituiert, ja überhaupt nur selten institutionelle Formen angenommen hat. Die Frauenbewegung zieht ihre politische Stärke nicht aus festen Strukturen, sondern aus Beziehungen, nicht aus klar umrissenen Programmen, sondern aus der Pluralität der Feminismen, nicht aus Repräsentation (was ja die zentralen Figur des männlichen Parteiensystems ist), sondern aus politischem Engagement in erster Person.
Diese traditionelle Antipathie zwischen Frauen und Parteienpolitik könnte sich heute, wo der Parlamentarismus generell in einer Krise steckt, als besonders fruchtbar erweisen. Auch viele Männer sind mit den überlieferten Formen und Ritualen unzufrieden. Die permanenten Krisen in der Finanzwelt lassen daran zweifeln, ob politische Instanzen überhaupt noch in der Lage sind, den – wie es scheint – obskuren und undurchschaubaren Kräften ökonomischer Macht wirksame Rahmenbedingungen vorzugeben.
Was sich derzeit an Protesten formiert, etwa unter den Stichworten „Occupy“ oder „Wutbürger“, ist nicht einfach nur die Forderung nach anderen (zum Beispiel „sozialeren“, „ökologischeren“ oder „feministischeren“) Inhalten. Sondern hier kommt eine generelle Skepsis der Art und Weise gegenüber zum Ausdruck, wie regiert und entschieden wird.
Interessant ist, wie sich in dieser Situation die Konnotationen von Weiblichkeit und Männlichkeit verschoben haben. Angela Merkel zum Beispiel hat noch zu Beginn ihrer Kanzlerinnenschaft sehr häufig betont, ihr Frausein würde keine Rolle spielen. In letzter Zeit war davon nichts mehr zu hören. Kein Wunder: Weiblichkeit wird inzwischen von vielen nicht mehr als Handicap gesehen, sondern gilt als Hoffnungszeichen – und zwar gerade weil sich daran die Erwartung knüpft, es anders zu machen. So ist die Wahl von Katja Kipping zur einer der beiden Vorsitzenden der Partei Die Linke offen als Gegenmodell zur vorherigen Regentschaft „alter Männer“ diskutiert worden. Und in Nordrhein-Westfalen haben die Spitzenfrauen der Koalitionsparteien SPD und Grüne mit dem Slogan geworben: „Gut, wenn Frauen wieder den Haushalt machen“.
Auf einer symbolischen Ebene werden derzeit also große Hoffnungen auf „weibliche Impulse“ gesetzt. Was ansteht ist, zu fragen, worin genau dieser „weibliche Impuls“ eigentlich bestehen könnte, wenn man nicht in essenzialistische Vorstellungen von Geschlecht verfallen will.
Einen Vorschlag dazu machen italienischen Feministinnen der Gruppe „Diotima“. In diesem Netzwerk arbeiten Geisteswissenschaftlerinnen von der Universität Verona seit den achtziger Jahren zusammen. Mit Projekten und Veröffentlichen aus einer differenzfeministischen Perspektive haben sie auch in Deutschland bereits zahlreiche Debatten ausgelöst. In ihrem neuen Buch „Macht und Politik sind nicht dasselbe“ knüpfen sie an die Diskurse der autonomen Frauenbewegung der 1970er Jahre an, in denen die Frage nach dem Verhältnis von Frauen und Macht bereits eine zentrale Rolle gespielt hat. Zu Recht betonen sie, dass die Skepsis vieler Frauen gegenüber den Mitteln der Macht keineswegs ein Zeichen für politisches Desinteresse ist, wie häufig behauptet wird. Ganz im Gegenteil zeige sich darin vielmehr ein großes Interesse an wirklicher Politik, deren Ohnmacht nämlich genau darin liegt, dass sie so häufig von einer reinen Machtlogik verdrängt wird.
Unter Politik verstehen die Italienerinnen, dass Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit über die Regeln des Zusammenlebens verhandeln. Politik findet nicht nur in Parteien und Parlamenten statt, sondern überall, an den Arbeitsplätzen, in Projekten oder Vereinen, in Familien und Beziehungsnetzen – immer dann, „wenn man sich ein Problem zu Herzen nimmt, wenn man den Impuls verspürt, aus dem Privatinteresse herauszutreten und sich mit anderen zusammenzutun, und wenn dies Leidenschaft und Reaktionen weckt.“
Macht hingegen bedeutet, dass Regeln in festen Formen und Institutionen festgeklopft werden, dass Einfluss und Entscheidungskompetenzen klar verteilt und in Hierarchien installiert sind. Wer Macht hat, kann über andere bestimmen, „ohne sich mit deren Freiheit und deren Begehren auseinandersetzen zu müssen“.
Macht und Politik lassen sich nicht sauber voneinander trennen; in einer konkreten Situation ist beides fast immer vermischt. Aber dennoch folgen sie einer jeweils anderen Logik. Die Logik der Macht tendiert dazu, wirkliche Politik zu verhindern und zu verunmöglichen, weil der Erhalt (oder das Erringen) von Macht wichtiger wird als die politischen Inhalte selbst. Aber glücklicherweise ist es auch in klaren Machtsituationen möglich, diese Logik zu verlassen und zu politischen Aushandlungsprozessen zurückzufinden. Es sind wir selbst, in erster Person, die den Unterschied ausmachen können.
Frauen, die das wissen, können aus der falschen Alternative ausbrechen, die die strukturelle Antipathie zwischen ihnen und dem Parteiensystem bisher nahelegte: nämlich entweder Machtpositionen anzustreben und sich dabei zähneknirschend den vorgefundenen Spielregeln anzupassen, oder aber sich von Orten der Macht gänzlich fernzuhalten. Die Diotima-Philosophinnen glauben, dass es möglich ist, Politik auch dort einzubringen, wo eigentlich die Logik der Macht vorherrscht. Ihr Buch soll dafür auch eine Art Handwerkszeug sein. Wie diese Verschiebung funktionieren kann, analysieren sie anhand von konkreten Erfahrungen, die die Autorinnen in politischen Parteien, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen gemacht haben.
Allerdings bestehen die Italienerinnen darauf, dass es nicht möglich sei, die Mittel der Macht instrumentell für einen „guten Zweck“ einzusetzen. Was sie stattdessen vorschlagen ist, sich auch innerhalb von Machtstrukturen schlicht nach einer anderen Logik zu verhalten. Sie veranschaulichen das am Bild eines Spielbretts, auf dem gleichzeitig zwei verschiedene Spiele gespielt werden: Schach (das Spiel der Macht und der Strategien) und Dame (das Spiel der Politik und der Beziehungen). Jedes Spiel hat seine eigenen Regeln, die miteinander nicht kompatibel sind. Und als Spielerin habe ich bei jedem Zug erneut die Wahl, welches davon ich eigentlich spielen möchte und in welcher Rolle ich mein Gegenüber sehe.
Voraussetzung für ein solches feministisches Engagement innerhalb der bestehenden Strukturen ist das, was die Italienerinnen „symbolische Unabhängigkeit“ nennen. Aufgrund ihrer historischen Rolle sind Frauen dem Parteiensystem nicht verpflichtet. Sie waren an seiner Entstehung nicht beteiligt, und es ist daher auch nicht ihre Aufgabe, es zu retten. Klar lehnen die Italienerinnen es ab, die kriselnden demokratischen Institutionen mit weiblichem Engagement zu „verbessern“ und aus ihrer Krise zu führen. Stattdessen nehmen sie eine Perspektive „weiblicher Souveränität“ ein, die sich diesen historisch männlichen Prinzipien nicht unterordnet, sondern davon unabhängig eigene Maßstäbe für politisches Handeln findet und im politischen Diskurs behauptet.
Denn nur wenn man sich von dem, was im Bereich der Machtpolitik als „selbstverständlich“ und notwendiges Vorgehen gilt, unabhängig macht, kann man auch innerhalb des vorgegeben Rahmens dieser Strukturen handeln und Veränderungen bewirken. Eine Haltung, die die Italienerinnen im Übrigen ausdrücklich nicht nur Frauen empfehlen, sondern auch Männern, die mit den vorgefundenen Zuständen unzufrieden sind.
Antje Schrupp
Buchinfos:
Diotima: Macht und Politik sind nicht dasselbe. Übersetzt und mit einem Vorwort versehen von Dorothee Markert und Antje Schrupp. Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2012, 194 Seiten, 19,95 Euro.