Antje Schrupp im Netz

Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert

Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert. Gerade bei einem Jubiläum wie heute, an dem wir uns erinnern, wie es früher war, wird das deutlich. Wir haben wirklich Grund, uns zu freuen und dankbar zu sein. Dankbar für das, was die Frauenbewegung erreicht hat. Vor fünfzig Jahren mussten Frauen um Sachen kämpfen, die heute selbstverständlich sind, mussten Ungerechtigkeiten ertragen, über die wir Jüngeren nur noch fassungslos den Kopf schütteln.

Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert. Ihre Liebe zur Freiheit, und ihr Hunger nach Sinn. Die Beharrlichkeit, mit der sie immer wieder gefragt haben, ob es denn richtig ist, so wie es ist. Die Hartnäckigkeit, mit der sie darauf bestanden, dass die Dinge nicht einfach so sind, wie sie sind, sondern dass sie einen Sinn haben müssen.

Zum Beispiel in der Kirche. Ohne diese Frauen, ohne ihre Beharrlichkeit, ohne ihre Unbeugsamkeit hätten Kirche und Gesellschaft für viele heute keinen Sinn. Und dafür bin ich ihnen diesen Frauen dankbar. Und Kirche und Gesellschaft, aber das nur am Rande, die sollten es auch sein.

Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert. Manche sprechen heute auch vom Ende des Patriarchats. Das Patriarchat ist zu Ende, weil die Frauen ihm die Gefolgschaft aufkündigten, weil sie nicht mehr daran glauben. Es ist ein aufgeblasener Götze, dem langsam die Luft ausgeht. Der uns zwar noch manchmal im Weg herumsteht, der aber nicht mehr unsere Leidenschaft, unsere Energie, unseren Einfallsreichtum fesseln kann.

Und das ist gut so, denn die Liebe der Frauen zur Freiheit hat zwar die Welt verändert. Die Welt ist aber trotzdem noch die Welt, und nicht das Paradies. Ein Festtag wie dieser ist sicher nicht der rechte Anlass, umuns in all die Probleme und Schwierigkeiten, mit denen wir es gesellschaftlich und privat zu tun haben, und für die es in den meisten Fällen keine einfachen Lösungen gibt, zu vertiefen.

Wir sollten uns aber doch klarmachen, dass das Ende des Patriarchats all diese Probleme nicht nur nicht löst, sondern in mancher Hinsicht sogar verschärft. Denn das Patriarchat war zwar eine schlechte Ordnung, aber es hat die Dinge doch immerhin mehr oder weniger zusammengehalten. Man wusste, woran man war. Es war für Frauen in gewisser Hinsicht ein einfaches Leben – ein Leben, in dem ihnen keine Verantwortung für die Welt abverlangt wurde. Und wenn sie diese Verantwortung übernehmen wollten, dann mussten sie zugleich auch darum kämpfen. Wer nicht ausbrechen wollte, konnte dennoch ganz glücklich sein, und das auch noch ohne Gewissensbisse. Schuld waren immer die anderen.

Doch die Welt hat sich verändert. Schon die Frauen, an die wir uns heute erinnern, haben die Verantwortung dafür übernommen. Sie waren nicht blauäugig: Wenn das Patriarchat keine Ordnung mehr schafft, wenn wir seine Ordnungen nicht mehr anerkennen, dann brauchen wir etwas Neues, eine andere Ordnung. Woher kann diese aber kommen?

Es soll ja Leute geben, die meinen, jetzt, wo Frauen gleiche Rechte haben, jetzt, wo Pfarrerinnen längst nichts besonderes mehr sind – jetzt bräuchten wir ja eigentlich auch gar keinen Feminismus mehr. Keine Frauenpfarrerin, kein Frauenbegegnungszentrum, keinen Feminismus. Und dann gibt es welche, die antworten darauf, dass wir das alles doch noch brauchen, weil es alles ja doch nicht so ganz in Butter ist, weil Frauen immer noch benachteiligt werden, weil zwar vieles besser geworden ist, aber immer noch nicht gut. Das stimmt zwar, aber das ist vielleicht gar nicht das Entscheidende.

Selbst wenn es all das Unglück der Welt nicht mehr gäbe, selbst wenn alle Männer lammfromm wären, wenn Frauen die Hälfte der Macht hätten, die Hälfte des Himmels und der Erde, selbst wenn auch die letzten Ausläufer des Patriarchats verschwunden waren – selbst dann brauchten wir noch frauenbewegtes Denken.

Denn es bleibt die Frage – wie wollen wir denn, dass die Welt ist? Wie sehen wir überhaupt die Welt, wenn wir sie nicht mehr durch die Brille der Männer betrachten? Welches ist unserer Ort, wenn wir uns nicht mehr mit dem begnügen, den das Patriarchat uns zuweist? Wir brauchen die Worte von Frauen, die das Leben, die Welt und deren Veränderungen begleiten. Wir brauchen auch weiterhin Frauen, die wahre Worte sprechen.

Die Herausforderung der Welt stellt sich ganz unabhängig davon, ob wir im Patriarchat leben oder nicht. Mehr noch: Sie stellt sich erst recht an dessen Ende – weil die Herausforderungen größer werden, und weil wir uns immer wieder neu der Welt stellen müssen. Auf die Herausforderungen der Welt suchen Frauen Antworten, und dies wird auch in Zukunft die Arbeit der Frauenbewegung sein.

So wie es schon immer die Arbeit der Frauen war, die dem Patriarchat die Gefolgschaft aufkündigten. Auf sie können wir uns berufen, von ihnen können wir lernen, mit ihnen können wir uns auseinandersetzen.

Siehe auch: www.flugschrift.de


aus: Vortrag zum 50. Jubiläum des Frankfurter Frauenpfarramts, August 2000 (mit Andrea Günter)