Antje Schrupp im Netz

Warum nicht?

Eine stabile Liebesbeziehung ist die beste Medizin gegen Angst und Unsicherheitsgefühle in komplizierten Zeiten. Nur: Wie finde ich den oder die Richtige? Wer bei der Suche nach der großen Liebe nur Menschen in Betracht zieht, die ähnliche Vorlieben und Eigenschaften haben, könnte das Beste gerade verpassen.

»Liebe – aber sicher!« Ein Versprechen in Riesenlettern auf einem Plakat, bestimmt für die vielen Menschen, die auf der Suche nach der großen Liebe sind. Und dabei nicht viel Zeit haben. Internet-Partnerbörsen wollen ihnen die Arbeit erleichtern: Mithilfe von Suchalgorithmen, »wissenschaftlich geprüft« natürlich, fischen sie aus dem Millionenheer möglicher Kandidatinnen und Kandidaten diejenige Person heraus, die »ideal zu Ihnen passt«.

Gibt es Sicherheit in der Liebe durch Passgenauigkeit? Sind Beziehungen »erfolgreicher«, wenn sich die Studierten zu den Studierten tun, die Hässlichen zu den Hässlichen, die Reichen zu den Reichen und die Toskana-Liebhaberinnen zu den Toskana-Liebhabern?

Die Welt ist klein geworden

Irgendwie ist das doch ein wenig unromantisch. Eine Freundin hat eine Zeit lang auf diese Weise einen »Partner« gesucht (allein dieses Wort!). Sie ging ganz systematisch vor und verabredete sich zum Speed-Dating. Fünf Minuten, mehr Zeit gab sie den Bewerbern nicht. Schließlich gibt es so viele Männer auf der Welt, wozu einen ganzen Abend verschwenden, wenn man doch schon auf den ersten Blick sieht, dass einer mit zusammengewachsenen Augenbrauen nicht infrage kommt und auch nicht einer, der in den Lebensweisheiten des Dalai Lama liest.

Das ist wohl der Stress, mit dem wir heute leben müssen. Die Welt ist klein geworden, zusammengeschrumpft. Wir sind mobil und vernetzt, wir haben jederzeit die Wahl. Unter Hunderten, Tausenden, ach was: Millionen möglicher Optionen. Das nagt. Und bei jeder Beziehungskrise fragen wir uns wieder mal, ob wir denn auch die richtige Wahl getroffen haben. Oder ob es nicht noch etwas Besseres geben könnte, jemanden, der besser »passt« – wie das sprichwörtliche Deckelchen auf dem Topf.

Weder schön noch klug, noch charmant

Wie anders erging es da den Hauslehrerinnen auf dem altpreußischen Hofgut Poenichen, von denen Christine Brückner in ihrem Roman »Jauche und Levkojen« erzählt. Sie kamen – die Geschichte spielt vor fast 100 Jahren – jeweils im Frühling in diese abgelegene Gegend in Ostpommern und ausnahmslos jede von ihnen verliebte sich in den Hofinspektor. Das war nämlich der einzige Mann, in den man sich dort verlieben konnte. Er brauchte weder schön noch klug, noch charmant zu sein. Das alles war er auch nicht und im Herbst hatte er noch jede Hauslehrerin zur Verzweiflung getrieben. Und dennoch: Ihre Liebe war echt und überwältigend gewesen.

Natürlich mag man nicht wirklich in solche beschränkten Zeiten zurück. Und doch weckt die Erinnerung eine Sehnsucht. Denn die Fähigkeit, in einem anderen Menschen das Liebenswerte zu erkennen, auch wenn es nicht offensichtlich zutage liegt (und vielleicht nicht einmal vorhanden ist), ist ein großartiges Vermögen der Menschen. Wenn sie lieben, können sie sich mit anderen verbinden, auch wenn es dafür eigentlich keinen vernünftigen Grund gibt.

Liebe ist sozusagen gleichzeitig subjektiv und objektiv: Das, was ich in dem anderen sehe, und das, was er »wirklich« ist, lässt sich nicht voneinander trennen. Natürlich birgt das auch eine Gefahr. Vor allem für Frauen, die sich manchmal auch ganz verkorkste Beziehungen noch schönreden. Die sich schlagen und beleidigen lassen und glauben, das sei ein Ausdruck von Liebe. Es kann – bei aller Verliebtheit – ganz sicher nicht schaden, zwischendurch auch mal einen realistischen Blick auf die »harten Fakten« zu werfen.

Doch diese Fakten garantieren keine Sicherheit in Liebesdingen. Es stimmt zwar: Zwei, die gut zueinander »passen«, funktionieren meistens auch im Alltag miteinander. Allerdings müssten sie sich dafür genau genommen gar nicht lieben. Es gibt ja genug andere, handfestere Gründe, sich zusammenzutun.

Nichts »Passendes« zu bieten

Der Witz an der Liebe hingegen ist gerade, dass sie noch mehr kann. Und dieses »Mehr« der Liebe kann in unsicheren und komplizierten Zeiten ein Gefühl von Geborgenheit und Hoffnung geben. Aus dem einfachen Grund, dass wir alle hin und wieder darauf angewiesen sind, in genau diesem Sinne geliebt zu werden: obwohl wir den anderen gerade überhaupt nichts »Passendes« zu bieten haben.


In: Echt, 3/2009 (September).