Antje Schrupp im Netz

Zwischen den Fronten

Er engagierte sich schon für die Natur und Gottes Schöpfung, als es das Wort Umweltschutz noch gar nicht gab. Als Umweltbeauftragter der evangelischen Kirche verhandelte er mit Politikern und Wirtschaftleuten. Bei den Kämpfen um die Erweiterung des Frankfurter Flughafens setzte er auf Vermittlung und pragmatische Lösungen. Auch dann noch, als er längst im Ruhestand war. Am 22. September wird Kurt Oeser 75 Jahre alt.

Der gemütliche Rentner, der erst noch rasch der Enkelin den Fahrradhelm hinterher trägt, bevor er sich zum Interview gesellt, macht gar nicht den Eindruck, ein hoch dekorierter Professor zu sein. Einer, der mit Ministerpräsidenten und Bundesregierungen konferiert und fast alle Umweltverbände in Deutschland mitgegründet oder geleitet hat: den BUND, den Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, die Jury »Blauer Umweltengel«, die Bundesvereinigung gegen Fluglärm. Nur so zum Beispiel, die Liste ist viel, viel länger.

Es ist heiß in dem wild wachsenden Garten, der mit seinen Blumenbeeten und Obstbäumen einem Umweltbeauftragten alle Ehre macht. Kurt Oeser wischt sich den Schweiß aus der Stirn und sagt: »Aber in erster Linie bin ich Pfarrer.« Genauer gesagt Pfarrer im Ruhestand, und das schon seit zehn Jahren, was aber nicht viel heißt. Erst nach und nach hat er die diversen Posten und Ämter aufgegeben, um Zeit zu haben für die Frau, die vier Kinder und sechs Enkel, die 95jährige Tante, die er betreut. Und den Gemüsegarten, den Oeser gepachtet hat: »Mein Salat schmeckt am besten, das sagen sogar die Kinder«.

Seit 1958 lebt Kurt Oeser in Mörfelden, dem Ort, der seit den Auseinandersetzungen um die Startbahn West untrennbar mit dem Widerstand gegen Fluglärm verknüpft ist. Damals aber wurde Mörfelden auch »Klein-Moskau« genannt: Zwei Drittel Kommunisten und Sozialdemokraten, überwiegend antikirchlich eingestellt – keine bei Theologen beliebte Gemeinde. Für den jungen Oeser genau das Richtige. Er hatte sein Studium mit Fabrikarbeit finanziert und sah seine Vorbilder in den französischen Arbeiterpriestern, die soziales und kirchliches Engagement miteinander verbanden. Schon Anfang der sechziger Jahre interessierte sich Oeser für das, was heute »Umweltfragen« heißt. Schichtarbeiter beklagten sich, dass sie wegen des Fluglärms nicht schlafen konnten. Also besorgte sich Oeser Lärmgutachten, schrieb Briefe an Politiker, trat in die SPD ein, um selbst Kommunalpolitik zu machen. Bis heute ist er »Ehren-Stadtverordnetenvorsteher«, als er das erzählt, muss er selber lachen. »Das Amt haben sie eigens für mich erfunden, damit ich jederzeit reaktiviert werden kann«.

Aber Oeser warb auch beim eigenen Arbeitgeber Kirche dafür, dass Fragen der Schöpfung und des Umweltschutzes ein Thema wurden. 1972 ernannte man ihn zum kirchlichen Umweltbeauftragten, erst in Hessen und Nassau, bald war er für ganz Deutschland zuständig. Eine Aufgabe, die ihm viele Möglichkeiten und Kontakte bot, ihn aber auch »zwischen alle Fronten« brachte. Weil er einem am Boden liegenden Demonstranten half, wurde Oeser wegen »versuchter Gefangenenbefreiung« angeklagt, seine Familie erhielt Morddrohungen. Die diversen Bundesverdienstkreuze, die ihm später überreicht wurden, machten das nicht wett. Die will er sich sowieso nicht selber an die Brust heften: »Ich verstehe sie als Auszeichnung für all die Stillen im Lande, die für den Umweltschutz eintreten.« Auch von der anderen Seite gab es Angriffe. »Verräter« nannten ihn radikale Flughafengegner, als er kürzlich in den Verhandlungen um einen neuerlichen Flughafenausbau als Vermittler teilnahm.

Trotzdem hat sich der Einsatz gelohnt. »Wir haben viel erreicht«, bilanziert Oeser heute. Auch wenn die Maximalforderungen selten durchgesetzt werden konnten – ohne all die Demonstrationen, Petitionen und zähen Verhandlungen wäre wahrscheinlich vieles noch viel schlimmer gekommen. Wie ist es ihm gelungen, trotz des unbeirrbaren Einsatzes für den Umweltschutz auch von der »Gegenseite« in Wirtschaft und Politik als Verhandlungspartner akzeptiert zu werden? »Als Pfarrer hat man mir geglaubt, dass ich einigermaßen objektiv bin, dass ich keine persönlichen Interessen vertrete.« Daran mag es gelegen haben, aber sicher nicht nur. Um glaubwürdig zu sein, dafür reicht kein Amt, es braucht auch den Menschen. So einen wie Kurt Oeser.


in: Echt, September 2003