Antje Schrupp im Netz

Kommentar zum Kopftuch-Urteil gegen Fereshta Ludin

Wird es den Mädchen und Frauen, die unter dem muslimischen Schleierzwang leiden, helfen, wenn Lehrerinnen kein Kopftuch tragen dürfen? Ich glaube nicht. Ich befürchte sogar, das Gegenteil könnte der Fall sein. Erstens wird nun der Druck auf Musliminnen wachsen, durch das Tragen des Kopftuchs sozusagen »Farbe zu bekennen«. Schlimmer ist aber, dass durch dieses Urteil die Freiheit von Frauen bestritten wird – und zwar paradoxerweise gerade von jenen, die sich auf die Seite der unterdrückten Frauen stellen wollen: Ist Fereshta Ludin, die Lehrerin, die Kopftuch tragen will, nicht nur ein Opfer der islamischen Tradition? Ich weiß es nicht, denn ich kenne sie nicht, und das kann man nur im Einzelfall beurteilen. Es gibt muslimische Frauen, die das Kopftuch freiwillig tragen, und solche, die es aus Zwang tun. Was Mädchen in der Schule lernen müssen ist, dass sie Wahlmöglichkeiten haben, und dass ihre persönliche Entscheidung wichtig ist. Dazu brauchen sie Lehrerinnen, die ihnen zeigen, dass es ganz viele verschiedene Möglichkeiten gibt, eine Frau zu sein – viele unterschiedliche Lehrerinnen also, und keine gleichgeschalteten, die die eine richtige »Frauenmeinung« vertreten wollen. Ich weiß nicht, ob Fereshta Ludin so eine Lehrerin wäre, aber ich könnte es mir vorstellen. Und wenn nicht, müsste man sich mit ihr streiten. Es macht aber keinen Sinn, über »die Musliminnen« zu reden, als wären sie eine wie die andere. Mir geht es um die Freiheit jeder einzelnen Frau: Jede, die ein Kopftuch tragen will, soll das tun können, und keine, die das nicht will, darf dazu gezwungen werden. Beides gehört untrennbar zusammen, und für beides müssen wir uns im konkreten Fall mit all unseren Möglichkeiten einsetzen (da gibt es noch viel zu tun!). Ein Gesetz nützt dabei aber gar nichts. Man kann die Freiheit der einen nicht dadurch schützen, dass man die Freiheit der anderen beschneidet. Denn »Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden«, sagte Rosa Luxemburg, und das gilt auch unter Frauen.


aus: »Kirche Intern«, August 2002