Konkurrenz ist unlogisch. Zum weiblichen Unbehagen an einer Kultur des Wettbewerbs
Vortrag am 26.11.2011 bei der Jahrestagung des Deutschen Ingenieurinnenbundes in Höchst/Odw. und (in kürzerer Fassung) am 8.3.2012 beim Frauenfrühstück des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt
Es wird häufig gesagt, Frauen stünden dem Konkurrenzdenken skeptischer gegenüber als Männer – und empirische Studien scheinen das ebenso zu bestätigen wie die unmittelbare Intuition. Dass Frauen für die Konkurrenz nicht begabt seien, war früher eines der Hauptargumente gegen ihre Emanzipation, worauf hin Frauenrechtlerinnen prompt klar stellten, dass Frauen das mit der Konkurrenz selbstverständlich ganz genauso gut beherrschen würden wie Männer, würde man sie nicht länger weiblich sozialisieren.
So oder so wird der Schwerpunkt auf die Probleme gelegt, die Frauen mit der Konkurrenz haben: Ihr fehlender Wille zur Konkurrenz hindert sie am Vordringen in gesellschaftliche Führungspositionen, ist der Grund, warum sie weniger verdienen als Männer. Ein ganzes Genre von Ratgeberliteratur will Frauen ermutigen, Lust an der Konkurrenz zu entwickeln und sich die dafür erforderlichen Techniken und Verhaltensweisen anzueignen.
Auch wenn daran manches interessant und nützlich sein mag, möchte ich den Spieß einmal umdrehen und fragen: Welche Probleme hat eigentlich die Konkurrenzlogik selbst? Und könnte man das weibliche Unbehagen an ihr, so es denn existiert, nicht zum Ausgangspunkt dafür nehmen, andere, sinnvollere Zugänge zur Welt zu finden?
Auch innerhalb der frauenpolitischen Debatte hat das Thema in eine Sackgasse geführt: Während sich die einen darüber freuen, dass immer mehr Frauen erfolgsorientiert ihren Weg gehen und Karrieren machen, bestehen andere darauf, dass zum Feminismus mehr gehört als das persönliche Vorankommen einzelner Frauen.
Ich glaube ja, das ist eine falsche Alternative. Ich behaupte, dass gerade die Individualität von Frauen, also ihr subjektiver Wunsch, eigene Projekte zu verwirklichen und in der Welt etwas zu bewirken, ihr Wunsch also, sich von anderen Frauen aktiv zu unterscheiden, einen Horizont für Wege zu einem guten Leben aller eröffnen kann.
Allerdings ist es dafür notwendig, die allgemein vorherrschende Logik der Konkurrenz zu hinterfragen. Nicht als moralischen Appell an erfolgreiche Frauen, sich zurückzuhalten und andere Frauen „mitzunehmen“, sondern indem wir die symbolische Bedeutung der Konkurrenz anschauen und fragen, ob das weibliche Unbehagen an ihr möglicherweise auf denkbare Alternativen verweist.
Was sind also die historischen und logischen Grundlagen des Konkurrenzgedankens?
Das Wort Konkurrenz kommt von dem Lateinischen „con-correre“, also zusammen laufen, mitlaufen: Das Bild ist das eines Wettlaufs. Zwei laufen nebeneinander her auf ein Ziel zu, und wer zuerst da ist, hat gewonnen.
Konkurrenzen folgen dabei einer Logik, die dem gesunden Menschenverstand eigentlich widerspricht: Erfolgreich ist nicht etwa diejenige, die ein Ziel, das sie sich gesetzt hat, auch tatsächlich erreicht, sondern diejenige, die einen x-beliebigen, von außen festgelegten Zielpunkt schneller erreicht als alle anderen. Und sei es auch nur um eine hundertstel Sekunde. Es geht in der Logik der Konkurrenz nicht darum, ob eine Arbeit gut oder schlecht erledigt wird, also um Qualität, sondern lediglich um Quantität: ob ich bei meiner Arbeit besser oder schlechter bin, als die anderen. Es gibt nämlich bei einem Wettlauf auf jeden Fall einen, und zwar genau einen Gewinner. Wer sehr gut ist, aber nur Zweiter, hat auch verloren. Und wenn jemand schlecht ist, kann er trotzdem gewinnen, solange die anderen nur noch schlechter sind.
Was dabei auf der Strecke bleibt, sind die Beziehungen zu anderen Menschen. Beim Con-Correre laufen wir beziehungslos nebeneinander her, wir beurteilen uns nicht selbst und auch nicht gegenseitig, sondern wir delegieren das Urteil an einen Dritten, einen Schiedsrichter, der keinerlei Beziehung zu uns haben darf, sondern „unparteiisch“ sein muss. Meistens entscheidet er heute auch gar nicht selbst, sondern liest nur die Daten von technischen Geräten, zum Beispiel von Stoppuhren, ab. Oder aus Controlling Excel-Sheets.
Man konnte diese Verschiebung in vielen Unternehmen in den letzten Jahren gut beobachten: Die Qualität einer Arbeit wird zunehmend nicht mehr kontextbezogen gemessen, sondern im Bezug auf verallgemeinerbare Statistiken und Vergleichszahlen.
Solche „Concorsi“, Wettläufe und Konkurrenzen im Hinblick auf äußerliche, „objektive“ und „harte“ Kriterien, sind im konkreten Lebensalltag nur äußerst selten von Nutzen. Höchstens in ganz speziellen Situationen können sie vielleicht sinnvoll sein, zum Beispiel kann es Spaß machen, sich beim sportlichen Wettkampf spielerisch mit anderen zu messen. Wenn ich mit meiner Freundin Squash spiele, dann strenge ich mich nur an, wenn es um Punkte geht. Allerdings ist es eben auch ein Spiel und kein Ernst.
Eine andere Situation, in der Konkurrenz möglicherweise plausibel sein kann, ist der Umgang mit echten Mangel- und Notsituationen: Wenn von einer bestimmten Sache nicht genug für alle da ist, werden wir vielleicht um diese Sache konkurrieren, oder wenn es notwendig ist, für eine bestimmte Arbeit die Beste zu suchen, könnte ein Wettkampf ein geeignetes Mittel sein.
Allerdings begegnen wir heute der Logik der Konkurrenz nicht nur in solchen speziellen, eng definierten Situationen, sondern eigentlich immer. So als wäre die ganze Welt ein Spiel, ein Wettkampf, so als würde es uns an allem mangeln. Das scheint schon so selbstverständlich, dass die damit verbundenen Absurditäten oft gar nicht mehr auffallen.
„Deutsche Atomkraftwerke sind die sichersten der Welt“ – so warben zum Beispiel AKW-Betreiber vor einiger Zeit für längere Laufzeiten. Und kaum jemandem ist aufgefallen, dass dieser Satz absolut nicht beruhigen kann. Denn dass deutsche Atomkraftwerke sicherer sind als die jenseits der Grenze, heißt ja keineswegs, dass sie nicht trotzdem jederzeit in die Luft fliegen können. Vermutlich waren japanische Atomkraftwerke noch sicherer als deutsche.
Das Konkurrenzdenken hat über seinen realen Sinn hinaus in unserer Kultur eine überaus starke symbolische Bedeutung angenommen. Konkurrenz gilt sozusagen als natürliche und normale Art und Weise, wie Menschen miteinander in eine Beziehung treten. Das hat weit reichende Auswirkungen auf unser Menschenbild und darauf, wie wir die Gesellschaft organisieren.
Konkurrenz heißt zum Beispiel, dass man so tut, als wären alle Beteiligten gleich: Alle Läufer haben dieselbe Ausgangsposition. Individuelle Unterschiede bleiben prinzipiell außen vor, denn es geht überhaupt nicht um die beteiligten Menschen, sondern allein um das Ziel und die Effektivität. Der Beste soll gewinnen. Deshalb ist auch nicht Gerechtigkeit die moralische Tugend der Konkurrenzlogik, sondern die Fairness. Fair sein muss man, aber nicht, um nett zu den anderen zu sein, sondern damit das Ergebnis nicht verzerrt wird: Wenn sich jemand nach vorne mogelt, verliert das Konkurrenzverfahren seinen Sinn.
Diese „Fairness“ und das damit verbundene Postulat der Gleichheit aller Beteiligten wird häufig als etwas Positives gesehen. In Wahrheit ist dieser Gedanke aber sehr unbarmherzig. Denn den beteiligten Personen als Individuen wird er ja gerade nicht gerecht: Habe ich heute gut geschlafen oder schlecht? Hat jemand Handicaps oder persönliche Probleme? Solche Fragen dürfen per Definition keine Rolle spielen.
Insofern ist jede Konkurrenz letztlich unbarmherzig der konkreten Person gegenüber. Mitgefühl und Verständnis für die besondere, individuelle Situation sind nicht möglich. Es ist deshalb auch unsinnig, für Konkurrenzsituationen zu fordern, dass sie „gerechter“ werden und auch den Benachteiligten eine Chance geben. Denn auch wenn wir etwa neue Auswahlkriterien bei Stellenbesetzungen suchen, die zum Beispiel eher weibliche Qualitäten wie die so genannten „soft skills“ stärker berücksichtigen, wird es dadurch nicht „gerechter“, sondern es werden nur die Ziele verändert, der Maßstab, der die Effektivität bestimmt, die angestrebt werden soll.
Viele glauben, Konkurrenzverhalten wäre eine quasi natürliche Eigenschaft der Menschen, eine Art evolutionäres Erbe. Doch das Prinzip der Konkurrenz ist, zumindest in seiner symbolischen Bedeutung, ein historisches Phänomen. Vor der Industrialisierung gab es Konkurrenz (als politischen Denkrahmen) nur selten. Ein Bauer im Feudalismus wäre niemals auf die Idee gekommen, mit einem Adeligen zu konkurrieren.
Konkurrenz konnte erst zu einem Maßstab für menschliche Beziehungen werden, als die Idee der Gleichheit der Menschen virulent wurde – seit der Aufklärung also, wobei es sich jedoch genau genommen nicht um die Gleichheit der Menschen, sondern der Männer handelte.
Seither gilt der gesellschaftliche Stand eines Mannes nicht qua Geburt als festgelegt, sondern es herrscht die Vorstellung, jeder könne Schmied seines eigenen Glückes sein, sich seinen Wohlstand und seine Anerkennung in der Konkurrenz mit anderen freien Männern erringen. Konkurrenz wurde so zu einem identitätsstiftenden Merkmal für männliche Freiheit. Frei war ein Mann dann, wenn er nicht mehr auf einen „natürlichen“ Stand festgelegt war, sondern wenn er im freien Wettkampf mit anderen Männern sich seine gesellschaftliche Position selbst erarbeiten und erstreiten konnte.
Da Konkurrenz aber ein Verfahren ist, das nur in Not- und Mangelsituationen sinnvoll ist, musste gleichzeitig die Welt zu einem Ort uminterpretiert werden, an dem überall und jederzeit Mangel herrscht. Das geschah paradoxerweise gerade in einer historischen Situation, in der die industrielle Produktionsweise es eigentlich erlaubt hätte, den realen Mangel immer mehr zu beseitigen. Denn mit der Einführung von Maschinen war die Herstellung von Gütern und Waren ja sehr viel einfacher und billiger geworden.
Doch es entstand ein ökonomisches System, der Kapitalismus, das Mangel systematisch erzeugt. Nur mit Gütern, die knapp sind, erzielt man gute Preise. Mit der Folge, dass zum Beispiel heute in einem reichen Land wie Deutschland tatsächlich die meisten Menschen den Eindruck haben, alles Mögliche wäre knapp.
Man denke nur an das Phänomen mit den Ruheliegen in der Sauna: Aus Angst, keinen Platz zu bekommen, blockieren sich alle mit ihrem Handtuch eine Liege, was dann dazu führt, dass Liegen tatsächlich knapp werden, auch wenn eigentlich genügend da sind.
Wenn alle gesellschaftlichen Bereiche im Hinblick auf Mangel und Konkurrenz definiert werden, was ab dem 19. Jahrhundert zunehmend der Fall war, dann erscheint es tatsächlich sogar logisch, dass selbst ganz unangenehme Arbeit, von der sich die Menschen jahrhundertelang zu befreien versucht hatten, weil sie mühsam, gefährlich oder ermüdend ist, plötzlich zu einem knappen Gut wird.
Die Wirtschaftswissenschaften ersannen die Theorie von der „unsichtbaren Hand“ des Marktes: Wenn alle nur ihren egoistischen Interessen folgen, so die Idee, werde das bestmögliche Ergebnis herauskommen. Und sogar die Politik, also der Bereich, wo Menschen untereinander über die Regeln des Zusammenlebens verhandeln, wurde dieser Logik der Konkurrenz unterworfen: In der parlamentarischen Demokratie regiert, wer mehr Stimmen bekommt als die anderen. Politische Vorschläge werden nicht an ihrem Sinn und ihrer Nützlichkeit gemessen, sondern daran, ob sie im Wettstreit um die Gunst der Wähler (und später auch der Wählerinnen) siegreich sind.
In diesem Prozess wurde also der reale Mangel, den es natürlich zuweilen gibt, nach und nach überlagert von einem weitaus größeren symbolischen Mangel, oder anders gesagt: Der Mangel war nicht mehr eine unter vielen Realitäten, mit denen Menschen konfrontiert sein können, sondern das führende Prinzip von allem.
Wenn uns nichts mehr fehlt, müssen neue Bedürfnisse erfunden werden, sonst bricht das System zusammen. Konkurrenz wurde entsprechend als die Grundregel jeder Gesellschaft, jeden sozialen Zusammenlebens verstanden.
Der Mangel darf auch dann nicht als Leitgedanke aufgegeben werden, wenn er ganz offensichtlich unsinnig ist, wie im Bereich der Digitalisierung: Alle möglichen Werte (Informationen, Musik, Software, Filme – Daten alle Art eben) können heute nahezu kostenlos und fehlerfrei beliebig oft kopiert werden. Doch statt diese Entwicklung zu nutzen, um möglichst viel Wohlstand für alle zu organisieren, geschieht das Gegenteil: Die Produktivität ganzer Industriezweige fließt mittlerweile in das absurde Bemühen, die Verfügbarkeit von Gütern willentlich und mit viel Mühe (Zugangssperren, Kopierschutz und so fort) zu verhindern, damit veraltete, auf Konkurrenz gestützte Gewinnmodelle künstlich am Leben gehalten werden.
Nun könnte man einwenden, dass sich unterm Strich das Modell der Konkurrenz doch bewährt habe. Hat nicht das kapitalistische Wirtschaften tatsächlich mehr Dynamik mehr Erfindungen, Fortschritt und Wohlstand gebracht? Ist die Politik der Konkurrenz um Stimmen und Posten nicht tatsächlich geeignet, um den Willen der Mehrheit abzubilden, und die einzig denkbare demokratische Regierungsform? Wenn die Konkurrenz wirklich so unsinnig ist, warum funktioniert sie denn schon so lange und so gut?
Ich habe allerdings Zweifel an dieser Erfolgsgeschichte – und nicht nur, weil mit Klimawandel, Finanzkrise und Co. die Schwächen dieser Logik evident geworden sind und ihre Effizienz fraglich erscheint. Sondern auch, weil die Konkurrenz zwar symbolisch unser Denken beherrscht, faktisch, also im ganz realen Leben, aber keineswegs eine so große Rolle spielt, wie immer behauptet wird.
„Niemand trainiert, um Zweiter zu werden“ stand zum Beispiel vor einiger Zeit auf den Plakaten einer Turnschuhfirma. Und als Slogan, auf der symbolischen Ebene also, scheint das zu funktionieren. In Wirklichkeit aber dürften die allerwenigsten Menschen tatsächlich deshalb Sport treiben, weil sie in irgendeinem Wettkampf siegen wollen. Die meisten gehen doch wohl eher in den Verein oder ins Fitnessstudio, um sich gesund zu halten, um sich zu bewegen, um Spaß zu haben.
Vergleichbar ist es im Berufsleben, das, ähnlich wie der Sport, inzwischen besonders stark von einem symbolischen Konkurrenzdenken geprägt ist. In den vergangenen Jahren wurde in vielen Bereichen das Streben nach bestmöglicher Qualität abgelöst vom Effizienzdenken: Ein Unternehmen, dass Gewinn machen will, darf nicht so gut wie möglich arbeiten, sondern nur so gut, dass es gerade so eben besser ist also die Konkurrenz. Entsprechend wird Personal eingespart, steigt die Arbeitsbelastung, werden Fehler in Kauf genommen.
Den meisten Menschen gefällt das gar nicht: Sie möchten gute Arbeit leisten. Sie leiden darunter, wenn sie, um „konkurrenzfähig“ zu bleiben, bei der Qualität Kompromisse machen müssen. Für viele Menschen in der heutigen Arbeitswelt bedeutet das, dass sie die Fehleranfälligkeit der Konkurrenzlogik durch freiwillige Mehrarbeit ausgleichen. Sie machen Überstunden, um ihre Arbeit so gut wie möglich zu erledigen – und eben nicht nur so gut, wie es nach den Vorgaben des Managements angeblich ausreicht. Wenn etwa Stellen eingespart werden, gleichen das die Kolleginnen und Kollegen aus – nicht, weil sie so selbstlos wären, sondern weil es unbefriedigend ist, schlechte oder mittelmäßige Ergebnisse abzuliefern. Das Perfide daran ist, dass die Unternehmen das sogar wissen – und mit dieser freiwilligen Mehrarbeit bereits kalkulieren.
Die Konkurrenzlogik funktioniert also in der Realität also gar nicht so gut, wie auf einer symbolischen Ebene behauptet wird. Vieles funktioniert nicht wegen, sondern trotz ihr – weil es nämlich noch genügend Menschen gibt, mehr Frauen als Männer, die sich an diese Logik in Wirklichkeit gar nicht halten.
Klugen Denkern war das übrigens schon immer klar. Sie wussten, dass Konkurrenz die Gesellschaft schon allein deshalb nicht regeln kann, weil sie per Definition von der Realität, also von den konkreten individuellen Bedürfnissen der Menschen und von der Notwendigkeit dessen, was getan werden muss, auch wenn es sich nicht unmittelbar „rentiert“, absieht. Konkurrenz braucht also eine Gegenseite. Und für diese Gegenseite wurden in patriarchaler Logik die Frauen zuständig erklärt.
Zur selben Zeit, als das Konkurrenzdenken zum symbolischen Zeichen männlicher Freiheit wurde, entstand parallel eine andere, dezidiert konkurrenzfreie Zone – die Familie. Der „männlichen Sphäre“ von Konkurrenz und Wettstreit wurde eine „weibliche Sphäre“ von Hingabe und Selbstlosigkeit gegenüber gestellt, und ihr wurden all jene Notwendigkeiten des menschlichen Lebens überantwortet, die sich partout nicht der Logik der Konkurrenz unterwerfen lassen: gegenseitige Fürsorge, Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege, Feste feiern und vieles mehr. Dieser Bereich wurde, weil er ja nicht nach dem System der Konkurrenz funktioniert, dann als vorpolitisch oder unpolitisch definiert. Und damit sich beides ja nicht vermengt, musste man Frauen von dem Bereich der Politik fernhalten, ihnen zum Beispiel das Wahlrecht verweigern. Erst 1909 wurde in Deutschland das Verbot aufgehoben, dass es Frauen untersagt, politische Vereinigungen zu gründen.
Das alles ist übrigens keineswegs eine radikale feministische Interpretation dieser Angelegenheit, sondern das alles wurde von den Theoretikern der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft selbst so gesehen und formuliert. Nach Hegels „Philosophie des Rechts“ zum Beispiel, erstmals erschienen 1821, ist Konkurrenz die vorherrschende Form der Beziehung ab dem Moment, wo der Mann als Oberhaupt der Familie in Außenkontakte mit anderen Männern und Familienoberhäuptern tritt. Nach Hegel ist die Beziehungsform innerhalb der Familie die „unmittelbare Einheit“, das heißt ein Gemeinschaftliches, das keine unterschiedlichen Interessen und damit auch keine Konkurrenz kennt, während die „bürgerliche Gesellschaft“ der Ort ist, wo unterschiedliche Interessen aufeinander treffen und die Männer miteinander um Geld, Einfluss und Anerkennung wetteifern.
Diese Vorstellung von zwei getrennten „Sphären“, einer männlichen und einer weiblichen, hat sich inzwischen im Zuge der Frauenemanzipation aufgelöst. Die Rollen sind bekanntlich nicht mehr so klar zwischen den Geschlechtern verteilt. Frauen konkurrieren im öffentlichen Bereich heute ebenso wie Männer.
Aber auch die ehedem „weibliche Sphäre“ des Privaten ist betroffen. Auch hier gilt inzwischen vielfach die Logik der Konkurrenz – Frauen konkurrieren nicht nur mit den Männern und anderen Frauen um gesellschaftlichen Erfolg und Ansehen, sondern auch mit anderen Frauen um den am besten geführten Haushalt, die besseren Schulnoten, um die schlankere Figur und die modischere Kleidung.
Sicher gab es dies auch früher schon, aber vor der Emanzipation galten konkurrierende Frauen als eitel, ehrgeizig oder kokett, es war also ein negativ bewertetes Verhalten. Heute wird die Konkurrenz der Frauen um eine gelungene Weiblichkeit offensiv gefördert, publizistisch begleitet und vermarktet. Das ist schon tragisch: Gerade weil im Zuge der Emanzipation die ehemals für Männer geltenden Kriterien auch für Frauen verbindlich werden, verstärken sich die Geschlechterklischees.
Allerdings scheint Konkurrenz für viele Frauen noch immer ein Problem zu sein. Das Konkurrieren gefällt den meisten von ihnen keineswegs. Ich habe bei meinem Nachdenken über dieses Thema viele Frauen dazu befragt. Wenn sie von Konkurrenzsituationen erzählen, ist häufig von negativen Erlebnissen die Rede. Nicht vom Reiz des Wettbewerbs, vom lustvollen Ringen um Auszeichnungen, sondern von Missgunst, Neid, von Kritik, die als ungerechtfertigt empfunden wird, vom Gefühl, von Konkurrentinnen bloßgestellt zu werden.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Für Frauen ist der Eintritt in die Sphäre der Konkurrenz nicht ein symbolisches Zeichen ihrer Freiheit, sondern lediglich eine Notwendigkeit, der sie sich unterwerfen müssen, wenn sie sich in der ehemals „männlichen“ Sphäre „als Gleiche“ behaupten wollen.
Es hat keinswegs nur individuelle, psychologische Gründe, wenn zum Beispiel Männer selten private Freundschaften auf der Arbeit suchen und es ihnen leichter fällt als vielen Frauen, das Persönliche und das Sachliche voneinander zu trennen. Männer gewinnen aus ihrer Beteiligung am öffentlichen „Hahnenkampf“ nicht nur den konkreten Vorteil, den der Sieg über einen Kontrahenten mit sich bringt, sondern auch eine Bestätigung ihrer Männlichkeit, weshalb ihre Beziehungen untereinander dadurch nicht grundsätzlich gefährdet sind: Viele Männer können sie ohne mit der Wimper zu zucken ihren politischen Kontrahenten vor laufender Kamera polemisch niedermachen und hinterher einträchtig mit ihm ein Bier trinken gehen. Sie erwarten überhaupt nicht, dass ihr öffentliches Auftreten etwas mit persönlichen Beziehungen zu tun haben soll. Harmonie, Bezogenheit, persönliches Involviertsein haben sie gedanklich gewissermaßen in ihre „Privatsphäre“ ausgelagert.
Und an dieser Sichtweise hat sich für die Männer mit der Frauenemanzipation auch nichts Wesentliches geändert – außer, dass unter ihren Konkurrenten jetzt manche auch einen Rock tragen und dass es vielleicht etwas schwieriger geworden ist, eine Frau zu finden, die sich stillschweigend um den privaten Rest kümmert.
Für die Frauen hingegen stellt sich die Situation deutlich komplizierter dar. Und zwar nicht nur, weil sie in einen Rollenkonflikt geraten, wenn sie einerseits in der Öffentlichkeit konkurrieren sollen, andererseits aber im privaten Bereich nach ganz anderen Prinzipien als der Konkurrenz agieren müssen.
Frauen finden im Sieg über einen Kontrahenten nicht eine Bestätigung ihrer Freiheit und ihres Frauseins. Ein Mann, der den Konkurrenten besiegt, wird männlicher. Aber eine Frau, die ihren Konkurrenten besiegt, wird dadurch nicht weiblicher, im Gegenteil, sie riskiert es, dass ihre Weiblichkeit in Frage gestellt wird.
Dazu gibt es übrigens inzwischen eine ganze Reihe von Studien. Denn es ist empirisch falsch, dass Frauen im beruflichen „Konkurrenzkampf“ – etwa um bessere Posten oder um mehr Gehalt – dadurch besser abschneiden können, dass sie sich genauso verhalten wie Männer, was ihnen ja so oft vorgeschlagen wird. Eine Frau, die egoistisch agiert, die forsch Forderungen aufstellt, die die Ellenbogen ausfährt, wird sehr viel negativer beurteilt als ein Mann, der das tut. Das heißt: Egal, was eine Frau macht, ob sie nun den Konkurrenzkampf aufnimmt oder nicht, verloren hat sie sowieso.
Aber es ist trotzdem kein Grund dafür, in Depression zu versinken. Sich klarzumachen, dass ein bestimmtes symbolisches System so funktioniert, wie es nun einmal funktioniert, hilft, damit umzugehen. Wenn ich weiß, dass mein Scheitern an einem bestimmten Punkt strukturelle Ursachen hat, dann brauche ich mich nicht länger damit aufhalten, den Fehler bei mir selbst zu suchen und mich unnütz zu verausgaben, um einem unerreichbaren Ziel hinterherzurennen. Sondern man kann anfangen, sich nach praktikablen Alternativen umzusehen.
Zum Beispiel so: Wenn die Konkurrenzlogik uns erstens nicht gefällt und wir zweitens auch sowieso nicht wirklich mitspielen dürfen – sollten wir sie dann nicht von ihrem Thron stürzen?
Anstatt also von Frauen zu verlangen, dass sie die Konkurrenz lieben lernen, könnten wir nicht von Männern verlangen, dass sie die Konkurrenz nicht länger als ideales Prinzip überhöhen? Ist das ständige Konkurrenzgehabe vieler Männer nicht schädlich für die Gesellschaft? Sollten wir nicht besser von ihnen verlangen, dass sie sich an den Frauen orientieren anstatt andersrum – weil das für uns alle besser wäre?
Vor einiger Zeit gab es eine interessante Diskussion, die von einem amerikanischen Professor angestoßen wurde, der sich in seinem Internetblog über seine Studentinnen beschwert hat. Er müsse, so schrieb er, sehr oft Gutachten schreiben, für Studentinnen und Studenten, die sich für bestimmte Positionen bewerben. Um sich die Arbeit leichter zu machen, fordert er seine Studierenden auf, dieses Gutachten schon einmal vorzuformulieren. Und siehe da: Während die Studenten ihm wahre Lobeshymnen über sich selbst einreichen, mit denen er sehr wenig Arbeit hat – denn er muss nur die schlimmsten Übertreibungen herausstreichen und seine Unterschrift drunter setzen – bekommt er von seinen Studentinnen zurückhaltende, realistische und auch selbstkritische Einschätzungen. Wenn er da einfach seine Unterschrift drunter setzt, haben diese Studentinnen in der Konkurrenz um lukrative Positionen oder um Stipendien keine Chance. Weil er aber gerne Frauen fördern möchte, fordert er die Studentinnen auf, sich an ihren männlichen Kommilitonen ein Beispiel zu nehmen.
Ich frage: Wäre das gut? Oder wäre es nicht besser, wenn Gutachten generell realistisch wären?
So ähnlich dürfte es in vielen Situationen sein, wenn Männer und Frauen die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren. Dass in solchen Beurteilungssituationen die Konkurrenzlogik vorherrscht – jeder bemüht sich, besser da zu stehen als die anderen – ist der Qualität der Arbeit sicher abträglich und verhindert eine realistische Einschätzung. Das kann auch nicht im Interesse der Unternehmen und der Vorgesetzten sein. Eigentlich. Es wäre daher gut, wenn nicht mehr das zurückhaltende, realistische und selbstkritische Präsentationsverfahren von Frauen als defizitär angesehen würde, sondern das unrealistische, schönrednerische Sich selbst-Präsentieren der Männer.
In der Skepsis vieler Frauen gegen die Konkurrenzlogik liegt deshalb eine Chance. Wenn Frauen sich selbst in Frage stellen, wenn sie Beziehungen und Arbeit zusammenbringen möchten, wenn sie auf ihr Gegenüber eingehen anstatt die eigene Person in den Vordergrund zu spielen – dann ist diese Haltung nicht als Hindernis auf dem Weg zu ihrer Emanzipation zu sehen. Die Frage wäre eher, wie die für die Welt so wichtige Notwendigkeit, sich auf diese Weise „weiblich“ zu verhalten, eine allgemein menschliche, also auch „männliche“ Einsicht werden könnte.
Wobei jedoch im Auge zu behalten ist, dass auch die „weibliche“ Gegenhaltung zur „männlichen“ Konkurrenz, so wie sie heute in Erscheinung tritt, deformiert ist, das Produkt einer Entwicklung, in der sie die Gegenseite zu jener darstellte. Es ist durchaus richtig, dass viele Frauen aus falscher Bescheidenheit heraus ihr eigenes Licht unter den Scheffel stellen. Und es ist gut, dass wir, auch Dank solcher Vereinigungen wie der Ihren, schon lange daran arbeiten, dass Frauen mit angemessenem Selbstbewusstsein auftreten und für ihre Überzeugungen eintreten und dabei auch Konflikte in Kauf nehmen. Ich will die historisch weibliche Gegenseite zum männlichen Konkurrenzdenken, die Selbstaufopferung, nicht idealisieren.
Die Herausforderung besteht darin, beides neu zu denken.
Der erste Schritt dazu ist es, den überall postulierten Mangel zu hinterfragen. Nicht der Mangel ist die grundlegende Erfahrung des menschlichen Lebens, sondern die Fülle – zum Beispiel im Geschenk des Lebens und der Sprache, das wir alle als Kinder von unserer Mutter bekommen haben.
Jeder Mensch kennt neben Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen auch die Erfahrung, dass für ihn gesorgt wird, dass Menschen freigiebig sind, dass sich andere um ihn gekümmert haben – ansonsten würde nämlich niemand überleben. Dasselbe gilt im Übrigen auch für den Arbeitskontext. Auch in einem Betrieb funktioniert nichts, wenn alle nur immer nach Effizienz und bester Performance streben. Auch hier ist es notwendig, dass wir uns umeinander kümmern, dass wir uns gegenseitig helfen, dass wir auch Zeit für informelle Gespräche und dergleichen haben. Auch im Betrieb gibt es die Fülle der Verschiedenheit der Menschen.
Doch diese Aspekte können nur zum Tragen kommen, wenn ihnen auch die nötige Aufmerksamkeit gewidmet wird. Wenn wir nicht die Verwaltung des Mangels, sondern die sinnvolle Gestaltung des Reichtums, der uns gegeben ist, zur Grundlage für ethische Maßstäbe machen, ergeben sich auch andere Perspektiven für konkrete politische Projekte wie etwa die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens oder für die Frage, wie die gegenseitige Hilfsbedürftigkeit der Menschen gesellschaftlich organisiert oder vermittelt werden soll.
Menschen haben ein Bedürfnis zum Geben, auch ohne Gewinnabsichten. Doch diese „Welt der Gabe“, wie Dorothee Markert sie nennt, muss gepflegt, eingeübt, durchdacht und kultiviert werden, um tragfähig zu sein. Nicht um die Welt des Tauschens und der Konkurrenz zu erstehen, sondern um sie an ihren angemessenen Ort zu verweisen.
Konkurrenz und Wettbewerb ist eine mögliche Weise, wie Menschen zueinander in Beziehungen treten können. Eine Weise unter vielen. Eine Weise, die in bestimmten Situationen sinnvoll ist, in sehr vielen anderen aber völlig sinnlos. Worauf es ankommt ist, dass wir die Fähigkeit wieder gewinnen, jeweils in einer Situation zu entscheiden, was nun angemessen ist und was nicht. Anstatt wie bisher so zu tun, als sei die Logik der Konkurrenz eine Art Naturgesetz des menschlichen Verhaltens.
Die größere Distanz der Frauen zur Konkurrenz, ihr größeres Wissen um andere Beziehungslogiken– der der Fürsorge, der Bedürftigkeit, der Unterschiedlichkeit – ist eine gesellschaftliche Ressource. Wir sollten sie nutzen. Nicht, um Frauen einen Gefallen zu tun. Sondern für die Welt.