Der zuckersüße Jesus – Religion und Kitsch
Der Chef sag ich immer, mit Chef mein ich Jesus, der war ja lebensfroh, der war ja nicht verbiestert oder eng oder so was, und da darf man, da sind auch alle Darstellungsformen erlaubt, das kann freudig sein und bunt sein und verspielt sein.
Dieter Funk liebt den zuckersüßen Jesus, den mit langem gewelltem Haar und blinkendem Heiligenschein, und er liebt auch die dazugehörige Madonna mit dem kindlich-weißen Gesicht und dem blutenden Herzen. Er mag sogar von innen beleuchtete Petersdom-Imitate aus Plastik und Schlüsselanhänger mit dem Konterfei des Papstes drauf. Und zwar mag er das alles so sehr, dass er, zusammen mit seiner Partnerin Ulrike Schuster, den religiösen Kitsch zum Beruf gemacht hat.
Es kam sozusagen vom Himmel, von heut auf morgen. Wir waren beide in anderen Berufen und wollten uns selbstständig machen und sind beide katholisch, und haben immer Freude gehabt an diesen farbigen christlichen Darstellungen, und da haben wir gesagt, das gibt’s nicht oder das gibt’s nur ganz verstreut, und dann haben wir einfach einen Laden aufgemacht.
Ave Maria heißt der Devotionalienshop mitten in Berlin, in der Potsdamer Straße, den Funk und Schuster seit Ende 1996 betreiben. An der Eingangstür wird man von einer gigantischen Engels-Statue begrüßt, links steht das Regal mit dem Schild »Feines aus den Klöstern dieser Welt«, dann kommen Heiligenfiguren jeder Größe und Stilrichtung, 3-D-Postkarten mit Jesus, Maria oder auch der gesamten Heiligen Familie drauf und natürlich die Petersdome. Das Geschäft läuft. Anfangs haben noch Second-Hand-Klamotten den Laden finanziell über Wasser gehalten, demnächst ausrangiert. Inzwischen rentiert sich aber der Verkauf religiöser Devotionalien. Nicht nur fromme Christen kaufen hier ein, sondern auch Leute, die einfach auf der Suche nach ausgefallenen Dekorationen für ihre Inneneinrichtung sind. Kitsch ist wieder in, und wenn in Discos Siebziger-Jahre-Schlager gespielt werden und angesehene Künstler den röhrenden Hirschen neu inszenieren, da ist es natürlich naheliegend, dass auch der religiöse Kitsch wieder hervorgekramt wird. Berührungsängste zu diesem Publikum hat der überzeugte Katholik Funk nicht:
Gut, da stellt jemand dann halt den Jesus aufs Bad, aber irgendwie muss er’s ja auch ernst nehmen, sonst würd er sich ja nicht für interessieren, also ich tu ja nur etwas, wenn’s mich anzieht, ob ich’s jetzt abstoße oder annehm, aber irgendwas ist ja trotzdem da, wenn Sie dann, was weiß ich, den Jesus aufs Bad stellen oder ne Weihwasserflasche als Schampooflasche benützten, das ist halt, na ja gut, okay.
Auch im Bereich der offiziellen Kirche gibt man sich unaufgeregt. Schließlich hat man hier, vor allem im katholischen Bereich, eine lange Kitsch-Tradition vorzuweisen. Keine berühmte Kirche, kein Wallfahrtsort kommt ohne Devotionalienverkauf aus. Kitsch und Religion, das gehört nach Meinung von August Heuser, dem Leiter des Frankfurter Dommuseums, einfach zusammen:
Die Religion neigt auch zum Kitsch, und zwar deswegen, grade weil sie dem Menschen Beheimatung dienen will, weil sie die Gefühle ansprechen will, weil sie im Grunde vom Glück spricht. Und da sind wir doch nah am Kitsch. Jedenfalls kann man die Linien dann sehr schnell auf den Kitsch ausziehen. Glück, Heimat, Zufriedenheit, das ist doch etwas, was sich im Kitsch u.U. häufig immer wieder spiegelt. Und da Religion darauf ein ganzes Stück zielt, ist der Kitsch doch ein Partner auch der Religion. Und geht mit der Religion ein Stück den Weg. Und die Religion mit dem Kitsch.
Dabei kommt es seiner Meinung nach auch gar nicht so sehr darauf an, mit welcher Motivation jemand die bunten Plastikbildchen und Heiligenfiguren kauft. Steckt nicht schließlich auch hinter dem Wunsch, das WG-Zimmer mit Jesusbildern zu dekorieren, möglicherweise eine religiöse Sehnsucht?
Ich find das auch ganz interessant, wenn das grade Menschen machen, die nicht in die Kirche gehen, die vielleicht ausgetreten sind, oder in irgendeiner Weise auch mit Kirche fern stehen und nicht so viel damitzu tun haben. Und wenn die sowas aufstellen, dann hat das den Charakter einer Heimatsuche. Man sucht zurück zu den Wurzeln. Man erinnert sich an das, was man in der Kindheit erlebt hat. Man versucht, daran ein Stück religiösen Weg, den man längst verlassen hat, nochmal zu beschreiben oder nochmal darzustellen. Und da find ich das ganz wichtig auch für das eigene Gefühl der Beheimatung. Aber es geht auch darüber hinaus, dass man damit anfängt zu spielen, mit dem was einmal war, für mein Empfinden daran auch seine Biografie nochmal neu buchstabiert und manches, was man vielleicht auch in der Religion tragisch erlebt hat, mit so einer kleinen Madonna oder mit so einem süßlichen Jesus plötzlich aufhebt und es verwandelt hat in ein viel Leichteres, in das, was nicht so ernsthaft mehr bewegt. Und das ist ja auch was.
Dieter Funk kann diese Einschätzung nur bestätigen:
Wir haben auch schon erlebt, dass Leute, denen man es nicht zugetraut hätte, dass die da ne Verbindung zu ihren Großeltern aufgebaut haben, ja, denen ist dann plötzlich eingefallen Mensch, das hatte ja meine Großeltern und dann kamen da so Erinnerungen hoch, also da gibt’s viele Gründe, warum das Leute, denen man das eigentlich nicht zumutet, so was kaufen. deren Eltern waren im Grunde genommen 68er z.B., also ganz schwarz und grau, und da konnten sie sich irgendwann an die Großmutter erinnern, ach, die Großmutter hatte das und hatte eigentlich auch die komischerweise einige von diesen Leuten haben lebendigere Erinnerungen an ihre Großeltern, als an ihre Eltern, die waren immer busy busy und Geld und Geld und irgendwo war da noch ein kleiner Hafen ganz hinten, und so was kommt auch hoch, das ist, glaub, ziemlich vielfältig, was da passiert.
Kitsch gibt es erst seit Ende des 19. Jahrhunderts – jedenfalls ist damals das Wort zum ersten Mal aufgetaucht. Was es ursprünglich bedeutete und wie es entstand, ist umstritten, einig war man sich jedoch lange Zeit, dass Kitsch etwas Schlechtes ist. Billige Massenware, politisch reaktionär, konventionell, kurzum: Abzulehnen. Das galt für Kunstkenner ebenso wie für die Theologen, vor allem für protestantische, die die Liebe der katholischen Volksfrömmigkeit an Buntem und Glitzerndem allen Ernstes sogar als eine Folge der Erbsünde interpretierten. Diese Zeiten sind längst vorbei. Selbst der nüchterne Protestantismus kann sich dem Trend nicht länger widersetzen, was auch Dieter Funk bestätigt, der in seinem Ave-Maria-Laden zunehmend Kunden aus dem traditionell protestantischen, skandinavischen Norden begrüßt. AuchKsenija Auksutat, evangelische Pfarrerin in Darmstadt, steht offen zu ihrer Vorliebe für Kitsch. Besonders gefallen ihr – auch das bisher im evangelischen Bereich eher ein Tabu – die vielfältigen Madonnen.
Was ich an diesen Mariendarstellungen besonders gut finde ist, dass diese Sehnsucht aller Männer und aller Frauen in dieser Darstellung immer wieder deutlich wird. Frauen wollen schön sein, sie wollen vollkommen sein, sie wollen unantastbar sein, und diese ganze Innere mit den vielen Problemen, Sorgen und Ängsten, das sieht man diesen Marien einfach nicht an. Und Männer wünschen sich natürlich eine Frau, die sie auf den Sockel stellen können, die sie anbeten dürfen, und die dann natürlich auch möglichst glatt und unkompliziert einfach nur Fürsprecherin ist und weiter keine Diskussionen anfängt. Von daher sind all diese kitschigen Darstellungen einfach nur Ausdruck von tiefen Sehnsüchten. Und das gilt auch für die vielen Darstellungen der Heiligen Familie. Was wünschen sich die Menschen? Die Menschen wünschen sich Geborgenheit, Schutz, Liebe, Aufgehobensein und das ist die Heilige Familie. Ne Frau, die sich um ihren Mann sorgt, ein Mann, der sich um seine Frau sorgt, Kinder, die wohlbehütet aufwachsen und das als Kitsch zu bezeichnen ist natürlich richtig, also diese ganzen Darstellungen,aber den Kitsch zu diffamieren und aus den Kirchenräumen und aus anderen Orten zu verbannen, das find ich nicht in Ordnung.
Doch so ganz sind die Kitsch-Kritiker noch nicht ausgestorben. Vor allem im Bereich des Religiösen, so meint etwa der Frankfurter Soziologe Burkhard Brunn, ist Kitsch fehl am Platz.
Kitsch an sich ist nichts schlechtes, ich würde nur sagen, auf die Kirche und auf die Religion bezogen, scheint es mir doch recht problematisch zu sein…. Also Kitsch ist würde ich sagen die zum Objekt gewordene Sentimentalität. Und man muss also, was ist Sentimentalität, das würde ich als falsche Gefühle definieren, und es fragt sich, was sind echte Gefühle. Und echte Gefühle im Sinne des Christentums sind solche die zum Tätigwerden drängen, d.h. also ein Tun nach sich ziehen, das kann man sehr klar machen an dem Begriff der Barmherzigkeit, also ein barmherziges Gefühl muss eigentlich zur Folge haben, dass man etwas Barmherziges tut, also jemandem wirklich hilft. und Sentimentalität oder falsche Gefühle sind eben solche, die ohne praktische Folgen sind. und das halt ich für ne ganz wichtige Bestimmung, und das kommt daher, dass der Kitsch die großen Heiligen Gestalten, die großen Gestalten, wie sie in der Bibel eben beschrieben sind, verharmlost.
Der Einwand scheint berechtigt. Schließlich hat der neue Spaß an religiösem Kitsch bislang nicht dazu geführt, dass die Leute wieder massenweise in die Kirche eintreten oder auch nur dazu, dass sie mehr Wert auf Barmherzigkeit und Nächstenliebe legen als andere. Doch besser falsche Gefühle, als gar keine, meint August Heuser:
Grundsätzlich sag ich natürlich auch, das ist eine Verflachung, das ist eine Verniedlichung, das ist auch eine gewisse Form der Respektlosigkeit etwa vor der deutlichen Botschaft Jesu, wenn dieser Jesus dann alsein Baby oder so dargestellt wird und möglichst noch in irgendeine Zuckerwatte verpackt wird, das ist sicher hat das damit was zu tun, das ist ne Verflachung. Andererseits aber hat Religion auch nicht nur mit dem Kopf zu tun, sie hat auch viel mit dem Gefühl zu tun, und Religion ohne Gefühl ist ganz nah an der Ideologie. Und insofern als der religiöse Kitsch bei vielen Leuten sozusagen das Gefühl stimuliert, will ich ihn auch gelten lassen. Obwohl ich weiss, dass es vielleicht auch keine echten Gefühle sind, aber es hat doch anfanghaft etwas mit dem echten Gefühl zu tun,… Ich wär nicht so streng, wie Protestanten streng sind, ich wär nicht so streng, wie Soziologen in so Sachen streng sind, das gehört katholischerseits dazu, und das ist immer die andere Seite der Sache. Das eine ist das strenge religiöse Leben, und das andere ist das Spiel mit diesen Dingen und die Beheimatung und das Leichte, und so möchte ich das auch gerne zusammen sehen.
Es ist aber nicht mehr nur eine Frage von katholisch und evangelisch. Für die meisten Menschen heutzutage hat die Unterscheidung der Konfessionen ohnehin keine Bedeutung mehr, der Zugang zur Religion ist individueller geworden und hat sich von der Institution Kirche längst gelöst. Deshalb stellt sich Ksenija Auksutat in ihrem Beruf als Pfarrerin auch nicht so sehr die Frage, ob Menschen, die Kitsch mögen, auch gute Christen sind, sondern eher, welche Sehnsüchte und Bedürfnisse hinter dieser Mode stecken:
Das Leben, das ist ja nicht ein langer, ruhiger Fluss, das ist ja nicht in geordneten Bahnen. Das Leben ist furchtbar aufregend, es ist furchtbar kompliziert, ich muss dauernd irgendwelche Entscheidungen treffen, nichts ergibt sich von alleine, …und dann sind natürlich alle kitschigen Darstellungen, ob das nun kleine Buddhastatuen sind oder das Bild vom röhrenden Hirsch, was man geerbt hat und sich nun in die WG oder die Küche hängt oder sogar im Schlafzimmer übers Bett, die sind so ein bisschen ein Inbild dessen, was uns verloren gegangen ist und ich glaube nach wie vor, die Sehnsucht danach ist da.
Da macht es ihrer Ansicht nach durchaus Sinn, wenn es eben nicht der röhrende Hirsch oder der Sonnenuntergang ist, sondern eben Jesus oder Maria.
Religion hat ja noch ne zweite Seite. Die hat einmal diese Sehnsucht nach dieser heilen Welt, insofern sie unsere spießige bürgerliche Idyllensehnsucht nach dem Nest ist. Religion hat aber natürlich auch immer den Abgrund noch mit thematisiert, die Angst vor dem Tod, vor dem Endlichen, vor der Strafe, vor der Rache, vor der Schuld. Und da gibt es eben im kirchlichen Bereich ganz viele superkitschige Bilder, das fängt an bei Gott als dem Vater und dem Richter, das geht aber auch in Mariendarstellungen weiter, diese vielen Marien mit dem Herz, das von einem Dolch durchstoßen ist, zum Beispiel. Jeder, der schon mal Liebeskummer gehabt hat, der weiss genau, was damit gemeint ist, wenn er sich so ein Bild anguckt. Und dann fühlt man sich einfach aufgehoben in so ner Darstellung und sagt, genauso geht’s mir auch. Und die hat das geschafft und die ist vielleicht ein Projektionsbild auch für die eigene Sehnsucht, das überstehen zu können, was man da an Schmerz und Leid grade fühlt.
Auch der Frankfurter Pfarrer Andreas Hoffmann, zuständig für den Dialog zwischen der evangelischen Kirche und der städtischen Kunst- und Kulturszene, glaubt, dass es heute für viele Menschen schwer ist, mit ihren religiösen Sehnsüchten Antworten bei der Institution Kirche zu suchen.
Da erlauben sich ja viele religiöse Gefühle, die sie sonst in ihrer Frömmigkeit überhaupt nicht umsetzten, und deswegen ist es ja auch wenn sich Leute so Christusse mit brennendem Herzen auf dem Gewand hin hängen, dann ist das ne Sehnsucht, die sich da ausdrückt, aber die sich oft in ihrem Alltag gar nicht ausdrückt. Das sind ja oft keine praktizierenden Christen sozusagen. Trotzdem ist es ne Sehnsucht, die ernst zu nehmen ist. Also dieser religiöse Kitsch, ich mag ihn auch sehr, aber man muss es ja mit Humor nehmen. Also wirklich richtiger Kitsch wird’s ja dann, wenn man den Humor gar nicht sieht.
Bei der gegenwärtigen Neuinszenierung des zuckersüßen Jesus wird ja die Sehnsucht nach der heilen Welt auf eine solch alberne Art und Weise in Szene gesetzt, dass auf den ersten Blick schon klar wird: das kann nicht wirklich ernst gemeint sein. Der Jesus auf der Hologramm-Postkarte kann die Versprechen, die er gibt, gar nicht einlösen, und alle wissen das.
Da sind die Augen zu blau, der Mund zu Kussmund, es bleibt ja doch bei der Religion doch auch noch ne schwierige Seite, ne harte Seite, auch ein harter Weg, der Umkehrruf ist nicht so freundlich, wie er hier aussieht. Und Jesus war auch nicht so, denk ich, als Mensch in seiner Wirksamkeit nicht so einfach zu haben, wie es hier aussieht. Ich denke, freundlich war er bestimmt, aber er hat auch was gefordert.
Milan Kundera hat einmal geschrieben, dass es heute unsinnig ist, über Kitsch zu reden, weil die ganze Welt bereits verkitscht ist. Kitsch, so seine Zeitdiagnose, sei heutzutage allgegenwärtig – im Fernsehen, in den Zeitungen, in den Privatleben. Selbst der Krieg werde inzwischen kitschig präsentiert, Kitsch sei der Normalfall, nicht mehr die Ausnahme. Auch Pfarrer Andreas Hoffmann sieht die Gefahr, die christliche Botschaft durch falsche Sentimentalität zu verharmlosen und zu verflachen, weniger in der Trash-Szene, die ihre Kneipen und Badezimmer mit religiösem Kitsch schmückt, sondern eher in der offiziellen Kirche, die nämlich ebenfalls kitschig ist, allerdings ohne das selber zu merken.
Das Schild »Achtung Kitsch« ist ja schon über all dabei. Wir lachen darüber, dass diese Sehnsüchte, die wir da spüren, über dieses Bild nicht einlösbar sind. Aber wo versucht wird, diesen Kitsch einzulösen, da wird Kitsch grausam und brutal. … Kitsch hat ja viel mit Harmoniesucht zu tun. Und ja gut, ich mein, diese Bilder strahlen zwar ne Harmoniesucht aus, aber da weiß man genau, es ist nicht die Realität. Schlimm wird’s, wenn man versucht, die Realität zu verkitschen. Und das ist eigentlich das Schlimmste, was vielfach in kirchlichen Kreisen leider passiert, versucht wird manchmal, und wo dann eben auch kirchliche Veranstaltungen kitschig werden, ohne dass die die mitmachen , drüber lachen können, sondern da wird’s dann super ernst…. auch bei, wenn Kinder da Theaterstücke aufführen oder Weihnachtsszenische Spiele, Weihnachtskrippenspiele, da muss man überall aufpassen, dass es nicht zu kitschig wird, weil es ist dann zu schön, um wahr zu sein, und das führt dann auch nicht weiter. Weil da kann man nicht drüber lachen, das ist ne ganz andere Kategorie dann, da kann man nicht drüber schmunzeln.
Das heißt aber auch: Gerade weil der neue, kirchenferne Kitsch-Kult den Zuckerjesus nicht ernst nimmt, sondern eine ironische Distanz dazu einnimmt, ist er unbedenklich. Aber wenn man unter diesem Aspekt über das Phänomen nachdenkt, stellt sich die Frage neu:geht es denn bei all dem überhaupt noch um Kitsch?
Vielleicht sind diese schönen Jesusfiguren, wenn die da in Dekoläden gekauft werden, gar nicht mehr Kitsch, sondern nur Dekorationsartikel, weil da ist ja keine Beziehung da, keine Frömmigkeitsbeziehung. Vielleicht ist Kitsch wirklich nur, wenn die Leute gar nicht wissen, dass es Kitsch ist, weil sie dann noch diese Sehnsüchte völlig frei da reinprojizieren, ohne diesen Humor und ohne diese Brechung. Also, wenn jemand diese Brechung schon erkannt hat, und es als Kitsch entlarvt hat, wird es eigentlich nicht mehr richtig als Kitsch benutzt. Sondern nur noch als Kitsch, wo man sich selbst drüber lustig macht. Der richtige Kitsch geschieht ohne Brechung und ohne dass die Leute das merken, und man kann’s nur von außen entlarven. Vielleicht.
Der sentimentale, reaktionäre Ruf des Kitsches rührt ja schließlich auch daher, dass er immer konventionell war. Wer Kitsch mag, jedenfalls galt diese Regel bis vor wenigen Jahrzehnten noch, der ist jedenfalls nicht radikal, nicht gesellschaftskritisch, sondern bewegt sich mit Hingabe im konservativen Mainstream. Das ist heute nicht mehr so. Wenn nämlich die Kritik am Kitsch selber schon zur Konvention geworden ist, entsteht Raum, den Kitsch gerade als aufklärerisches Stilmittel zu benutzen. Das begann zunächst in der Kunstszene – also dort, wo man klassischerweise den Gegenpart zum Kitsch vermutet, denn lange war man der Meinung, was Kitsch ist, das kann keine Kunst sein und andersrum. Kunst ist guter Geschmack, Kitsch ist schlechter. Diese Unterscheidung ist spätestens seitEnde der achtziger Jahre hinfällig, als Künstler wie Jeff Koons oder das Fotografenpaar Pierre et Gilles zunehmend mit Elementen des Kitsch gearbeitet haben. Statt dessen Sentimentalität zu kritisieren und ihr harte, minimalistische Stilmittel entgegenzusetzen, haben sie den Kitsch vereinnahmt, sie haben ihn zugleich lächerlich gemacht und ernst genommen. Religiöser Kitsch, insbesondere Madonnenbilder, waren vor zehn Jahren auch das Thema der Künstlerin Jutta Eberhard.
Also mir hat das Bild einfach gefallen und, also das Madonnenbild, ich hab wenn also nur mit Madonnen gearbeitet, und ich denke also vielleicht war das schon in soner Zeit als ich mich auch mit dem Vatikan und den ganzen Geschichten befasst hab und, ich glaub, es ging eigentlich nur um dieses völlig Absurde, da Marienfigurgeschichte, und was mich interessiert hat waren diese Wallfahrten und diese völlige scheinheilige Welt, Geldmacherei und so, und, also ich hab das ja dann so weit gemacht, dass ich mich selbst auch als Madonna inszeniert hab und auch hab fotografieren lassen, … ach ja, da hab ich mit Holger ja auch diese inszenierten Fotos gemacht in dem Stundenhotel, und da gings ganz extrem eigentlich darum, dass ich einen Mann als Maria in sonem Stundenhotel fotografiert hab, um diesen ganzen Twist, das ist eigentlich diese Diskrepanz zwischen allem oder dieser Mix, das was nicht zusammen passt zusammenzuführen, so das war die Idee eigentlich.
Die kitschige Inszenierung religiöser Themen, ursprünglich als kritische Auseinandersetzung mit scheinheiliger Frömmigkeit gemeint, ist inzwischen Massenware geworden, und wenn man Kitsch als eine schlechte Vervielfältigung von Kunst definiert, dann ist der derzeitige Religionskitsch also der potenzierte Kitsch, die Verkitschung des Kitsches nämlich. Für Künstlerinnen wie Jutta Eberhard ist das Thema damit uninteressant geworden.
Warum ist das so geworden, ich weiß nicht, es fing dann an dass es diese Plastikmadonnen gab mit diesen Lichtern, die man auf die Toilette gestellt hat, warum? Also ich glaub ganz ursprünglich, meine Herangehensweise war ganz sicher, dass ich mit diesem Frauenbild gearbeitet habe und das persifliert habe und dann eben den Mann das Frauenbild hab präsentieren lassen, und aber warum sich das so durchgesetzt hat, vielleicht, weil sie auch sexy ist auf ne Art, ne , die Unberührte, alle reden nur über Sex ständig und alles, und dann wird son Bild, was so völlig überaltert ist, einfach so massentauglich gemacht.
Vielleicht liegt der Trick ja auch grade darin, dass der Religionskitsch es den Menschen erlaubt, auf der einen Seite ihre unbewussten und unartikulierten religiösen Sehnsüchte auszuleben und gleichzeitig doch als Tabubrecher aufzutreten, ihre Abneigung gegen das offizielle Kirchentum zu manifestieren. Das meint jedenfalls Pfarrer Andreas Hoffmann:
Ich glaub, bei diesen kitschigen Jesusbildern, es ist so, die Leute können sich das reinstellen ins Zimmer, weil es einfach schick ist, undheimlich können sie dann doch noch religiöse Gefühle entwickeln, ohne dass es auffällt, es ist sozusagen, das sind Jesusbilder, die säkular funktionieren, weil sie ja als Kitsch die ganze Sache veralbern ein bisschen, und trotzdem kann man heimlich noch religiöse Gefühle entwickeln und ohne dass es auffällt, ohne dass man in die Kirche gehen muss, ohne dass man ne Bibel da liegen hat, das wär schon zu schlimm für manche, wahrscheinlich.
Wenn aber der Tabubruch Teil des Prinzips ist, nach dem die Vermarktung des religiösen Kitsches funktioniert, dann führt das natürlich auch zu Ausflügen jenseits der Schmerzgrenze. So gibt es längst Firmen, die Unterwäsche mit Maria- und Jesus-Aufdrucken verkaufen, und was sich gut verkauft, das wird eben auch hergestellt. Auf religiöse Gefühle nimmt der Markt keine Rücksicht, der Kitschjesus ist eine Ware unter vielen, und er wird ebenso in die Ecke geschmissen, wenn er sich nicht verkauft, wie andere Ladenhüter. Das gute daran ist: Es kommt eben auf die persönliche Haltung zu den Figuren an – und wer weiß, ob nicht eine Madonnenstatue, die eigentlich nur als Dekoration gekauft wurde, vielleicht in Momenten existenzieller Lebenskrisen doch zur Fürsprecherin und Mittlerin werden kann. Und so geht es auch für Pfarrerin Ksenija Auksutat nicht darum, als Kirche »Blasphemie« zu schreien, wenn fromme Symbole als Dekoration oder Ramsch dienen, sondern das selber im Zweifelsfall eine respektvolle Haltung einzunehmen und vorzuleben:
Wir hatten ja für unseren Kirchenladen in Darmstadt mal diese Seidenfahnen gekauft, eben mit Darstellungen der Heiligen Familie und einer Mariendarstellung mit diesem durchbohrten Herz, wo ein Messer im Herz steckt, als Ausdruck des Schmerzes, und wir hatten das nun in den Kirchenladen aufhängen wollen, und ich hatte die ja in nem Trödelladen aufgefunden. Und die waren nun ziemlich verstaubt und bisschen fleckig, ich hatte so das Gefühl, ich kauf die frei, ich erlöse die jetzt. Und ich find das auch gut, dass die jetzt in eine Kirche zurückkommen. Und als ich dann gesehn hab, in welchem schadhaften Zustand die sind, hab ich die dann alle fein säuberlich aufgetrennt und gewaschen und gebügelt und alles wieder zusammengenäht, diese alten Metallborten und diese Papierbilder, das sind ja so ganz alte Techniken irgendwie aus den 50er Jahren, was man heute gar nicht mehr so herstellen kann, und dieser Prozess, mich mit diesen Heiligenfahnen, die dann eben so schon ganz alt sind und eben auch so von liebevollen Frauenhänden mal gefertigt wurden, das wieder herzustellen, das war für mich wie Gottesdienst, das hat mir ganz viel Freude bereitet und es war mir auch was heiliges, also ich hab noch nie was so sorgfältig gebügelt, wie diese Seidenfahnen.
Dass der zuckersüße Jesus wieder in Mode gekommen ist, bedeutet sicherlich nicht, dass jetzt eine religiöse Erweckungsbewegung einsetzt und sich die Menschen massenweise zum christlichen Glauben bekennen. Aber vielleicht bietet sie im Einzelfall tatsächlich ein Schlupfloch aus einer Welt, in der die Einzelnen ständig unter Leistungsdruck stehen, in der sie funktionieren müssen und das auch noch schnell. Wenn die Situation danach ist, weckt der Blick des gestressten Computerspezialisten auf das blutende Herz ihrer Madonnenstatue möglicherweise das Gefühl, dass es doch noch mehr gibt auf dieser Welt, ein mehr an Sinn, andere Werte, eine andere Kultur. Und wenn nicht, dann eben nicht. Eine Notwendigkeit für die Kirche, auf den trendigen Siegeszug des Kitsches jetzt aufzuspringen, sieht Ksenija Auksutat aber nicht:
Ich glaube aber, dass diese ganzen kitschigen Symbole, Bildchen, Zeichen, dass die jetzt so auch im Kommerz ganz gut aufgehoben sind, die kommen ja auch von den Weltreligionen, jetzt gar nicht nur aus dem Christentum, und es ist doch super, wenn die jetzt überall in den Läden gekauft werden. Ich mein, man könnte sich überlegen, ob man da nochmal einen Vertriebszweig sich ausdenkt und da auch noch mal ein bisschen am Umsatz profitiert, aber sonst, find ich, müssen wir das nicht mit Krampf zurück in die Kirche holen.
Sendung vom 5.12.2000 auf hr1