Hexen, Magier und Druiden…
Die neue Sehnsucht nach alter Naturreligion
Es ist die Nacht zum 1. Mai, Walpurgisnacht 1996, mitten in Deutschland. Auf einer kleinen Waldlichtung haben sich acht Menschen zu einem heidnischen Ritual zusammengefunden. Sie feiern Beltain – so der keltische Name für diese Nacht, die den Übergang von der dunklen Jahreshälfte zur hellen markiert. Der Priester Sven Scholz ruft die germanischen Gottheiten an:
«Heute Nacht, heute Nacht wird das Feuer, die Dynamik, die Kraft wieder offenbar sein und wieder über die Welt ziehen, unsere Welt. Wir rufen in unsere Mitte, jeder den Gott, die Macht, die Kraft, die er für sich braucht, um diese Schwelle ins helle Jahr überschreiten zu können und das dunkle Jahr endlich hinter sich zu lassen, mit seiner Kälte, aber auch mit seiner Ruhe. So ruf ich dich, Odin, sei unser Gast.«
Was auf den ersten Blick aussieht wie ein makabres Stelldichein oder ein folkloristischer Spaß, ist von den Beteiligten durchaus ernst gemeint. Sie wollen die vorchristlichen europäischen Naturreligionen wiederbeleben, die Religionen der Germanen und Kelten, und sie finden immer mehr Gleichgesinnte. Sie bilden kleine Gruppen von zehn bis fünfzehn Personen, scheuen noch weitgehend die Öffentlichkeit, feiern Jahresfeste, Sonnen- und Mondfeste. Sie nennen sich Hexen, Druiden, Goden oder Magier. Einer, der schon seit zwanzig Jahren naturreligiöse Gruppen leitet und sich selbst als Druiden bezeichnet, ist der Leiter des Heckenkreises Yggdrasil in Frankfurt, Volkert Volkmann:
«Wir haben hier in Deutschland in den letzten Jahren ein ganz großes Interesse an einem breiten Komplex, den man ganz allgemein als Naturreligion bezeichnet. Die Begriffe Natur und Religion klären eigentlich, was damit gemeint ist, Natur bedeutet,daß wir uns mit den Lebenskräften zurück verbinden und Religion könnte man den alten lateinischen Begriff nehmen, relegere, dh von etwas Zeugnis ablegen oder von religari, sich mit der Gottheit oder den Lebenskräften zu verbinden. Wenn wir von Gottheit sprechen, dann meinen wir nicht die christliche Vorstellung von einem Gott, der über allem steht, der getrennt von der Schöpfung ist, sondern wir meinen die Lebenskräfte mit alle ihren Ausdrücken in der Natur. Und für uns bedeutet NatRel. die Rückverbindung mit den Dingen, die für uns lebensnotwendig sind, dh die Gefüge, die großen Zyklen und Kreisläufe der Natur zu erkennen, und es bedeutet für uns auch uns ganz bewußt uns damit wieder zu verbinden, denn das ist eine der wichtigsten Sachen für unser Überleben auch.«
In letzter Zeit sind heidnische Kulte in Deutschland ins Gerede gekommen. Spätestens seit im vergangenen März der Rechtsradikale Thomas L. festgenommen wurde, der fünf Morde gestanden hat und sich dabei auf den Germanengott Odin berief, ist die Verbindung zwischen neuheidnischer und rechtsradikaler Szene offensichtlich geworden. In der Tat kaschieren viele rechtsextreme Gruppen ihre rassistische und neonazistische Ideologie mit einem neuheidnisch-religösen Mantel, zum Beispiel die Hamburger Artgemeinschaft oder der Armanenorden, der sich durch die Berliner Arbeitsgemeinschaft Naturreligiöser Stammesverbände Europas, kurz ANSE, ein öffentliches Sprachrohr geschaffen hat. Ein schlechtes Image, gegen das sich Volkert Volkmann zur Wehr setzt:
«Nur weil sich jemand auf seine eigene Kultur bezieht oder beruft, ist es noch lange kein Nazi oder ein faschistoid denkender Mensch. … Die wenigsten Leute, die heute sich als Heiden bezeichnen, sind tatsächlich Faschisten. Die wenigsten, die Runen benutzen, haben irgendwas mit Nationalsozialismus oder auch mit irgendwelchen Ideen in dieser Richtung zu tun. Und ich denke, das muß man auch mal sehen.«
Doch diese Distanzierung geht vielen Heiden nicht weit genug. Vor gut einem Jahr gründeten sie den »Rabenclan e.V.«, der sich »Arbeitskreis der Heiden in Deutschland« nennt und inzwischen zweihundert Mitglieder hat. Pressesprecher Duke Meyer:
«Der Rabenclan will reagieren auf Ereignisse, die Heidentum betreffen. Wir vertreten nicht alles Heidentum in Deutschland, aber doch Heidentum als solches, insofern als in unserem Verein 99 Prozent Heiden vertreten sind und wir heidnische Belange in der Öffentlichkeit bekannt machen wollen. zum Beispiel, daß sich Leute, die sich auf Heidentum berufen und gleichzeitig Rassisten sind, von uns nicht anerkannt werden, weil wir die bislang anscheinend einzige Organisation sind, die sich von derlei Leuten absetzt.«
Die Mitglieder des Rabenclan werfen Volkert Volkmann und dem Yggdrasil-Kreis vor, immer noch Kontakte zur ANSE und ihrer rechtsradikalen Klientel zu halten und damit zur Verschleierung rassistischer und faschistoider Inhalte durch neuheidnische und pseudoreligiöse Bekenntnisse beizutragen. Durch eine strikte Abgrenzung von diesen Gruppen will der Rabenclan dagegen ein positives Image von heidnischer Naturreligion aufbauen.
«Was wir wollen ist einen gesellschaftlich anderen Status als den, den wir haben, weil unsere Symbole sind, die einen sagen, das sind satanistische, die andere sagen, das sind rechtsradikale, weil eben Satanisten, also negative Christen, oder eben die Rassisten und dergleichen Gesockse benutzen eben alte Symbole und geben die einfach als ihre aus.«
Während man in Deutschland noch wenig über Naturreligionen spricht und das Thema häufig schnell mit Okkultismus und Satanismus in Verbindung gebracht wird, ist naturreligiöses Denken und Heidentum anderswo längst voll im Trend. In Frankreich gibt es traditionelle Druidenverbände, die längst öffentlich auftreten. In Großbritannien hat im vergangenen Jahr die weithin bekannte Hexe Susan Leybourne an der Universität Leeds ihre Arbeit als Kaplanin aufgenommen und ist nun offiziell anerkannte heidnische Seelsorgerin. Auch in den Ländern der sogenannten »Dritten Welt« leben naturreligiöse Traditionen wieder auf und finden zu neuem Selbstbewußtsein. In Haiti boomt der Voodoo-Kult und letztes Jahr versprach der katholische Staatspräsident Aristide seiner Bevölkerung einen offiziellen Voodoo-Tempel. In Brasilien ist der mit der Sklaverei aus Afrika eingeführte animistische Candomblé so populär wie nie zuvor und seine Symbole, vor allem im Nordosten, aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken. Noch ungebrochen ist die schamanistische Tradition in vielen afrikanischen Regionen und auch die lange unterdrückten naturreligiösen Überzeugungen der nordamerikanischen Indianer oder der australischen Ureinwohner werden im Zuge der kulturellen Selbstbehauptung dieser Völker wiederentdeckt. Obwohl diese Religionen im Einzelnen sehr unterschiedlich sind, lassen sich doch Gemeinsamkeiten feststellen. Duke Meyer:
«Naturreligionen, so wie wir sie verstehen, sind keinerlei Offenbarungsreligion. Für uns ist das Göttliche in der Natur immanent vorhanden. Bei uns drücken sich die Götter in der Natur aus und da hockt nicht einer oben und schaut nach, ob da unten alles in Ordnung geht. Und außerdem ist es animistisch, die Natur ist beseelt für uns und dazu gehört natürlich auch ein gewisser Magieglaube.«
Der starke Wunsch nach einer authentischen Beziehung zwischen Mensch und Natur, die Kritik an Industrialisierung und Umweltverschmutzung, ist für viele der neuen Heiden in Deutschland und anderen Industrieländern der Hintergrund ihres Interesses an Naturreligionen. Die meisten, die sich beim Maitreffen des Rabenclan einfinden, sind zwischen zwanzig und dreißig, viele von ihnen akademisch gebildet und sie machen keineswegs den Eindruck, abgedrehte Spinner zu sein.
Sie berufen sich auf die vorchristlichen keltischen und germanischen Kulturen Europas, über deren Götterhimmel und religiöse Rituale sie sich aus historischen Quellen und Überlieferungen informieren. Diese Kulturen wurden zwischen dem 4. und dem 10. Jahrhundert – zuerst in Mitteleuropa, dann in England und zuletzt in Skandinavien – von der christlichen Kultur und Religion abgelöst – ein Prozeß, der häufig von heftigen und blutigen Auseinandersetzungen begleitet war. Während anfangs heidnische Rituale, Kultplätze und Gottheiten noch in den christlichen Kult integriert werden konnten – ein Prozeß, der heute ganz ähnlich in Asien, Afrika und Lateinamerika zu beobachten ist – identifizierte die Kirche später, in den Zeiten der Hexenverfolgungen, alles Heidnische mit dem Teufel und bekämpfte es mit den bekannten brutalten Methoden. Da fast alle historischen Quellen über vorchristliches Heidentum in Europa christlichen Ursprungs sind, ist es schwer, heute etwas Authentisches darüber zu erfahren. Aber das entmutigt die neuen Heiden in Detuschland nicht, schafft es doch Platz schafft für phantasievolle Eigendefinitionen.
Bunte Abende mit irischer Folklore, Wettkämpfe im Baumstamm-Weitwerfen und phantasievolle Kostüme, die an Wikingerfilme oder Asterix-Heftchen erinnern, sorgen für Stimmung, lassen aber auch die Frage aufkommen, wie ernst das alles gemeint ist. Sven Scholz, der Germanenpriester, sieht das gelassen:
«Daß hier dann doch Leute rumhängen, die dann unter Umständen ne entsprechende Klamotte tragen, liegt schlicht an persönlichem Geschmack, hat auch etwas mit Nostalgiedenken zu tun, aber nicht in dem Sinne, daß die Leute jetzt unbedingt zurückmöchten, sondern es ist einfach schön, es macht Spaß einfach irgendwo. Und ne Religion, die nebenbei auch noch Spaß macht, weil man so ganz nebenbei eben noch Punkte bei sich ausleben kann, die eben nun mal da sind und die vielleicht auch ein bißchen archaisch sein können, das ist halt genau das, was wir eben für uns so wollen auch. Der Punkt ist aber daß wir auch trotz der Zöpfchen, die an Asterix erinnern, wobei man dazu sagen muß, Asterix ist sehr gut recherchiert, auch von den Klamotten und so weiter, müssen wir natürlich sehen, daß wir jetzt und hier leben.«
Naturreligionen gelten in der traditionellen religionswissenschaftlichen Literatur gemeinhin als »primitiv«. Als Religionen von Naturvölkern, die sich Phänomene wie Blitz und Donner noch nicht rational erklären konnten und deshalb die Natur als göttlich identifizieren. Später sind – nach diesem Denkmuster – dann differenzierte, monotheistische Religionen wie Judentum, Christentum und Islam an deren Stelle getreten, die sich mit der Naturwissenschaft vereinbaren ließen und philosophisch anspruchsvoller waren. Doch diese abstrakten und oft mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit auftretenden Denksysteme werden heute wieder zunehmend in Frage gestellt. Die neuen Vertreterinnen und Vertreter der naturreligiösen Idee basteln sich einen pluralistischen Pantheon, mit vielen Göttinnen und Göttern, die alle einen bestimmten Aspekt der Wirklichkeit repräsentieren sollen – ohne sich dabei gegenseitig Konkurrenz zu machen. Sie glauben an Zauberei, an Magie, an Kräfte die wirken, jenseits von wissenschaftlicher Beweisbarkeit. Silke, die dem Wicca-Kult angehört – einer in den fünfziger Jahren in England entstandenen modernen Hexentradition – sagt von sich, daß sie magische Fähigkeiten habe und erklärt, wie sie das versteht:
«Zaubern ist die Wirklichkeit zu verändern. Wünsche so deutlich werden zu lassen, daß sie wahr werden. Es ist ja auch im täglichen Leben so. Was man sich irgendwo wünscht, das wird irgendwo auch wahr. Es ist ne Sache, positives Denken beispielsweise, ist ne magische Technik. Wenn man immer nur pessimistisch ist und alles schwarz sieht, dann erscheint einem auch alles so, und es passieren auch genau die Dinge, die einem in dieser Sicht auch bestätigen. In dem Sinne formt man sein Universum. … Wenn man damit arbeitet und sagt ok, ich werde stark, und ich bau Selbstbewußtsein auf und werd selbstbewußt, dann sehen einen die anderen auch so. Und dann kann man auch so handeln. Das ist ne ganz einfache Form von Alltagsmagie. Ist ne magische Technik…. um etwas wahr werden zu lassen, muß man sich sehr sehr klar darüber sein, was man will. Und es sich als Bild vorstellen, nicht als Gedanken. Das Unbewußte liebt Bilder, findet das klasse, damit kann's was anfangen, aber nicht wenn man sagt ich möchte einfach nur und bobobo, man muß es sich vorstellen können, es muß greifbar werden. Es ist egal, welche Technik man dazu benutzt, es gibt viele Techniken.Je stärker man in Trance kommt, um so leichter wird es natürlich den Zauber zu wirken, die Wirklichkeit zu verändern. Ne innere Wirklichkeit zu verändern, weil dann verändert sich auch die äußere. Das was sich in einem verändert, verändert sich auch außen. Das ist eigentlich Magie.«
Und Duke Meyer sagt:
«Also Magie ist für mich nicht was, was man im kleinen Kämmerchen betreibt, wo man irgendwelche seltsamen Dinge tut, sondern das ist ne Energie, die ist im Alltag einfach da. Magie läßt sich nicht beweisen wissenschaftlich, ne in den Doppellink-Versuchen und was sie da machen, aber es gibt noch mehr Dinge, an die noch mehr Menschen glauben als wir und die sich nicht beweisen lassen, zum Beispiel Poesie oder sowas wie Liebe. Das Vorhanden sein dieser beiden Dinge läßt sich nicht beweisen, aber das hat auch was mit Magie zu tun. Das ist ne Kraft, die wirkt.«
In einer Broschüre definiert der Rabenclan seine Weltanschauung als eine, so wörtlich, »in der sichtbare und unsichtbare Kräfte einer Natur wirken, die nicht ausschließlich rational erfaßbar ist, sondern im Gegenteil auch einer Erfassung durch das Gefühl bedarf, um nicht nur ihren Ausdruck in Idealen, sondern auch in Emotionen zu finden«.
Die Rituale in freier Natur, bei denen die Gottheiten angerufen werden und Trinkhörner mit Met und Wein kreisen, eine geheimnisvolle altnordische Sprache – hier in einem Mitschnitt des Yggdrasil-Kreises – der Rückgriff auf die isländischen Heldensagen der Edda, auf Geschichten, die ein bißchen im Dunkeln liegen – all das soll helfen, sich von der industrialisierten Umwelt und dem Alltagsstreß freizumachen, einen unmittelbaren Kontakt zur Natur herzustellen.Die Philosophie dabei ist einfach, die Ethik auf wenige Grundüberzeugungen beschränkt:
«Groß ist sie, die unsere Mutter
groß ist er, der unser Vater,
ihnen zu Ehren soll klingen
das Lied des Lebens zu jeder Stunde.
Nehmt dankbar die Gaben, die die Mutter uns spendet,
die der Vater uns spendet.
Freut euch an ihnen, teilt sie mit anderen,
so wie die beiden sie teilen mit uns.
Doch heilig ist die Erde,
heilig ist die Nahrung, die sie schenkt.
Ehrt sie und dankt ihr,
indem ihr nicht vergeßt das rechte Maß,
das lautet: nicht zu wenig, nicht zu viel
und dies allen.«
So beginnt ein »Gesang des Lebens«, wie er bei Ritualen verlesen wird. Viele derjenigen, die sich von naturreligiösen Ideen faszinieren lassen, suchten eine Alternative zu Christentum, Atheismus und Esoterik. Duke Meyer erzählt:
«Ich war sehr lange überzeugter Atheist, hab mich mit der Bibel und dem Christentum auseinandergesetzt, hab festgestellt, das ist nicht meins, nicht nur das, was die Kirche getan hat, sondern auch das, was das Christentum von dem was es sittlich will, also das christliche Sittenbild lehne ich ab, war dann sehr lange Atheist, hatte aber ne starke spirituelle Sehnsucht. Und die Esoterikszene, die hat mich nicht bedient, also diese alles Gesundbeten und Lichtlein anzünden und sich was Nettes vorstellen, das war mir einfach zu flach. Und dann hab ich ganz einfach Erlebnisse gehabt, wo ich eben auf Menschen getroffen bin, die mir gesagt haben, da gibt es Religionen, Kulte, da geht es eben nicht um den Zentralismus, da geht es auch nicht darum, daß irgendwelche Gurus vorherrschen, die Religionen, die wir leben, die heben das Individuum stark hervor, die einzelnen Leute sind selbst verantwortlich, Eigenverantwortung ist so ungefähr unser hauptsächliches Anliegen. Wir können nicht sagen, das war ein Befehl, oder irgendjemand hat gesagt, oder das war ein Beschluß, wir müssen alles, was wir tun, jeder und jede für sich selber vertreten.«
Fast alle sind Individualisten. So wie Werner, bei dem alles damit anfing, daß er sich eine eigene Religion bastelte:
«Und zwar hab ich eigentlich angefangen mit einem Fantasyspiel und dabei ging es darum, daß man in einer fantastischen Welt eine eigene Kultur entwickelt. … Ich hab also angefangen, in meiner Fantasy-Welt eine eigene Religion aufzubauen. Und nachdem das Ganze dann so 2 Jahre lief bin ich zufällig auf ein Buch über Naturreligion gestoßen und habe festgestellt, daß das so ziemlich genau das ist, was ich mir da aufgebaut hatte und ja, dann hab ich angefangen, die Dinge auch mehr ernst zu nehmen, auch persönlich gelesen, mit Leuten in Kontakt zu treten, hab sehr viel gelesen und das war für mich damals wichtig, daß die Dinge aus mir herauskommen, und daß ich sie nicht von außen annehmen muß.«
Hedda und Felix hatten eine vielfältige religiöse Suche hinter sich, bevor sie beim Heidentum landeten.
Hedda: «Mit 14 Jahren bin ich konfirmiert worden, zum Konfirmationsunterricht gegangen, hab da auch brav zugehört und gedacht, ich tu was für meine Seele und für mein Seelenheil, war bei der Konfirmation, wurde da getauft und konfirmiert, und danach kam eine Komilitonin und fragte: Hast du dieses heilige Erschauern gefühlt? Und ich stand da, äh, tut mir leid, jetzt fehlt mir was. Und seitdem hab ich dann angefangen, rumzulaufen und zu gucken und zu suchen, … und so bin ich dann langsam, aber sicher da reingeschlittert und war letztes Jahr das erste Mal bei einem Beltain-Ritual und da kam mir dann diese Szene in der Kirche und da hat mir was gefehlt, und da war das dann plötzlich.«
Felix: «Als Kind war ich an sich ja, ich war ne Weile in der Kinderkirche und das hat mich dann nicht so mitgerissen und ich bin später auch aus dem Religionsunterricht aus eigenem Antrieb ausgetreten, war dann also ne ganze Weile lang Atheist, hab mich aber durchaus für manche Sachen auch interessiert, auch so östliche Religionen, Hinduismus, Buddhismus, gut, zum Heidentum hab ich erstmal gefunden, als ich irgendwo auf dem Internet, als ich studiert hab, dann ne passende Newsgroup gefunden hab, mich da eingelesen hab, da wa eigentlich Hauptdiskussionsthema hat sich so um Wicca gedreht, was mich dann auch nach Lektüre von nem Buch durchaus auch halbwegs begeistert hat, und später hab ich dann indirekt auch übers Netz dann vom Rabenclan erfahren.«
Andere dagegen, zum Beispiel Silke und Eva, haben sich eigentlich schon immer als naturreligiös verstanden:
Silke: «Ich hab in meiner Familie Frauen gehabt, die sich mit Mondenergien auseinandergesetzt haben, nach dem Mond gepflanzt haben usw, meine Großmutter konnte Handlesen und hat ganz früh Homöopatie gelernt, als das hier noch überhaupt nicht Mode war, und die hatte schon so nen Drive in diese Richtung. Und Naturenergie im weitesten Sinne und so nen Hauch eines zweiten Gesichtes, das war immer schon da, das hab ich nur nicht so bewußt wahrgenommen. Ich bin irgendwann mal über Astrologie gekommen, hab mich damit beschäftigt, und weiß nicht, irgendwann bin ich dann halt ein paar Wiccas über den Weg gelaufen und bin da kleben geblieben, weil ich mich da sehr wohlgefühlt habe. Obwohl, ich hab für mich selbst viele Sachen allein gemacht und hatte dann halt irgendwann den Kontakt zu der Gruppe, hat gesagt, ok, das ist mein Ding.«
Eva: «Ich hab mich eigentlich schon seit der Kindheit mit Natur und allem, was dazugehört, beschäftigt, auch mit Bäumen geredet, und ähnliches, und dadurch dann auch viele Leute kennengelernt, die sich mit Naturreligion beschäftigt haben, und Hexe ist eigentlich ein bißchen ein unglücklicher Ausdruck, wir nennen uns lieber Zaunreiterinnen, also daß wir zwischen zwei Ebenen hin- und herspringen. Das ist einmal die reale Welt und dann die Welt, wo wir uns auch mit anderen Dingen und Wesenheiten umgeben können, die zwar hier auch vorhanden sind, die aber die meisten Menschen gar nicht mehr wahrnehmen. Ja, es gibt viele, die sich Hexen oder Zaunreiterinnen nennen, aber meistens sind das Einzelkämpfer. Das ist jetzt eigentlich so das erste Mal innerhalb vom Rabenclan, daß sich die Leute eigentlich anfangen sich ein bißchen so zu organisieren.«
Es ist auch der Druck von außen, der die naturreligiösen Individualisten zusammenbringt. Die Notwendigkeit, sich deutlich von Satanismus und Rechtsradikalismus abzugrenzen, ist dabei nur eine Seite. Die andere ist das Bemühen, gegen immer noch vorhandene Diskriminierung anzugehen. Im Januar diesen Jahres titelte die Bildzeitung »Sie hat mich verhext«. Die Story handelte von einem Mann, der aus Eifersucht seine Exfreundin und deren neuen Lebensgefährten niederschoß und lebensgefährlich verletzte. Die Frau war naturreligiös und Mitglied des Rabenclan. Die Bildzeitung zeigt ihr Foto in Großaufname, reichert das Szenario mit Tierblut, Fesselsex und schwarzer Magie an und kommt zu dem Schluß: Die Frau ist selbst schuld. So wird das Opfer eines Mordanschlages zur Täterin erkärt – ein Fall von moderner Hexenjagd.
Gegenüber Nachbarn und Arbeitskollegen geben daher die wenigsten zu, in ihrem Privatleben Hexe oder Germanenpriester zu sein. Sie machen eher Musik, Folklore oder ähnliches, Glauben betrachten sie als Privatsache, so wie Sim zum Beispiel.
«Ich spiele Digerido, das ist ein Instrument der australischen Ureinwohner, aus Eukaliptusholz, von Termiten ausgehöhlt, ein bißchen nachbearbeitet, Mundstück dran, fertig. Ich benutz es so für mich, sagen wir mal, als geistiges Surfbrett. Bei den Aborigines wirds in Ritualen genutzt, das hängt mit deren Traumzeit, mit deren Sachen zusammen, aber ich versteh da ehrlich gesagt viel zu wenig von, um da irgendwas loszulassen, ich benutz es halt für mich, mir gefällts, es hat einen sehr erdigen Klang.«
Der Grund dafür, warum die meisten Heiden in Deutschland die Öffentlichkeit scheuen und keinen Presserummel suchen, liegt aber nicht nur in der Angst vor Unverständnis und Diskriminierung, sondern an ihrem Verständnis von Religion, betont Duke Meyer:
«Wir missionieren nicht. Heiden generell sollten nicht missionieren. Es geht nicht darum, unsere Götter unter die Leute zu bringen, wir freuen uns nämlich, daß wir unsere Götter haben, und für uns ist jedes Weltbild, das wir bekommen, im Prinzip wahr. Also wenn irgendwelche Christen kommen, wir glauben denen, daß sie an ihren Gott glauben und das ist in Ordnung, für uns gelten mehrere Wahrheiten gleichzeitig.«
Diese Radiosendung lief im Mai 1996 in hr2, Wiederholung am 17.5.2002