Antje Schrupp im Netz

Die Freiheit der Frauen und das gute Leben aller

»Es geht uns um ein gutes Leben für alle« – mit diesen Worten begann Frigga Haug ihre Eröffnungsrede zum Deutschen Sozialforum im Oktober 2009 und fuhr fort: »Das hört sich bescheiden an, ist jedoch, wie wir erneut in der Krise des Kapitalismus sehen, das Unverschämteste, das einem derzeit einfallen kann.« (Haug 2009: 1)

Der Begriff des »guten Lebens« zieht Kreise. Nachdem es in den sozialpolitischen Diskussionen und Kämpfen des 20. Jahrhunderts vor allem um quantifizierbare und einklagbare Ziele ging – andere Gesetze, mehr Geld, konkrete materielle Absicherungen – so ist seit der Jahrtausendwende der eher diffuse Begriff des »guten Lebens« immer häufiger zu hören, speziell im deutschsprachigen Raum. So erschien 1999 ein Band mit Texten der US-amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum in der deutschen Übersetzung unter dem Titel »Gerechtigkeit oder Das gute Leben« (Nussbaum selbst verwendete diesen Begriff in ihren englischen Titeln nicht). Ein Diskussionsforum deutschsprachiger Ethikerinnen schloss sich 2002 unter dem Namen www.gutesleben.org zusammen. Auf ihrer Internetseite heißt es, dahinter stehe »dergemeinsame Wunsch, etwas über das gute Leben in der Zeit des ausgehenden Patriarchats auszusagen, das mehr umfasst als eine isolierte sozialpolitische Forderung im Rahmen einer nationalen Politik.« (http://www.gutesleben.org/entstehung.htm). Und im Jahr 2008 startete die IG-Metall eine Kampagne unter dem Motto »Gemeinsam für ein gutes Leben« mit der Begründung: »Die Menschen wollen eine sozialere und gerechtere Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die ihnen ein gutes Leben ermöglicht.« (www.gutes-leben.de/kampagne/, 24.11.2009).

Es scheint, als sei der Begriff des »guten Lebens« geeignet, um darauf zu verweisen, dass es bei den politischen Themen, die heute auf der Tagesordnung stehen, jenseits konkreter Forderungen in der Sozialpolitik um ein »Mehr« gehen soll, um etwas geradezu »Unverschämtes« eben, um etwas, das sich dem immer gleichen Ritual von bloßem Aufrechnen und den vorhersehbaren Abläufen repräsentativer Politik entzieht.

Da fällt es auf, dass in den aktuellen frauenpolitischen Diskussionen vergleichsweise selten vom »guten Leben für alle« die Rede ist. Wenn es um die noch immer unzureichenden Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt geht, um Maßnahmen für eine bessere »Vereinbarkeit von Beruf und Familie«, um das Gender-Gap im Lohnniveau, um die sexuelle Verfügbarkeit und Exponierung weiblicher Körper, um familiäre Gewalt, dann scheinen nach wie vor die alten Gerechtigkeitsdiskurse zu dominieren, wird überwiegend mit Statistiken und Zahlen operiert.

Tatsächlich ist der Verweis auf ein »gutes Leben« im Zusammenhang mit der Forderung nach weiblicher Freiheit im Rahmen der westlich-bürgerlichen Ideengeschichte geradezu heikel. Eine der wesentlichen Argumentationsfiguren der Gegner frauenemanzipatorischer Bewegungen ist ja seit jeher der Vorwurf gewesen, die weiblichen Ambitionen auf »Selbstverwirklichung«, auf Macht und Einfluss gingen zu Lasten anderer, vor allem zu Lasten der Familie und speziell der Kinder. Und noch immer scheint diese alte Gegenüberstellung, wonach sich die Interessen von Frauen und die der Allgemeinheit tendenziell konträr gegenüberstehen, Plausibilität zu besitzen.

Das Hauptargument von Frauenpolitikerinnen, wenn sie bessere Chancen und mehr Rechte für Frauen einfordern, ist daher meist nicht, dass mehr weibliche Freiheit ein notwendiger Bestandteil des guten Lebens aller Menschen ist, sondern der Verweis auf die Ungerechtigkeit hierarchischer Geschlechterverhältnisse. Anders als noch vor einem halben Jahrhundert besteht heute immerhin weitgehende Einigkeit darüber, dass Frauen ein Recht auf Gleichstellung und Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen haben. Hinweise auf die statistisch nach wie vor nachzuweisende Benachteiligung von Frauen – die Lohnungleichheit, die Ungleichverteilung von Haus- und Fürsorgearbeit zwischen den Geschlechtern, den geringeren Frauenanteil in Gremien und öffentlichen Führungspositionen und so weiter haben moralisches Gewicht, weil heute das Ziel der Gleichstellung der Frauen mit den Männern, zumindest in Westeuropa und den USA, kaum noch prinzipiell in Frage gestellt wird. Doch sie entfalten nicht die Strahlkraft eines politischen Diskurses, der sich die »Unverschämtheit« herausnimmt, auf ein »gutes Leben für alle« hinzuarbeiten.

Das heißt: Auch wenn Feministinnen ihre Forderungen nach Gerechtigkeit und der Abschaffung von Diskriminierungen heute, anders als früher, nicht gegen dem Vorwurf des weiblichen »Egoismus« rechtfertigen müssen, weil es politisch nicht mehr korrekt ist, von Frauen zu verlangen, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse oder Interessen dem »allgemeinen Guten« unterordnen, so wird damit der Gedankengang, die freiheitliche Entfaltung der Frauen schade möglicherweise anderen Individuen, nicht prinzipiell widerlegt. Es wird nur davon ausgegangen, dass dieser Einwand nicht mehr relevant sei.

Wie sich zeigt, ist die Debatte damit keineswegs beendet. Auf eine neue Ebene gehoben wurde dieses Schema, wonach die Emanzipation der Frauen zwar möglicherweise gerecht , aber letzten Endes nicht wirklich gut ist, von Publizistinnen wie Susanne Gaschke oder – populistischer – Eva Herman, die die Auffassung vertreten, dass die heutigen, gleichgestellten Lebensverhältnisse von Frauen nicht nur der Allgemeinheit, sondern letzten Endes auch den Frauen selbst schade (Gaschke 2005, Herman 2006). Auf diese Weise wird der emanzipatorische Grundgedanke der weiblichen Gleichberechtigung, der heute Mainstream ist, mit dem alten Verdacht versöhnt, wonach die weibliche Freiheit der Allgemeinheit schadet: Die Rückkehr zu alten Lebensverhältnissen erscheint schließlich weniger ungerecht, wenn sich nachweisen lässt, dass »zuviel Emanzipation« nicht nur Männern und Kindern, sondern auch den Frauen selbst schadet.

Wenig hilfreich für das Zusammendenken von »gutem Leben« und »weiblicher Freiheit« ist in dieser Situation die Gegenargumentation von Frauenpolitikerinnen, die die weibliche Emanzipation mit Hinweis auf wirtschaftliche Notwendigkeiten verteidigen: Die gut ausgebildeten und leistungsfähigen jungen Frauen, so ein in letzter Zeit immer häufiger zu hörendes Argument, sollen ihre Arbeitskraft nicht bei der Familien- und Erziehungsarbeit quasi »verplempern«, sondern der Wirtschaft zur Verfügung stellen. Doch damit ist der Feminismus als soziale Bewegung den Neuverhandlungen über das, was »gutes Leben« jenseits von mehr Profit und mehr Geld bedeuten kann, erst recht entzogen: Der Feminismus erscheint so als Teilbereich des neoliberalen Projektes, das alle gesellschaftlichen Bereich dem Diktat der Profitmaximierung und ökonomischen Effizienzsteigerung unterordnen will. Hier kehrt der alte Verdacht, dass die Freiheit der Frauen dem Wohl der Allgemeinheit entgegensteht, in neuem Gewand zurück: Wir müssen uns quasi zwischen Emanzipation und Revolution entscheiden. Exemplarisch zeigte sich das an den Diskussionen um die Einführung des Elterngeldes: eine frauenpolitische Maßnahme, die zu Lasten der Einkommen sozial schwacher Familien ging. Ein anderes Beispiel ist die Debatte über das Verhältnis von Erwerbsarbeitschancen deutscher Frauen versus Migrantinnenanteil bei den haushaltsnahen Dienstleistungen: Gelingt die Emanzipation der einen nur auf Kosten einer ökonomischen Ausbeutung der anderen? (Rerrich 2006).

Die Hartnäckigkeit, mit der sich dieser Antagonismus durch alle Paradigmenwechsel hindurch erhält, zeigt, dass die Frauenbewegung bis heute und trotz aller gleichstellungspolitischen Erfolge als eine partikulare Bewegung, als Interessensvertretung verstanden wird. Sie wird noch immer der alten politischen Konstruktionen des »Kampfes« unterschiedlicher Interessen eingeordnet, quasi parallel zur Arbeiterbewegung, die den Kampf von Arbeit und Kapital betrieb, nur dass es hier um den Kampf von Frauen gegen Männer gehe. Und in der Tat haben manche Feministinnen sich durchaus in diesen Metaphern bewegt.

Schaut man sich die Geschichte des Feminismus aber als Ganze an, so scheint es sich hier vor allem um ein Imageproblem zu handeln, oder zumindest um ein Vermittlungsproblem: Feministinnen aller Strömungen und Richtungen haben nämlich immer wieder betont, dass sie ihr Engagement keineswegs als bloße Lobbyarbeit für Fraueninteressen verstehen, sondern als eines, das sich auf die Gesamtheit der Gesellschaft und das Allgemeinwohl bezieht.Ina Praetorius hat dies kürzlich in einem Büchlein für maßgeblicher Denkerinnen des 20. Jahrhunderts beispielhaft gezeigt und Vorschläge dafür gemacht, wie das Wissen der Frauenbewegung im Hinblick auf »Weltgestaltung« fruchtbar gemacht werden kann (Praetorius 2009). Dass diese auf das Ganze der Welt und nicht auf die spezielle Situation der Frauen ausgerichtete Orientierung des Feminismus in der öffentlichen Wahrnehmung aber kaum vorkommt, liegt nicht nur an einer allgemeinen Ignoranz dem Thema gegenüber, sondern hat eine maßgebliche Ursache darin, dass der behauptete Antagonismus von weiblicher Freiheit und Allgemeinwohl unmittelbar mit der Entstehung moderner bürgerlicher Formen von Politik und Demokratie verwoben ist. Wenn es gelingen soll, das feministische Projekt aus der Logik der Interessenspolitik zu befreien und ihm in den allgemeingesellschaftlichen Debatten über das »gute Leben für alle« Gehör zu verschaffen, ist es notwendig, diese ideengeschichtliche Entwicklung zu berücksichtigen, um nicht immer wieder in die gleichen Argumentationsfallen zu geraten.

Der sexuelle Geschlechtervertrag und die daraus folgenden politischen Debatten

Der Einwand, dassFrauen, wären sie erst einmal emanzipiert und gleichberechtigt, ihren »häuslichen Pflichten« nicht mehr nachkommen würden, war in den Entstehungszeiten der Demokratie das maßgebliche Argument für ihren Ausschluss aus den neu entstehenden politischen Institutionen. Der Geschlechterdualismus der Moderne hatte den Frauen ja bekanntlich die Verantwortung für die Aufrechterhaltung privater, häuslicher Harmonie zugewiesen: Sie übernahmen im familiären Bereich wesentliche Aufgaben, die für das Funktionieren jeder Gesellschaft unverzichtbar sind, wie Kindererziehung, Versorgung der unmittelbaren menschlichen Bedürfnisse nach Kleidung, Nahrung und Zuwendung, Pflege im Fall Krankheit. Mit ihrer Arbeit ermöglichten sie es den Männern, unbelastet von diesen Notwendigkeiten sich ganz den öffentlichen Bereichen und der Erwerbsarbeit zu widmen.

Die von der Frauenempanzipationsbewegung angestoßene Auflösung dieses »sexuellen Gesellschaftsvertrags«, so ein von der britischen Politikwissenschaftlerin Carole Pateman geprägter Begriff (Pateman 1988) bringt unweigerlich eine Vielzahl von zu lösenden Problemen mit sich. Sie ranken sich im Wesentlichen um die Frage, wer denn die bis dato von Frauen im privaten-häuslichen Bereich erledigten Arbeiten übernehmen soll, wenn die weibliche Gratisarbeit nicht mehr zur Verfügung steht. Dieses Problem stellt sich im Prinzip seit dem späten 18. Jahrhundert, also seit der Entstehung demokratischer Gesellschaften, und ist bis heute ungelöst. Dabei hat die Debatte mehrere unterschiedliche Phasen durchlaufen, die man grob so umschreiben könnte:

Zu Anfang wurde das sozialpolitische Dilemma, das aus dem Wunsch von Frauen nach gleichberechtigtem und verantwortlichem Zugang zum Bereich des Öffentlichen, zu politischen und akademischen Institutionen und zur Erwerbsarbeit entstand, von den Gegnern der Frauenemanzipation noch recht offen thematisiert. Entsprechend der Analyse von Hegel, der in seiner Rechtsphilosophie die logische Notwendigkeit einer eigenen, häuslich-weiblichen Sphäre als Vorbedingung für eine bürgerliche Gesellschaft dargelegt hatte, hielt man den Frauen genau dies entgegen: Die Freiheit der Männer, ihre Egalität, beruht auf dem Anderssein der Frauen und ihrem Verzicht auf ebendiese Egalität. (Hegel 1972: 151ff u.a.)

Die vielfältigen Proteste von Frauen gegen dieses offensichtlich ungerecht Arrangement durch das gesamte 19. Jahrhundert hinweg machten es auf Seiten der Verteidiger des »sexuellen Geschlechtervertrags« notwendig, ihre Argumentationen zu ändern. Die Feministinnen der frühen Moderne – Angefangen bei Mary Wollstonecraft und Olympe de Gouges über die Saint-Simonistinnen in Frankreich bis hin zu den Frauen der 1848-er Revolution in Deutschland – konnten nämlich einen eklatanten logischen Denkfehler in Hegels Argumentation (und der seiner Epigonen) nachweisen: dass das Konzept einer »Gleichheit der Menschen« schlicht nicht stringent ist, wenn es gleichzeitig auf der Ungleichheit bestimmter, als »anders« definierte Menschen, nämlich der Frauen, beruht.

Das »gute Leben« war im frühen 19. Jahrhundert also noch ein ganz zentraler feministischer Maßstab, denn es ging den Feministinnen um nichts weniger als um die Rettung des modernen Projektes der Demokratie, der Egalität, der Aufklärung. Sie hatten keineswegs nur ihre eigene Rolle als Frauen im Blick, sondern legten die Finger auch noch in so manche andere Wunde der neuen politischen Ordnung: Die Ausbeutung der Kolonien, die Unterdrückung der proletarischen Bevölkerungsschichten. Exemplarisch seien hierfür etwa die Analysen von Flora Tristan zu nennen, einer französischen Feministin und Sozialistin, die in den 1830er und 1840er Jahren sowohl die Auswirkungen der Kolonisation in Südamerika als auch die Lebensverhältnisse englischer Arbeiterinnen und Arbeiter untersuchte, und für die feministische und sozialistische Theorie und Praxis nicht getrennt werden konnte (Tristan 1988, Leo 1990).

Bekanntlich gelang es den Feministinnen in den ersten Jahrzehnten nach der französischen Revolution aber nicht, das Konzept der westlichen Moderne gleich zu Beginn von einigen ihrer entscheidenden Fehlkonstruktionen zu befreien. Und sowohl die »Kolonialfrage« (in Form des ungeklärten und zunehmend inhumanen Umgangs mit Migrationsbewegungen) als auch die »Proletarierfrage« (in Form untragbarer Armutsverhältnisse auch in den westlichen Gesellschaften) stehen heute noch immer auf der politischen Tagesordnung. Statt sich aber mit den Ideen ihrer Zeitgenossinnen inhaltlich auseinander zu setzen und ihre Interventionen als Anregungen zur Verbesserung eines gemeinsamen politischen Projektes von Frauen und Männern zu verstehen, als die sie gemeint waren, entstand um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine bürgerlich-männliche Gegenbewegung, die die Geschlechterhierarchien nicht mehr als wünschenswertes soziales Arrangement , sondern als natürliche Tatsache und Naturnotwendigkeit behauptete und sie auf diese Weise dem Feld politischer Verhandlungen entzog.

Die Behauptung dieser »Antifeministen« (der Begriff wurde in diesem Kontext geprägt) war, dass die beobachtbaren Unterschiede zwischen Frauen und Männern ontologische, biologische oder gottgewollte Ursachen hätten, die es unmöglich machten, dass Frauen gleichberechtigte Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft und einer auf Erwerbsarbeit und Konkurrenz beruhenden Ökonomie sein könnten. Prägend für diese Argumentationslinie waren etwa Jules Michelet, Auguste Comte und Pierre-Joseph Proudhon, jedoch wurden ihre Ideen rasch zum allgemeinen Paradigma der westlich-bürgerlichen Gesellschaften. Sie wurden auch deshalb so einflussreich, weil ihre Argumentation keineswegs nur bei Männern, sondern auch bei Frauen auf fruchtbaren Boden fiel, und zwar aus zwei Gründen: Einerseits war sie bei den meisten (wenn auch nicht bei allen) ihrer Protagonisten mit einem Lobpreis auf die »Weiblichkeit« verbunden und bedachte die besonderen Aufgabenbereiche der Frauen mit höheren Weihen. Deren Beschränkung auf den familiären-privaten Bereich wurde also nicht mehr mit instrumenteller Nützlichkeit oder gar mit Verweis auf den Komfort und die Bequemlichkeit der Männer begründet, wie noch wenige Jahrzehnte zuvor (also mit einer offensichtlichen Ungerechtigkeit), sondern in den Horizont einer Notwendigkeit gestellt, die aus schöpfungstheologischen oder naturgemäßen Verhältnissen resultierte und insofern aus den Frauen etwas »Besonderes« machte – Schmeicheleien, die zu hören bis heute für viele Frauen attraktiv sind.

Andererseits aber war (und ist) die Theorie der ontologischen Geschlechterunterschiede auch für jene Frauen verführerisch, die den der »männlichen« Logik innewohnenden Tendenzen zu sozialer Härte und Grausamkeit kritisch gegenüber stehen. Sie erlaubte (und erlaubt) ihnen nämlich, diese kritische Haltung beizubehalten, entbindet sie aber gleichzeitig von der Notwendigkeit, über diese Differenz politisch zu verhandeln und die entsprechenden Konflikte auszutragen. Dies bedienen bis heute die so genannten »Frauenzeitschriften«, die das Thema der weiblichen Differenz zwar ausführlich bearbeiten, häufig unter Rückgriff auf Klischees, Alltagsbeobachtungen und biologistische Forschungsansätze, ohne dass dies jedoch politische Relevanz hätte. Der Rückzug in eine eigene »Sphäre der Weiblichkeit« ist durchaus verführerisch, zumal sie es bürgerlichen Frauen erlaubte (und erlaubt) von den ökonomischen, aber auch machtpolitischen Privilegien ihrer Ehemänner, Väter oder Söhne zu profitieren, ohne sich gewissermaßen selbst die Finger schmutzig machen zu müssen. Dies ist ein Hauptgrund, warum radikale feministische Denkerinnen, die auf grundlegende politische und allgemeingesellschaftliche Veränderungen drängen, auch von vielen Frauen kritisiert wurden und werden.

Die Feministinnen des 19. Jahrhunderts traf die Herausbildung einer allgemeinen Vorstellung der ontologischen Fixiertheit der unterschiedlichen Geschlechtsrollen an einem heiklen Punkt, weil sie dem Verweis auf die Faktizität der Geschlechterdifferenz wenig entgegenzusetzen hatten. Ihre Argumentation war immer politischer Natur gewesen; an der augenfälligen und im Alltag kaum zu bestreitenden Tatsache, dass Frauen und Männern unterschiedlich sind, hatte keine von ihnen bis dahin gezweifelt. In ihrer Argumentation war das auch gar nicht notwendig gewesen, im Gegenteil: Oft hatten sie darauf sogar ihre Argumentation gegründet. Die französischen Saint-Simonistinnen zum Beispiel forderten gerade vor dem Hintergrund der Geschlechterdifferenz eine paritätische Besetzung politischer Gremien. Die Frühsozialistin Jeanne Deroin etwa schrieb: »Gerade deshalb, weil die Frau dem Mann zwar gleich ist, aber doch nicht mit ihm identisch, sollte sie sich an der Arbeit für soziale Reformen beteiligen und darin die notwendigen Elemente verkörpern, die dem Mann fehlen, damit das Werk vollständig sein kann.« (Bell/Offen 1983: 281)

Dass die Frauenbewegung sich nun zunehmend bemühte, die faktisch beobachtbaren Unterschiede der Geschlechter zu minimieren, sie für vergleichsweise irrelevant oder – wie dann im Dekonstruktivismus – für gänzlich konstruiert und also im Prinzip nicht existent zu erklären, war lediglich eine Gegenreaktion auf die antifeministischen Theoretiker eines natürlich-ontologischen und daher nicht mehr politisch zu verhandelnden Geschlechterunterschiedes. Bis heute ist diese Replik aber heikel. Nicht nur bleibt der Hinweis auf eine »eigentliche« Geschlechtergleichheit weitgehend theoretisch, findet also keine befriedigenden Erklärungen oder Maßstäbe für den Umgang mit in der Realität faktisch vorfindlichen Unterschieden, weshalb diese Sichtweise bis heute den meisten Menschen, Frauen wie Männern, nicht plausibel ist. Vor allem aber lässt diese Argumentation die entscheidende Wendung jener antifeministischen Behauptungen unangetastet, nämlich dass es unmöglich sei, dass Frauen und Männer auf einer politischen Ebene über ihre Differenzen verhandeln: Auch hier wird ja von der Prämisse ausgegangen, dass das Feld der politischen Verhandlungen erst vor dem Hintergrund der Gleichheit überhaupt betreten werden kann.

Der »Gleichheitsfeminismus« war also quasi aus der Not geboren, kein Feminismus Sinn eines unabhängigen weiblichen Denkens, sondern lediglich ein Anti-Antifeminismus, eine Gegenreaktion auf die von Männern in die Debatte gebrachten Behauptungen eines natürlichen Geschlechterdualismus. Auf der Ebene der repräsentativen Politik war er gleichwohl erfolgreich. Brachte er doch, wenn auch erst im Verlauf von langen 150 Jahren, nach und nach die rechtliche, soziale und ökonomische Gleichstellung der Frauen mit den Männern. Deren Verwirklichung ist heute, wenn auch noch nicht abgeschlossen, doch sehr weit vorangeschritten und wird zumindest in Westeuropa und den USA heute kaum noch prinzipiell in Frage gestellt. Der Preis für diesen Erfolg ist jedoch hoch: Er bedeutete erstens die Verdrängung des ungelösten Problems der Haus- und Fürsorgearbeit, das für die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft fundamental war, und zweitens eben den Verzicht auf jene umfassende Perspektive der frühen modernen Feministinnen: Dass es nicht darum geht, Lobbyarbeit für Fraueninteressen zu machen, sondern Perspektiven für das »gute Leben aller« zu entwickeln.

Die ungelösten Probleme und die Versuchung der Neutralität

Um den Feminismus heute wieder als allgemeine und nicht partikulare politische Bewegung zu etablieren und damit anschlussfähig an die neuen sozialen Debatten rund um den Begriff des »guten Lebens« zu machen, ist es notwendig, diese ungelösten Probleme offen zu thematisieren. Einige Schritte in dieser Richtung sind bereits unternommen worden. Während bis vor wenigen Jahrzehnten die meisten Feministinnen in der Regel bestritten haben, dass die Emanzipation von Frauen überhaupt die von antifeministischer Seite behauptete schädlichen Auswirkungen für die Allgemeinheit haben, ist das »Care-Arbeits-Problem«, angestoßen von der Frauenbewegung in den 1970er Jahren, inzwischen auch auf die offizielle politische Agenda gewandert.

Einige Strömungen der Frauenbewegung haben zudem argumentiert, dass gerade die weiblichen Erfahrungen und »Tugenden«, die Frauen in ihren häuslichen Aufgabenbereichen gesammelt haben, fruchtbar gemacht werden müssten, um der Zerstörungskraft einer allein von Männern geprägten Öffentlichkeit etwas entgegenzusetzen – besonders in der schon immer von Frauen stark geprägten Friedensbewegung war das ein häufig zu hörendes Argument. Kürzlich ist es in den Debatten um die Finanzmarktkrise wieder vorgebracht worden, wenn etwa die diskutiert wurde, dass mehr Frauen in den entsprechenden Positionen vermutlich bessere Entscheidungen getroffen hätten. Andere haben die negativen Prognosen mit dem Argument als unbegründet zu entkräften versucht, dass ein erweitertes Betätigungsfeld von Frauen in der Öffentlichkeit, die Erfahrungen und das Wissen, das sie dort sammeln, im Gegenzug auch ihrer Arbeit im familiären Rahmen zugute kommen würde. Allerdings weisen beide Argumentationsstrategien Schattenseiten auf. Wer mit »weiblichen Tugenden« argumentiert, läuft leicht Gefahr, biologistische Geschlechterklischees zu verstärken. Die zweite Argumentationslinie hingegen läuft Gefahr, an einer Abwertung von Weiblichkeit mitzuarbeiten, insofern die häusliche Fürsorgearbeit von Frauen als unwichtig, defizitär oder zumindest ergänzungsbedürftig und »nicht vollwertig« dargestellt wird.

Heute wird im Allgemeinen versucht, diese Problemstellung durch den Bezug auf eine anzustrebende Gleichverteilung der ehemals weiblichen und männlichen Sphären zugeordneten Tätigkeiten auf Frauen und Männer zu lösen. Gendermainstreaming, »Vätermonate«, Projekte zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Maßnahmen und ähnliches sollen bewirken, dass die im modernen Geschlechtervertrag voneinander separierten Aufgaben – öffentliche Ämter und Berufstätigkeit auf der einen, Haus- und Familienarbeit auf der anderen Seite – nicht mehr klar nach Geschlechtern zugeordnet sind, sondern zu gleichen Teilen sowohl von Frauen als auch von Männern übernommen werden.

Doch wäre damit das Problem wirklich gelöst? Ganz abgesehen davon, dass die entsprechenden Maßnahmen bislang in der Realität nur geringe Erfolge zeitigen – noch immer sprechen die entsprechenden Zahlen und Statistiken hier eine deutliche Sprache und wird die Fürsorgearbeit, ob unbezahlt oder schlecht bezahlt, zum allergrößten Teil von Frauen erledigt – so bleibt die eigentliche Logik dieses für die Moderne grundlegenden Dualismus damit doch gerade unangetastet. Wäre denn wirklich etwas gewonnen, wenn die schlecht bezahlten und gesellschaftlich gering angesehenen Fürsorgearbeiten nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern übernommen würden? Oder bliebe das Problem der sozialen Ungerechtigkeit nicht bestehen, nur dass nun eben auch Männer davon betroffen wären? Und was wäre gewonnen, wenn von den Reichen und Machthabenden in Zukunft fünfzig Prozent Frauen sind – gleichzeitig aber die soziale Schere, wie es ja derzeit geschieht, immer weiter aufgeht?

Die alte Hoffnung, allein durch die Präsenz von Frauen in den ehemals männlichen Sphären der Macht würden sich die dort geltenden Strukturen und Regeln quasi automatisch im Hinblick auf ein »gutes Leben für alle« ändern, hat sich nicht bestätigt. Diese Bilanz muss man nach rund 25 Jahren staatlich geförderter Gleichstellungspolitik wohl ziehen. Der Fortschritt der Emanzipation in den westlichen Gesellschaften hat nicht dazu geführt, dass diese Gesellschaften ganz allgemein gerechter, sozialer, menschenfreundlicher geworden sind. Die Ursachen hierfür sind komplex und vielfältig: ein enormer Anpassungsdruck auf Frauen, die »Karriere« machen wollen, nach wie vor bestehende subtile Mechanismen der Diskriminierung, starke neoliberale Strömungen, die errungene Erfolge gleich wieder zunichte machen, und vieles mehr. Natürlich ist es auch nicht so, dass sich überhaupt nichts verändert hätte – und es wäre ein lohnendes Forschungsprojekt, einmal die verschiedenen Möglichkeiten zu untersuchen, wie Frauen in gemischten Kontexten Veränderungen angestoßen haben, um daraus im Sinne von »best practice« lernen zu können. Doch im Großen und Ganzen hat sich gezeigt, dass die Gleichstellung der Frauen nicht zum »guten Leben für alle« führt, sondern zu nichts anderem als – zur Gleichstellung der Frauen.

Und vielleicht sogar nur zur theoretischen Gleichstellung von Frauen, nicht aber zu ihrer faktischen. Denn das emanzipatorische Denken birgt die Gefahr in sich, die alten modernen Dualismen zu verschleiern, indem es sie in einen Mantel angeblicher Geschlechtsneutralität kleidet, was ihren Fortbestand erst recht garantiert, weil die Möglichkeit der Kritik selbst verloren geht. Wenn man sich etwa öffentliche Räume anschaut, so kann man durchaus von einer »Wieder-Vermännlichung« der Welt sprechen (Schrupp 2009a), die sich gerade unter dem Deckmantel der Emanzipation vollzieht. Zum Beispiel ist es heute wieder möglich, dass Podien, Tagungen und Gremien ausschließlich oder doch ganz überwiegend mit Männern besetzt werden – jedoch nicht mehr mit der alten, patriarchalen Begründung, dass Frauen für diese Aurgaben nicht geeignet seien, sondern mit der neuen, emanzipierten Begründung, dass es doch schließlich ganz und gar egal sei, ob eine Aufgabe von einem Mann oder einer Frau übernommen werde. Wenn Frauen also andere Entscheidungen treffen und andere Prioritäten setzen als Männer, dann erscheint dies heute lediglich als Zufall – und damit in politischer Hinsicht irrelevant.

Ein anderes Beispiel sind die jüngsten Gesetze und Regelungen zum Unterhalts- oder Sorgerecht, die unter der Maßgabe der »Gleichstellung« praktisch ausschließlich die Rechte von Vätern (also von Männern) gestärkt haben und zu Lasten von Müttern (also von Frauen) gingen. Gegen die Schlechterstellung von Frauen in finanzieller und rechtlicher Hinsicht im Vergleich zu vorher gab es nur sehr wenig feministischen Protest, denn unter der Maßgabe der Geschlechter-Egalität lässt sich kaum ein Gegenargument vorbringen, wenn es darum geht, weibliche und männliche Elternteile gleichzubehandeln. Die Ungerechtigkeit ergibt sich ja tatsächlich heute nicht mehr aus einer Geschlechtsrollenideologie, sondern erst aus dem Umstand, dass diese männlichen und weiblichen Elternteile im Schnitt höchst unterschiedliche Entscheidungen im Bezug auf die Art und Weise treffen, wie sie für ihr Kind sorgen und welche Prioritäten sie zwischen Fürsorge- und Erwerbsarbeit setzen. Konkret: Frauen, die heute in ihrer Biografie nicht dieselben Prioritäten setzen wie Männer, sind letztlich selbst schuld, wenn sie dadurch ökonomische Nachteile haben. In einer emanzipierten Gesellschaft zwingt sie ja niemand mehr dazu. (Schrupp 2009b: 9ff)

Wenn frauenpolitisch in diesem Kontext darauf verwiesen wird, dass es implizit immer noch Ungerechtigkeiten gibt, dass Frauen nach wie vor sozialem Druck ausgesetzt sein können, dass die rechtlichen Regelungen die Gleichstellung noch immer nicht hundertprozentig verwirklichen, etwa im Ehegattensplitting – dann sind diese Argumente zwar richtig. Sie treffen aber nicht den Kern des Problems, das darin besteht, dass Fürsorgearbeit nach wie vor ökonomisch nicht einkalkuliert und plausibel und menschenfreundlich organisiert wird. Und zwar, weil die Emanzipation der Frauen nichts an dem grundlegenden Paradigma der modernen bürgerlichen Gesellschaft verändert hat, wonach diese Tätigkeiten einander hierarchisch zugeordnet sind, die einen für wichtiger als die anderen gehalten werden, öffentliche und private Sphäre voneinander getrennt sind und so weiter.

Es liegt auf der Hand, dass die alten feministischen Ideen, die ausgehend von der Geschlechterdifferenz dieses Paradigma grundsätzlich in Frage gestellt haben (etwa in dem Slogan, das Private sei Politisch) hier hilfreiche Lösungsansätze enthalten. Die Voraussetzung dafür, dass sie fruchtbar gemacht werden im Sinne des »guten Lebens aller« ist aber, dass sie nicht mehr als Interessenspolitik für Frauen, sondern als allgemeine Politik für alle Menschen verstanden werden. Gerade dies geschieht aber nicht.

Vor allem unter jungen Menschen, die schon ganz im Paradigma der Geschlechtergleichheit aufgewachsen sind, ist es heute vielmehr fast gänzlich unmöglich geworden, die Geschlechterdifferenz auch nur zu benennen. Das zeigte sich zum Beispiel bei den Diskussionen im Umfeld der neuen Piratenpartei, die bei der Bundestagswahl im Herbst 2009 mit fast ausschließlich männlichen Kandidaten in den Wahlkampf zog und von etwa 13 Prozent der jungen Wähler, aber nur von 4 Prozent der jungen Wählerinnen gewählt wurde. Trotz dieses eklatanten Gender-Gaps war es praktisch unmöglich, das zu thematisieren, weil die Anhänger und vor allem auch die Anhänger innen der Piratenpartei felsenfest davon überzeugt sind, dass das Frausein oder Mannsein in ihren Reihen absolut keine Rolle spielt und auch nicht spielen soll: Diese Unterscheidung ist ja sowas von 20. Jahrhundert! (Schrupp 2009c) Dieser Trend spiegelt sich auch in vielen Blogs jüngerer Feministinnen wieder: Die Themen dort drehen sich fast ausschließlich um die Kritik an der nach wie vor bestehenden Ungleichheit der Geschlechter und wie man ihr begegnen könnte. Radikalere feministische Ansätze, die das Gleichheitsparadigma der bürgerlichen Gesellschaft prinzipiell in Frage stellen und eine allgemeine Neurordnung der Welt entwerfen, scheinen zunehmend in Vergessenheit zu geraten.

Ohne Neuverhandlung der sexuellen Differenz kein gutes Leben

»Die Gleichheit der Geschlechter ist die Hülle, mit der heute die Unterlegenheit der Frau getarnt wird« schrieb die italienische Feministin Carla Lonzi bereits 1974 (Lonzi 1975: 6), und die Entwicklung bis heute gibt ihr Recht. Den Zusammenhang zwischen der modernen Konstruktion von Weiblichkeit und ihrem Ausschluss als »anderes« hat ja Simone de Beauvoir bereits 1949 brillant untersucht (Beauvoir 1949). Doch ihr Lösungsvorschlag, nämlich die »Assimilierung« (Schwarzer 2003:57) der Frauen an die ehemals exklusiv männlichen Sphären der bürgerlichen Gesellschaft, hat genau dieses Problem nicht lösen können. Wenn man »Das andere Geschlecht« rückblickend noch einmal liest, stellt man fest, wie vieles sich im Hinblick auf weibliche Lebensverhältnisse ganz grundlegend verbessert hat. Insbesondere im Bereich der Erziehung und Ausbildung von Mädchen ist fast nichts mehr so, wie Beauvoir es für ihre Zeit beschreibt. Doch diese weit reichenden Veränderungen haben gerade nicht bewirkt, dass mit der Gleichstellung der Frauen auch die anderen dualistischen Hierarchien zusammengebrochen sind. Die Diskriminierung der Frauen, so zeigt sich, war nicht die Ursache des Problems, sondern lediglich ein Symptom, und mit der bloßen Linderung von Symptomen ist eben noch nie eine Krankheit wirklich geheilt worden.

Nach wie vor dominiert das Paradigma der in hierarchisch geordnete Dualismen aufgeteilten Welt, die das Andere an der Norm des Einen misst, deren Gleichheit auf Ausschluss des als ungleich Definierten basiert, und die Freiheit an die Autonomie des Individuums knüpft und deshalb Bedürftigkeit als conditio humana abspalten und in die Sphären der »anderen« verschieben muss. Über die theoretischen Grundlagen dieses Dilemmas sind in den vergangen drei Jahrzehnten viele Bücher und Aufsätze geschrieben worden, größtenteils von Feministinnen, und man kann wirklich nicht behaupten, das Problem sei unbekannt und unerforscht. Doch größtenteils verkümmern ihre Ansätze und Ideen marginalisiert in den Bibliotheken. Im öffentlichen Diskurs jedenfalls, in der institutionellen Politik der Parteien und Verbände und in den Mainstream-Medien sind davon höchstens Spurenelemente zu finden.

Gleichzeitig sind Versatzstücke feministischen Denkens in die etablierten ideengeschichtlichen Suchbewegungen eingeflossen und dort gleichsam in einem »geschlechtsneutralen« Gewand zu Einfluss gelangt, insbesondere im Dekonstruktivismus und überhaupt der gesamten postmodernen Ideengeschichte, zu der auch die so genannte »Genderforschung« gehört: Von »Gender« zu sprechen (statt von Frauen und Männern, von männlich und weiblich) sollte einerseits jedem Verdacht des Essentialismus entgegentreten, andererseits war damit die Hoffnung verbunden, auch die Männer für feministische Anliegen zu interessieren: Wenn es nicht mehr speziell um Frauen ginge, sondern um das Verhältnis der Geschlechter zueinander (also auch um Männer), so die Hoffnung, dann wäre doch klar, dass es nicht um partikulare »Fraueninteressen« geht, sondern um das Allgemeine. Schon diese Argumentation beweist aber, dass das Weibliche dem Männlichen noch immer untergeordnet ist, denn Dingen, die Männer unter sich verabreden und tun, wird automatisch allgemeine Relevanz zuerkannt. Nur wenn Frauen Dinge unter sich verabreden und tun, müssen sie diese Allemeinrelevanz erst einmal unter Beweis stellen – oder aber sich »für Männer öffnen«, also symbolisch nicht mehr als »weiblich«, sondern als »neutral« daherkommen.

Die Autorinnen eines aktuellen Sammelbandes zum Stand der Genderforschung konstatieren, dass mit dieser Neuausrichtung im Vergleich zur vorherigen »frauenidentifizierten« feministischen Forschung viel politischer Schwung verloren gegangen sei (Casale u.a. 2008). In diesem Band findet sich eine interessante Beobachtung von Ida Dominijanni, die im Bezug auf den Einfluss postmodernen Denkens auf die aktuelle politische Debatte eine Ungleichzeitigkeit beobachtet, die sie das »Schielen« unserer Epoche nennt: Einerseits sind moderne Gewissheiten, selbstherrliche Subjekte, der Glaube an Gott, Gesetz und Vaterland in den Geisteswissenschaften längst ad acta gelegt, und ganze Bibliotheken voller Bücher erklären, warum das so sein muss. Im Bereich der Politik und in den öffentlichen Diskussionen hingegen sind diese Kräfte ungebrochen am Werk und feiern sogar fröhliche Urständ. Ganz offensichtlich interessiert es sie gar nicht, dass sie wissenschaftlich längst dekonstruiert worden sind. Oder, in den Worten von Dominijanni: »Je gespaltener, differenzierter, aufgelöster und postmoderner das Subjekt auftritt, umso mehr erscheint es innerhalb eines demokratischen Horizonts, der zu einer Art unanfechtbarem Apriori erhoben wird, wenn nicht gar zu einer unbestreitbaren Religion, im alten Gewand der Individualität, der Rechte, der Repräsentation und der modernen Gleichheit.« (Casale u.a. 2008: 159)

Die Fragmentierung der Identitäten im postmodernen Diskurs kann dem alten Subjektbegriff nur wenig entgegensetzen, weil, so Dominijanni, »die postmoderne Ontologie des Subjekts es riskiert, die moderne politische Logik des Einen, die bekanntermaßen schon immer die Logik des Einen-Vielen sein konnte, in Form des fragmentierten und differenzierten Vielfältigen zu überbieten.« (Casale u.a. 2008: 160) Die »bunte Vielfalt« von Merci ist eben weit davon entfernt, wirkliche Differenz zu sein: Zwar schmecken die einen nach Haselnuss, die anderen sind Zartbitter, aber am Ende ist eben doch alles Schokolade und damit auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Dominijanni macht sich daher dafür stark, statt von »Gender« oder vom postmodernen Subjekt auszugehen, doch wieder die sexuelle Differenz zu thematisieren. Aber nicht länger als Untersuchungsgegenstand, der von Soziologen oder neuerdings von Hirnforschern und Genetikern seziert und erklärt wird: Die sexuelle Differenz, schreibt sie, sei kein Signifikat, sondern ein Signifikant (Casale u.a. 2008: 148), was heißt: Die sexuelle Differenz ist nichts, dessen Bedeutung herauszufinden wäre, sondern im Gegenteil, sie selbst ist es, die Bedeutung stiftet. Genderforschung oder feministische Theoriebildung überhaupt hätte demnach nicht die Aufgabe, zu untersuchen, was »Frau«, »Mann«, »männlich«, »weiblich« und so weiter ist oder wie und wodurch »Gender« entsteht oder konstruiert ist, sondern sie müsste der sexuellen Differenz gewissermaßen »bei der Arbeit zuschauen« und die Veränderungen und Konflikte, die dadurch hervorgebracht werden, begleiten, in Worte fassen, ihnen Bedeutung zusprechen und Sinn geben. Worum es dabei geht, ist nicht eine weibliche »Identität« (die seit Jahren abwechselnd dekonstruiert und dann wieder vermisst wird), sondern vielmehr weibliche »Subjektivität«.

So, wie es schon vor 25 Jahren die französische Feministin Luce Irigaray vorgeschlagen hat, die schrieb: »Die sexuelle Differenz stellt eine der Fragen oder die Frage dar, die in unserer Epoche zu denken ist. Jede Epoche hat – Heidegger zufolge – eine Sache zu ‚bedenken’. Nur eine. Die sexuelle Differenz ist wahrscheinlich diejenige unserer Zeit. Diejenige, die uns, wäre sie gedacht, die ‚Rettung’ bringen würde? Aber ob ich mich der Philosophie, der Wissenschaft oder der Religion zuwende, diese Frage wird ständig verdeckt, immer beharrlicher im Verborgenen gehalten. Wie eine Problematik, die die vielfältigen Formen der Zerstörung der Welt aufhalten und einem Nihilismus Einhalt gebieten könnte, der seine Bestätigung lediglich in der Umkehrungschon existierender Werte und deren monotoner Vervielfachung erfährt: Konsumgesellschaft, Zirkularität des Diskurses, mehr oder weniger bösartige Krankheiten unserer Epoche, Untauglichkeit der Worte, Ende der Philosophie, religiöse Verzweiflung oder Rückfall in Religiosität, wissenschaftlicher und technischer Imperialismus ohne Berücksichtigung des lebendigen Subjekts usw. Die sexuelle Differenz würde den Horizont einer noch unbekannten Fruchtbarkeit eröffnen…« (Irigaray 1991: 11)

Weiblichkeit nicht als »Thema« zu begreifen, sondern als Movens politischer Prozesse, verkörpert durch konkrete Frauen, die mit ihrer Subjektivität in bestimmten Situationen agieren, bietet einen neuen Zugang auch zu anderen politischen Themen. Es macht die Debatte über weibliche Identitäten überflüssig, denn es misst Weiblichkeit nicht an verallgemeinerbaren Maßstäben, sondern an dem, was Frauen in ihrer Eigenwilligkeit und Verschiedenheit tun, und zwar ohne sie an dem zu messen, was eine männliche Kultur bereits festgeklopft, für wünschenswert oder selbstverständlich erklärt hat.

Von Objekten wohlfahrtsstaatlicher Fürsorge zu Agentinnen des Wandels

Auf dieses Weise würde das alte Anliegen der Feministinnen von vor 200 Jahren wieder aufgegriffen, die ausgehend von ihrem Frau-Sein und den damit verbundenen Lebenserfahrungen kritische Anfragen an das moderne Projekt vorbrachten und auf die heiklen Punkte in dessen universalistischen Vorstellungen von Gleichheit, Autonomie, Freiheit und Unabhängigkeit hinwiesen. Es wäre Feminismus, der weit über die Frage hinausgeht, ob diese oder jene frauenpolitische Maßnahme nun vor allem den Frauen selbst, den Menschen allgemein oder der Wirtschaft oder weiteren Akteuren nutzt oder nicht. Vielmehr geht es um die Einsicht, dass das »gute Leben« nicht im Sinne einer universell gültigen Theorie definiert werden kann, sondern lediglich den Ankerpunkt bildet, an dem sich, ohne den Versuch einer Definition zu unternehmen, die Debatte orientieren muss.

Das Ausgehen von den eigenen konkreten Erfahrungen, die nicht als private Zufälligkeit, sondern als Hebel verstanden wurden, um von da ausgehend Erkenntnisse über allgemeine gesellschaftliche Phänomene und Entwicklungen zu gewinnen, war ja die entscheidend neue Praxis der Frauenbewegung.Beispielhaft für viele beschreibt die afroamerikanische Aktivistin bell hooks diese Praxis so: »There is much exciting work to be done when we use confession and memory as a way to theorize experience, to deepen our awareness, as part of the process of radical politicization. Often we experience pleasure and joy when we share personal stories, closeness, intimacy. This is why the personal has had such a place in feminist discourse. to reaffirm the power of the personal while simultaneously not getting trapped with identity politics we must work to link personal narratives with knowledge of how we must act politically to change and transform the world.«(hooks 1989: 110f.)

Gerade der Begriff des »guten Lebens« ist dafür ganz hervorragend geeignet, denn es liegt auf der Hand, dass das gute Leben nichts ist, wofür es eine allgemein gültige Norm geben kann, nichts, das sich für alle Menschen einheitlich definieren ließe. Ein Internationales Symposion zur Feministischen Ethik im Spätsommer 2002 in Salzburg stellte die Rede vom »guten Leben« daher auch explizit in Zusammenhang mit feministischer Ethik (Moser/Praetorius 2003). Unter dem Motto »Am Ende des Patriarchats … neu über gutes Leben nachdenken« hielten die Teilnehmerinnen fest, dass es nicht darum gehen kann, das »gute Leben« abstrakt zu definieren, sondern eher um ein Experiment. Als Sinnbild für diesen Prozess hatte sich noch beim Symposium selbst der Begriff der »Bastelstube« herauskristallisiert. In der Dokumentation wird dabei explizit die Wichtigkeit betont, Theorie und Praxis in den sozialpolitischen Bewegungen zusammenzudenken: »Die beginnenden Debatten gerade zwischen Menschen, die im herkömmlichen Jargon als »Praktikerinnen« bezeichnet werden, und solchen, die eher von theoretischen Überlegungen ausgehen, sind … äußerst viel versprechend und rufen nach Fortsetzung. Wir möchten die so genannten TheoretikerInnen auffordern, sich vermehrt auf tatsächliches Handeln in der Welt zu beziehen, und die »PraktikerInnen«, sich von den Bemühungen um eine angemessene Theorie weiter helfen zu lassen.« (Moser/Praetorius 2003: 11).

Es steht noch aus, diese Praxis der Frauenbewegung für die allgemeine Politik und innerhalb der sozialen Bewegungen, die sich heute für ein »gutes Leben für alle« einsetzen, fruchtbar zu machen. Einen Weg weisenden Versuch hat kürzlich Michala Moser mit ihrer Studie »A Good Life for All. Feminist Reflections on Women, Poverty, and the Possibilities of Creating a Change« unternommen, indem sie, ausgehend sowohl von den Ideen feministischer Denkerinnen als auch von ihrem persönlichen Aktivismus sowie dem Austausch mit anderen Frauen und Männern, die sich gegen Armut engagieren, Ansatzpunkte für eine neue Armutspolitik entwirft. Nicht zufällig plädiert sie dafür, bei dem Bemühen, eine Welt ohne Armut und sozialen Ausschluss zu schaffen, den Fokus ebenfalls zu verlagern: Weg davon, die Armut zu bekämpfen, indem man eine spezielle Politik »für die Armen« macht, sich auf die Frage zu konzentrieren, wie ein gutes Leben für alle Wirklichkeit werden kann. (Moser 2007: 7)

Die sexuelle Differenz steht nicht in Konkurrenz zu anderen Formen von Ungleichheit und Unterdrückung und muss durch komplizierte Theorien – man denke nur an Stichworte wie »triple oppression« oder »Intersektionalität« – mühsam mit jenen anderen ebenfalls berechtigten Ansprüchen versöhnt werden. Sondern die sexuelle Differenz verweist selbst auf den ganz grundlegenden Umstand, dass es völlig unsinnig ist, das Menschsein als Einssein zu denken, weil Menschseins mindestens in zwei Varianten existiert (und vermutlich noch weiteren). Weil Menschsein also, um es mit Hannah Arendt zu sagen, nur im Plural möglich ist, weil Differenz und nicht Gleichheit die Realität des Menschseins ausmacht, und zwar eine Differenz, die – wie die Frauenbewegung klar gemacht hat – keine ontologische Tatsache ist, sondern eine, die mit Freiheit verbunden ist.

Genau dies ist die logische Verknüpfung, die notwendig ist, damit weibliche Freiheit undgutes Leben für alle nicht mehr als Widerpart, sondern als ein und dasselbe verstanden werden können. Freie Frauen, also solche, die sich nicht vorgegebenen Weiblichkeitsklischees unterordnen, aber auch nicht an den Maßstäben orientieren, die eine männliche Kultur bereits hervorgebracht hat, sind nicht Objekte sozialpolitischer Maßnahmen (von »Frauenpolitik« also), sondern sie sind selbstbewusste Akteurinnen einer »Politik der Frauen«. Sie weisen die heute weit verbreitete Zumutung zurück, wonach sie sich erst einmal den gegebenen Spielregeln anpassen sollen, wenn sie Einfluss haben und diese Welt gestalten wollen.

Auf diese Weise werden Frauen zu Agentinnen des Wandels – und eben nicht nur sie, sondern alle »anderen«, denn die Praxis der Frauenbewegung des »Von sich selbst Ausgehens« (Muraro …) wurde zwar von Frauen erfunden, ist aber natürlich nicht auf Frauen beschränkt. Indem Frauen notwendigerweise schon immer die Erfahrung einer grundlegenden Differenz zum Ausgangspunkt ihres Denkens machten – auch wenn sie dabei zu unterschiedlichen, ja zuweilen gegensätzlichen Ergebnissen kamen – sind sie Expertinnen einer politischen Praxis, die sich den üblichen, aber falschen Dualismen der Moderne ebenso entzieht wie dem postmodernen Relativismus, der zwar jede Menge Vielfalt, aber ebenfalls keine echte Differenz kennt. Dieses Wissen kann aber nur dann fruchtbar gemacht werden, wenn es auch symbolisch benannt und reflektiert wird.

Dies ist nicht nur eine Forderung für die Zukunft, sondern Dank der Frauenbewegung sind wir schon längst in diese Richtung unterwegs, leider eben häufig, ohne es uns bewusst zu machen. Die Realität ist Veränderungen gegenüber nämlich offener als eingefahrene Denk- und Argumentationsmuster des politischen und wissenschaftlichen Diskurses. In ihrem Rückblick auf das vergangene Vierteljahrhundert seit Luce Irigarays Ethik der sexuellen Differenz schreibt Ina Praetorius: »Sind wir der ‚eigentümlichen Ankunft’ einer Kultur, die das Weibliche nicht mehr vom Männlichen, das Differente nicht mehr vom Selben ableitet, sondern fähig ist, ‚Zwei’ und ‚Viele’ zu denken, näher gerückt? Ich meine, ja: Viele Menschen wissen heute nicht mehr, was oben und was unten, was Mann und Frau, Gott und Welt, Wissenschaft und Glaube, schwarz und weiß ist. Solche Verunsicherung, so unangenehm sie sich zuweilen anfühlen mag, ist ein Fortschritt, sofern sie sich nicht als moralische Beliebigkeit, sondern als Schritt auf dem Weg in eine noch nicht sichtbare, aber herannahende postpatriarchale Ordnung des Zusammenlebens versteht. Und vor allem: Frauen haben sicht- und spürbar angefangen, (sich) selbst und gemeinsam zu denken, immer weniger beeindruckt vom zwanghaften Durchblick der Herren, die noch immer zu wissen meinen, was Weiblichkeit ist, und doch längst ins Leere greifen, weil von dort, wo sie die Frauen vermuten, längst der Exodus in ein anderes, besseres Land stattgefunden hat.« (Praetorius 2009)

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Diesen Beitrag habe ich für einen sozialwissenschaftlichen Sammelband geschrieben, in dem er aber wegen konzeptioneller Differenzen doch nicht erscheinen wird.