Zornige Vögel mit Lippenstift. Die Computerspiel-Branche entdeckt die Frauen
In: Publik-Forum, kritisch – christlich – unabhängig, Oberursel, Nr. 16/September 2014 (dies ist das abgegebene Manuskript, das für die Veröffentlichung leicht gekürzt und redigiert wurde)
Dass ich demografisch nicht ganz das Zielpublikum bin, merke ich sofort. Ein ganzer Pulk männlicher Teenager hat mit mir zusammen in Köln Messe/Deutz den Zug verlassen, gemeinsam pilgern wir zur Gamescom, der weltweit größten Messe für Computerspiele. Letztes Jahr waren über 340.000 Besucher und Besucherinnen da, auch dieses Jahr sind die Tickets schon lange ausverkauft.
Gleich in der Eingangshalle springen mir auf einem megagroßen Banner vier gefährlich aussehende Kapuzenmänner ins Auge – die Werbung für „Assassin’s Creed Unity“, ein neues Adventure-Spiel. Ich habe schon davon gehört, weil die Entwickler kürzlich ins Kreuzfeuer geraten sind: Gefragt, warum unter den vier spielbaren Charakteren nicht eine einzige Frau sei, hatten sie geantwortet, die Entwicklungskosten für eine Frau wären zu hoch gewesen. Häme überall, eine dümmere Ausrede hätte man sich ja auch nicht ausdenken können.
Noch immer haben Computerspiele den Ruf, vor allem testosterongesteuertes Herumgeballere zu sein, mit Frauen in der Rolle des hilflosen Opfers oder der vollbusigen Männerfantasie. Und das ist leider nicht nur ein Klischee. Doch seit einigen Jahren melden sich Frauen in der Gamerszene immer deutlicher zu Wort – und sie stellen zweierlei klar. Erstens: Auch sie sind begeisterte Spielerinnen. Und zweitens: Sie lassen sich platten Sexismus in der Szene nicht länger gefallen.
Deshalb fühle ich mich auch durchaus nicht fehl am Platz hier. Ich habe schließlich als „Prince of Persia“ schon Prinzessinnen gerettet, da waren die meisten Jungs hier noch gar nicht auf der Welt. Wochenlang vergnügte ich mich in der „World of Warcraft“, bevor ich es aus Zeitmangel wieder ließ. Und auf meinem Handy habe ich immer zwei oder drei aktuelle Lieblingsspiele dabei.
Damit liege ich voll im Trend: Vier von zehn Frauen über 14 Jahren in Deutschland nutzen regelmäßig elektronische Spiele. Sie machen inzwischen fast die Hälfte aller Gamer aus, Tendenz weiter steigend. Diese Zielgruppe kann die Computerspiel-Branche mit einem Umsatz von zwei Milliarden Euro pro Jahr allein in Deutschland nicht vernachlässigen.
Auf der Gamescom ist davon auf den ersten Blick allerdings kaum etwas zu spüren. In den großen Hallen bummert das Geballere genau, wie das Klischee es vorsieht; Soldaten, Krieger und andere Männerhelden dominieren die Optik, dazwischen wirbt die Bundeswehr um Nachwuchs. An den einzelnen Ständen stauen sich lange Schlangen von Jungs, die teilweise stundenlang warten, um die brandneue Version ihres Lieblingsspiels auszuprobieren. Sicher, auch Mädchen und junge Frauen sind darunter, aber beim besten Willen nicht mehr als ein Fünftel.
Im ruhigeren Businessbereich treffe ich eine, die nicht will, dass das so bleibt. Rae Grimm ist „Head of Games“ bei Gamespilot, einer Internetcommunity für Videospiele. Sie gehört auch zu den Spenderinnen, die vor zwei Jahren das Projekt „Tropes vs. Women“ der amerikanischen Bloggerin Anita Sarkeesian unterstützt haben. 150.000 Dollar, viel mehr als erhofft, kamen damals zusammen, um eine Videoreihe für die Webseite „Feminist Frequency“ zu finanzieren. Darin analysiert Sarkeesian stereotype Darstellungen von Frauen in Videospielen – die Reihe ist inzwischen online und äußerst sehenswert.
Doch Sarkeesian bekam nicht nur Unterstützung, sondern auch krassen Gegenwind. Eine wahre Flut von Hassmails musste sie über sich ergehen lassen, Morddrohungen
und Vergewaltigungsfantasien inklusive. Mit einem Mal wurde der sexistische und frauenfeindliche Bodensatz in der Gamerszene sichtbar. So schrecklich das ist: Immerhin war nun nicht mehr zu leugnen, dass die Branche ein echtes Problem hat. „Es ist schade, dass es so negativ passiert ist“, sagt Rae Grimm, „aber inzwischen sehen mehr und mehr Gamer und Entwickler, dass das wichtig ist.“ Vor allem habe es die Frauen in der Branche aufgerüttelt. „Wir haben gemerkt, okay, wir werden gehört. Wenn wir laut genug sind, kann man uns nicht mehr ignorieren.“
Allerdings seien die Fronten auch sehr verhärtet. „Es müsste eigentlich mehr inhaltliche Diskussionen geben“, sagt Grimm. Sie selbst teilt auch nicht alle Analysen von Sarkeesian, aber es gebe kaum eine Möglichkeit, das im Internet zu diskutieren. „Es ist eher so wie ein Minenfeld“, sagt Grimm. Aber ihren Optimismus will sie sich nicht nehmen lassen.
Auch ich will das nicht und begebe mich wieder in den Entertainment-Bereich. Ein Gutes hat das Ganze ja: Trotz überfüllter Hallen ist in den Frauentoiletten immer ein Örtchen frei. In den Waschräumen lässt sich zudem so manches Spektakel bewundern: Besucherinnen, die ihre aufwändigen Kostüme wieder herrichten. Das sind die so genannten „Cosplayer“, sie verkleiden sich wie eine ihrer Lieblingsspielfiguren, oft mit atemberaubender Detailverliebtheit. Bei der Gamescom gibt es einen eigenen Cosplay-Bereich, hier liegt der Frauenanteil um einiges höher als auf dem Rest des Geländes.
Spielen Frauen etwa anders? Das ist eine dieser unvermeidlichen Fragen, seit Frauen als Zielgruppe der Spieleindustrie im Blick sind. Frauen würden eher soziale Spiele bevorzugen, heißt es, sie suchten weniger Action und mehr Emotionen. Etwas anders sieht das Ute Kempf vom Bielefelder Kompetenzzentrum „Technik-Diversity-Chancengleichheit“. Bei ihrem Vortrag im Konferenzbereich der Gamescom ist das Publikum überschaubar; schade, denn hier gäbe es was zu lernen. Zum Beispiel, dass Mädchen nicht „anders“ spielen als Jungs, aber dass sie eben viel weniger zum Spielen ermutigt werden. Und auch den Jungs ist ja die Begeisterung für Ballerspiele nicht angeboren. Gebraucht würden nicht mehr „Spiele in rosa“, sondern generell mehr Variationen in den Spielcharakteren, sagt Kempf.
Wenn Spieleentwickler unreflektiert auf den Trend „Frauen ansprechen“ aufspringen, machen sie die Sache leider oft eher schlimmer als besser. In dem beliebten Spiel „Angry Birds“ zum Beispiel gab es ursprünglich nur bunte Vögel. Irgendwann aber kam jemand auf die Idee, weibliche Figuren einzuführen, weshalb manchen Vögeln nun rote Lippen, Haarschleifchen und lange Wimpern verpasst wurden. Das ist aber nicht mehr Diversity, ganz im Gegenteil – auf diese Weise wurden nämlich die „normalen“ Vögel plötzlich als männlich definiert, während sie vorher kein Geschlecht hatten. „Ms. Male Character“ nennt Anita Sarkeesian dieses Phänomen: Weibliche Spielfiguren, die nichts anderes sind als mit Schleifchen im Haar versehene Versionen der „normalen“ männlichen Hauptperson.
Worauf es ankommt, das wäre eine Vielfalt weiblicher Figuren, die sich nicht über Klischees wie Schleifchen und Lippenstift auszeichnen, sondern in sich eine genauso große Bandbreite aufweisen wie die männlichen Figuren. Das dauert noch, wird aber kommen, glaubt Valentina Hirsch. Mit ihr habe ich mich verabredet, weil sie die Szene viel besser kennt als ich: Seit zwölf Jahren ist die Journalistin auf jeder Computermesse gewesen, außerdem spielt sich selber viel und bloggt darüber. Der Frauenanteil auf der diesjährigen Gamescom sei schon viel größer als in früheren Jahren, betont sie. „Ich glaube, dass auch die Entwickler das Thema mehr auf dem Schirm haben.“
Hirsch erzählt von der Präsentation des Shooter-Spiels „Tom Clancy’s The Division“, mit viel Geballere und allem, was dazugehört. „Bei der Einführung hieß es: Hier das ist der Hauptcharakter, Megan, der müsst ihr jetzt erstmal folgen. Da dachte ich: Ach, guck mal.“ Dass Problem liege nicht nur bei denen, die Spiele entwickeln, sondern auch bei der Gesellschaft, die das Genre nicht ernst nimmt, sondern immer noch eher für Kinderkram hält, glaubt Hirsch: „Eigentlich sollten im Feuilleton neue Videospiele genauso besprochen werden, wie neue Bücher oder neue Kinofilme.“ Damit würden dann auch andere Maßstäbe gesetzt.
Games als Kulturproduktion? Warum eigentlich nicht. Tatsächlich gibt es bei Videospielen ja nicht nur Blockbuster, sondern auch Arthouse: Anspruchsvolle Spiele mit künstlerischen Meta-Ebenen und sozialkritischem Hintergrund. Viele von ihnen sind im Indie-Bereich der Gamescom zu finden, wo kleine, unabhängige Firmen ihre Spiele vorstellen. Damit sie sichtbarer werden, hat die Amerikanerin Kelly Wallick die „IndiMegabooth“ gegründet, eine Plattform, auf der sich kleine Studios gemeinsam präsentieren können.
Valentina Hirsch hat mir „Upside Down Dimensions“ empfohlen, ein kleines Spiel im Origami-Stil. Der Witz dabei: Als Spielerin kann ich zwischen zwei Charakteren hin und her wechseln, einer männlichen Kämpferfigur und einer weiblichen Figur, die eher mit List und Geschicklichkeit vorgeht – ein Schelm, wer sich dabei an gewisse Rollenklischees erinnert fühlt. Doch das Demo-Video ist tatsächlich ansprechend. Der Schwertkämpfer erinnert ein bisschen an den alten „Prince of Persia“, die vornehme japanische Dame mit Schirm hingegen bringt mich zum Schmunzeln: Sie schiebt einfach einen großen Steinquader über die Rampe und zermalmt ihren Gegner darunter.