Fünf zu Fünfundneunzig
Frauenkriminalität: Keine Gefahr für die Gesellschaft
Statistisch gesehen spielen sie keine Rolle: Nur etwa fünf Prozent aller Gefängnisinsassen sind Frauen. Über die Ursachen wurde schon viel spekuliert, aber so gut wie gar nicht geforscht oder nachgedacht. Nichts genaues weiß man also nicht. Frauenkriminalität ist unbedeutend, Strafvollzug ist Männersache. Darunter leiden müssen die rund 3000 Frauen, die in Deutschland inhaftiert sind.
Fünf zu Fünfundneunzig: Das Verhältnis von Frauen und Männern, die ins Gefängnis kommen, ist erstaunlich stabil. Die Zahl stimmt so ungefähr auch für Australien und China. Und sie hat sich auch in den letzten dreißig Jahren nicht sehr verändert, obwohl sich doch sonst so vieles geändert hat im Verhältnis der Geschlechter. Befürchtungen, die Emanzipation würde zu einem Anstieg der Frauenkriminalität führen, haben sich als falsch erwiesen.
Liegt es am Wesen der Frau oder am Testosteron der Männer? Scheuen sich die Herren Richter, Frauen hinter Gitter zu bringen? Sind Frauen schlauer und lassen sich nicht so oft erwischen? Kommen sie öfter in die Psychiatrie als in den Knast? Die kuriosesten Theorien sind hier schon vorgebracht worden, schlüssige Erklärungen bieten sie allesamt nicht.
Dabei ist die Diskrepanz noch viel größer, als das Verhältnis 5:95 nahe legt. Denn Frauen kommen nicht nur viel seltener in den Knast als Männer, sie begehen auch andere Straftaten: die meisten sind wegen Eigentumsdelikten wie Diebstahl oder Betrug verurteilt worden, sehr viele auch wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, verhältnismäßig wenige nach Gewaltdelikten. Genaue Zahlen gibt es nicht, auch weil in Deutschland die Bundesländer für den Strafvollzug zuständig sind und, statistisch gesehen, jedes sein eigenes Süppchen kocht.
Die Tendenz jedoch ist klar und der Befund eindeutig: Bei den Frauen ist der Anteil derer, bei denen von einer besonderen Gefährlichkeit und Sozialschädlichkeit auszugehen ist, äußerst gering. Als gefährlich gelten alle Delikte, bei denen das Opfer schwer oder tödlich verletzt wurde, Waffen im Spiel waren oder ein Schaden von mehr als 2500 Euro entstanden ist. Legt man diese Kriterien an, dann sind schätzungsweise neunzig Prozent der weiblichen Inhaftierten nach Straftaten verurteilt worden, bei denen keine besondere Gefährlichkeit festzustellen war.
In absoluten Zahlen heißt das: Es geht in Deutschland um ungefähr 300 Frauen, die »sozialschädliche« Straftaten begangen haben. Und bei diesen wiederum kam das Opfer in vier von fünf Fällen aus dem engeren Familienkreis, fast immer war eine jahrelange Leidenssituation vorausgegangen. Wenn Gefängnisse also den Zweck haben sollen, die Gesellschaft vor Verbrecherinnen zu schützen, dann geht es um derzeit grade mal sechzig Frauen.
Man könnte wohl sagen, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Und ein weiteres Paradox kommt hinzu: Gerade weil sie so wenige sind, sind die Bedingungen für Frauen im Knast schlechter. In ganz Deutschland gibt es nur sieben Frauengefängnisse, viele Frauen sind deshalb in Unterabteilungen von Männerknästen inhaftiert. Das heißt zum Beispiel, sie sind völlig unnötigen (weil für Männer gemachten) Sicherheitsauflagen unterworfen. Weil sie so wenige sind, rentiert es sich auch meist nicht, differenzierte Ausbildungsangebote zu machen. Und die Frauen sind auch im Schnitt viel weiter entfernt von ihren Angehörigen untergebracht, was Besuche und Kontakte erschwert.
Was wäre die Konsequenz? Vielleicht das, was die frühere Gefängnisleiterin und Reformerin Helga Einsele einmal so formulierte: »Da Frauen in den wenigsten Fällen eine wirkliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, wäre ein Verzicht auf den Vollzug der Freiheitsstrafe sozial verantwortbar.«
aus: Frauen Unterwegs, Februar 2003