Festvortrag zum 10-jährigen Jubiläum des Frauenforums im Kreis Herford
Ich freue mich sehr, dass ich wieder einmal, und nun schon zum dritten Mal, in Herford sein kann. Auch das Thema finde ich spannend: Was sind die Möglichkeiten von Frauennetzwerken? Wozu braucht man die, auch heute noch?
Das Anliegen der Frauenbewegung, wenn ich mal eine Definition versuchen darf, ist die Arbeit an einer Gesellschaft, in der alle Menschen die Chance und die Möglichkeit haben, in Freiheit und Wohlbehagen zu leben. Es geht also nicht – und ging auch noch nie, wenn man die Geschichte der Frauenbewegung genau anschaut – um eine bloße Interessensvertretung für Fraueninteressen, also um Lobbyarbeit für Frauen. Sondern es geht darum, dem Wollen und Wünschen von Frauen Autorität zu geben und in der Welt wirksam werden zu lassen, in der festen Überzeugung, dass dies die Welt für alle besser machen wird.
Wenn man nun schaut, von wo aus und in welcher Position Frauen sich engagieren, dann wird auch deutlich, wie vieles sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Vor weniger als einem Jahrhundert noch waren Frauen aus den öffentlichen Institutionen und aus der offiziellen Politik ausgeschlossen. Sie hatten kein Wahlrecht, sie hatten keinen Zugang zu öffentlichen Geldern. Ihr politisches Engagement galt als ihr privates Vergnügen, sie mussten selbst ihr Vermögen hineinstecken oder Sponsoren gewinnen, und für geschäftliche Transaktionen mussten sie wohl gesonnene Männer finden, weil sie selbst nicht vertragsfähig waren. Sie durften ihr Engagement nicht einmal politisch nennen, sondern mussten sich hinter den Floskeln sozialer Wohltätigkeit verstecken, denn erst vor genau 100 Jahren, 1908, ist in Deutschland das Gesetz abgeschafft worden, das Frauen jede politische Tätigkeit ausdrücklich verboten hat.
Deshalb kämpften die Frauen für das Wahlrecht. Es ging ihnen dabei aber – jedenfalls den meisten von ihnen – nicht um eine abstrakte Gerechtigkeitsformel, nach dem Motto: Die Männer dürfen wählen, also wollen wir auch. Sondern es ging ihnen darum, ihre Möglichkeiten für ein Engagement in der Welt zu erweitern. Sie dachten, wenn wir das Wahlrecht haben, können wir uns besser zu Wort melden, können wir mehr bewirken. Und wie wir an uns heute sehen, war das durchaus erfolgreich. Wir Frauen stehen heute nicht mehr außerhalb der Institutionen, wie noch vor wenigen Jahrzehnten, sondern wir haben Zugang zu ihnen. Wir leiten Vereine, verwalten öffentliche Gelder, manche von uns sind in ein Amt gewählt worden. Kurz gesagt: wir haben Einfluss.
Allerdings stellt sich damit auf neue Weise auch das Problem des weiblichen Konformismus. Frauen neigen, vielleicht mehr als Männer, dazu, Konflikte möglichst zu vermeiden und die Erwartungen, die an sie gestellt werden, auf jeden Fall zu erfüllen. Und heute wird ja wieder ganz ungeniert die Frage der Nützlichkeit der Frauen für die Allgemeinheit diskutiert – Stichwort Demografiedebatte und wie viele Kinder wir kriegen. Nur dass Frauen sich heute nicht mehr nur als Mütter und Hausfrauen in der Familie nützlich machen sollen, sondern auch noch als Human Resources in den Wirtschaftsunternehmen, die Wirtschaft braucht uns heute also genauso wie der Ehemann, und brav wie wir sind, bemühen wir uns, beides zu »vereinbaren«.
Ein Amt, eine Position zu bekleiden, bedeutet also noch nicht unbedingt, etwas im Sinne der weiblichen Freiheit zu bewegen, es kann auch bedeuten, dass eine Frau einfach funktioniert. Zumal heute, wo das Funktionieren auch unter Männern häufig an die Stelle des Handelns tritt.
Das heißt, es stellt sich heute in besonderem Maße, und das ist ein Unterschied zu den Zeiten vor der Emanzipation, die Frage nach der Institutionalisierung des Feminismus. Wie entsteht weibliche Autorität innerhalb von Institutionen und in welcher Beziehung steht die weibliche Freiheit mit dem Zugang von Frauen zu gesellschaftlichem Status und entsprechenden Positionen?
Nehmen wir zum Beispiel die Stelle einer Frauenbeauftragten. Für wen arbeitet sie eigentlich? Für die Stadt oder die Kommune, die ihr Gehalt bezahlt? Oder für die Frauen, die in den 80er Jahren dafür kämpften, dass solche Stellen eingerichtet werden? Beides muss ja nicht immer ein und dasselbe sein.
Zumal heute, wo die Generation der alten Feministinnen, die aus der Frauenbewegung kamen und sich anfangs auf diese Stellen beworben hatten, mehr und mehr abgelöst wurde von Frauen, die aus der Verwaltung kamen und nur durch die Stelle der Frauenbeauftragten überhaupt mit dem Feminismus in Kontakt kamen. Meine Schwester z.B.
Und je mehr dieser Wandel passiert, desto mehr kommt es mir so vor, als würden die Frauenbeauftragten nicht die Institutionen zu mehr Frauenfreundlichkeit erziehen, sondern die Frauen zu mehr Angepasstheit an die Welt, so wie sie nun einmal ist.
Ein Beispiel vor einiger Zeit bei einer Diskussion über die Zukunft des Feminismus. Da war eine junge Frau auf dem Podium, die sagte, sie wünsche sich vom Leben, dass sie Muttersein und für ihre Kinder Zeit aufwenden kann und gleichzeitig auch berufstätig sein. Die Frauenbeauftragte, die auf dem Podium war – und die sich eben als eine dieser »Spätbekehrten« vorstellte, die durch dieses Amt überhaupt erst zum Feminismus gefunden hat – versuchte nun, die junge Frau davon zu überzeugen, dass sie aber auf jeden Fall einen Beruf ergreifen und finanziell selbstständig sein muss, weil das heutzutage einfach notwendig sei. Wir wissen ja, das Unterhaltsrecht, der Fachkräftemangel und so weiter.
Was aber ist mit dem Wunsch, den die junge Frau geäußert hatte, eben nicht alles im Leben der Erwerbsarbeit unterordnen zu wollen, schon gar nicht ihre sozialen und familiären Beziehungen? – Ein Wunsch, den übrigens deutlich mehr junge Frauen haben als junge Männer, wie eine letzte Woche veröffentlichte neue Studie zeigt. Darin wurden Männer befragt, wie sie sich das vorstellen und die meisten sagten, ja, sie wollten durchaus bei der Kindererziehung mitmachen, aber nur, wenn das ihre berufliche Laufbahn nicht beeinträchtigt.
Wie auch immer, der Ratschlag der Frauenbeauftragten auf dem Podium an die junge Frau erinnerte mich sehr an die Ratschläge, die die Mütter in den Romanen vonJane Austen, die am Anfang des 19. Jahrhunderts spielen, immer ihren Töchtern geben: Sie müssen vernünftig sein, was damals bedeutete, einen Mann zu heiraten, der sie versorgen kann. Die Welt sei nun einmal so. Frauen müssen also erst einmal sehen, dass sie abgesichert sind – und danach erst können sie ihren romantischen Gefühlen nach Liebe, Kreativität und so weiter nachgehen. Nur dass eben dieses Vernünftigsein, das von den jungen Frauen verlangt wird, heute anders aussieht, als damals – weil sich die Welt verändert hat. Die Welt, so wie sie die Männer eingerichtet hatten, sah für die Frauen damals vor, in der Sphäre des Privaten, des Hauses zu bleiben und sich um Kinder, Kranke, Alte zu kümmern. Die Welt, so wie sie heute ist, sieht für die Frauen vor, selbst Geld zu verdienen und mit ihrer Leistung die globalisierte Wirtschaft am Laufen zu halten.
Sicher haben die älteren Frauen recht, wenn sie den jungen Frauen sagen, dass sie vernünftig sein müssen. Frauen tragen Verantwortung sowohl für die Welt als auch für sich selbst, und deshalb ist es richtig, wenn wir die jungen Frauen auf die Fallstricke hinweisen, in denen sie sich verfangen, wenn sie blauäugig ihren Idealen von Familienleben und so weiter anhängen.
Aber ich finde, wir dürfen es damit nicht bewenden lassen, sondern wir sollten auch das Unbehagen ernst nehmen, das sich in den Wünschen der jungen Frauen nach Zeit für Kindern, nach gegenseitiger Fürsorge äußert. Ihre Skepsis gegenüber einer Welt, die nur auf individuelle Leistungsfähigkeit setzt, ist richtig, denn so eine Welt funktioniert nicht.
Vielleicht müssen wir deshalb im Denken heute einen anderen Weg einschlagen und sagen: Beruf und Familie sind nicht vereinbar. Denn die Sorge für Kinder, für Alte, für Kranke erfordert einen anderen Rhythmus, folgt einer anderen Logik als die Herstellung von Gütern oder das Streben nach finanziellem Profit. Es genügt nicht, ein paar mehr Kitas zu bauen und die Ganztagsschule einzuführen, sondern es ist eine Frage, die die ganze Kultur umkrempelt, wenn wir die Erfordernisse der Haus- und Fürsorgearbeit ernst nehmen. Es ist Zeit, dass wir die Anforderungen, die sich dadurch stellen, nicht mehr herunterspielen, sondern öffentlich thematisieren: Kindererziehung, Altenpflege und all dass lässt sich weder im Privaten regeln, noch über einen profitorientierten Markt. Wir müssen hier einen ganz neuen Bereich der Wirtschaftstheorie erfinden. Denn vielleicht haben die Männer ja deshalb solche Vorbehalte gegen die Fürsorgearbeit, weil sie ihre Logik nicht verstehen.
Weibliche Autorität innerhalb von Institutionen entsteht nur dann, wenn die Frauen, die irgendwelche Positionen haben, auch Antworten finden auf das Begehren realer Frauen. Das gilt natürlich nicht nur für Frauenbeauftragte, sondern auch für alle anderen Frauen mit Einfluss, Politikerinnen, Professorinnen, Abteilungsleiterinnen und so weiter. Frauen vertrauen nicht einfach irgendeiner Frau, nur weil sie eine Funktion hat. Das meine ich, wenn ich sage, dass gerade wenn Frauen emanzipiert und gleichberechtigt sind, wir den Feminismus umso nötiger brauchen. Denn je mehr Einfluss Frauen in der Welt haben, desto wichtiger ist, was sie tun. Die Mütter bei Jane Austen sind daher bis zu einem gewissen Grad entschuldigt, weil sie weniger Einflussmöglichkeiten hatten als wir emanzipierten Frauen heute.
Wie also kann es gelingen, weibliche Freiheit mit dem Erringen von Positionen durch die Frauen zu vereinbaren?
Genau an diesem Punkt kommen Frauenforen wie das Ihre ins Spiel. Damit diese Debatte über die weibliche Freiheit einen Ort hat, braucht es offene Frauenräume geben, woe Frauen sich miteinander über ihr Wollen und Wünschen für die Welt auseinander setzen können, indem sie ihr Begehren formulieren und entdecken, und einander und sich selbst Autorität sein können. Es genügt nicht, einfach Frauen in »Männerpositionen« zu bringen, da diese Positionen nach wie vor einer männlichen Logik folgen. Wenn einfach nur die Frauenanteile erhöht werden, führt das entweder dazu, dass Frauen sich anpassen (Ingenieurin werden) oder sich nicht anpassen, dafür aber mit den Nachteilen dieser »falschen« Entscheidung leben müssen (Kindergärtnerinnen).
Der Prozess der Institutionalisierung des Feminismus muss begleitet werden vom freien Denken der Frauen, das diese Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche entlarvt und ihr etwas entgegensetzt. Dieses freie Denken muss von der Logik der bestehenden Institutionen unabhängig sein – und deshalb braucht es weiterhin Frauenorte, Räume des nicht instrumentellen, zweckfreien Austausch unter Frauen in Freiheit und Verschiedenheit.
Was aber ist die Grundlage einer solchen quasi »nicht-institutionalisierten« Frauenbewegung? Ich habe aus Anlass dieses Vortrags erstmals so systematisch über diese Frage nachgedacht und noch keine fix und fertigen Antworten, aber doch einige Ideen, die sich aus dem ergeben, was ich in dieser Hinsicht erlebt und erfahren habe.
Vieles in meinem feministischen Denken habe ich von der italienischen Philosophinnengemeinschaft »Diotima« gelernt, die sich vor ungefähr 20 Jahren gegründet hat. Hier kommen Frauen zusammen, die überwiegend an der Universität von Verona arbeiten oder studieren – also auch innerhalb einer Institution.
Auf ihrer Homepage schreiben sie über sich selbst: »Wir sind keine Gruppe, sondern einzelne Frauen, die sowohl als Einzelne wie auch gemeinsam geprägt sind von einer Geschichte der Beziehungen, angefangen bei der Beziehung zu unserer Mutter, die weitergeführt wird von der Beziehung, die uns untereinander verbindet und die Diotima heißt: ein gemeinsamer Name für Beziehungen unter Frauen, die Philosophie treiben.«
Dieser Satz »Wir sind keine Gruppe« hat mich sehr inspiriert. Hintergrund dieser Formulierung waren schmerzliche Erfahrungen, die die Diotima-Frauen mit dem Thema Autorität gemacht hatten, als sie sich anfangs noch für eine Gruppe hielten und als solche auftraten. Es stellte sich dann zum Beispiel die Frage: Wer darf eigentlich im Namen von Diotima sprechen? Können wir uns auf ein gemeinsames Programm einigen? Wählen wir offizielle Sprecherinnen?
Ein solches Herangehen ist sehr schwierig und bremst die Frauenbewegung häufig aus. Denn ihre größte Kraft und die innovativsten Ideen kamen ja meist von den Dissidentinnen, also den Frauen, die aus der Mehrheitsmeinung der Frauen gerade ausgeschert sind. Die Konflikte untereinander sind das Spannende, denn sie führen die weibliche Freiheit aus den engen Grenzen der Konventionen hinaus.
Statt äußerlicher Rahmenbedingungen einer festen Gruppe setzen die Diotimas daher auf die Beziehungen unter Frauen. »Diotima« bedeutet daher nicht: Hier sind feministische Philosophinnen mit einem gemeinsamen Programm. Sondern er bedeutet: Hier sind Philosophinnen, die ihre Inspiration aus den Beziehungen zu anderen Frauen ziehen und aus den gemeinsamen Gesprächen, und die damit die an der Universität ansonsten üblichen Maßstäbe hinter sich lassen können. Auf diese Weise kann weibliche Autorität entstehen, indem eine Frau sich befreit von dem, was sie glaubt, tun zu müssen. Sie rebelliert nicht einfach alleine gegen die Welt, in der sie sich nicht zu Hause fühlt – etwa das übliche Kurrikulum einer Universität oder die Verwaltungsverordnungen einer Kommune oder wo immer sie ist. Sondern sie holt sich Anregungen, Inspirationen, Bestärkungen und Urteile bei den Frauen, denen sie Autorität zuspricht.
Und wenn Frauen in so einem Beziehungsnetz weiblicher Autorität zuhause sind, dann haben sie viel eher die Stärke und die Kraft, Dinge zu verändern. Zum Beispiel als Professorin, als Politikerin, als Frauenbeauftragte, aber auch in jedem beliebigen anderen Arbeitsfeld. Dann nutzen sie ihren Einfluss, um eigenständig zu urteilen, die Welt zu verändern. Sie funktionieren dann nicht einfach nur im Sinne ihrer Auftraggeber, sondern sie können etwas in Bewegung setzen.
Ich erzähle Ihnen dazu noch ein Beispiel, das für mich so etwas wie das »Best-Practice« einer Frauenbeauftragten ist.
Ich bin schon häufig eingeladen worden, Vorträge zu halten bei Jubiläen von Gleichstellungsstellen. Und häufig herrscht dort eine etwas gezwungene Atmosphäre, alle möglichen offiziellen Leute aus der Stadtverwaltung und der Kommunalpolitik sind da, die Frauenbeauftragten sind meistens ganz aufgeregt, weil sie sich und ihre Arbeit hier öffentlich präsentieren müssen. Und auch wenn es keine Konflikte gibt wie die, die ich eingangs beschrieben habe, ist die Atmosphäre doch oft etwas verkrampft und angespannt und die Veranstaltungen mit ihren vielen Grußworten und so weiter gerne auch etwas langweilig.
In der Kleinstadt, von der ich jetzt erzählen möchte, ging es auch sehr formal zu. Es waren Repräsentanten und Repräsentantinnen der Gremien und Institutionen waren da, der Rahmen entsprechend festlich, und die Frauenbeauftragte, die mich eingeladen hat, war genauso nervös wie die anderen sonst. Dennoch spürte ich eine ungewöhnliche Atmosphäre, eine starke Energie, die auf das Ganze ausstrahlte. In gewisser Weise lagen hier »Beziehungen« in der Luft. So als wäre dieser öffentliche Akt angereichert von etwas anderem, von einer Kultur der Frauen, die die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem auf eine sinnstiftende Art und Weise auflöste und überschritt.
Das fing schon damit an, dass die Frauenbeauftragte in der zweiten Reihe, also hinter sich, nicht irgendwelche Offiziellen platziert hatte, sondern ihre Freundinnen, die ihr den Rücken stärken sollten. Und es war eine sehr schöne Situation, als der Bürgermeister sie alle offiziell mit Handschlag begrüßte. Später, als wir dann noch zusammen etwas trinken waren, erfuhr ich etwas genauer, welche starken Beziehungen diese Frauen hier aufgebaut hatten. So gehörten auch einige andere Frauen, die in der Stadtverwaltung arbeiteten, etwa die Presse- und Öffentlichkeitsfrau, zu diesem Beziehungsnetz. Ich habe die Frauenbeauftragte, Gisela Landesberger, später gebeten, darüber einen Artikel für unser Internetforum »beziehungsweise weiterdenken« zu schreiben, falls Sie das genauer nachlesen wollen. Jedenfalls war ihre Basis eine feministische Frauengruppe, die schon 25 Jahre bestand und die auch nicht formalisiert ist, sondern sich einfach nur regelmäßig trifft, diskutiert, Feste feiert, in Urlaub fährt. Und diese quasi »privaten« Beziehungen strahlten aber deutlich in die Stadtkultur hinein aus, wo diese Frauen, die eben in unterschiedlichen Ämtern und Funktionen sind, etwa Veranstaltungen organisieren und so weiter. Sie hatten ein Frauenzentrum und einen Frauennotruf gegründet, Vorträge veranstaltet, Theater organisiert und gleichzeitig doch ihre Beziehungen untereinander nicht als »Networking« verstanden oder als Arbeitstreffen, sondern als private, politische Freundschaften.
Womit wir es hier zu tun haben ist ein schönes Beispiel dafür, dass der alte Slogan der Frauenbewegung »Das Private ist Politisch« stimmt, den ich aber immer auch gerne ergänze durch den Umkehrschluss: »Das Politische ist – immer auch – privat.«
Ich selbst bin ja auch in verschiedenen feministischen Zusammenhängen beheimatet, und habe mit dieser Sichtweise gute Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel treffe ich mich mit einigen Frauen regelmäßig einmal im Jahr zu einer Wochenendtagung, die wir »Kultur Schaffen« nennen. Hervorgegangen ist sie aus den Diskussionen über eine feministische Flugschrift, die ich zusammen mit Dorothee Markert, Ulrike Wagener und Andrea Günter 1999 geschrieben habe. In den drei Jahren danach haben wir Tagungen veranstaltet mit Frauen, die Lust hatten, weiter über diese Flugschrift zu diskutieren, und daraus haben sich dann diese »Kulturschafferinnen« zusammengefunden, die sich seither weiterhin jährlich treffen.
Eine ganze zeitlang haben wir dort darüber diskutiert, was wir denn eigentlich sind? Sind wir eine Gruppe, eine Organisation? Sind wir Freundinnen? Irgendwie sind wir weder noch. Was also machen wir da eigentlich zusammen? Ich habe von diesen Diskussionen dann Chiara Zamboni erzählt, einer der Diotima-Gründerinnen, und sie sagte: »Ist doch klar. Ihr habt politische Beziehungen.«
Und genau diese Figur der »politischen Beziehungen« unter Frauen, die konkret sind, persönlich, nicht austauschbar, die auf dem persönlichen Begehren aller Beteiligten gründen und nicht auf gemeinsamen Zielen oder Aufgaben oder Programmen irgendeiner »Partei« – das ist meiner Meinung nach die Grundlage einer Frauenbewegung, die weibliche Autorität in der Welt möglich macht. Dieses Gespräch mit Chiara führte ich bei einer Tagung, zu der wir beide eingeladen waren, und sie sagte dort in ihrem Vortrag noch etwas, das dies anschaulich macht. Sie nahm nämlich diese Veranstaltung selbst als Beispiel dafür, wie sich die Grenze zwischen Öffentlichem und Privaten immer vermischt. Denn sie wies uns darauf hin, dass das natürlich eine öffentliche Veranstaltung war, also mit Einladungen, Presseberichten und so weiter. Dass aber die Basis dieser Veranstaltung natürlich in den persönlichen Beziehungen lag: Der Veranstalterinnen, die die Referentinnen aussuchten, die sie kannten und wertschätzten, die Themen vorschlugen, die sie mit anderen diskutiert hatten und so weiter.
Diese »Beziehungskultur«, die die Basis des öffentlichen Sprechens und Wirkens ausmacht, ist ja ansonsten häufig diskreditiert. »Vitamin B« assoziiert man mit Korruption und so weiter. Doch das ist eine falsche Einschätzung, der ich jedenfalls widersprechen würde. Es ist eine Illusion zu glauben, man könnte der Korruption abhelfen, indem man Beziehungen formalisiert und das Öffentliche »in Absehung von der Person« organisiert. Ersten ist das sowieso meistens gelogen und zweitens muss »Vitamin B« nicht korrupt sein, wenn es den Beteiligten um ein gutes Leben geht, um ihre Wünsche für eine gute Welt für alle, und nicht um ihre egoistischen Eigeninteressen. (Da sind wir wieder beim Beispiel mit dem Essen)
Nach dieser Begegnung diskutierten wir dann auch bei »Kultur schaffen« anders über uns. Anfangs hatten wir uns auch die Frage nach der Institutionalisierung von Feminismus gestellt. Viele von uns kannten nämlich traurige Beispiele davon, wie zum Beispiel eine gute Arbeit, die irgend eine Frau in einer Institution aufgebaut und etabliert hatte, relativ schnell in sich zusammenfiel, wenn diese Frau nicht mehr da war, weil sie zum Beispiel die Stelle wechselte. Wir hatten das bedauert und dachten, dass auf diese Weise es ja nie weiter gehen kann. Doch wenn es nicht das Amt als solches ist, sondern die Autorität einer Person und die konkreten Beziehungen zwischen ihr und ihren »Klientinnen«, dann kann es ja gar nicht anders sein.
Ist es denn wirklich so schlimm, wenn Dinge zu ende gehen? Oder können dann nicht gerade neue Dinge geschehen und wachsen, wenn das Begehren noch da ist? Oft ist es ja auch so, das bestimmte Dinge sich einschleifen. Das Frauenzentrum, das anfangs mit viel Elan ins Leben gerufen wird, dümpelt irgendwann nur noch vor sich hin, weil die Gründerinnen weggezogen sind oder keine Lust mehr haben, und am Ende bleibt dann ein Häuflein pflichtbewusster Frauen übrig, die unter der Last leiden. Vielleicht wäre es manchmal besser, man würde solche Projekte dann verabschieden und woanders neu beginnen.
Denn das, was bleibt, ist unser Begehren nach einer guten Welt, in der Frauen beheimatet sind, und die Beziehungen, die uns mit anderen Frauen verbinden und aus denen wir Stärke ziehen. Unser »Kultur schaffen«-Kreis ist in diesem Sinne nicht privat, sondern strahlt aus in unsere Arbeit. Vieles von dem, was ich ihnen hier erzähle, habe ich dort gelernt, und ich sage es jetzt hier öffentlich. Themen, die wir dort erarbeiten, fließen in die Veranstaltungsprogramme ein, die die eine oder andere Frau an ihrer Arbeitsstelle organisieren. Oder wir laden uns gegenseitig als Referentinnen ein oder fragen einander nach Empfehlungen, wenn wir nach einer Referentin suchen. Aber trotzdem spricht jede dann »in erster Person«, ich repräsentiere hier nicht »Kulturschaffen«, sondern nur mich selbst, ich bin frei, zu sagen und zu tun, was ich für richtig halte.
Das mag vielleicht banal klingen, ist es aber nicht. Jede von uns ist in unterschiedlichen »politischen« Beziehungen zuhause, ich zum Beispiel bin nicht nur bei »Kultur schaffen«, sondern auch auf einer Mailingliste oder jetzt in der Redaktion von »Beziehungsweise weiterdenken«. Das ist kein »Frauennetz«, denn bei »Netz« habe ich immer die Assoziation von etwas, das mich gefangen hält, und es ist mir auch zu gleich – bei einem Netz hat ja jeder Knoten gleich viele Fäden, die dort hin führen und die Löcher sind auch alle gleich groß. Wir haben stattdessen das Bild vom Knäuel gefunden: Wir haben politische Beziehungen zueinander, und die knäueln sich dann mal hier und mal da zusammen. Dann schreiben einige zusammen ein Buch oder andere organisieren eine Veranstaltung. Ich bin nicht verpflichtet, bei allen Aktivitäten mitzumachen, sondern ich kann meinem Begehren folgen. Und es können neue Frauen hinzukommen, ohne dass sie gleich eine Mitgliedschaftserklärung unterschreiben müssen. Das Ganze ist eine dynamische Bewegung, in der Freiheit und Bezogenheit zusammenkommen. Und jede von uns spricht für sich selbst, niemand repräsentiert die andere, wir sind frei, aber unter uns zirkuliert Autorität, die wir uns gegenseitig geben, immer wieder neu, und immer wieder offen für neue Anfänge, aber auch bereit, Projekte – und auch Beziehungen – enden zu lassen, wenn unser Begehren sich anderen Orten zuwendet.
Dass das nicht immer konfliktfrei und ohne Trauer geht, versteht sich von selbst, aber diese Konflikte und diese Trauer sind kein Scheitern, sondern einfach Teil des Lebens. Eine Politik, die sich nicht auf Institutionen und Organisationen stützt, steht immer vor dem Problem, dass das Begehren, das sie lebendig macht, auch versiegen kann.
Deshalb haben wir einem unserer Bücher auch den Titel »Sich in Beziehung setzen, für ein Weltbild der Freiheit in Bezogenheit« gegeben. Es geht nicht einfach nur darum, Beziehungen zu stärken und anstelle von Institutionen zu setzen, sondern darum, die Welt als »Bezogenheit« zu denken, und damit auf eine Realität hindeuten, die aus der Perspektive der Institutionen unsichtbar ist, ohne die aber nichts funktionieren würde. Bezogenheit sozusagen als Denkhorizont, der auch die Möglichkeit beinhaltet, dass Beziehungen scheitern oder nicht vorhanden sind, was dann zu einem Fehlen oder einem Mangel auch in den Institutionen führt.
Auch dieses Buch war ein Projekt aus so einem »Knäuel« heraus. Ina Praetorius hatte die Idee dazu, denn sie ist im Herausgeberkreis einer theologischen Zeitschrift und wollte als solche ein Themenheft dafür betreuen. Sie hat dann andere Frauen gefragt, ob sie mitmachen und Artikel schreiben wollten, die sich teilweise kannten, teilweise auch nicht. Manche haben reagiert und einen Beitrag zugesagt, andere nicht, je nachdem. Irgendwann haben wir uns dann mal getroffen, und eine fragte plötzlich: »Wieso bin ich eigentlich hierher gekommen?« Und sie stellte damit die Frage nach der Funktion: Was hatte sie qualifiziert, Autorin zu werden? Welches Amt, welcher Posten, nach welchen Kriterien war sie ausgesucht worden? Eine antwortete dann spontan: »Dein Begehren hat dich hier hergeführt«. Das Begehren, das nämlich bewirkt hat, dass sie sich auf Inas Anfrage hin tatsächlich beteiligt hat. Ich brauche kein Amt, ich kann auch einfach nur als Ich politisch wirkungsvoll sein. Das ist natürlich irritierend. Kürzlich sprach ich bei einem größeren Kongress zum Thema demografischer Wandel, eingeladen von einer Frau, die dort mit vorbereitet hat und mein Buch gelesen hatte. Hinterher kam dann eine Frau aus dem Publikum zu mir und sagte, sie hätte sich mit anderen Frauen die Frage gestellt und traute sich jetzt, sie mir zu stellen: Wer ich denn überhaupt sei? Offenbar dachte sie, so einen Vortrag darf nur halten, wer sich durch irgend ein Amt oder eine Funktion auszeichnet. Was hier aber in meinem Vortrag öffentlich sichtbar wurde, das war keine institutionalisierte Sache, sondern die Beziehung zwischen meinem »Knäuel«, das Methusalems Mütter hervorgebracht hatte, und einer Frau, die sich mit diesem Knäuel in Verbindung gesetzt hatte, aufgrund ihres Begehrens.
Im Übrigen haben wir in Buch »Sich in Beziehung setzen« dann versucht, diese politische Praxis der Beziehungen wieder öffentlich zu zeigen, indem wir uns in den verschiedenen Artikeln aufeinander bezogen. Wir haben zum Beispiel die Praxis erfunden, einander Fußnoten zu schenken, wenn uns beim Lesen der Texte der anderen noch Ideen oder Anmerkungen in den Sinn kamen. Viele Autorinnen erzählen auch von den Beziehungen und Projekten, aus denen heraus ihre theoretischen Einsichten entstanden sind. Das war ein sehr spannendes Projekt, aber natürlich macht man sich mit einer solchen Vorgehensweise nicht nur Freunde. Sie stellt die herrschenden symbolische Ordnung in Frage und verstößt gegen Regeln. So hat die theologische Zeitschrift, für die Ina das Buch geplant hatte, es abgelehnt, die anderen Herausgeber fanden unsere Texte zu »unwissenschaftlich«. Das ist natürlich auch schmerzhaft und traurig gewesen, vor allem für Ina, aber solche Konflikte gehören zum Leben dazu. Durch dieses Netz der Beziehungen war es aber nur ein Konflikt zwischen verschiedenen Ansichten über das, was »wissenschaftlich« ist, Ina hat durch diese Ablehnung nicht sich selbst grundsätzlich in Frage gestellt gesehen. Wir können nun nicht davon ausgehen, dass die Welt auf unsere Begehren gewartet hat und uns mit offenen Armen empfängt. Aber wenn weibliche Autorität in der Welt ist und wir uns damit in Beziehung setzen, dann können sich unsere Projekte auch andere Wege bahnen – in diesem Fall haben wir das Buch dann eben im Ulrike Helmer Verlag herausgebracht und Ina berichtet im Nachwort über diesen Konflikt. Nicht um »die Männer« oder »die böse Welt« anzuklagen, sondern um diese Differenz öffentlich zu machen: Das, was ihr für normal haltet, ist für uns nicht normal. Für uns ist etwas anderes normal. Und auf diese Weise können andere an unseren Erfahrungen wachsen und sie weiter entwickeln.
Die Politik der Beziehungen ermöglicht es uns, zusammen zu sein, ohne uns einigen zu müssen. Sich zugehörig zu fühlen, ohne unfrei zu werden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für Ihr Frauenforum noch viele interessante, kontroverse Diskussionen und Debatten, in denen die unterschiedlichen Erfahrungen, Voraussetzungen und Wünsche, die Sie hier alle mitbringen, fruchtbar werden.
Vortrag am 31.10.2008 im Kreishaus Herford