Ein paar Gedanken zu Facebook
Diesen Text schrieb ich im Auftrag der anarchistischen Monatzszeitung Graswurzelrevolution, die in ihrer Ausgabe 399 (Mai 2015) einen Schwerpunkt »Big Brother« hatte. Dort konnte der Text aber nicht erscheinen, weil eine Person aus dem Herausgeberkreis ein Veto eingelegt hatte (Der Text sei zu Facebook-freundlich). Deshalb steht er nun hier.
Zurzeit erprobt Facebook in Sambia einen neuen Weg, um Nutzerinnen und Nutzer an sich zu binden – wer dort einen Handyvertrag mit einem bestimmten Anbieter abschließt, bekommt einen Teil des Internet gratis dazu, nämlich Facebook selbst, Google, Wikipedia und noch einige Serviceseiten wie Wetterdienst, Jobbörse, Seiten zur rechtlichen Situation von Frauen oder Gesundheitsinformationen. Für viele Menschen, die sich teure Datentarife nicht leisten können, ist das natürlich ein riesiger Vorteil: Sie können jetzt wenigstens einen Teil des Internets nutzen. Datenkosten fallen für sie nur an, wenn sie auf einen Link klicken, der aus dem Facebook-Google-Kosmos herausführt.
Das Projekt unter dem Namen internet.org, so hat Facebook angekündigt, soll möglichst bald auf weitere Länder Afrikas oder Asiens ausgedehnt werden. Gleichzeitig will Facebook in schwer zugänglichen Gebieten selbst Internet-Anschlüsse über Antennen auf Drohnen anbieten. Schließlich können auf diese Weise Milliarden neuer Nutzerinnen und Nutzer gewonnen werden: Bisher haben nur zwei Drittel der Weltbevölkerung Zugang zum Internet. Da geht also noch was.
„The more we connect, the better it gets“ ist der Slogan, unter dem Facebook diese Initiative vorantreibt – und er bringt die Dynamik ziemlich genau auf den Punkt. Denn natürlich wird es in erster Linie für Facebook selbst besser, das seine Vormachtstellung auf diese Weise weiter ausbaut. Aber dennoch stimmt es, dass es auch für viele Menschen besser wird. Denn für sie wäre die Alternative schlicht, gar kein Internet zu haben, also von Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten abgeschnitten zu sein, die gleichzeitig doch immer wichtiger werden.
Bei der kontroversen Diskussion über die Frage, ob es okay, sinnvoll, dringend geboten oder gänzlich des Teufels ist, Facebook zu nutzen, wird häufig betont, die Plattform sei ja nur scheinbar gratis, in Wirklichkeit „bezahlen wir mit unseren Daten“. Da ist natürlich was dran, allerdings ist es eben nicht dasselbe, ob man mit Daten bezahlt oder mit Geld. Speziell nicht aus der Perspektive derer, die kein Geld haben. Nicht nur in Ländern wie Sambia gilt: Daten haben alle, Geld nicht. Natürlich ist Facebook kein Wohltätigkeitsverein, aber es zieht den Leuten die gewünschten Informationen ja auch nicht mit bösen Tricks aus der Tasche, sondern bietet eine reale Gegenleistung: technologische Tools, die dabei helfen, sich mit anderen Menschen zu vernetzen, über große Entfernungen zu kommunizieren, Informationen zu bekommen, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen und persönliche Kontakte zu pflegen und zu organisieren.
Im Prinzip übernimmt Facebook faktisch etwas, das eigentlich die Aufgabe von Staaten oder Gesellschaften wäre, nämlich möglichst vielen Menschen einen Zugang zu wichtiger Infrastruktur zu geben. Andere Internetkonzerne sind auf ganz ähnlichen Pfaden unterwegs. So machen Amazon oder Google Texte aller Art verfügbar, zum Beispiel indem sie kostenlose Digitalversionen von Büchern anbieten, bei denen das Urheberrecht abgelaufen ist. Das ist natürlich besonders toll für Menschen, die nicht das Geld haben, sich Bücher zu kaufen.
Es ist kein Zufall, dass die Diskussion darüber, ob man zu Facebook gehen soll oder nicht, überwiegend im bürgerlichen Mittelstand geführt wird. Die marginalisierten Bevölkerungsgruppen sind praktisch alle dort. Migrantinnen und Migranten sowieso, weil es die Kommunikation mit Menschen aus ihren Herkunftsländern sehr vereinfacht oder überhaupt erst ermöglicht – die Alternative, „virtuell“ zu kommunizieren oder „in echt“ haben ja nur die, die ihr persönliches Umfeld in räumlicher Nähe haben, was angesichts der durch ökonomische Zwänge entstandenen Migrationsströme heutzutage ein echtes Privileg ist. Und auch Menschen mit wenig Geld und wenig Bildungsressourcen zerbrechen sich verständlicherweise nicht groß den Kopf darüber, ob sie ein Angebot nutzen sollen, das ihnen viele handfeste Vorteile bringt und nichts kostet. Selbstverständlich sind sie auf Facebook.
Das kann man für dumm halten, aber es ist vollkommen rational. Politischer Ansatzpunkt wäre hier nicht die „Datenkrake Facebook“ – ein klares antisemitisches Bild übrigens, das gerne auch mal auf den jüdischen Firmeneigner Mark Zuckerberg zugespitzt wird, so wie voriges Jahr in einer Karikatur der Süddeutschen Zeitung, die Zuckerberg mit Hakennase und Schillerlöckchen als Krakenkopf mit Weltherrschaftsambitionen darstellte. Ansatzpunkt der Kritik müssten vielmehr politische und gesellschaftliche Akteure und Akteurinnen sein, die das Bemühen, eine allgemein zugängliche Infrastruktur für Kommunikation und Wissenszugänge zu schaffen, längst aufgegeben haben: Bibliotheken, Museen und Universitäten werden ja nicht zugänglicher und niedrigschwelliger, im Gegenteil, man spart ihnen das Geld unter dem Hintern weg. Wer sie nutzen will, muss zahlen, und zwar nicht bloß mit Daten sondern in barer Münze. Im Zuge der gegenwärtigen Austeritätspolitik ist diesbezüglich leider auch kein Umschwung zu erwarten.
Dass Facebook und andere Internet-Quasi-Monopolisten auch an anderer Stelle inzwischen Aufgaben übernehmen, die ursprünglich in den staatlichen Aufgabenbereich fallen, hat Michael Seemann in seinem Buch „Das neue Spiel“ beschrieben. Zum Beispiel bietet Facebook Identifikations-Zertifikate an: Viele Internetanbieter „sourcen“ die Authentifizierung ihrer Nutzerinnen und Nutzer an Facebook oder Google aus. Auch hier füllen Facebook und Google einen Bedarf, der durch das Unvermögen der Staaten entstanden ist: Diese pflegen immer noch ihre nationale Zersplitterung, während es faktisch längst notwendig ist, global zu agieren.
Zwar legt Facebook momentan die Aufmerksamkeit ganz besonders auf Regionen und Bevölkerungsgruppen, die bislang vom Internet (und anderen Informationstechnologien) ausgeschlossen sind, aber auch die bildungsbürgerlichen Märkte behält es weiter im Auge im Auge. Eine andere Meldung dieser Tage war, dass Facebook mit verschiedenen Verlagshäusern darüber verhandelt, dass diese ihre Inhalte nicht mehr auf eigenen Seiten hosten, sondern direkt auf der Plattform. Im Gegenzug sollen sie an den darüber generierten Werbeeinnahmen beteiligt werden und ihre Reichweite steigern. Denn das Aufrufen externer Links dauert häufig zu lange für die Ungeduld der Leute: Durchschnittlich braucht eine Seite auf dem Smartphone acht Sekunden zum Laden, das ist den meisten zu lang und sie brechen vorher ab. Schon jetzt spielt Facebook zum Beispiel Videos, die direkt auf der Plattform gepostet werden, sofort ab, wenn sie auf den Bildschirm kommen. Videos, auf die nur verlinkt wird, müssen hingegen erst einmal geladen werden – was die Wahrscheinlichkeit, dass Leute sie sich anschauen, signifikant senkt.
Facebooks Sogwirkung ist also sehr groß, und gegen den Strom zu schwimmen wird deshalb immer schwieriger. Die taz zum Beispiel hat 2014 einen starken Anstieg der Zugriffe vermeldet, die über Facebook auf ihr Online-Angebot kommen: 28 Prozent waren es, im Vergleich zu nur 6 Prozent im Jahr zuvor. Die großen Internetplayer sind längst die neuen „Gatekeeper“ im Datenverkehr geworden. Speziell Facebook entwickelt sich unaufhaltsam zum wichtigsten Umschlagplatz für Informationsverbreitung: Wer nicht dort ist, hat immer weniger Chancen, überhaupt noch wahrgenommen zu werden.
Angesichts dieser Entwicklung ist es keine sinnvolle politische Strategie mehr, Facebook zu boykottieren. Das bedeutet nicht, dass jetzt „alle zu Facebook“ müssen. Je nachdem, welche Interessen man persönlich hat, was man arbeitet und mit wem man kommunizieren möchte, lässt es sich für viele auch heute und in Zukunft sehr gut ohne Facebook leben. Aber zu glauben, dass solch ein Boykott irgendjemanden interessiert oder irgendetwas bewirkt, ist unrealistisch. Und da es im Zeitalter von „Big Data“ ohnehin nicht mehr auf die individuellen Daten ankommt, sondern auf die Schlüsse, die aus riesigen Datenmengen gezogen werden können, ist es Facebook und Co. nicht nur total egal, ob einige Aktivistinnen und Aktivisten es aus politischen Gründen boykottieren. „Draußen“ zu bleiben ist auch längst kein zuverlässiger Schutz mehr für die „eigenen“ Daten – „die“ wissen trotzdem unglaublich viel über jede einzelne von uns.
Die politisch relevante Frage ist also nicht, ob wir als Einzelne bei Facebook, Google, Amazon und Co. mitmachen oder nicht, sondern auf welche Weise wir das tun und wofür wir uns politisch einsetzen, wo wir unsere Energie einsetzen. Und da bieten sich ja zahlreiche Aktionsfelder an:
Es braucht politische Regeln und Vorgaben, die die großen Internet-Monopolisten zu Transparenz verpflichten und sie einer politischen Kontrolle unterwerfen. Denn wenn die Präsenz auf Facebook und Co. immer wichtiger wird für Partizipation und Teilhabe, muss nachvollziehbar und kontrollierbar sein, nach welchen Maßstäben zum Beispiel Accounts oder Posts gelöscht werden.
Wir brauchen Netzneutralität, also eine Infrastruktur, die die Vormachtstellung der großen Player nicht dadurch unnötig vergrößert, dass zum Beispiel die Übertragungsgeschwindigkeit ihrer Seiten schneller ist als die kleinerer und unabhängiger Seitenbetreiber_innen.
Wir müssen die Macht der Geheimdienste eindämmen, die nämlich in Punkto „Datenkrakentum“ viel gefährlicher sind als Facebook und Co. – der Staat kann mich ins Gefängnis werfen, Facebook nicht. Deshalb muss zum Beispiel verhindert werden, dass Geheimdienste Facebook, Google und Co. dazu zwingen können, Informationen über ihre User herauszugeben.
Wir müssen kulturelles Wissen darüber schaffen, wie gesellschaftliche Prozesse in Zeiten von Internet und Sozialen Medien ablaufen und wie wir sie freiheitlich gestalten können. Viele dieser grassierenden Dynamiken – wie Hate-Speech, Beleidigungen, Gewaltandrohungen gegenüber Minderheiten – sind gefährlich, weil sie Menschen bedrohen und sie effektiv vom politischen Diskurs ausschließen. Die Lösung dieser Probleme können wir nicht den Plattformen selbst überlassen.
Vor allem aber müssen wir weiter für mehr soziale und materielle Gleichheit in unseren Gesellschaften kämpfen. Denn ob eine Technologie menschenfeindlich oder menschenfreundlich eingesetzt wird, entscheidet sich nicht an der Technologie selbst. Sondern an den sozialen Dynamiken: Je mehr eine Gesellschaft von Ungleichheit und Herrschaftsverhältnissen geprägt ist, desto mehr werden die ihr zur Verfügung stehenden Technologien zur Stabilisierung dieser Verhältnisse eingesetzt – und eben nicht dafür, allen einen Nutzen zu bringen.