Es geht nicht um Fraueninteressen, sondenr um Ideen und Vorschläge von Frauen für die Welt
Interview in: Der Blaustrumpf, Sonderausgabe August 2018
Frau Dr. Schrupp, 2018 haben evangelische Frauen in Bayern gleich mehrfach die Wahl. Wie kann es Ihrer Ansicht nach gegenwärtig und zukünftig gelingen, dass das, was Frauen zu sagen haben, aus echtem Interesse in Politik und Kirche gehört wird?
Viele denken noch immer, dass feministische Positionen in erster Linie damit zu tun hätten, die Situation von Frauen zu verbessern oder Diskriminierungen abzubauen. Deshalb glauben viele Männer, feministische Debatten gingen sie nichts an oder beträfen sie nicht. In Wirklichkeit geht es aber nicht so sehr um das Verhältnis von Frauen und Männern, sondern um das Verhältnis von Frauen zur Welt. Ausgehend von den eigenen Erfahrungen und im Nachdenken darüber, wie Geschlechterdifferenzen die Welt beeinflussen, haben Frauen viele gesellschaftliche und politische Erkenntnisse gewonnen, die in eher männlich dominierten Kontexten fehlten. Man denke, als ein Beispiel, nur an den ganzen Komplex der „Care-Arbeit“. Diesen Punkt, dass es uns um die Welt geht und nicht bloß um „die Situation der Frauen“, müssen wir immer wieder vermitteln. Die Zeit dafür ist gut, weil es heute ja immer deutlicher wird, dass die traditionellen männlichen Analysen und Ideen, die den Aspekt der Geschlechterdifferenz missachten, in vielen Fällen schlicht nicht mehr funktionieren. Es gibt einen großen und dringenden Bedarf an anderen Ideen und Vorschlägen.
Frauen haben aufgrund ihres Frauenseins nicht unbedingt auch gemeinsame Interessen. Ist der Definitionsanspruch vieler Frauenorganisationen und -verbände für Fraueninteressen eintreten zu wollen überholt? Lassen sich Fraueninteressen heute Ihrer Ansicht nach überhaupt noch organisieren?
Ja, das hängt ja mit dem ersten Punkt zusammen: Es geht nicht um Fraueninteressen, sondern um die Ideen und Vorschläge von Frauen für die Welt. Und da Frauen politische Menschen sind und Politik, wie wir von Hannah Arendt wissen, wesentlich pluralistisch ist, gibt es eben nicht „die eine Frauenmeinung“. Der Feminismus ist als vielfältige und teilweise gegensätzliche und streitende Bewegung viel stärker als jeder „Frauen-Lobbyismus“. Es geht darum, den Diskurs auf die für uns wichtigen Themen zu verschieben, und nicht darum, bestimmte Inhalte durchzusetzen. Zum Beispiel haben verschiedene Frauen und feministische Richtungen sehr unterschiedliche Vorschläge dafür, wie Care-Arbeit in Zukunft organisiert werden soll. Die einen sind für ein Bedingungsloses Grundeinkommen, die anderen dagegen, die einen wollen Hausarbeit bezahlen, die anderen nicht und so weiter. Aber es gibt wohl kaum eine Feministin, die glaubt – so wie viele männliche Ökonomen es tun – dass Care-Arbeit eher nebensächlich sei. Von daher finde ich in der Tat problematisch, wenn Organisationen oder auch Personen beanspruchen, „im Namen der Frauen“ zu sprechen. Es ist aber natürlich möglich, die Interessen bestimmter Frauen zu vertreten, auch in Form von Organisationen, zum Beispiel die von Verkäuferinnen oder von Sexarbeiterinnen oder von migrantischen Pflegekräften. Aber dann ist das Frausein eben nicht das alleinige und maßgebliche Kriterium, weshalb sie sich zusammenschließen.
Sich »antifeministisch« zu positionieren und gegen Gender- und Gleichstellungspolitiken zu polemisieren, scheint für einige Menschen im gesellschaftspolitischen, aber auch im kirchlichen Bereich derzeit ein Weg zu sein, um Normierungen und Gewissheiten zu erhalten. Wie beurteilen Sie diese aktuellen Entwicklungen?
Der stärker werdende Rechtspopulismus und Nationalismus ist die große Gefahr unserer Zeit, zumal es ein globales Phänomen ist. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass neben „dem Islam“ oder „den Flüchtlingen“ speziell der Feminismus und die Frauenbewegung dabei als Feindbild dienen. Wer ein glaubwürdiger Rechter sein will, muss gegen Feminismus sein, das ist so eine Art Markenzeichen geworden. Und nicht ohne Grund, denn tatsächlich ist ja die Frauenbewegung derzeit die einzige soziale Bewegung, die sich wirkungsvoll gegen diesen Trend stellt. Und zwar auch das in einem globalen Maßstab, man denke nur an die riesigen Frauen-Demos in Polen, in den USA, aber auch in der Türkei. Die westlichen Gesellschaften haben sich mit ihrem entfesselten Neoliberalismus in eine Sackgasse manövriert. Es wird immer klarer, dass es so wie bisher nicht weiter gehen kann. Und momentan konkurrieren zwei Wege um eine mögliche Alternative: der rechtsnational-autoritäre und der feministische. Die Frauenbewegung ist heute das Dach, unter dem sich diejenigen versammeln, die sich gegen den Rechtsruck stellen wollen. Das musste etwa Harvey Weinstein merken. In der Vergangenheit konnte er als Linksliberaler auftreten, obwohl alle wussten, dass er ein Sexist ist. Das schloss sich nicht gegenseitig aus. Heute geht das nicht mehr, denn wie jemand zur weiblichen Freiheit und zum Feminismus steht, ist eben keine Nebensächlichkeit, kein Detail mehr. Es ist der Kern dessen, wofür und auf welcher Seite jemand in diesen Auseinandersetzungen steht.
Fragen: Dr. Andrea König