Goldman, Emma
Russisch-amerikanische Anarchistin
* 27.6.1869 in Kaunas/Litauen (damals Russisches Reich)
† 14.5.1940 in Toronto/Kanada
Emma Goldman war eine der führenden anarchistischen Denkerinnen und Aktivistinnen. Wegen ihrer Reden gegen Militarismus, für Meinungsfreiheit und Geburtenkontrolle wurde sie von den USA als Staatsfeindin eingestuft und 1919 nach Russland deportiert. Enttäuscht von der diktatorischen Entwicklung der bolschewistischen Revolution verließ sie Sowjetrussland aber schon bald wieder und führte ihren Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft im Exil weiter.
In Amerika
Im Alter von 16 Jahren wanderte Emma Goldman mit ihren Eltern angesichts des wachsenden Antisemitismus in Russland in die USA aus. Schon bald löste sie sich aus der Enge der orthodoxen-jüdischen Gemeinde und ging nach New York, wo sie als Näherin und Krankenschwester arbeitete. Sie fand Zugang zu deutschen und russischen Emigrantenkreisen, lernte sozialistische Theorien kennen und wurde Anarchistin. 1889 lernte sie den militanten russischen Anarchisten Alexander Berkman kennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verband. 1892 verübte Berkman einen Mordanschlag auf den Industriellen Henry Clay Frick und wurde zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. Goldman warb in Vorträgen und Veröffentlichungen um Verständnis für Berkmans Tat. Ihr großes Redetalent und ihre persönliche Ausstrahlung machte sie in den folgenden Jahren zur bekanntesten anarchistischen Rednerin des Landes. Zunehmend bezweifelte sie zwar den Sinn gewalttätiger Anschläge im Namen des Anarchismus, sah die Verantwortung für solche Eskalationen jedoch in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Ihre Themen, die sie auf unzähligen Vortragsreisen durch sämtliche Bundesstaaten vortrug, waren der Kampf für die Redefreiheit, für die damals illegale Geburtenkontrolle, für sexuelle Freiheit, gegen Nationalismus und kapitalistische Ausbeutung, ab 1914 auch gegen Militarismus und den Kriegseintritt der USA. Ab 1906 gab sie das anarchistische Magazin »Mother Earth« heraus, an dem auch Alexander Berkman nach seiner vorzeitigen Haftentlassung mitarbeitete. 1917 wurden beide wegen ihrer politischen Aktivitäten verhaftet und 1919 nach Russland abgeschoben.
Nach der Deportation
Obwohl anfangs begeistert vom revolutionären Russland, waren Goldman und Berkman schon bald desillusioniert von den diktatorischen Tendenzen der Bolschewisten. Empört war Goldman insbesondere von der Einschränkung der Redefreiheit, für die sie ihr ganzes Leben gekämpft hatte, sowie von der Verfolgung der russischen Anarchisten. 1921 verließ sie zusammen mit Bergman die Sowjetunion. Bereits 1922 erschien Goldmans Buch »Niedergang der russischen Revolution«, in dem sie ihre Erfahrungen schilderte und versuchte, die anarchistischen und sozialistischen Gruppierungen Europas auf die Verbrechen der Bolschewisten aufmerksam zu machen. Das brachte ihr scharfe Kritik von vielen Linken ein, die darin einen Verrat an der Revolution sahen und Goldman eine Abkehr von ihren radikalen Überzeugungen unterstellten. Zunehmend desillusioniert lebte Goldman nun abwechselnd in England, Frankreich und Kanada, da ihr eine Rückkehr in die USA nach wie vor verwehrt blieb, und hielt mit mäßigem Erfolg weiter Vorträge. Ende der zwanziger Jahre schrieb sie ihre ausführliche, dreibändige Autobiografie »Gelebtes Leben«. 1936 ging sie nach Spanien, um den dortigen Kampf gegen das faschistische Regime Francos zu unterstützen, war aber auch hier bald entsetzt über den Verrat der kommunistischen Gruppen an der mehrheitlich anarchistischen Widerstandsbewegung. Sie starb im kanadischen Exil nach einem Schlaganfall.
Werk
Anarchismus, also »Herrschaftsfreiheit«, war für Emma Goldman nicht nur eine Theorie, sondern bedeutete immer auch persönliche und soziale Freiheit. Bei allen gesellschaftspolitischen Themen ging es ihr daher auch um eine veränderte persönliche Lebenspraxis. Trotz aller Solidarität mit den linken, sozialrevolutionären Bewegungen war Emma Goldman niemals bereit, Sachzwänge als Legitimation für Verbrechen zu akzeptieren. Anders als für die meisten ihrer männlichen Mitstreiter waren das Verhältnis der Geschlechter, die materielle und sexuelle Selbstbestimmung der Frauen für Goldman wesentliche Voraussetzungen jeder freien Gesellschaft. Bis ins hohe Alter hinein unterhielt sie immer wieder teilweise lange andauernde Liebesbeziehungen mit wesentlich jüngeren Männern.
Biografie: C. Falk: Liebe und Anarchie und Emma Goldman, Berlin 1987
Zitat: »Ich fordere Freiheit und das Recht auf Selbstentfaltung, das Recht eines jeden Individuums, Schönes und Sinnvolles zu tun« (Emma Goldman)
in: Harenberg-Lexikon. Das Buch der 1000 Frauen, Meyers Lexikonverlag 2004.