Eine ideale Arbeitswoche
In: Der Freitag, 23.5.2013
(dies ist meine, noch unredigierte Fassung)
Der Montag fängt gut an: mit Regen. Ich muss nämlich einen Text fertig schreiben, den ich bis morgen früh zugesagt habe, und nichts finde ich schlimmer, als bei schönstem Sonnenschein am Schreibtisch zu hocken. Eigentlich arbeite ich nicht gerne so auf den letzten Drücker, denn je näher eine Deadline rückt, desto unflexibler macht mich das. Ich muss dann, ob ich will oder nicht, etwas Bestimmtes tun. Viel lieber passe ich den Moment ab, wo ich Lust auf eine bestimmte Arbeit habe.
Weil ich mich bei prasselndem Regen so schön an meinem Schreibtisch eingerichtet habe und auch mittags um zwölf – der Text ist inzwischen fertig – immer noch im Nachthemd bin, beschließe ich, das Haus heute gar nicht mehr zu verlassen. Stattdessen koche ich mir noch einen Kaffee, esse ein übriggebliebenes Croissant von gestern und logge mich in meine Büromails ein. Ich habe zusätzlich zu meinem Dasein als Freiberuflerin noch einen Bürojob von zwanzig Wochenstunden, aber zum Glück muss ich nicht immer vor Ort sein. Ich beantworte die aufgelaufenen Mails und sehe, dass ein paar Leute versucht haben, mich anzurufen. Ich rufe zurück, allerdings nur diejenigen, die es mehrfach probiert haben. Von den einmaligen Telefonaten haben sich 99 Prozent zu dem Zeitpunkt, wo man zurückruft, eh schon erledigt.
Am frühen Nachmittag wird der Sog des Bettes immer größer, fünf Stunden konzentrierten Durcharbeitens haben mich müde gemacht. Bevor ich mich hinlege, stecke ich aber noch eine Portion dreckige Wäsche in die Maschine. Ich spiele eine Runde Angry Birds und unternehme dann einen Streifzug zu Twitter, Facebook und zum Feedreader: Viele interessante Links, ich denke über dieses und jenes nach, Ideen fangen an, in meinem Kopf zu kreisen.
Darüber nicke ich ein, bis das Telefon klingelt. Eine Veranstalterin, die mich für übermorgen zu einem Vortrag eingeladen hat, will letzte Details besprechen. Bei der Gelegenheit fallen mir ein paar Dinge ein, die ich dort noch sagen könnte. Ich notiere sie auf Karteikarten und sortiere sie zwischen die anderen Karten, aus denen sich der Vortrag zusammensetzt.
Inzwischen ist die Wäsche fertig, ich hänge sie auf und werfe dann einen Blick in den Kühlschrank. Nach kurzer Kalkulation der vorhandenen Lebensmittel beschließe ich, zu kochen, und schreibe das per SMS Mitbewohner und Nachbarinnen. Vielleicht wollen sie ja mitessen. Während der Auflauf im Ofen köchelt, gehe ich nochmal an den Schreibtisch. Ein längerer Text, den ich zugesagt habe, liegt mir ziemlich schwer im Magen. Ich öffne die Datei, merke aber, dass das heute nichts wird. Deadline ist zum Glück erst in drei Wochen. Die Zeit, bis der Timer am Ofen piepst, vertreibe ich mir mit der Buchung meines Bahntickets.
Nach dem Abendessen sehen wir ein paar Folgen unserer aktuellen Serie, gegen elf verschwinden die anderen ins Bett. Ich kehre zurück an den Schreibtisch und schreibe die Gedanken auf, die seit dem Mittag in meinem Kopf kreisen. Um eins habe ich sie auf mein Blog geschoben und gehe dann auch ins Bett.
Der Dienstag beginnt schlecht, ich habe Kopfschmerzen, vermutlich vom dritten Glas Rotwein. Zum Glück muss ich nicht darüber nachdenken, ob ich mich „krankmelde“ oder trotzdem ins Büro schleppe. Ganz krank oder ganz gesund bin ich sowieso fast nie, meistens habe ich irgendeine Schnittmenge von Gesundheiten und Krankheiten. Ich vermute, das geht allen so.
Heute bleibe ich erstmal im Bett, checke meine Mails, die eigenen und die vom Bürojob, und moderiere die Kommentare vom gestrigen Blogpost. Am späten Vormittag stehe ich doch noch auf, denn ich will zum Mittagessen in die Kantine. Dienstags ist nämlich eine meiner Lieblingskolleginnen dort, und wir tauschen den neuesten Tratsch aus. Anschließend suche ich einen Kollegen auf, mit dem ich etwas besprechen muss, das per Mail oder Telefon zu kompliziert wäre.
Da mein Dröhnkopf immer noch nicht besser geworden ist, erledige nur noch ein bisschen Orgakram. Eigentlich wäre da noch ein Stapel Texte zu redigieren, aber ich verschiebe das auf die Zugfahrt morgen. Zugfahrten sind ja fabelhafte Gelegenheiten für konzentriertes Arbeiten, schließlich ist man da mehr oder weniger am Platz festgeklebt. Als ich am Nachmittag nach Hause komme, fahre ich den Computer gar nicht mehr hoch. Ich weiß, dass da heute nichts bei rauskommt. Stattdessen packe ich mein Übernachtungsköfferchen für morgen, räume ein bisschen die Küche auf und gehe früh schlafen.
Früher haben mich solche „unproduktiven“ Tage immer unzufrieden gemacht, weil so vieles unerledigt blieb. Inzwischen denke ich, dass das Konzept des „Unerledigten“ ein Phänomen der alten industriellen Arbeitsstrukturen ist: Um fünf Uhr fiel der Hammer, und weitere eingehende Anliegen hatten bis zum nächsten Morgen um Neun zu warten. Sie sammelten sich an, auf unerledigten Aktenbergen zum Beispiel. Aber von der ungeheuren Fülle der Dinge im Universum, die auf ihre „Erledigung“ warten, schaffe ich sowieso immer nur einen winzigen Bruchteil. Ein lascher Tag bringt da gar nichts aus dem Gleichgewicht.
Am nächsten Tag ist auch alles wieder gut, sogar noch besser: Es ist warm und die Sonne scheint. Ich packe meinen E-Book-Reader ein und schwinge mich aufs Fahrrad. Nach einer Stunde kräftigem Strampeln durch den Wald komme ich an meine Lieblingsbank und lese ein paar Texte, die ich in letzter Zeit unter „Solltest du mal lesen“ abgespeichert hatte. Gegen Mittag bin ich wieder zuhause, stelle mich unter die Dusche und überlege, was ich zu meinem Vortrag wohl anziehen soll. Das empfinde ich übrigens auch als Arbeit, sogar als unangenehme.
Mein Zug fährt um halb drei, erst um sechs bin ich in der Stadt, wo ich am Abend vortragen soll. Das sind drei Stunden Zeit für konzentriertes Redigieren, und als ich ankomme, ist mein Stapel fast abgearbeitet. Nach dem Vortrag lädt mich die Veranstalterin in einer kleinen Runde zum Essen ein. Wir lästern über den aktuellen Stand der Politik, tauschen Beobachtungen aus, schmieden Ideen für zukünftige Projekte und haben Spaß.
War das jetzt Arbeit oder Freizeit? Die Unterscheidung wird für mich immer obsoleter. Mir kommt ein Vergleich für meine Art zu „arbeiten“ in den Kopf: die Hausfrau. Auch die hatte keine geregelten Arbeitszeiten, sondern war rund um die Uhr im Einsatz. Auch ihre Arbeit hörte niemals auf, irgendetwas gab es immer zu tun. Aber trotzdem war sie nicht völlig überarbeitet. Wie hat sie das hingekriegt?
Vielleicht verläuft die Grenze gar nicht zwischen „Arbeit“ und „Freizeit“, sondern zwischen „Tätigsein in der Welt“ und „Zurückgezogenheit von der Welt“. Die Welt ist ja immer da und bietet unendlich viele Gelegenheiten, etwas Nützliches oder Notwendiges zu tun. Aber ich bin nicht ständig aktiv. Ich bin manchmal einfach „offline“. Weil das Wetter schön ist, weil ich Kopfschmerzen habe, weil eine alte Freundin zu Besuch kommt, weil ich mit einem Kind spiele oder weil ich bloß grade keine Lust habe und auch nichts Dringendes anliegt. Dann ist die Welt natürlich trotzdem da, und ich verpasse für eine Weile, was dort geschieht. Aber ist doch egal. Die Welt dreht sich ja auch ohne mich weiter.
Auf der Rückfahrt am nächsten Tag verpasse ich beim Umsteigen den Anschluss. Früher war ich bei sowas immer genervt: eine Stunde geklaute Lebenszeit, in der ich dumm herumstehe. Jetzt setze ich mich einfach ins Café, klappe das Notebook auf und mache meine Arbeit, so what?
Wieder zuhause hätte ich eigentlich Lust, ein gutes Abendessen zu kochen, aber dafür müsste ich noch einkaufen, und als ich im Smartphone kurz auf meinen Blog schaue, sind dort eine ganze Reihe Kommentare aufgelaufen, außerdem sind da drei Mails, die dringend klingen. Seufzend fahre ich den Computer hoch und kümmere mich drum. Selbstbestimmt zu arbeiten bedeutet ja nicht, immer nur nach Lust und Laune vorzugehen. Wenn ich sehe, dass etwas notwendig ist, erledige ich das, auch wenn ich keine „Lust“ dazu habe. Genauso wie wenn ich jemandem etwas versprochen habe, zum Beispiel ein Abendessen oder ein Manuskript bis zum Datum X.
Am Freitag bin ich aus unerfindlichen Gründen um sechs Uhr morgens glockenhellwach. Mir ist klar, dass mein Körper jetzt nicht mehr schlafen will, also mache es mir im Bett gemütlich und fahre mein Notebook hoch. Eigentlich will ich nur ein bisschen im Internet herumdaddeln, aber dann fällt mir der schwierige Text ein, der mir im Nacken sitzt. Und tatsächlich: Heute läuft es wie geschmiert. Ich muss mich fast schon davon losreißen, als um halb neun der Wecker klingelt. Um zehn Uhr hab ich nämlich ein Meeting im Büro. Auch gut, denn immer so ganz alleine vor sich hinarbeiten, ist auch nicht mein Ding.
Mir kommt wieder das Bild von der Hausfrau in den Kopf, und ich denke, dass meine Art zu Arbeiten gar nicht wirklich neu ist, sondern in Wahrheit uralt. Es ist nicht sinnvoll, dass Menschen in festem Takt vorgegebene Sachen abarbeiten. Arbeiten, so wie ich es verstehe, bedeutet, in der Welt tätig zu sein, den eigenen Kräften und Wünschen entsprechend, im Austausch mit anderen und mit Aufmerksamkeit für das, was notwendig ist und zum Wohlergehen aller beiträgt. Man kann das auch einfach „Leben“ nennen.