Ehegattensplitting für alle (die es wollen)
In: Luxemburg 2, Juli 2013
Dass das Ehegattensplitting abgeschafft gehört, scheint ein allgemein akzeptierter Grundkonsens im linken und/oder feministischen Lager zu sein und inzwischen sogar auch darüber hinaus. Dass der Staat Steuererleichterungen einräumt für Paare, von denen einer (oder meistens: eine) nicht erwerbstätig ist oder zumindest deutlich weniger verdient ist in der Tat ein Relikt aus Zeiten, in denen gesellschaftlich eine klare Rollenteilung zwischen „Familienernährer“ und „Hausfrau“ galt.
Genau aus diesem Grund ist das Ehegattensplitting nach dem Zweiten Weltkrieg ja eingeführt worden: zur Rettung der „heteronormativen“ Ehe, wonach soziale Gemeinschaften sich ausschließlich über das Mann-Frau-Paar als „Kernzelle“ konstituieren sollten. Dieses Modell war nämlich damals ins Wanken geraten, denn während des Krieges waren viele Frauen einer Erwerbsarbeit nachgegangen und hatten selbstständig für ihren Lebensunterhalt gesorgt. Nicht alle wollten sich nun wieder an einen Ehemann binden. Es gab in den ersten Nachkriegsjahren zahlreiche alleinstehende Frauen, und auch viele, die mit anderen Frauen zusammen lebten. Nicht unbedingt in einer lesbischen (Liebes)beziehung, aber eben doch: unabhängig von Männern.
In dieser Situation bot das Ehegattensplitting einen massiven finanziellen Anreiz zur Eheschließung (die damals nur zwischen einer Frau und einem Mann erlaubt, ja schlechterdings nur in dieser Konstellation vorstellbar war): Es gewährte Ehepaaren die Möglichkeit, ihren zum Lebensunterhalt gemeinsam notwendigen Erwerbsarbeitsaufwand drastisch zu vermindern. Wenn eine Frau und ein Mann heirateten und die Frau dann ihren Job aufgab und „Hausfrau“ wurde, glich der Staat diesen Einkommensausfall teilweise wieder aus.
Heute ist die Situation aber eine andere. Lesbische und schwule Lebensgemeinschaften sind bei einer Mehrheit der Bevölkerung längst akzeptiert, und das Bundesverfassungsgericht hat im Juni 2013 verfügt, dass das Ehegattensplitting auf diese ausgeweitet werden muss.
Auch die zementierte Rollenverteilung, wonach es praktisch immer der Mann ist, der das Geld verdient, während die Frau nicht erwerbstätig ist, wird kaum noch offen irgendwo propagiert. Die prinzipielle Gleichberechtigung der Geschlechter ist Common Sense, und der Wunsch, erwerbstätig zu sein, ist sowohl auf Seiten der Frauen als auch auf Seiten der Arbeitgeber, die Fachkräfte brauchen, groß. Viele Männer wiederum wären durchaus froh, wenn sie nicht mehr allein für das Geldeinkommen in Familien zuständig wären. Die Politik, zumindest in ihren offiziellen Statements, unterstützt diesen Wandel explizit. Das mag uns alles bei weitem nicht schnell genug von statten gehen, aber die Richtung ist doch klar.
An die Stelle des alten Idealbildes der Kleinfamilie, bei der nur der Mann erwerbstätig ist, ist heute das Idealbild einer Gesellschaft getreten, in der alle Erwachsenen gleichermaßen dazu verpflichtet sind, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Erworbene berufliche Qualifikationen, auch die der Frauen, sollen nicht mehr in Privathaushalten „verplempert“ werden, sondern möglichst uneingeschränkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Forderung nach einer Abschaffung des Ehegattensplittings stößt exakt in dieses Horn. Deshalb ist sie vielleicht gar nicht so gesellschaftskritisch, wie viele denken.
Denn was bei diesem Umbau kultureller Paradigmen bezüglich Arbeit, Ehe und Geschlechterverhältnis unter den Tisch fällt, ist die Frage der gesellschaftlichen Organisation der unbezahlten Haus- und Fürsorgearbeiten. Was immer man gegen das Ehegattensplitting aus guten Gründen einwenden mag: Es hatte auch die Funktion, die Kosten dieser Arbeiten zumindest teilweise auf die Gesamtgesellschaft umzulegen. Die klassische „Hausfrau“ hat ja nicht nichts gearbeitet, sondern wichtige und notwendige Tätigkeiten übernommen – Einkaufen, Essen zubereiten, Putzen, Wäschewaschen, Gartenarbeit und so weiter. Und vor allem hat sie diese Arbeiten nicht nur für sich selbst erledigt, sondern auch für diejenigen Familienmitglieder, die selbst dazu nicht in der Lage waren, für Kinder, kranke oder pflegebedürftige Menschen, für Alte. Und auch für der erwerbstätige „Alleinverdiener“, der von diesen notwendigen Arbeiten entlastet war und sich abends an den gedeckten Tisch setzen und am nächsten Morgen das frisch gewaschene Hemd vorfand, profitierte davon.
Das Ehegattensplitting steht also letztlich für eine zwar ungenügende, aber immerhin teilweise Einbeziehung dieser Haus- und Fürsorgearbeiten in die gesamtgesellschaftliche Wirtschaftsrechnung: Die Steuerersparnis des mit einer nicht erwerbstätigen Hausfrau verheirateten, Geld verdienenden Mannes ist ein konkreter finanzieller Beitrag der Allgemeinheit für die Arbeit, die in den Haushalten geleistet wird.
Allerdings gibt es dabei noch mehr Probleme als die oben erwähnten. In das Modell des Ehegattensplittings, so wir es jetzt haben, ist auch eine erhebliche soziale Ungleichheit mit eingearbeitet, da die Höhe der Steuerersparnis direkt mit der Höhe des Einkommens des erwerbstätigen Ehepartners korreliert. So als wäre die Arbeit einer Hausfrau, die mit einem gut verdienenden Mann verheiratet ist, auch proportional mehr wert als die einer Hausfrau, deren Mann wenig Geld verdient. Keine Rolle spielt hingegen der tatsächliche Umfang der von ihr geleisteten Arbeit: Der finanzielle Nutzen des Ehegattensplittings ist unabhängig davon, ob die betreffende Hausfrau nur einen Zwei-Personen-Haushalt führt oder zahlreiche Kinder und eventuell noch pflegebedürftige Angehörige versorgt.
Die Frage ist jedoch, ob eine Abschaffung des Ehegattensplittings diese Ungerechtigkeiten abmildern würde. Gerade was das unterschiedliche Lohnniveau zwischen einträglichen und schlecht bezahlten Berufen betrifft, tendiert das Modell der individuellen Erwerbsarbeit aller Erwachsenen nämlich dazu, diese Unterschiede noch zu verschärfen. Eheschließungen erfolgen meist unter sozial ähnlich Gestellten – der Arzt heiratet die Rechtsanwältin, die Verkäuferin den Mechaniker. Aus diesem Grund driftet die Schere von Arm und Reich weiter auseinander, wenn man pro Familie von zwei statt einem Vollzeiterwerbstätigen ausgeht: Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln hat die Ungleichheit der von Paaren insgesamt erzielten Einkommen zwischen 1998 und 2008 um 18 Prozent zugenommen, die Einkünfte der einzelnen in Paar-Haushalten lebenden Personen jedoch nur um 6 Prozent.
Das verstärkt natürlich auch die Ungerechtigkeiten bezüglich der unbezahlten Haus- und Fürsorgearbeiten, und zwar viel mehr als das Ehegattensplitting: Während sich gut verdienende Paare häusliche Dienstleistungen kaufen und Putzhilfen, Kinderfrauen und Pflegekräfte einstellen können, müssen schlecht verdienende Paare diese Arbeiten selbst leisten – und zwar jetzt noch zusätzlich zu ihrer beider Vollzeit-Erwerbstätigkeit.
Eine der größten Herausforderungen, die sich mit dem Ende der Hausfrauen-Alleinverdiener-Ehe ergeben, ist deshalb die Frage: Wer macht eigentlich und unter welchen Bedingungen die Arbeiten, die früher die Hausfrauen gemacht haben? Wie wollen wir zukünftig gesellschaftlich notwendige, aber nicht profitträchtige Sorgearbeiten organisieren und den Lebensunterhalt derjenigen sicherstellen, die sie tun? Dabei könnten bestimmte Aspekte des Ehegattensplittings interessant sein.
Wie wäre es, wenn wir das Konstrukt der Lebenspartnerschaft über die jetzige Engführung auf Paare, die durch ein sexuelles Begehren miteinander verbunden sind, hinaus ausweiten? Könnten wir die steuerlichen Vorteile eines Ehegattensplittings, anstatt es abzuschaffen, nicht vielmehr so verbreitern, dass alle Menschen in ihren Genuss kommen, die sich auf Dauer mit anderen zusammentun und kollektiv leben und wirtschaften wollen? Ehegattensplitting für alle also, die sich einen verbindlichen Rechtsstatus für gemeinsames Leben, Versorgen und Wirtschaften geben möchten?
Zum Beispiel kenne ich zwei Schwestern, die mit ihren Kindern, insgesamt dreien, zusammen leben. Sie haben gemeinsam ein Haus gekauft, teilen ihr Einkommen und die Familienarbeit – sind aber kein romantisches „Liebespaar“. Eine von ihnen verdient mehr Geld, während die andere sich mehr um den Haushalt kümmert. Warum sollen sie nicht in den Genuss des Ehegattensplittings kommen? Ähnlich steht es bei Beziehungen zwischen verschiedenen Generationen, also wenn etwa die 50-jährige Tochter mit der 75-jährigen Mutter zusammenlebt. Aber es sind auch Lebensgemeinschaften zwischen generationsübergreifenden Paaren denkbar, die nicht durch Blutsverwandtschaft, sondern durch gegenseitige Sympathie begründet sind.
Außerdem wären ja auch Lebenspartnerschaften zwischen mehr als zwei Erwachsenen denkbar, die – ob mit sexueller Komponente oder nicht – ihr Leben gemeinsam planen und füreinander Verantwortung übernehmen möchten: Warum sollen sie sich nicht auch „verpartnern“? Dann könnten vielleicht drei von ihnen erwerbstätig sein, während einer den gemeinsamen Haushalt und die Kinder versorgt. Es sind viele Lebensmodelle denkbar, in denen Menschen sich zu einem gemeinsamen Wirtschaften verpflichten, bei denen eine Ungleichverteilung von unbezahlter Haus- und Fürsorgearbeit und bezahlter Erwerbsarbeit durchaus für alle Beteiligten sinnvoll wäre. Und ein Steuermodell, bei dem der Staat solche Lebenspartnerschaften unterstützt, würde der Tatsache Rechnung tragen, dass die Übernahme von unbezahlter Haus- und Fürsorgearbeit kein Privatvergnügen ist, sondern etwas zum Wohlstand der Gesellschaft beiträgt.
Mit einem „Ehegattensplitting“, das auf alle möglichen Konstellationen angewandt würde, die sich für ein gemeinsames Wirtschaften und Füreinander-Sorgen entscheiden, hätten wir alle die Wahl, ob wir uns in dieser Hinsicht lieber individuell aufstellen (mit eigenem Einkommen, mit individueller sozialer Absicherung, mit entsprechender Steuerlast und entsprechenden Ansprüchen auf Versorgung im Bedarfsfall), oder ob wir uns mit anderen zusammentun möchten (und rechtlich abgesichert Einkommen und Fürsorge miteinander teilen, also weniger Steuern zahlen, dafür aber auch im Bedarfsfall zunächst füreinander einstehen, bevor wir staatliche Leistungen in Anspruch nehmen).
Das Ehegattensplitting schafft einen gewissen Freiraum für kollektive Lebensplanung außerhalb der rein betriebswirtschaftlichen Logik des individuellen Verkaufens von Arbeitskraft. Ein Splitting 2.0 – also eines, das von der Fixierung auf Mann-Frau-Paare befreit wurde – könnte diese positiven Aspekte bewahren und dafür sorgen, dass sie allen zu Gute kommen, die das wollen.