Deutschland, die so genannte Frauenrepublik
in: Via Dogana Nr. 108, März 2014 (italienische Fassung)
Fünf von fünfzehn Ministerien in Frauenhand plus die Bundeskanzlerin – wenn man bloß auf die Zahlen schaut, sind am Regierungstisch in Deutschland noch immer die Männer in der Überzahl. Und doch ist das neue Kabinett „Merkel III“ noch einmal „weiblicher“ geworden als die beiden zuvor.
Besonders symbolträchtig: Zum ersten Mal steht eine Frau – Ursula von der Leyen – an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Auch das Arbeits- und Sozialministerium wird von einer Frau geleitet, der Sozialdemokratin Andrea Nahles. Allein diese beiden Ministerien verantworten zusammen weit über die Hälfte des Bundesetats. Jetzt sitzen die Frauen „an den Schalthebeln wirklicher Macht“, wie die Tageszeitung „Die Welt“ schrieb: „Das ist etwas qualitativ Neues.“
Eine der ersten Debatten nach der Regierungsbildung hat die neue Familienministerin Manuela Schwesig, auch SPD, ausgelöst: Sie schlägt eine verkürzte Wochenarbeitszeit für Eltern kleiner Kinder vor, damit Beruf und Familie besser unter einen Hut zu bringen sind. Sowieso steht das Thema der „Vereinbarkeit“ inzwischen ganz oben auf der Agenda – es ist sicher kein Zufall, dass der neue Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gleich in einem der ersten Interviews betonte, dass er auch weiterhin einen Nachmittag in der Woche mit seiner Tochter verbringen will.
Überhaupt ist auffällig, wie viel Raum die SPD einnimmt. Mit den Sozialdemokraten muss – oder kann? – die Christdemokratin Merkel in ihrer dritten Amtszeit wieder koalieren, nachdem ihr „natürlicher“ Partner, die konservativ-liberale FDP, es nicht mehr in den Bundestag geschafft hat. Im Koalitionen Schmieden ist Merkel Meisterin, sie ist die erste deutsche Bundeskanzlerin, die mit unterschiedlichen Partnern Regierungen gebildet hat. Auch über eine Zusammenarbeit mit den Grünen hätte sich niemand gewundert.
Mit Arbeits-, Wirtschafts-, Außen-, Justiz-, Umwelt- und Familienministerium sind aber nun sechs bedeutende Ministerien sozialdemokratisch geführt – bei dem ziemlich schlechten Wahlergebnis der SPD ist das bemerkenswert. Schließlich fehlte Angela Merkel nach der Wahl nur eine Handvoll Stimmen zur absoluten Mehrheit. Man hat fast den Eindruck, als würde sie lieber mit der SPD regieren als alleine oder mit der FDP. Manche Konservative sind verärgert: Da habe man eine bürgerliche Regierung gewählt und hintenrum eine sozialdemokratische bekommen, schrieb ein Kommentator.
Will Merkel Deutschland vielleicht sozialer und moderner machen, ohne selbst als diejenige sichtbar zu werden, die die Veränderungen anstößt? Jedenfalls schadet Merkels Entgegenkommen in Richtung Sozialdemokratie ihrem Ansehen nicht. Das liegt natürlich auch daran, dass der klare Wahlsieg der CDU nicht der Verdienst der Partei war, sondern allein ihrer. Die Zustimmung zu Merkel als Person ist in der Bevölkerung um ein Vielfaches größer als die Zustimmung zu ihrer Partei oder deren Programm.
Und das nicht, obwohl Merkel selten klar Stellung bezieht oder Stärke demonstriert, sondern gerade deshalb. „Niemand kann ganz genau sagen, wofür sie steht, aber viele Bürger fühlen sich bei Kanzlerin Merkel offenkundig in guten Händen“, beschrieb das Nachrichtenmagazin der Spiegel diese Art des Regierens, die die Süddeutsche Zeitung „Merkelismus“ taufte. Man müsse feststellen, so ein Kommentator: „Die klassische Regel der Machtpolitik taugt nicht mehr.“
Doch wie nachhaltig ist das Politikmodell Angela Merkel und was passiert, wenn sie in vier Jahren vermutlich nicht noch einmal kandidiert? Ist wirklich „gegen diese Frau derzeit kein Kraut gewachsen“, wie eine linke Wochenzeitung „Der Freitag“ klagte?
Sicher hat Merkel das Bild der traditionell männlichen Politik nachhaltig erschüttert. Eine ganze Generation von Mädchen ist inzwischen herangewachsen in dem sicheren Bewusstsein, dass Bundeskanzlerin ein ganz normaler Beruf für sie wäre. Doch eine gesellschaftliche Debatte über die Veränderungen, die mit Angela Merkel in die Politik gekommen sind, fehlt bislang. Von allen Seiten wird nämlich sorgfältig vermieden, das alles irgendwie mit der Geschlechterdifferenz in Verbindung zu bringen. Angela Merkel selbst hat ihr Frausein kaum je thematisiert.
Linke und feministische Gruppen wiederum sehen in Merkel eine politische Gegnerin und wollen partout nichts Positives an ihr finden. Linke kritisieren vor allem ihre Austeritätspolitik in Europa, ihr Entgegenkommen gegenüber privatwirtschaftlichen Interessen, das Zurückfahren sozialstaatlicher Hilfen sowie ihre Unterstützung für polizeiliche und geheimdienstliche Überwachungspolitik. Feministinnen kritisieren, dass sie in praktisch allen frauenpolitischen Fragen Positionen einnimmt, die zu denen der meisten Feministinnen und der großen Frauenverbände konträr sind: Merkel lehnt Quotenregelungen ab, unterstützt das Betreuungsgeld für nicht berufstätige Mütter, hält am Ehegattensplitting fest. Außerdem gelang es in ihrer Regierungszeit nicht, den Einfluss von Frauen generell in der CDU zu erhöhen: Während Grüne und Linke über 50 Prozent Frauen in den neuen Bundestag schickten und die SPD immerhin über 40 Prozent, sind in der CDU/CSU-Fraktion nur ein Viertel der Abgeordneten weiblich.
Von daher ist durchaus offen, wie nachhaltig Merkels Einfluss auf die politische Kultur in Deutschland ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass Institutionen wieder vermännlichen, wenn die Protagonistinnen des Wandels gehen. Einen ähnlichen Prozess hat es zum Beispiel bei der evangelischen Kirche gegeben: Nachdem in den 1980er Jahren dort Frauen vehement für ihren Zugang zu Ämtern und Funktionen gekämpft haben und in den 1990er Jahren fast paritätische Zustände erreicht waren, hat sich anschließend die Trägheit der Institution doch als stärker erwiesen. Die Kirche hat sich nicht in einem solchen Ausmaß verändert, dass die Mitarbeit dort vielen Frauen heute noch attraktiv erscheint, in den Führungsgremien sind Männer wieder überwiegend unter sich.
Ich halte es deshalb nicht für ausgeschlossen, dass auch den Parteien und auch der CDU von Angela Merkel so ein Schicksal droht, solange die realen Veränderungen nicht auch durchdacht, benannt, diskutiert und reflektiert werden – und zwar auch aus einer Perspektive der Geschlechterdifferenz. Weil sonst nämlich die Gefahr besteht, dass Post-Merkel alle wieder zur Tagesordnung übergehen.
Zumal es nicht sehr viele starke Frauen neben Merkel in der CDU gibt. Wie gut gesetzt Ursula von der Leyen wirklich ist, ob sie vielleicht sogar Kanzlerin werden kann, muss sich erst noch zeigen. Momentan ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Männer in der CDU alles daran setzen werden, nicht noch einmal eine Frau so mächtig werden zu lassen.
Und wenn nach Merkel vielleicht sogar ein Regierungswechsel möglich wäre? Am Ende gar eine Kanzlerin aus den Reihen der SPD? Momentan sieht es zwar nicht so aus, zumal immer noch viele Sozialdemokraten grundsätzlich gegen eine Koalition mit den Linken sind (ohne die aber eine Mehrheit aussichtslos ist). Doch immerhin scheint die SPD sich inzwischen vom Ruf, eine Altmännerpartei zu sein, befreien zu wollen: Mit Yasmin Fahimi ernannte sie soeben eine bislang eher unbekannte Gewerkschafterin zur Generalsekretärin – noch eine Politikerin also, auf deren Tun wir gespannt sein dürfen.