Antje Schrupp im Netz

Die koreanische Theologin Chung Hyun Kyung

Bild Seit die koreanische Theologin Chung Hyun Kyung 1991 vor der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im australischen Canberra nach schamanischen Ritualen Geister beschwor, ist sie berühmt: Trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – der heftigen Kritik, die ihr damals von etablierten Kirchenvertretern entgegenschlug, ist sie heute eine weltweit gefragte Referentin. Jetzt war Chung, die inzwischen als Professorin für ökumenische Theologie am Union Seminary in New York lehrt, zu Gast in der Evangelischen Akademie Bad Boll. Zweihundert Frauen waren zu dem Tagesseminar, teilweise von weither, angereist.

Das Charisma von Chung Hyun Kyung ist beeindruckend. Wenn die zierliche Koreanerin zu ihrem Publikum spricht, meditiert, tanzt oder singt, zieht sie von der Teenagerin bis zur Seniorin alle in ihren Bann. Ihre Botschaft: Frauen haben die Macht, die Welt zu verändern – und dazu gab es in Bad Boll erstmal ein Lied: Alles, was Frauen berühren, verändert sich.

Man merkt Chung an, daß sie in den Jahren seit Canberra Erfahrung gesammelt hat. Überall wirbt die Theologin für ihre Überzeugung von der Stärke der Frauen und davon, daß die Vermischung der Religionen und Kulturen befruchtend und sogar notwendig ist. So meditiert sie auf buddhistische Weise, praktiziert schamanische Rituale, und ruft heidnische Geister an. Das sei Synkretismus, Religionsvermischung, werfen ihr die Kritiker vor. Chung nimmt das inzwischen gelassen:

Dieser Vorwurf des Synkretismus von Seiten des orthodoxen Christentums ist nichts anderes als die Behauptung ihrer Macht. Haben Sie den Film Titanic gesehen? Wenn ich eine solche Kritik höre, erinnere ich mich immer an den Kapitän der Titanic. Es ist ein sinkendes Schiff. So etwas wie ein reines Christentum gibt es nicht, das ist eine Illusion. Synkretismus bewirkt, daß das Christentum sich in einer Kultur verkörpert, daß es lebendig und bedeutsam wird. Wenn sie also sagen, ich sei eine Synkretistin, dann macht mir das nichts aus, weil ich sage: Ja, das bin ich. Und Ihr seid es auch. Der einzige Unterschied ist, daß ich das weiß und Ihr nicht.

Natürlich bleiben solche Thesen nicht unwidersprochen. Doch während offizielle Kirchenführer sie für eine Häretikerin halten, erhält sie Zustimmung, vor allem in Ländern der sogenannten Dritten Welt. In Deutschland sind es vor allem kirchlich engagierte Frauen, die Chung immer wieder einladen. Ihre Frage ist: Was können wir als westliche Mittelständlerinnen tun, um Umweltzerstörung, Armut und Kriegen etwas entgegenzusetzen? Chungs Antwort:

Wir Frauen müssen aufhören, nett zu sein, wir müssen uns weigern, eine von diesen glücklichen Durchschnittsfrauen zu sein, die lieber ihre Depressionen mit Medikamenten bekämpft, statt den Finger wirklich auf die Wunde zu legen. Warum reden wir schon so lange vom Patriarchat, das uns unterdrückt, und die Welt verändert sich trotzdem nicht? Weil wir Frauen mit diesem patriarchalen System kooperieren.

Lernen könnten die Europäerinnen dabei von Frauen in der Dritten Welt. Zum Beispiel von den Inderinnen, die die Abholzung eines Waldstückes verhinderten, als ihre Männer längst durch den Druck von Arbeitgebern zum Einlenken bereit waren – nur wer nicht an Privilegien hängt, könne wirklich für eine Veränderung kämpfen. Lernen könne man auch von den Indianerinnen, die die Produktion von schönen Dingen, wie Decken, Schmuck und Kunsthandwerk gerade dann verdoppeln, wenn in ihrem Dorf eine Gewalttat begangen wurde. Oder von den Südamerikanerinnen, die auch bei größter Armut nicht aufhören, Feste zu feiern und fröhlich zu sein. Das gegenseitige Voneinander-Lernen der Kulturen sei der eigentliche Motor von Spiritualität und politischer Veränderung, meint Chung. Eine Entwicklung, bei der Europa in den Rückstand zu geraten drohe:

Es gibt hier eine Art von kultureller Gedächtnisstörung, weil die europäische Kultur solange vorherrschend war auf der Welt. Das ist der Grund, warum sie heute etwas zurück ist. Auch all diese Theologen, die nur in ihren orthodoxen Bahnen denken können, haben ein Problem damit, sie können nicht von anderen lernen. Deshalb sind auch die europäischen Kirchen so leer. Es ist nicht interessant, was dort gesagt wird. … Aber wenn Sie in einem Land der dritten Welt sind, in Asien, Afrika, Lateinamerika, da ist das Christentum eine so lebendige Religion. Mein Anliegen ist es, die christliche Religion wieder lebendig und bedeutsam zu machen, mit Hilfe der Spiritualität von asiatischen und vielen anderen Völkern.

Ein noch immer umstrittener Versuch sicherlich, aber doch einer, der auch in Deutschland zumindest vielen kirchlich engagierten Frauen plausibel erscheint.


Radiosendung 1998 in hr1