Chiquinha Gonzaga – ihr Leben
Dem brasilianischen Publikum ist sie seit 1994 bekannt, als das Leben von Chiquinha Gonzaga verfilmt und als Fernsehserie ausgestrahlt wurde. Im Rest der Welt ist die wichtigste Musikerin Brasiliens, die die Rhythmen und Klänge der Volksmusik »salonfähig« gemacht hat, leider noch weitgehend unbekannt. Doch Würdigung verdient Chiquinha Gonzaga auch wegen ihres Einsatzes für die Abschaffung der Sklaverei, für die Freiheit der Frauen und für die Durchsetzung der Urheberrechte von Autorinnen und Autoren.
Die Pianistin und Komponistin Chiquinha Gonzaga ist eine der größten Musikerinnen Brasiliens. Ihr größter Verdienst ist ihr Beitrag zur »Nationalisierung« der brasilianischen Musik, der Anerkennung der populären Rhythmen und Melodien als »ernsthafte« Musik. Ihr Werk umfasst über 130 Tangos, Choros, Fados und andere Stücke. Außerdem vertonte Chiquinha Gonzaga zahlreiche Operetten und Musicals.
Neben ihrer künstlerischen Leistungen war Chiquinha Gonzaga auch in politischen Fragen Vorreiterin – durch ihren Einsatz für die Abschaffung der Sklaverei, für die Urheberrechte von Autorinnen und Autoren und für die Möglichkeit von Frauen, ihr Leben freiheitlich selbst zu gestalten.
Chiquinha Gonzaga wurde am 17. Oktober 1847 unter dem Namen Franzisca Edviges Gonzaga als Tochter von Rosa Maria de Lima und João Basileu Neves Gonzaga in Rio de Janeiro geboren. Rosa Maria de Lima war eine freie Mulattin und seit längerer Zeit Geliebte des Generalmajors aus der angesehenen Familie Gonzaga, die einer Ehe der beiden ungleichen Partner nicht zustimmte. Franzisca war ihre erste Tochter, sie hatten später noch drei Kinder zusammen.
Zu Chiquinhas Erziehung gehörte, der Tradition entsprechend, auch Klavierunterricht. Schon im Alter von elf Jahren präsentierte sie bei einer Familienfeier ihre erste Eigenkomposition. Mit 16 heiratete sie, dem Wunsch ihrer Familie entsprechend, den 24jährige Oberstleutnant Jacinto Ribeiro do Amaral. Als Hochzeitsgeschenk bekam sie von ihrem Vater ein Klavier geschenkt. Noch im selben Jahr, am 12. Juli 1864 bekommt Chiquinha ihren ersten Sohn João Gualberto, und ein Jahr später, am 12. November 1865, eine Tochter, Maria do Patrocinio. Doch die Ehe leidet unter der Eifersucht Jacintos – auf Chiquinhas Liebe zum Klavierspiel. Als er Anfang 1866 einen Militärtransport für den Paraguay-Krieg leiten soll, zwingt er Chiquinha mitzukommen. Auch João Gualberto kommt mit, die Tochter Maria bleibt unter der Aufsicht von Chiquinhas Mutter Rosa in Rio. Auf dieser Reise wird Chiquinha erstmals mit den Lebensbedingungen der Sklaven auf den Kriegsschiffen konfrontiert. Doch auch auf dem Schiff gelingt es Chiquinha, ein Klavier aufzutreiben, was zu immer neuen Streitigkeiten mit ihrem Mann führt. Letzten Endes beschließt sie, mit ihrem Sohn zurück nach Rio zu gehen. Da sie inzwischen aber wieder schwanger ist, verlässt sie ihren Mann erst nach der Geburt ihres dritten Kindes: Hilário. Ihre Familie verweigert ihr darauf hin jede Unterstützung. Chiquinha behält nur ihren ältesten Sohn bei sich, die beiden anderen Kinder wachsen bei ihren Eltern auf.
Chiquinha Gonzaga macht sich schnelle Freunde in der »Musikszene« von Rio. Vor allem musiziert sie bei Empfängen und privaten Festen und stellt dabei auch Eigenkompositionen vor. Sie lebt jetzt mit João Batista de Carvalho Jr. zusammen, ein alter Freund der Familie ihres Vaters – vermutlich ist diese Liebesbeziehung schon älter. Sie leben eine Zeitlang zusammen in Minas Gerais und Chiquinha bringt am 24. August 1876 eine weitere Tochter zur Welt, Alice. Doch bald darauf trennt sich Chiquinha von João Batista, da sie seine dauernden sexuellen Beziehungen zu anderen Frauen nicht akzeptiert.
Sie mietet sich mit ihrem Sohn João Gualberto eine Wohnung in Rio. Das Klavier wird jetzt zum Arbeitsmittel, Chiquinha lebt vor allem vom Klavierunterricht, aber auch von kleinen Auftritten und Kompositionen. Dabei beginnt sie zunehmend, Rhythmen und Melodien aus der Musik des »Volkes« in ihre Klavierstücke einzubeziehen – eine Innovation, weil das Klavier damals als »nobles« Instrument galt, auf dem nur klassische Stücke der europäischen Musik gespielt wurden. Unterstützung bekommt sie dabei durch den Musikprofessor Joaquim Antonio da Silva Callado Junior (1848–1880).
Im Februar 1877 veröffentlicht Chiquinha ihre erste Komposition, die Polka Atraente. Schon im November ist das Lied in der 15. Auflage. Nun schreibt sie schon nicht mehr nur Stücke für Klavier, sondern für ganze Orchester, die von ihr vertonten Musicals und Burlesken werden in Rio mit großem Erfolg gespielt. Besonders beliebt beim Publikum sind ihre »Maxixes«, populäre Tänze mit erotischen Anspielungen, die den oberen Schichten noch als obszön gelten. Letzen Endes wurden hier aber die Vorläufer für das gelegt, was Brasiliens Musik heute als Samba oder Lambada weltberühmt gemacht hat. Chiquinha ist auch die erste Musikerin, die 1899 ein eigenes Musikstück für den Karneval komponiert – »O Abre Alas«.
1902 reist Chiquinha Gonzaga erstmals nach Europa. Sie lebt nun mit einem erst 16jährigen Musiker und Bewunderer zusammen, João Batista. Um die amouröse Natur dieses Verhältnisses zu verschleiern (schließlich ist sie schon über fünfzig) gibt sie João als ihren Adoptivsohn aus. Die beiden sind ein glückliches Paar und leben bis zu Chiquinhas Tod über dreißig Jahre lang zusammen.
1912 erscheint ihre größter Theatererfolg, »Forrobodo«, eine Burleske, die im Armenmilieu Rios spielt. Chiquinha hat das Thema gegen den Widerstand des Theaterestablishements durchgesetzt, nachdem es einmal seinen Erfolg bewiesen hatte, löste es eine Welle gleichartiger Stücke aus. 1914 ist es auch Chiquinhas Tango »Corta-Jaca« der – zum Skandal der Oberschichten – erstmals offiziell bei einer Regierungsveranstaltung gespielt wird. Bei solchen offiziellen Anlässen war »Volksmusik« bis dahin verpönt gewesen.
1917 gehört Chiquinha zu den Gründungsmitgliedern der Brasilianischen Vereinigung der Theaterautoren zur Durchsetzung ihrer Urheberrechte. Chiquinha Gonzaga stirbt am 28. Februar 1935. Am darauffolgenden Karnevalssamstag, dem 2. März, findet in Rio de Janeiro der erste offizielle Wettbewerb von Sambaschulen statt.
Literatur: Edinha Diniz: Chiquinha Gonzaga. Uma história de vida.