Frauen und Orthodoxes Judentum
Interview mit Chana Safrai
Wie steht es um die Stellung der Frau im orthodoxen Judentum? Gut! meint die israelische Talmudgelehrte Chana Safrai, die seit 1991 in Amsterdam lehrt und in diesem Wintersemester die Martin-Buber-Stiftungsprofessur an der Frankfurter Universität innehatte. Hier ein Interview, das ich 1996 mit ihr führte:
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Chana Safrai ist eine eindrückliche Persönlichkeit. Endlos kann sie Geschichten erzählen. Statt theoretischer Ausführungen gibt sie auf Fragen lieber »ein klein Beispiel«, wie sie in ihrem von niederländischen Vokabeln geprägten Deutsch gerne sagt, und dann erzählt sie eine Geschichte. Die Frage nach dem Stand der Frauenemanzipation in orthodoxen und liberalen Gemeinden etwa findet folgende Antwort:
Vor einem Jahr war ich in Amerika und habe zum ersten Mal in meinem Leben in einer sogenannten egalitären Synagoge gebetet. Und ich hab es wunderschön gefunden. Ich habe eine Predigt gehalten, ich habe einen Talit getragen, das erste Mal in meinem Leben, ich hab es wunderschön gefunden, also es war wirklich ein Aha-Erlebnis. Zurück in Amsterdam mit diesen Erlebnis in meinem Körper und ich komme in die orthodoxe Gemeinde, aber es gibt auch eine Frauengruppe und ich erzähle den Frauen, die Augen glänzen, aber bei uns kommt das nicht vor. Und dann les ich in der jüdischen Zeitung, daß in der liberalen Gemeinde gibt es eine Spaltung, und es könnte sein, daß sich die Gemeinde spaltet, weil es gab zwei Frauen, die Talit tragen wollten. Und dann hat man mich eingeladen in die Gemeinde um einen Vortrag zu halten, warum ist es denn eigentlich doch schon möglich. Weil ich die halachische Sprache kann, ich kann lehren, also womit kann man argumentieren, ja oder nein, wo sollte man argumentieren, warum ist es wichtig usw. Das können sie nicht.
Die orthodoxe Tradition steht für Chana Safrai keine Sekunde zur Disposition. Die 1946 in Jerusalem geborene Tochter des Religionshistorikers Shmuel Safrai weiß aber, wovon sie spricht. Sie studierte in Jerusalem und in Harvard Geschichte und Talmud und promovierte in Amsterdam mit einer Arbeit über den Status von Frauen zur Zeit des zweiten Jerusalemer Tempels. Und darüber, wie es zu dem diskriminierenden Ausschluß von Frauen aus der Pflicht, die Gebote zu halten, gekommen ist, hat sie so ihre eigene Theorie:
Die Entscheidungen, daß Frauen bestimmte Gebote nicht machen sollen oder nicht machen müssen, sind eigentlich so weit gekommen, weil Frauen haben das praktisch auch nicht getan. Also es ist nicht eine Entscheidung, das Frauen ausgrenzt, sondern irgendwie ein Rausziehung für bestimmte Gründe usw. Und das zurück umzudrehen ist sehr problematisch. Aber das ist wirklich, was wir jetzt mit unserem Bewußtsein machen sollten. Und es geht um keine kleinen Dinge im jüdischen Gemeinde. Also Frauen mitmachen in Lesung von Thora, Frauen mitmachen im Gebet, was weiß ich.
Statt provokativ vorgebrachter Forderungen, die nur zu bösem Blut und erhitzten Diskussionen führen, empfiehlt Chana Safrai, doch einfach zu machen. Denen, die bei allzu reformatorischem Vorgehen die Gefahr einer Gemeindespaltung heraufziehen sehen, antwortet sie mit folgender Geschichte:
In der Synagoge in Jerusalem, haben wir angefangen bei mir zu Hause eine Lesung zu machen, also einmal ein Feiertag, wenn alle Männer und alle Kinder, also jeder wird abgerufen zur Tora und Frauen müssen stundenlang warten bis alle Männer gerufen sind und anschauen, aber sie machen nicht mit, ja, sie sollen für Kuchen und Kaffee und Wein sorgen. Dann haben wir uns entschieden, das zu machen. Wir mußten Gott sei Dank kein Buch, keine Thorarolle von den sogenannten Männern bekommen, weil eine von uns hat so eine von ihrem Vater geerbt, und wir haben angefangen. Dann kam genau diese Geschichte, wenn ihr das macht, wird die Gemeinde sich splitten, inzwischen sind wir zehn Jahre später, es kommen 100 Frauen dazu und die Gemeinde ist leben geblieben.
Wichtig ist, so Chana Safrais Erfahrung, daß jüdische Frauen mit der Bibel und vor allem auch mit dem Talmud argumentieren können. Dazu brauchen sie die entsprechende Bildung. 1981 gründete Chana Safrai in Jerusalem das Judith-Liebermann-Institut, eine theologische Hochschule für Frauen, die inzwischen gut etabliert ist und zahlreiche Filialen in vielen Ländern hat. Und was sagt die orthodoxe Theologin, die für selbst keinen Drank nach Rabbinerwürden verspürt, sondern ihre Berufung in der wissenschaftlichen Arbeit sieht, zu der liberalen und konservativen Praxis, Rabbinerinnen zu berufen?
Persönlich hab ich natürlich nichts dagegen, ich hab alles für die Ermächtigung von Frauen, ohne weiteres, also wo es möglich ist und alles was möglich ist und immer noch lauf ich immer noch ein Schritt vor, um etwas zu tun, was bisher noch nicht so sehr möglich ist, um es in zwei Jahren, fünf Jahren, zehn Jahren möglich zu machen.
Unverständlich findet sie daher die Vorbehalte, die in Deutschland von orthodoxen Juden und Rabbinern gegen Frauen als Rabbinerinnen vorgebracht werden.
Irgendwie glaub ich nicht mehr, daß in der Politik usw. Männer für Frauen die Entscheidungen treffen sollen. Und eine Rabbinerkonferenz geht um Entscheidungen und geht um Lebensstil und geht um Mentalität usw. Daß dort keine Frauenstimme vorkommt, find ich in unserer Gesellschaft ohne weiteres absolut gefährlich. Ich würd das nicht akteptieren. Und deshalb bin ich dagegen. Und deshalb finde ich es auch so gut, daß es gibt eine, die eine Frau GottseiDank will. Dann muß man die Möglichkeiten wahrnehmen und sagen, bisher waren es nur Rabbiner und jetzt ist es Gottsei Dank auch eine Rabbinerin, die wir für sich selber nicht wählen wollen, aber sie gibt es, soll sie auch mitmachen.
Um noch mehr Argumente dafür zu finden, daß Frauen ihre Stimme durchaus auch in orthodoxer Tradition gleichberechtigt einbringen können, arbeitet Chana Safrai derzeit an einem neuen Projekt zum Thema: »Konfrontationen von Frauen und Rabbinern in Texten aus Talmud und Midrasch«. Und davon, wir ahnen es, gibt es mehr, als sich die männlichen Theologen bisher vorstellen können.
Dieses Interview wurde 1996 im Hessischen Rundfunk (hr1) gesendet.