Alphamädchen trifft Frau Weisheit
Frauenbewegung in Generationen
»Die Frauenbewegung war aus der Mode gekommen; vergeblich sahen ihre Führerinnen sich nach dem neuen Nachwuchs um. Undankbar war er damit beschäftigt, ihre Ernte zu verspeisen und sie dabei als kompromittierenden Zusammenschluss von Überweibern zu schmähen, wenn er überhaupt von ihrem Vorhandensein – hingenommen von Berufstätigkeit und persönlichem Leben – etwas wusste.«1
Diese Beschwerde über das Ende der Frauenbewegung, die Undankbarkeit der Jungen, die die Früchte der Emanzipation ernten ohne denen, die sie erkämpft haben, Dank zu zollen, die den gemeinsamen politischen Kampf scheuen, weil sie ganz damit beschäftigt sind, Karriere zu machen und nach persönlichem Lebensglück zu streben – er klingt doch sehr aktuell. In Wahrheit ist das Zitat schon fast 90 Jahre alt, es stammt von der Frauenrechtlerin Emmy Wolff aus dem Jahr 1920, und ausgegraben hat es die Historikerin Kerstin Wolff, die die Geschichte der Frauenbewegung erforscht.
Die Beziehung zwischen verschiedenen Generationen von Frauen war also noch nie leicht, und erst recht nicht unter Feministinnen. Manchmal hat man den Eindruck, das Rad müsse immer wieder neu erfunden werden, und jede Generation sich ihren eigenen Zugang zur weiblichen Freiheit erarbeiten.
Einerseits ist das auch ganz logisch: Denn erstens muss jede einzelne Frau ein eigenes Begehren spüren, die Freiheit zu lieben und sich für eine gute Welt zu engagieren, und wahrscheinlich können die meisten von uns in ihrer eigenen Biografie einen Punkt, eine Zeit, ein Ereignis, eine Begegnung nennen, die sie zum Feminismus geführt hat, an dem sie erkannt hat, dass ihr eigenes Frausein nicht einfach eine zufällige Sache ist, sondern Bedeutung hat, die erforscht und mit Sinn gefüllt werden muss. Und zweitens findet sich jede Generation von Frauen in einer neuen historischen Situation wieder, das heißt, die Errungenschaften der Frauenbewegung müssen im jeweiligen Kontext erneut durchbuchstabiert werden. Dabei ist es immer auch wieder notwendig, Irrtümer aufzuzeigen, Kritik zu üben und neue Schwerpunkte zu setzen, was nie ohne Konflikte ablaufen kann.
Andererseits ist es aber auch traurig, weil tatsächlich eine gewisse Achtlosigkeit im Umgang mit den Vordenkerinnen der weiblichen Freiheit zu beobachten ist. In letzter Zeit gab es ja wieder einmal den ein oder anderen Medienhype zum Thema »Feminismus« – die Alphamädchen oder die neue F-Klasse machten mit ihren Publikationen da von sich reden – und so schön es ist, dass auch jüngere Frauen das Label »Feminismus« wieder für sich entdecken, so erschreckend fand ich es doch, wie wenig Ahnung sie von den feministischen Ideen und Projekten haben, die doch gerade erst dreißig oder vierzig Jahre alt sind. Zum Beispiel fand ich es sehr ermüdend, wenn sich da immer gebetsmühlenartig von einem »Feminismus à la Emma« distanziert wurde, so als ob Emma der einzige Feminismus wäre, den es jemals gegeben hätte. Ein Großteil der Kritik, die die jüngeren Frauen, die heute in den Medien gerne als Vordenkerinnen einer neuen Frauenbewegung gefeiert werden, gegen einen gewissen Dogmatismus in Teilen der etablierten Frauenbewegung, sind ja längst kalter Kaffee und wurden von anderen Feministinnen schon vor Jahrzehnten in die Diskussion eingebracht.
Was ich damit sagen will: Nicht alles, was heute medial als Konflikt zwischen »alten« und »jungen« Feministinnen aussieht, ist wirklich ein Generationenkonflikt, sondern es werden am Beispiel der Generationen Themen aufgegriffen, die auch innerhalb der »alten« Frauenbewegung umstritten waren. Viele sind auch gar nicht jung, über 30, also in wirklich mittelalt. Bevor ich über die »jungen« spreche, spreche ich erst einmal über meine Generation, die 30-50-Jährigen.
Andererseits ist es aber durchaus richtig, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen und Rahmenbedingungen einen Einfluss haben auf den persönlichen Zugang.
In meinem Fall, ich bin jetzt 44, bedeutete das, dass ich schon als junge Frau mit der Erwartung konfrontiert war, einmal »Karriere« zu machen. Wir hatten kürzlich in der Redaktion unsere Internetforums »beziehungsweise weiterdenken« eine interessante Diskussion zu genau diesem Thema – den unterschiedlichen Sichtweisen meiner Generation und derer, die zwanzig Jahre älter sind. Also zwischen uns »Mittelalten«, die den Feminismus bereits vorgefunden haben, als sie Mitte der 80er Jahre mit ihrem politischen Engagement begonnen haben, und denen, die noch »vor der Frauenbewegung« aufgewachsen sind, und vieles neu entdeckt und erfunden haben.
Ein Unterschied, der dabei wichtig ist, ist der, dass meine Generation schon mit der Erwartung aufgewachsen ist, einmal ein »emanzipiertes« Leben zu führen. Zum Beispiel ist uns aufgefallen, wie unterschiedlich wir Erfolgsgeschichten von Frauen, die neue Felder besetzen, hören. Für die älteren Frauen, die als Jugendliche noch stark im Hinblick auf bestimmte Rollenklischees erzogen worden sind und die alle möglichen Dinge nicht durften, weil sie Frauen waren, sind solche Erfolgsgeschichten befreiend: Eine Frau als Bundeskanzlerin, das steht für sie für eine Erweiterung weiblicher Möglichkeiten, für einen Ausbruch aus alten, patriarchalen Beschränkungen. Für uns jüngere Frauen ist es aber auch eine Belastung: Wir müssen nicht nur gute Mütter sein, eigenständig unseren Lebensunterhalt verdienen, wir müssen jetzt auch noch Bundeskanzlerin werden. Wir sind nämlich noch nicht in dem Alter, in dem wir zufrieden auf das geleistete Lebenswerk zurückschauen können, sondern noch mitten drin, Möglichkeiten sind daher auch Erwartungen.
Und wer wollte bestreiten, dass sich die Möglichkeiten der Frauen nicht sehr erweitert hätten. Hindernisse gibt es noch, aber sie sind nicht mehr unüberwindlich, sie sind keine Barrieren mehr, die Frauen fernhalten, sondern Herausforderungen, die gemeistert sein wollen. Und es verbreitet sich ein Gefühl des Ungenügens, des Versagens, wenn wir doch »nur« irgendeine mittlere Angestellte sind und keineswegs so erfolgreich, wie wir es doch heute eigentlich sein könnten.
Und da muss ich selbstkritisch über meine Generation sagen, dass wir nicht besonders gut mit dieser Situation umgehen, was auch daran liegt, dass wir nicht wirklich von den »älteren« Feministinnen gelernt haben. Wenn man sich die Mediendebatte über die Lage der Frauen, die sich in den vergangenen Jahren an dem Buch von Eva Herman entzündet hat, dann sind wir, also die »mittlere« Generation, da gewissermaßen in zwei Lager gespalten. Die einen – Eva Herman vorneweg, aber auch andere, durchaus differenziertere »Emanzipationskritikerinnen« wie Susanne Gaschke, Autorin des Buches »Die Emanzipationsfalle« oder Iris Radisch, Autorin von »Die Schule der Frauen«, problematisieren zwar diese Überforderungssituation der modernen, emanzipierten Frau, aber sie weisen die Schuld daran der Gleichberechtigung oder gar der Frauenbewegung zu und scheinen wieder hinter deren Errungenschaften zurück zu wollen.
Andere hingegen, wie etwa Thea Dorn, Autorin von »Die neue F-Klasse« oder die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin widersprechen dem und feiern die neuen Möglichkeiten emanzipierter, karrierebewusster Frauen und halten die Schwierigkeiten, die sich dabei durch Überforderung der Einzelnen ergeben, für Rückzugsgefechte, für Folgen noch nicht ganz verwirklichter Gleichheit und machen letztlich das Unbehagen vieler Frauen am »Emanzipationismus«, um es mal so zu sagen, zum Tabu.
Vor einiger Zeit war ich im Gespräch mit einer Gleichstellungsbeauftragten, die mir von einer Referentin erzählte, die sie zum Thema »erfolgreiche« Frauen eingeladen hatte, einer erfolgreichen und relativ hochrangigen Managerin aus einem Wirtschaftsunternehmen. Also so einer aus »meiner« Generation, die es »geschafft« hat. Und sie hielt ihren Vortrag und pries die neuen Möglichkeiten der emanzipierten Frauen an, aber als sie später beim Bier gefragt wurde, was sie denn privat so macht, brach sie in Tränen aus und sagte, die einzige Person, die sie privat regelmäßig sieht, ist ihre Putzfrau.
Das Tabu ist also riesengroß, über die eigene Überforderung und das Unbehagen an der Gleichstellung und den neuen Möglichkeiten für Frauen zu sprechen, und das ist auch kein Wunder, wenn diejenigen, die diese Schwierigkeiten ansprechen, zum Zurück in die 50er Jahre blasen.
Was mir in unserer Redaktions-Diskussion klar wurde – und was mir vorher nicht so klar war – das ist, dass die älteren, an der Frauenbewegung geschulten Feministinnen diese Entwicklung durchaus mit Sorge betrachten. Sie sehen nämlich, dass da was schief läuft, weil sie nämlich unter Feminismus weniger als wir heute bestimmte inhaltliche »Frauenforderungen« verstanden – die man etwa an Gleichstellungsbeauftragte delegieren kann – sondern vielmehr eine neue politische Praxis, nämlich die, dass Frauen von ihren eigenen Erfahrungen ausgehen, sie mit anderen Frauen diskutieren, ihre privaten Probleme ernst nehmen und zu politischen Problemen erklären, anstatt zu versuchen, sich an äußere Erwartungen anzupassen.
Das heißt: Durch die Emanzipation haben sich zwar die Erwartungen an Frauen geändert – sie sollen heute nicht mehr in ihrer natürlichen Mutterrolle aufgehen und all ihr Streben auf häusliches Glück und Versorgung von Ehemann und Kindern richten, sondern sie sollen Beruf und Familienarbeit miteinander in Balance bringen und möglichst effektiv organisieren. Was sich aber nicht geändert hat, ist dass Frauen mit gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert sind und ihre daraus resultierenden Probleme zu privaten, individuellen Problemen oder gar Defiziten erklärt werden. Und wenn die Praxis der Frauenbewegung darin besteht, dass Frauen ihre eigenen Erfahrungen ernst nehmen, ihre eigenen Wünsche artikulieren und selbstbewusst in die Welt tragen, anstatt zu Funktionieren in dem Sinne, wie die Gesellschaft es von ihnen fordert, dann hätte gerade meine Generation noch viel von den »älteren« zu lernen.
Und jetzt zu den jungen Frauen, den 20-jährigen. Die orientieren sich nämlich heute längst wieder anders. Viele Mütter, Lehrerinnen, Gleichstellungsbeauftragte sind irritiert von dem großen Wunsch junger Frauen nach Kindern, nach einem trauten Heim, nach Familie und über ihr Desinteresse am Pionierinnendasein in so genannten »Männerberufen«. Das ist auch kein Wunder, denn sie haben ja – anders als meine Generation – nicht mehr erlebt, dass Frauen aufgrund ihres Frauseins irgenwelche Dinge verboten waren, sie kennen diese Diskriminierungsgeschichte nur vom Hörensagen, es ist für sie wirklich Geschichte, Historie. Was sie aber durchaus erlebt haben, das ist die Überforderung ihrer Mütter, die sich darin aufreiben, gleichermaßen perfekte Familienmanagerinnen wie perfekte Berufstätige zu sein. Und ist es ein Wunder, dass die jungen Frauen wenig Lust auf diesen Stress haben?
Doch wenn meine These stimmt, dass ihre »Müttergeneration«, also meine, es versäumt hat, das Tabu der emanzipatorischen Überforderung, anzugehen und zu diskutieren und dafür Lösungen zu entwickeln, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir für die jüngeren Frauen, die das sehr genau beobachten, keine Autoritäten sind.
Ich habe dafür ein Beispiel: Kürzlich war ich bei einer Podiumsdiskussion, an der auch eine 18 Jahre alte Schülervertreterin teilnahm. Was sie sich wünschte, formulierte sie ganz deutlich: Sie wollte viele Kinder haben und sich nicht nur »nebenbei« mit ihnen beschäftigen, sondern Zeit für sie haben. Sie wollte ihr Privatleben und also das soziale Leben nicht ganz und gar den Erfordernissen der Wirtschaft unterordnen. Sie erzählte von vielen anderen jungen Frauen ihres Alters, die sich wünschen, soziale Berufe zu ergreifen. Sie wünscht sich eine Welt, in der sie sich zugehörig fühlen kann, in eine Gemeinschaft der gegenseitigen Sorge eingebunden ist, sie wünscht sich ein persönliches Leben, das sie glücklich macht.
So, wie die Welt heute ist, wird sie sich diese Wünsche wohl abschminken müssen, oder? Soziale Berufe, wenn wir das schon hören! Und dann auch noch: viele Kinder! er direkte Weg in Hartz IV – höchstens eins oder zwei, müssen wir ihr raten, oder?
Tatsächlich wiederholten die älteren Podiumsteilnehmerinnen das, was derzeit der Stand gleichstellungspolitischer Argumentation ist: Dass es das Wichtigste ist, dass die jungen Frauen einen Beruf lernen, dass sie genug Geld verdienen, dass sie finanziell unabhängig sind. Erst wenn das sozusagen geregelt ist, dürfen sie weitergehende Wünsche nach Zugehörigkeit, sozialem Engagement, Zeit mit Kindern verwirklichen. Vor allem das Stichwort Unabhängigkeit fiel dabei ständig. Frauen müssen unabhängig sein, sie müssen für sich selbst sorgen.
Ich warf dann die Frage in die Diskussion, ob dieses Ideal der »Unabhängigkeit« nicht einfach das alte männliche Denken ist, wonach freie Menschen autonom und unabhängig sind, auf niemandes Hilfe angewiesen und niemandem verpflichtet? (Sie erinnern sich, damals bei der Französischen Revolution).
Worauf hin die Erwiderung kam, ja, das sei ja alles richtig, aber die Welt sei nun einmal momentan so organisiert, dass eine Frau, wenn sie nicht in Abhängigkeit und Benachteiligung geraten will, sich eben vernünftig verhalten muss. Sie darf nicht einfach ihren spontanen Wünschen nach Kindern und sozialem Engagement nachgeben, sondern sie muss an ihre Unabhängigkeit denken und Geld verdienen.
Diese Argumentation der älteren Frauen gegenüber den Wünschen der Jüngeren hat mich an die Konflikte zwischen Müttern und Töchtern erinnert, die Jane Austen in ihren Romanen schildert, die am Anfang des 19. Jahrhunderts spielen. Nur dass damals die Mütter den Töchtern gesagt haben: Das Wichtigste ist, dass du einen Mann heiratest, der dich versorgen kann. Die Welt sei nun einmal so. Frauen müssen »vernünftig« sein, erst einmal sehen, dass sie abgesichert sind – und danach erst können sie ihren romantischen Gefühlen nach Liebe, Kreativität, Politik und so weiter nachgehen. Damals wie heute rieten also die Mütter den Töchtern, vernünftig zu sein und sich in die Verhältnisse, wie sie nun einmal sind, zu fügen. Nur dass eben dieses vernünftig sein heute anders aussieht. Damals bedeutete es heiraten, heute, einen Männerberuf ergreifen.
Sicher haben die älteren Frauen recht, wenn sie den jungen Frauen sagen, dass sie vernünftig sein müssen. Frauen tragen Verantwortung sowohl für die Welt als auch für sich selbst, und deshalb ist es richtig, wenn wir die jungen Frauen auf die Fallstricke hinweisen, in denen sie sich verfangen, wenn sie blauäugig ihren Idealen von Familienleben und so weiter anhängen.
Aber ich finde, wir dürfen es damit nicht bewenden lassen, sondern wir sollten auch das Unbehagen ernst nehmen, das sich in den Wünschen der jungen Frauen nach Zeit für Kindern, nach gegenseitiger Fürsorge äußert. Ihre Skepsis gegenüber einer Welt, die nur auf individuelle Leistungsfähigkeit setzt, ist richtig, denn so eine Welt funktioniert nicht.
Im Übrigen sind auch nicht alle jungen Frauen konservativ auf alte Familienmodelle bedacht. Viele sind auch sehr politisch, zum Beispiel Anarchismus-Treffen in Winterthur mit vielen sehr jungen Frauen. Auch in der Anti-Globalisierungsbewegung engagieren sich viele sehr junge Frauen, oder bei Attac. Nach einer Umfrage von EMMA haben auch vor allem junge Frauen Andrea Ypsilanti gewählt. Das Unbehagen der jungen an der Welt, so wie wir sie eingerichtet haben, ist also verbreitet und äußert sich verschieden. Die Frage ist: Haben wir ältere Feministinnen, und besondere wir in den Vierzigern, die sozusagen die »bestimmenden« Positionen inne haben, ihnen etwas anzubieten, können wir ihnen eine Hilfe sein bei dem Weg, die Welt wohnlicher zu machen?
Denn das unterscheidet uns doch heute von den Müttern bei Jane Austen: Wir sind nicht mehr ins private eingesperrt, wir haben Ämter und Einfluss. Nutzen wir sie, um die Welt so zu verändern, dass junge Frauen sich nicht mehr anpassen müssen, damit die Welt so ist, dass Frauen und Männer und Kinder und Alte und überhaupt alle Menschen mit Wohlbehagen in ihr leben können.
Und ich habe den Eindruck, dass die jüngeren Frauen durchaus interessiert sind, darüber etwas zu erfahren. Aber sie wollen nicht belehrt werden und gesagt bekommen, was »richtiger« Feminismus ist
Allerdings ist es ja gar nicht so, dass meine Generation so untätig war. Denn bei genauem Hinsehen ist dieser Pseudokrieg zwischen den »Emanzipationistinnen« und den »Zurück-an-den-Herd-Propagandistinnen« eigentlich eine Medieninszenierung. In Wirklichkeit hat sich die Frauenbewegung auch in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt, und zwar nicht im Widerspruch und als Gegensatz zu den »alten« Feministinnen der 70er Jahre, sondern ihre Anliegen aufgreifend, sich aneignend und weiter denkend.
In den USA ist diese Strömung unter dem Begriff »Third Wave-Feminismus« diskutiert worden, also der »dritten Welle« des Feminismus. Protagonistinnen sind Frauen meines Alters, also in den 1960er Jahren geborene. Sie verstehen sich als Töchter der Frauenbewegung, verändern aber an einigen Punkten deren Inhalte und Positionen.
Zum Beispiel sind »Third Wavers« skeptisch gegenüber den alten Aktionsformen der Frauenbewegung, also dem Versuch, über etablierte Parteien, Vereine, Organisationen, Demonstrationen für die eigenen Anliegen zu kämpfen. Sie bevorzugen lockere Formen der Vernetzung und verstehen Politik vor allem als kulturelles Phänomen. Hintergrund ist natürlich auch eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Staatsfeminismus, also der Vorstellung, Frauenanliegen ließen sich gewissermaßen »ordentlich« über die Verwaltungsschiene in die überkommene Männerpolitik integrieren. Feministinnen meiner Generation agieren stärker im Bereich von Kultur und Medien, von Kunst, Literatur.
Ein zweiter Punkt ist die Skepsis gegenüber festen Inhalten und jeder Art von Dogmatismus. Ich kann zum Beispiel das Frauenbild in bestimmten Fernsehserien gleichzeitig kritisieren und dennoch Fan dieser Serien sein. Es gibt keine einfachen Entweder/Oder-Lösungen für Probleme.
Und ein dritter Punkt ist die Ablehnung des Separatismus. Frauen meiner Generation haben Lust, auch mit Männern zusammen zu arbeiten, außerdem ist die Identität des »Frauseins« durch die Diskussionen über Interkulturalität, über die Differenzen unter Frauen, über den Dekonstruktivismus, also das Wissen darum, dass Geschlecht kulturell erzeugt wird, schwammiger geworden. Wir fragen uns, was das denn überhaupt ist, eine Frau, und die Grenzen zu anderen »Identitäten« sind nicht so eindeutig.
Es hat aber auch in Europa in den vergangenen Jahrzehnten neue Impulse für die feministische Debatte, die man unter dem Stichwort »postpatriarchales Denken« einordnen könnte. Dieser Ausdruck stammt von Ina Praetorius, die damit einen Gedanken der italienischen Philosophin Luisa Muraro aufgreift, die in einem Artikel 1995 zum ersten Mal vom »Ende des Patriarchats« gesprochen hat. Damit ist nicht so sehr eine historische Zustandsbeschreibung gemeint, als vielmehr eben ein Perspektivenwechsel für feministisches Denken und feministische Praxis, die in den deutschsprachigen Ländern inzwischen recht einflussreich geworden ist.
Inhaltliche Punkte sind in etwa, nicht mehr von den Defiziten der Frauen auszugehen, sondern von ihren Ressourcen, ihren Wünschen, dem, was sie einbringen. Das heißt, die Frage nach der Verantwortung und dem Begehren der Frauen selbst tritt an die Stelle des Widerstands gegen »das Patriarchat« oder »die Männer«. Dies ist einerseits ein Perspektivenwechsel, hat andererseits aber auch mit der veränderten Realität zu tun, die eben darin besteht, dass Frauen (und wir selbst) heute nicht mehr außerhalb, sondern innerhalb der Institutionen stehen. Man könnte auch sagen, die Frage, die mich als postpatriarchale Feministin beschäftigt, ist nicht so sehr: Wie komme ich als Frau rein in die Institutionen? Als vielmehr die: Warum haben Frauen in den Institutionen so oft keine Autorität?
Damit einher geht eine bestimmte Tendenz im »älteren« Feminismus, vor allem aber im Gleichstellungsfeminismus, Frauen als Repräsentantinnen einer größeren Gruppe namens »die Frauen« zu sehen. Das ist ein wesentlicher Grund, warum Frauen in öffentlichen Bereichen allzu oft nur »funktionieren«, anstatt etwas ihren eigenen Wünschen und Urteilen gemäß zu verändern. Während Männer nur für sich selbst sprechen, sprechen Frauen für eine partikulare Gruppe von Menschen, und selbst wenn sie das nicht wollen, werden sie so betrachtet in einer Kultur, die »die Frauen« noch immer für eine spezielle Sorte Mensch hält und nicht für das Menschsein allgemein. Das ist meiner Ansicht nach auch der Grund, warum sich viele Frauen, gerade wenn sie in bestimmten Positionen sind, vom Feminismus distanzieren oder zum Beispiel keine inklusive Sprache zu benutzen. Weil in unserer Kultur »als Frau« identifiziert zu werden automatisch einen Autoritätsverlust nach sich zieht.
Deshalb ist es so wichtig, die Unterschiede zwischen Frauen schätzen und als Fülle verstehen, an der Differenz arbeiten statt Positionen klären oder ein »Wir der Frauen« proklamieren.
Ein weiterer, ganz praktischer Punkt, ist natürlich die Ökonomiekritik, also die Einbeziehung und Neuorganisation der Wirtschaft angesichts der Tatsache, dass die häusliche Gratisarbeit der Frauen wegfällt. Oder anders gesagt: Postpatriarchale Feministinnen freuen sich nicht nur darüber, dass Frauen endlich diese Arbeit nicht mehr machen müssen, sondern sie sorgen sich auch um das, was an Lebensqualität dadurch verloren geht und bestehen darauf, dass auch der Rest der Wirtschaft sich entsprechend verändern muss. Dieser wirtschaftspolitische Aspekt ist auch deshalb wichtig, weil wir eine auseinanderdriftende Schere von Arm und Reich haben, die bedrohlich ist, und zwar bedrohlicher als die nach wie vor bestehenden Geschlechterunterschiede. An einem konkreten Beispiel: Das »Gendergap« in der Entlohnung zwischen Frauen und Männern ist nicht das Hauptproblem. Die Forderung nach »Equal pay« ist für mich nämlich nicht erfüllt, wenn sowohl bei den Gutverdienenden als auch bei den Miesbezahlten Frauen jeweils 50 Prozent stellen, die Ungerechtigkeiten im Bezug auf Einkommen ansonsten aber gleich bleiben.
Und schließlich: Für postpatriarchale Feministinnen ist die Fragestellung nicht so sehr die Kritik des Bestehenden als vielmehr der Versuch, neue Möglichkeiten der Politik zu erfinden und zu praktizieren – sowohl denkerisch als auch konkret, etwa in neuen Wohnprojekten, außeruniversitärer Bildung, oder allgemein in den öffentlichen Bereichen, in denen Frauen meiner Generation ja bereits tätig und aktiv sind.
Vortrag am 14.2.2009 beim Westfälischen Theologinnen-Tag in Dortmund. So ähnlich auch am 13.2.2009 bei einer Denkwerkstatt des Deutschen Akademikerinnen-Bundes in Duderstadt und bei einem Frauenprojektetag am 4.2.2009 in Hannover.
- – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
-
Emmy Wolff: Die sozialen Jugendgemeinschaften, ihr Werden und ihr Ziel, in: Die Frau, 28. Jg, H. 3, 1920, S. 67 zitiert nach Kerstin Wolff: Das Erbe des Feminismus, in: Wir Frauen 4/2008, S. 10. ↩