Antje Schrupp im Netz

Es gibt Gläubige und Ungläubige….

Es ist wie bei jeder Religion: Es gibt Gläubige und Ungläubige. Die Gläubigen versammeln sich einmal die Woche zum Kultfernsehen. Wenn dann ausgerechnet in dieser Zeit das Telefon klingelt, ist es garantiert ein Ungläubiger. Die Ungläubigen erkennt man auch an ihren dummen Zwischenfragen und an dem hilflosen Einwand, sie würden ja überhaupt nichts verstehen. Dabei geht es bei der Serie »Akte X« ja gerade nicht darum, zu verstehen, sondern um die Frage: Soll ich glauben?

O-Ton Fox Mulder: »So leidenschaftlich zu glauben, war nicht ganz ungefährlich. Aber ich habe diese Risiken immer akzeptiert. Die Risiken für meine Karriere, meinen Ruf, meine Beziehungen und mein Leben«

Gemeinsam mit dem von der Existenz übersinnlicher Phänomene überzeugten FBI-Agenten Fox Mulder und seiner immer rational-skeptischen Kollegin Dana Scully begibt sich die Akte-X-Gemeinde einmal wöchentlich auf die Suche nach der Wahrheit. Die Ermittlungen zu den sogenannten X-Files, den ungelösten Fällen des FBI, gelten immer unerklärlichen Phänomenen. Es geht um Außerirdische, um alte indianische Gottheiten, um einen Wissenschaftler, dessen Schatten andere töten kann oder um eine Mordserie, bei der die Opfer alle genau gleich aussehen. Dabei geraten Scully und Mulder immer in ein Geflecht widersprüchlicher Erklärungen. Bei ihren Zeugenbefragungen treffen sie sehr oft auf Gläubige: Die einen glauben an einen Fluch der Götter, an Ufos oder an telepathische Fähigkeiten, die anderen halten das alles für Humbug und sind ebenso felsenfest davon überzeugt, daß Interessen der Industrie oder etwas ähnlich Banales hinter den jeweiligen Todesfällen steckt. Scully und Mulder suchen also nach Antworten auf eine Frage, die angesichts des Booms auf dem Markt der esoterischen und religiösen Möglichkeiten immer wichtiger wird: Ist es Betrug und Scharlatanerie, oder ist da wirklich was dran? Und dabei sind sie selten einer Meinung:

O-Ton: Scully: »Vielleicht hätten wir doch besser die Finger von dem Fall lassen sollen«. Mulder: »Scully, wenn das, was unser Freund vom CIA sagt, wahr ist, dann kommt vielleicht eine der schlimmsten nationalen Sicherheitskonspirationen ans Licht.« Scully: »Unser Mann von der CIA ist ungefähr ebenso unglaubhaft, wie seine Geschichte, wie alles an diesen Fällen. Ich meine, was ist aus Ihrem Motto geworden, traue niemals jemanden?« Mulder: »Das habe ich in traue jedem geändert«. Scully: »Sie werfen bei diesem Fall alle Prinzipien der Vernunft über den Haufen und erwarten von mir, daß ich Ihnen folge.« Mulder: »Drei identische Männer sind tot und ein vierter identischer Mann ist noch am Leben und auf der Flucht. Wenn Sie die Verfolgung diese Mannes unvernünftig finden, dann mache ich eben allein weiter«

Mulder und Scully repräsentieren gewissermaßen zwei Seiten, die auch in uns miteinander im Streit liegen. Mulder ist biographisch vorbelastet – als er zwölf Jahre alt war, ist seine Schwester verschwunden und er ist davon überzeugt, daß sie von Außerirdischen entführt wurde. »I want to believe« – ich möchte glauben – ist seither sein Wahlspruch, der auf einem großen Poster in seinem Büro prangt. Scully dagegen ist Medizinerin und davon überzeugt, daß sich alles letzten Endes dochwissenschaftlich erklären lässt. In zungenbrecherischer Weise beherrscht sie die Codes der naturwissenschaftlichen Mysterienwelt.

O-Ton Scully: »Ich bin Dana Scully und Agent Mulders Partnerin. Wie sind seine Vitalzeichen …« folgt Dialog mit fachwissenschaftlichen Ausdrücken.

Als die Serie im Oktober ’93 in den USA angelaufen ist, ging es noch fast ausschließlich um UFOs und Außerirdische. Doch schnell hat Regisseur und Drehbuchautor Chris Carter erkannt, daß er hier auf einen enormen weltanschaulichen Bedarf gestoßen ist und sich des Unerklärlichen generell angenommen. Die X-Files Gemeinde wächst weltweit. Von Brasilien bis Taiwan, von Finnland bis Johannisburg begeben sich Millionen von Menschen regelmäßig mit Mulder und Scully auf die Suche nach Wahrheit. Und sie diskutieren selbstständig weiter. Wer unter dem Stichwort »X-Files« das Internet durchsucht, trifft auf über 30.000 Eintragungen. Die übers Computernetz verbundene X-Files-Gemeinde diskutiert die neuesten Fälle, berichtet von eigenen übernatürlichen Erlebnissen, oder beschwert sich auch nur darüber, daß die Gage von Scully-Darstellerin Gillian Anderson zu niedrig sei. Das gemeinsame Glaubensbekenntnis ist dabei völlig unideologisch: Absolute Wahrheiten gibt es nicht, wichtig ist nur, daß man auf der Suche bleibt, kritisch und skeptisch gegenüber allzu schlichter Esoterik, aber auch offen und bereit zu akzeptieren, daß manche Phänomene eben für den Verstand unerklärlich bleiben und man sie auf andere Weise interpretieren muss, auf eine Weise, die man Glauben nennen könnte. Da ist es nur konsequent, daß Mulder und Scully ihre Fälle nie ganz lösen können.

O-Ton Scully: »Mehrere Aspekte dieses Falles bleiben ungeklärt, deuten auf die Möglichkeit paranormaler Phänomene hin. Aber ich bin überzeugt, solche Schlussfolgerungen zu akzeptieren, würde bedeuten, die Hoffnung auf ein Verständnis der wissenschaftlichen Bedeutung dahinter aufzugeben.«

Nur Ungläubige ärgern sich über die fehlende Auflösung am Ende der Folgen. Wir Gläubige dagegen wissen, daß Reiz des Unerklärlichen ja gerade darin liegt, daß man es nicht so einfach in seine Gewalt bringen kann. In einer von unkritischer Wissenschaftsgläubigkeit, simplen Ideologien und entfremdeten Religionen bevölkerten Welt bemüht sich die Akte-X-Gemeinde um eine neue Balance zwischen Glauben und Rationalität.

O-Ton Scully: »Viele der Dinge, die ich gesehen habe, waren eine Herausforderung für meine feste Überzeugung von einem geordneten Universum. Aber diese Ungewissheit hat nur mein Bedürfnis zu wissen, bestärkt, um Vernunft gegenüber Dingen anzuwenden, die ihr zu trotzen scheinen.« O-Ton Mulder: »Ich habe mit dem zerbrechlichen Glauben gelebt, der auf der vagen Erinnerung an ein Erlebnis beruht, das ich weder beweisen noch erklären konnte. Dieser Glaube gab mir die Kraft und Ausdauer auf meiner Suche nach Wahrheit.«


Dies ist eine Radiosendung, die 1997 im Hessischen Rundfunk (hr2) gesendet wurde.

Nachgedruckt in: Religion betrifft uns, 3/2008.