Antje Schrupp im Netz

Affida – was?

Grundkurs Philosophie, Teil 1: Weibliche Freiheit

in: Lila Blätter, Nr. 44, Juni 2012

Affidamento, so bezeichneten italienische Feministinnen (vom Frauenbuchladen in Mailand und rund um die Philosophinnengemeinschaft Diotima an der Universität Verona) eine Beziehung zwischen zwei Frauen, die zur Grundlage für weibliche Freiheit wird. Sie wollten wissen, was das freiheitliche Potenzial von Frauenbeziehungen und Frauengruppen ausmacht und stellten sich die Frage: Warum und wann sind Beziehungen zwischen Frauen die Grundlage weiblicher Freiheit?

Diesen Grundgedanken gab es auch in der Frauenbewegung der 70er Jahre. So sind zahlreiche Bilder und Begriffe entstanden, die bis heute kursieren Zum Beispiel die Rede von Frauensolidarität. Von Fraueninteressen. Oder die Idee von Frauen-Netzwerken und Frauen-Bündnissen.

Aber Frauen machten bald die Erfahrung, dass es ein solches »Wir« eigentlich gar nicht gibt. Lange wurde diese Differenz unter Frauen als Problem gesehen. Frauen, die sich weigerten, ihre persönlichen Wünsche und Absichten der »Bewegung« unterzuordnen, galten rasch als Verräterinnen oder als Egoistinnen. Die Herausforderung ist die Frage: Wie lässt sich Frauenbezogenheit und Freiheit zusammen denken? So dass ich feministisch-solidarisch sein kann, aber deshalb nicht auf bestimmte Inhalte festgelegt werde. Die Antwort lautet: Freiheit ist in Beziehung!

Frauen sind nicht automatisch qua Geschlecht miteinander verbunden und stehen zueinander in Beziehung; sie müssen diese Beziehungen untereinander aktiv eingehen. Und zwar nicht Beziehungen allgemein, sondern konkret, die jeweilige Frau, die eine Beziehung hat zu einer konkreten anderen Frau.

Die Anderen/das Andere/die Differenz ist nicht die Grenze meiner Freiheit, sondern ihre Basis. Nur weil es Andere/das Andere gibt, kann ich mich verändern, muss ich nicht bleiben, was und wie ich bin, kann diese Differenz zwischen dem, was ich bin und dem, was ich sein will, überwinden. Die Freiheit einer Frau orientiert sich so an der Ungleichheit der anderen Frauen, an der Differenz zwischen meinem Begehren und dem Mehr, dem Anderssein, der anderen Frau, zu der ich eine persönliche Beziehung habe.

Diese Differenz erfahre ich in der Begegnung mit einer Frau, die anders ist als ich, und deren Anderssein in mir ein Begehren weckt, mich selbst – und damit die Welt – zu verändern. Aber ich brauche das Mehr einer anderen Frau nicht nur, um mein eigenes Begehren zu entdecken, sondern auch, um ihm zu folgen. Um diesem Begehren gemäß in der Welt zu handeln und aktiv zu sein.

Das mit den Beziehungen, die die Grundlage für weibliche Freiheit sind – oder jedenfalls sein können – ist nicht einfach. Es geht nicht darum, dass ich einfach etwas Schönes von einer anderen Frau lerne, dass Frauen sich untereinander fördern, dass sie Netzwerke bilden und ihre unterschiedlichen Ressourcen kombinieren.

Sondern es geht um den sehr revolutionären Gedanken, dass Freiheit nur möglich ist, wenn ich eine Beziehung habe zu einer, die wirklich anders ist als ich. Einer, mit der ich Differenzen habe. Einer anderen, die nicht nur einfach etwas besser kann, sondern die etwas tut, das mir neu ist, das ich bisher vielleicht sogar für falsch gehalten habe. Denn nur dieses wirklich Anders-sein der Anderen, diese echte Differenz […] ermöglicht es mir, etwas wirklich Neues zu entdecken, meine eingefahrene Meinung zu verändern, aus vorgegebenen Denkmustern und Bahnen auszubrechen – Freiheit also. Freiheit von den eigenen Beschränkungen.