Antje Schrupp im Netz

Thesen zu Kirche und Rechtspopulismus

»Vortrag bei der Tagung »Die Kirchen und der Populismus« am 10.9.2018 in Darmstadt, veranstaltet von der Schader-Stiftung*

Es gibt Ähnlichkeiten zwischen einem rechtsextremen und nationalistischem Populismus, wie er derzeit in vielen Ländern und Weltregionen im Aufschwung ist, und einem christlichen oder vielleicht auch allgemeiner religiösen Fundamentalismus.

Christlicher Fundamentalismus war in Europa eigentlich auf dem Rückzug, und zwar sowohl weil größer werdende Teile der Gesellschaft säkular wurden und Religion an Bedeutung verlor, aber auch weil die evangelischen Landeskirchen wie auch die katholische Kirche in Deutschland sich liberalisiert haben und von alten hierarchischen und patriarchalen Vorstellungen teilweise abrückten. Ein Grund für diesen Wandel war auch ein erfolgreicher Marsch durch die Institutionen im Nachgang von 1968, der viele sozial engagierte, progressive, feministische Menschen in kirchliche Positionen, zum Beispiel Pfarrämter gebracht hat.

Heute hingegen sind die konservativen und rechten Kräfte wieder auf dem Vormarsch. Christlich-fundamentalistische Strömungen profitieren vom europäischen Rechtsruck, sie setzen gezielt ihre Agenda. Gerade vor einigen Wochen ist unter dem Titel „Wiederherstellung der natürlichen Ordnung« ein 134-seitiges Handbuch öffentlich geworden, das inzwischen über 100 Organisationen in über 30 europäischen Ländern den Rahmen vorgeben soll im Kampf gegen die Rechte von Schwulen und Lesben, gegen Abtreibung und gegen die Emanzipation von Frauen. Öffentlich geworden ist es jetzt über das EPF, das Europäische Parlamentarische Forum für Bevölkerung und Entwicklung, einem überparteilichen Zusammenschluss von Abgeordneten im EU-Parlament.

Es ist das Merkmal jeder Berufung auf ein Naturecht und eine Schöpfungsordnung, Diskurse zu entpolitisieren. Positionen etwa zum Geschlechterverhältnis, zu sexueller Identität, aber auch zu Migrationsfragen werden nicht als differente Meinungen anerkannt, über die man angesichts pluralistischer Positionen verhandeln muss, sondern als gesetzt, als indiskutabel.

Niemöller-Zitat: Die Kirche ist nicht demokratisch, weil sie nämlich einen Herrn hat.

Allerdings haben wir es heute nicht mit einer philosophischen Diskussion zu tun, sondern mit einer konkreten politischen Strategie. Als Ziele dieser rechts-christlichen Aktivist_innen werden in dem Handbuch zum Beispiel die Abschaffung aller Gesetze zu Lebenspartnerschaften und gleichgeschlechtlichen Ehen, zugleich soll gegen »Homo-Propaganda« gekämpft werden. NGOs, die mit LGBT- und Abtreibungs-Thematiken befasst sind, Fördergelder gestrichen werden. Zu den weiteren Zielen gehört laut dem Papier ein komplettes Verbot von Abtreibung, Scheidung, Verhütungs-Pillen und künstlicher Befruchtung. Alle Regelungen zur Gleichstellung von Mann und Frau sowie alle Antidiskriminierungsregelungen seien auf EU- und nationaler Ebene abzuschaffen. Das Netzwerk arbeitet seit etwa 2013, also erst fünf Jahre, und hat etliche der Ziele aus dem Handbuch mit dem Untertitel »Eine Agenda für Europa« in manchen Ländern bereits erreicht. Das bedeutet, wir haben es nicht nur mit einem ideologischen Streit, sondern mit einer konkreten und effektiven politischen Strategie zu tun, und diese „Agenda für Europa“ ist da nur ein Beispiel. Auch die gegenwärtigen Massenanzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen anbieten, nach § 219a in Deutschland gehören dazu. Es ist ein Problem, dass diese Strategie nicht erkannt wird, sondern man sich in den kirchlichen Stellungnahmen immer noch hinter diesen Paragrafen stellt.

Wie sehen die Wechselbeziehungen auch zwischen einer politisch rechten und nationalistischen und einer religiös-christlich-fundamentalistischen Position aus? Es sind ja zwei Themenkomplexe, über die sich die Rechtspopulisten maßgeblich ihre Identität schaffen, nämlich Rassismus und Antifeminismus. In beidem gibt es Anknüpfungspunkte zur Kirche und zu christlichen Positionen, gleichzeitig fallen diese jedoch unterschiedlich aus.

Feminismus/LGBTQ: Hier gibt es offensichtlich tatsächlich inhaltliche Übereinstimmunen. Die halbwegs offene Haltung der westlichen evangelischen Kirchen zu Fragen des Geschlechterverhältnisses – und die EKHN ist da sicher eine Vorreiterin – kann ja nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Christenheit weltweit antifeministisch und heteronormativ, sowohl von ihren Mitgliedern her als auch in ihren Lehren ist. Dies zeigt sich etwa in aktuellen Äußerungen des Papstes, aber auch in der protestantischen Ökumene, nicht nur streng konservativ-fundamentalistische, sondern auch die der „netteren“, liberalen.

Hintergrund dieses christlichen Heteronormativismus sind naturrechtliche Auffassungen, also die These, dass bestimmte soziale Verhältnisse, eben die Beziehungen zwischen Frauen und Männern und Kinder, in der Natur und damit in Gottes Schöpfungsordnung verankert wären. Die Beschränkung von Familien auf die Kombination „Ein Mann als Oberhaupt der Familie, eine Frau und deren eigene Kinder“ wird hier nicht als gesellschaftliche Konvention, als historische, kontingente Form, sondern als „naturgegeben und unveränderlich“ behauptet. Man kämpft nicht für die christiche, eigene Position im Wettbewerb mit anderen, sondern für die „richtige“: Das ist strukturell problematisch, auch wenn es nett und zugewandt vorgetragen wird.

Dieser weltweit verbreitete christliche Konsens steht tatsächlich in einem inhaltlichen Widerspruch zu den allermeisten feministischen und queeren Positionen. Die gehen davon aus, dass – erstens – gesellschaftliche Übereinkünfte immer „konstruiert“ und menschengemacht sind, die Natur also über die physikalischen Gesetze hinaus keine Normen vorgibt, und dass – zweitens – der Wille Gottes in Bezug auf dieses Dinge nicht aus der Natur abgeleitet werden kann sondern ebenfalls Gegenstand des Diskurses ist. Wobei Menschen mit ihren unterschiedlichen Einsichten und Erfahrungen beteiligt sind, aber niemand für sich behaupten kann, den Willen Gottes zweifelsfrei zu kennen.

Das Missvertändnis wird in dem Niemöller-Zitat zur innerkirchlichen Demokratie deutlich: Er verwechselt sich selbst mit Gott, denn sicher ist Gottes Wille kein Ergebnis demokratischer Prozesse. Aber das, was wir für Gottes Willen halten, kann durchaus, ja muss sogar ein Ergebnis demokratischer Prozesse sein und nicht die Meinung einiger oder gar nur eines mächtigen Mannes.

Die klassische, naturrechtliche Position verbindet sich heute auch mit aktuellen Antifeminismen, die man am ehesten als Reaktion auf die Erfolge der Frauenbewegung und der LGBTQI-Aktivist_innen verstehen kann. Die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte waren diesbezüglich enorm, und das bewirkt „Heimeligkeitsverluste“, auch bei vielen älteren Kirchenmitgliedern, die zum Beispiel dem klassischen Pfarrer als Autoritätsperson hinterher trauern, oder auch bei Menschen, die eine „Feminisierung“ der Kirche beklagen. Das sind allerdings keine theologischen, sondern sozialen Argumente.

Damit reagieren sie auch auf eine veränderte gesellschaftliche Situation: Neben vielen Erfolgen der Gleichstellung sehen wir heute auch die Grenzen des Emanzipationsfeminismus, etwa mit der ungelösten Care-Krise – die Abschaffung der klassischen Hausfrau im Namen der Gleichheit der Geschlechter, und damit eine durchaus berechtigte Unzufriedenheit über die Art und Weise der Veränderung. Hier knüpfen evangelikale Gruppierungen ganz offensiv an.

Das heißt: In Bezug auf Feminismus und LGBTQI-Rechte gibt es tatsächlich inhaltliche Anknüpfungspunkte und Übereinstimmungen zwischen einem strategischem Rechtspopulismus, antifeministischen Männergruppen und, ich will mal sagen, „gut gemeinten“ christlichen Traditionen, während aber die Personen nicht identisch sind.

Die modernen Männerrechtler sind in der Regel keine frommen Christen, im Gegenteil, viele kommen sogar aus atheistischen Milieus. Auch die personelle Grundlage von Pegida und Co. rekrutiert sich NICHT aus christlichen Kontexten. Aber zwischen beiden Gruppierungen gibt es inzwischen Allianzen und Koalitionen, das gemeinsame Ziel im Auge: Die Veränderungen, die der Feminismus erkämpft hat, rückgängig zu machen und Frauen wieder die Rolle zuzuweisen, die ihnen „natürlicherweise“ zusteht. Von der Akzeptanz von Homosexualität oder anderen Geschlechtsmodellen als dem heteronormativen ganz zu schweigen.

Was können liberale christliche Kräfte hierbei tun? Mein Vorschlag wäre, sich erst einmal der Tatsache zu stellen, dass man selbst in der Tat zu einer antifeministischen, homophoben Religion gehört. Also nicht vorschnell zu behaupten, „das“ Christentum wäre doch gar nicht so, denn es ist eben so. Die Aufgabe besteht zunächst einmal darin besteht, die eigenen Glaubensgeschwister hier von einer liberaleren Haltung zu überzeugen, bevor man nach außen für das Christentum werben kann. Neben theologischer und exegetischer Arbeit glaube ich, ist dabei vor allem ein Argument erfolgversprechend: Erstens dass der Wille Gottes nicht verfügbar ist und dass hinter den antifeministischen und homophoben Argumenten letztlich weltliche und patriarchale Machtansprüche stehen, was sich wiederum am Beispiel der Rechtspopulisten gut nachweisen lässt, die ja eben überhaupt nicht besonders christlich sind, sondern das Christentum nur als Alibi heranziehen, um sich selbst ins Recht zu setzen.

Etwas anders verhält es sich mit dem zweiten großen Identifikationsthema der Rechten: dem Rassismus. Anders als beim Feminismus gibt es hier keine wirklichen theologischen Überschneidungen, denn das Christentum ist nicht wesentlich fremdenfeindlich und rassistisch. Die Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe ist, anders als der Antifeminismus, nichts, was zur grundlegendem DNA des christlichen Glaubens gehören würde. Im Gegenteil, das Christentum gehört tendenziell zu den inklusiveren, universellen, fremden-freundliche Kräften, auch weil die biblischen Positionen dazu zahlreich und klar sind. Das ist auch der Grund, warum der Papst oder auch die evangelischen Kirchenleitungen hier weitaus glaubwürdiger auftreten. Entsprechend sind die rassistischen Anknüpfungspunkte zwischen Rechtspopulisten und Kirchen auch weniger direkt als die antifeministischen.

Es ist ein Umweg umweg nötig, und der gelingt über zwei Wege: Patriotismus beziehungsweise Nationalismus auf der einen Seite, und so genannte „Islamkritik“ auf der anderen. Der erste Weg stimmt vor allem für die evangelische Kirche, deren Geschichte ja eine nationalistische ist, an die sich bei älteren Menschen, die vor 1968 sozialisiert wurden, teilweise noch anknüpfen lässt. Bei Jüngeren und vor allem bei Frauen ist jedoch der wichtigere Weg die so genannte „Islamkritik“: Rassistische Positionen werden sozusagen menschenrechtlich „umgedreht“, die Abwehr gegen „die Fremden“ wird legitimiert mit der angeblichen Gefahr für christliche Werte, die von diesen Fremden ausgeht. Der christliche Impuls, Fremden zu helfen, wird als „naiv“ bewertet, im Prinzip ganz nett und ehrenwert, aber eben auch dumm. Der Vorwurf des „Gutmenschentum“ spielt hier eine entscheidende Rolle.Das schlägt bei vielen Gutmeinenden auch deshalb so ein, weil man nicht naiv sein will, naiv ist heutzutage fast schlimmer als böse.

Aber auch hier sind nicht nur theologische, sondern teilweise soziale Ursachen dahinter, weshalb bei manchen Christen und Christinnen die rassistische oder nationalistische Unterscheidung zwischen „Uns“ und „den Anderen“ auf offene Ohren stößt. Der Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen und des prozentualen Anteils der christlichen Bevölkerung löst Ängste aus, vor allem davor, die gesellschaftliche Deutungsmacht zu verlieren. Man versteht sich als Bollwerk gegen einen liberalen und „unchristlichen“ Zeitgeist, der sich in der Gesellschaft und auch innerhalb der Kirchen ausbreitet.

Hier könnte die Strategie aus meiner Sicht anders aussehen, nämlich als offensives Bekenntnis kirchenleitender Personen – so wie es ja auch vor allem Papst Franziskus, aber auch evangelische kirchenleitende Personen tun. Man könnte an dieser Stelle auf dem Boden eines christlichen Konsenses tatsächlich eine klare Auseinandersetzung mit nicht christlichen Kraften führen. Hier könnte innerkirchlich das Pauluswort ins Feld geführt werden, wonach der Gekreuzigte „Den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit ist“: Wer in der Welt christliche Positionen vertritt, kann nicht erwarten, bei anderen für schlau und klug und lieb gehalten zu werden, sondern muss auch bereit sein, eventuelle Konflikt auszutragen.

Generelle

Der Anspruch, als Volkskirche alle Seiten unter einem Dach zu vereinen, ist richtig. allerdings ist es ein falscher Weg, dies auf dem Weg von „kleinsten gemeinsamen Nennern“ zu organisieren. Ich denke, wir sind durchaus an einem Punkt, wo sich häufig kein gemeinsamer Nenner mehr finden lässt, und sei er auch noch so klein. Manche Positionen sind eben nicht miteinander zu vereinbaren. Es ist notwendig, diese Differenzen klar zu benennen.

Ein starkes theologisches Argument könnte sein: Wir wissen nicht, wer von uns recht hat, das soll Gott entscheiden. Die Kirche müsste also dazu stehen, dass sie in bestimmte Hinsicht nicht zu einer einheitlichen Meinung kommt, dass es „die christliche Position“ schlicht nicht gibt.

Ganz entscheidend wichtig scheint mir dabei zu sein, dass man sich nicht auf das rechte Narrativ einlässt, wonach die liberalen Christ_innen irgendwie „zeitgeistig“ und weniger fromm sind. Es gilt, deutlich zu machen, dass etwa meine feministische Haltung zu Homosexualität nicht weniger fromm ist als die homophobe Haltung anderer Leute. Es ist ein inner-christlicher Streit.

In der öffentlichen Debatte einer säkularisierten Gesellschaft wie unserer wird aber leider religiöser Fundamentalismus mit strenger Gläubigkeit oder Frömmigkeit in Eins gesetzt. Starke Frömmigkeit wird schon per Se mit Fanatismus gleichgesetzt. Das vor allem müssen wir hinterfragen und bestreiten.

Das Problem ist nicht, dass Menschen fundamental, existenziell gläubig sind. Das ist kein Problem. Sondern das Problem liegt da, da, wo Menschen aus ihren existenziellen Glaubensüberzeugungen das Recht ableiten, diese mit Gewalt gegenüber anderen durchzusetzen. Wobei Gewalt sowohl faktische, physische Gewalt sein kann, wie wir sie im religiös begründeten Terrorismus sehen. „Gewalt“ kann aber auch bedeuten, dass man Gesetze macht und auf diese Weise andere dazu zwingt, sich dem zu unterwerfen, was man selbst aus einer Glaubensüberzeugung ableitet.

Glaubensüberzeugungen können immer nur Maßstab für persönliches Handeln sein, sie sind prinzipiell unpolitisch. In Gesellschaften, in denen eine Religion bevölkerungsmäßig stark dominiert, kann das leicht übersehen werden. Aber im gesellschaftlichen Diskurs müssen Glaubensüberzeugungen erst säkular „übersetzt“ werden, bevor sie in Politik einfließen können. Das heißt, man muss säkulare Argumente und Gründe finden, demokratische Mehrheiten organisieren – zumindest in Gesellschaften, die aus christlichen Traditionen hervorgegangen sind und daher eine klare Trennung der zwei Reiche habe, von Staat und Kirche.

Das könnte ein spezifisch christlicher Beitrag zum Kampf gegen Rechtspopulismus sein: Nach innen muss sie klar machen, dass die Entscheidung über die „richtige“ Meinung in Bezug auf die umstrittenen Fragen letztlich nur Gott weiß, dass Menschen sich nicht anmaßen können, Gottes Willen zu kennen, sondern dass Kirche, Gemeinde sein bedeutet, sich mit anderen darüber auszutauschen, Differenzen festzustellen und eventuell festzuhalten, wenn es einen Konsens gibt, der, Ja, Herr Niemöller, demokratisch zustande gekommen ist. Und nach außen müsste sich die Kirche vor allem dagegen abgrenzen, strategisch missbraucht zu werden und vor den Karren eines antifeministischen und rassistischen Kulturkampfes gespannt zu werden. Wenn sie dann noch verzichtet, angeblich christliche Positionen machtpolitisch durchzuboxen, dann könnte sie bei den inhaltlichen Debatten durchaus eine Autorität gewinnen, mit der sie dezidiert christliche Perspektiven innerhalb eines pluralen politischen Diskurses zu Gehör bringt